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BVerwG - Entscheidung vom 07.02.2008

10 C 23.07

BVerwG, Beschluß vom 07.02.2008 - Aktenzeichen 10 C 23.07

DRsp Nr. 2008/9980

Gründe:

I. Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung.

Der 1974 in Basra (Zentralirak) geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Er reiste im Mai 1999 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung gab er an, ein Cousin habe bei ihnen zu Hause Unterlagen einer verbotenen Oppositionspartei und eine Pistole versteckt, die bei einer Hausdurchsuchung gefunden worden seien. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - lehnte den Asylantrag ab. Im Klageverfahren verpflichtete das Verwaltungsgericht das Bundesamt, den Kläger als Flüchtling nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ) anzuerkennen. Im Juli 2005 leitete das Bundesamt wegen der veränderten Verhältnisse im Irak ein Widerrufsverfahren ein und widerrief nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 31. August 2005 die aufgrund der gerichtlichen Verpflichtung ausgesprochene Flüchtlingsanerkennung. Zugleich stellte es fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

Im Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 6. Oktober 2005 den Widerrufsbescheid des Bundesamtes aufgehoben. Angesichts der hochgradig instabilen Lage im Irak könne von einer dauerhaften und stabilen, einen Widerruf rechtfertigenden Änderung der politischen Verhältnisse nicht ausgegangen werden.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 11. Juli 2006 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig. Es könne auf sich beruhen, ob der Kläger den Irak unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung durch das Baath-Regime Saddam Husseins verlassen habe. Denn er sei vor einer solchen Verfolgung jetzt hinreichend sicher. Das Regime Saddam Husseins habe seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die im März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren. Eine Rückkehr des Regimes sei nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Herausbildung einer Struktur, die vom früheren Regime als Gegner angesehene Personen erneut (wiederholend) verfolge. Dem Kläger drohe auch nicht aus anderen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneut eine - wie auch immer geartete - Verfolgung. Greifbare Anhaltspunkte für asylerhebliche Übergriffe von Seiten der neu gebildeten irakischen Regierung oder dem irakischen Staat sonst zurechenbarer Kräfte einschließlich der multinationalen Streitkräfte und der kurdischen Parteien im Nordirak ließen sich den aktuellen Erkenntnissen nicht entnehmen. Dabei könne auf sich beruhen, ob mit der neuen Regierung ein zu politischer Verfolgung fähiges Machtgebilde in dem Sinne entstanden sei, dass es eine gewisse Stabilität aufweise und die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer übergreifenden Friedensordnung besitze. Auch für eine nichtstaatliche Verfolgung gebe das Vorbringen des Klägers nichts Tragfähiges her. Soweit es nach wie vor insbesondere zu terroristischen Anschlägen und fortgesetzten offenen Kampfhandlungen zwischen militanter Opposition sowie regulären Sicherheitskräften und Koalitionsstreitkräften komme, sei nicht erkennbar, dass dieses Geschehen bezogen auf den Kläger an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Die Widerrufsentscheidung begegne auch nicht mit Blick auf die Richtlinie 2004/83/EG rechtlichen Bedenken, da diese vor Ablauf der Umsetzungsfrist keine unmittelbare Wirkung entfalte und § 60 Abs. 1 AufenthG in seinem Kerngehalt nicht ändere. Der Kläger könne auch nicht die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG beanspruchen.

Mit der vom Senat beschränkt auf den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Er macht u.a. geltend, der Widerruf verstoße gegen die zwischenzeitlich umgesetzte Richtlinie 2004/83/EG und gegen Art. 1 C der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -. Deren Schutzbereich erschöpfe sich nach einhelliger Staatenpraxis nicht im Schutz vor politischer Verfolgung. Ein Entzug des Flüchtlingsstatus setze voraus, dass im Herkunftsland auch die Mindestbedingungen einer staatlichen Friedensordnung und einer menschenwürdigen Existenz vorgefunden werden könnten. Erforderlich sei eine wertende Gesamtschau unter Einbeziehung der allgemeinen Verhältnisse. Hierzu fehlten ausreichende Tatsachenfeststellungen. Auch der vom Berufungsgericht angewandte Wahrscheinlichkeitsmaßstab sei völker- und europarechtswidrig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Juli 2006 zu ändern, soweit es den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung betrifft, und die Berufung der Beklagten insoweit zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Revision entgegengetreten. Der Vertreter des Bundesinteresses am Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

II. Der Rechtsstreit ist auszusetzen und es ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EG Nr. L 304 S. 12 ; ber. ABl EG Nr. L 204 S. 24) einzuholen (Art. 234 Abs. 1 und 3, Art. 68 Abs. 1 EG). Da es um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht, ist der Gerichtshof zuständig. Die vorgelegten Fragen zur Auslegung der Richtlinie sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof. Insoweit wird zur weiteren Begründung auf den Vorlagebeschluss vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 10 C 33.07 verwiesen.