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BVerwG - Entscheidung vom 28.02.2008

6 BN 5.07

BVerwG, Beschluß vom 28.02.2008 - Aktenzeichen 6 BN 5.07 - Aktenzeichen 6 CN 1.08

DRsp Nr. 2008/6263

Gründe:

1. Im Umfang der Zulassung der Revision ist die Beschwerde begründet. Insoweit hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ). Das Revisionsverfahren kann zur Klärung der Frage beitragen, ob Verfassungsrecht es zulässt, dass ein Versorgungswerk von Rechtsanwaltskammern, das eine Hinterbliebenenrente gewährt, die Hinterbliebenenversorgung durch Satzung ausschließt, wenn die Ehe nach Vollendung des 62. Lebensjahres oder nach Eintritt der Berufsunfähigkeit des Mitglieds geschlossen wurde und nicht mindestens drei Jahre bestanden hat, ohne dass dem Hinterbliebenen der Gegenbeweis eröffnet wird, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe oder dem Witwer eine Versorgung zu verschaffen.

2. Die Beschwerde bleibt im Übrigen ohne Erfolg.

Die Rechtssache hat, soweit die Revision nicht zugelassen worden ist, nicht die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO . Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann.

Die Antragstellerin hält die Frage für klärungsbedürftig, "ob das Rechtsstaatsprinzip verletzt wird, wenn eine Satzungsänderung nicht durch Erlass und Bekanntmachung einer Änderungssatzung erfolgt, sondern durch Erlass und Bekanntmachung einer Neufassung, aus der nicht ersichtlich ist, welche Normen geändert wurden". Diese Frage ist im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichts zu dieser Problematik zu beantworten, ohne dass dazu ein Revisionsverfahren durchgeführt werden müsste. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Normgeber darüber entscheidet, ob er bei entsprechendem Regelungsbedarf eine bereits geltende, das einschlägige Sachgebiet regelnde Norm durch eine Änderungsvorschrift seinen nunmehr bestehenden Regelungsvorstellungen anpasst oder ob er unter Aufhebung der bestehenden Vorschriften eine neue Rechtsnorm erlässt. Dem jeweils eingeschlagenen Verfahren folgt die Verkündung (Bekanntmachung) der Norm, so wie sie erlassen worden ist.

Bereits in der frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Befugnis des Normgebers zum vollständigen (konstitutiven) Neuerlass von Rechtsvorschriften, die bereits vorher galten, jedoch geändert worden waren, ohne Weiteres anerkannt worden (BVerfG, Beschlüsse vom 23. Oktober 1958 - 1 BvL 45/56 - BVerfGE 8, 210 [213 f.] und vom 17. November 1959 - 1 BvL 80/53 u.a. - BVerfGE 10, 185 [191]). Diese Befugnis des Normgebers begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass gesetzliche Regelungen so gefasst sein müssen, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag (BVerfG, Beschluss vom 9. April 2003 - 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 - BVerfGE 108, 52 [75]). Diese Anforderungen gelten auch für sonstige Rechtsnormen, die sich an den Bürger wenden. Daher muss der Normgeber seine Regelungen so bestimmt fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (BVerfG, Beschluss vom 9. August 1995 - 1 BvR 2263/94, 229 und 534/95 - BVerfGE 93, 213 [238]). Diesen Anforderungen kann grundsätzlich sowohl mit dem Erlass einer Änderungsvorschrift als auch mit dem Neuerlass einer eine bestimmte Materie vollständig regelnden Norm genügt werden. Ist eine Normlage infolge einer Vielzahl von Änderungsnormen unübersichtlich geworden (vgl. dazu etwa BVerfG, Beschluss vom 13. September 2005 - 2 BvF 2/03 - BVerfGE 114, 196 [236]), so kann gerade durch Erlass einer vollständig neu regelnden Norm dem Gesichtspunkt der Normenklarheit und der Normenwahrheit Rechnung getragen werden. Demgemäß trifft es entgegen den Ausführungen der Antragstellerin nicht zu, dass der Bundesgesetzgeber lediglich ändernde, nicht aber ablösende Gesetze erlässt. Das Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2. Aufl. 1999, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz (Rn. 508 ff., 524 ff.) enthält umfangreiche Hinweise auch für den Erlass von sog. Ablösungsgesetzen und führt dafür Beispiele an.

Hinsichtlich der Bekanntmachung gebietet das Rechtsstaatsprinzip, dass Rechtsnormen so zu verkünden (bekanntzumachen) sind, dass die Betroffenen sich vom Erlass und vom Inhalt der Rechtsnorm verlässlich Kenntnis verschaffen können und dass diese Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht in unzumutbarer Weise erschwert ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2. April 1963 - 2 BvL 22/60 - BVerfGE 16, 6 [17] und vom 22. November 1983 - 2 BvL 25/81 - BVerfGE 65, 283 [291]). Welche Anforderungen im Einzelnen an die Verkündung zu stellen sind, richtet sich nach dem jeweils einschlägigen Recht. Denn das Rechtsstaatsprinzip enthält keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote und Verbote, es bedarf vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten (vgl. Beschluss vom 18. Oktober 2006 - BVerwG 9 B 6.06 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 66 Rn. 4). Wird eine das betreffende Sachgebiet unter Aufhebung zuvor ergangener Bestimmungen umfassend neu regelnde Norm erlassen und den Anforderungen gemäß bekanntgemacht, kann der Normunterworfene besonders deutlich erkennen, was von dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung an rechtens sein soll. Er ist nicht gehalten, in älteren Verkündungsblättern zu forschen und den geltenden Normtext zu erschließen. Dass dadurch Gesetzesänderungen "verschleiert" werden könnten, wie die Antragstellerin meint, ist nicht nachvollziehbar. Die von der Antragstellerin für ihre gegenteilige Ansicht angeführten Beispiele verkennen, dass der Inhalt der neu erlassenen Vorschriften von den zur Normsetzung berufenen Organen verantwortet wird und Geltung beansprucht.

Wenn die Antragstellerin ein Interesse an der Normgenese hat und sich darüber informieren will, wann welche Änderungen in der Vergangenheit beschlossen worden sind und inwieweit die Neufassung davon abweicht, bleibt es ihr unbenommen, entsprechende Nachforschungen in den Verkündungsblättern vorzunehmen. Für die Erkennbarkeit der Rechtslage ist das ohne Bedeutung.

3. Die Entscheidung über die Kosten folgt, soweit die Beschwerde zurückgewiesen worden ist, aus § 154 Abs. 2 VwGO . Im Übrigen folgt sie der Kostenentscheidung in der Hauptsache. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47 , 52 Abs. 1 , § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG und berücksichtigt, dass das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin auf die Gewährung von Hinterbliebenversorgung gerichtet ist. Dieses Interesse bewertet der Senat im vorliegenden Normenkontrollverfahren mit der Hälfte des dreifachen Jahresbetrags der geschätzten Versorgung von 2 000 EUR pro Monat.

Hinweise:

Soweit die Revision zugelassen worden ist, wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 6 CN 1.08 fortgesetzt

Vorinstanz: OVG Rheinland-Pfalz, vom 20.11.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 6 C 10767/07