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BVerwG - Entscheidung vom 17.11.2008

10 B 2.08

BVerwG, Beschluß vom 17.11.2008 - Aktenzeichen 10 B 2.08

DRsp Nr. 2008/21945

Gründe:

Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) beruft, denn sie entspricht nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO . Im Übrigen ist sie unbegründet, denn der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) liegt nicht vor.

1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Sie möchte geklärt wissen, ob ein unverfolgt ausgereister Ausländer wie der Kläger bei der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG als vorverfolgt zu behandeln und damit auf ihn der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit vor erneuter Verfolgung anzuwenden ist, wenn er ein für eine verfolgte Gruppe (hier: glaubensgebundene Yeziden in der Türkei) konstitutives Merkmal (hier: die Glaubensgebundenheit) erst nach der Ausreise erworben hat (Beschwerdebegründung Ziffer I, S. 2-4). Die Beschwerde zeigt jedoch die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage nicht auf. Denn das Berufungsgericht legt bei der Beurteilung der Verfolgungsgefahr im Fall des Klägers zwar zunächst den Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde und begründet dies damit, dass der Kläger bei seiner Ausreise mangels Glaubensgebundenheit keiner Verfolgung unterlag (BA S. 5). Es führt in der angefochtenen Entscheidung aber weiter aus, dass es auch in Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zu dem Ergebnis gelangt, dass Yeziden in der Türkei nunmehr vor asylerheblicher Verfolgung hinreichend sicher sind (BA S. 5 f. und S. 7) und die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung "sei es nach dem normalen, sei es nach dem herabgestuften Maßstab" (BA S. 6) nicht mehr vorliegen. Damit ist aber nicht ersichtlich, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die von der Beschwerde aufgeworfene Frage der Vorverfolgung ankommt.

2. Die Beschwerde möchte weiterhin die folgenden zwei Fragen zur Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei geklärt sehen, nämlich

a) "ob das jahrzehntelange Vertreibungsprogramm zu Lasten der Yeziden in der Türkei schon als beendet angesehen werden kann - nachdem in den letzten 20 bis 25 Jahren zwischen 80 und 98 % der Bevölkerung vertrieben worden sind und nur noch alte Yeziden dort wohnen - nur deswegen, weil die Zahl der Verfolgungsschläge in der letzten Zeit im Verhältnis zur Zahl der verbliebenen Gruppenmitglieder als gering anzusehen ist"

sowie

b) "ob die Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei unabhängig von der Zahl der aktuellen Verfolgungsschläge deswegen als nicht beendet anzusehen ist, weil das Verfolgungsergebnis der Beseitigung des religiösen Existenzminimums nach wie vor andauert und sich angesichts des Alters der Restbevölkerung verschärfen wird".

(Beschwerdebegründung Ziffer II, S. 6)

Die aufgeworfenen Fragen sind jedoch einer Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich. Denn sie sind keine Rechtsfragen, sondern betreffen die Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in der Türkei. Die Klärung derartiger Fragen ist aber den Tatsachengerichten vorbehalten.

3. Die Beschwerde rügt als Verfahrensmangel, dass die Berufungsentscheidung ohne Begründung ergangen sei, soweit sie dem Kläger Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG versagt habe (Beschwerdebegründung Ziffer III, S. 6-8). Das verstoße gegen § 138 Nr. 6 VwGO . Der festgestellte Sachverhalt hätte dem Berufungsgericht Anlass geben müssen, namentlich die Frage der Gewährleistung des religiösen Existenzminimums für den Kläger (Art. 9 EMRK ) im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG zu prüfen. Das Gericht hätte Ausführungen dazu machen müssen, ob der für die Religionsbewahrung notwendige Zusammenhalt der Yeziden in der Türkei untereinander und mit ihrer Priesterfamilie gewährleistet sei.

Bei sachgerechter Auslegung der beanstandeten Entscheidungsgründe kann nicht davon ausgegangen werden, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt.

Im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung nur, wenn sie so mangelhaft begründet ist, dass die Gründe ihre doppelte Funktion - die Beteiligten über die der Entscheidung zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten und dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu ermöglichen - nicht mehr erfüllen können. Das wiederum ist nur dann der Fall, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Tenor der Entscheidung zu tragen (vgl. Beschluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 9 B 412.98 - NJW 1998, 3290 = Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 Nr. 32). Hingegen liegt ein Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (vgl. Beschluss vom 13. Juli 1999 - BVerwG 9 B 419.99 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 Nr. 35). Die Lückenhaftigkeit der von dem Gericht schriftlich niedergelegten Gründe kann allerdings dann anders zu beurteilen sein, wenn die Entscheidung auf "einzelne Ansprüche" oder "einzelne selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel" überhaupt nicht eingeht. Auch das kommt jedoch nur in Betracht, wenn die Gründe in sich gänzlich lückenhaft sind, namentlich weil einzelne Streitgegenstände oder selbständige Streitgegenstandsteile vollständig übergangen sind, jedoch nicht bereits dann, wenn lediglich einzelne Tatumstände oder Anspruchselemente unerwähnt geblieben sind oder wenn sich eine hinreichende Begründung aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe erschließen lässt (Beschluss vom 9. Juni 2008 - BVerwG 10 B 149.07 - juris Rn.5).

Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt der gerügte Verfahrensmangel nicht vor, denn die Gründe für die Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lassen sich aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe erschließen. Die Beschwerde legt nicht dar, dass der Kläger Tatsachen vorgetragen habe oder solche für das Gericht in anderer Weise ersichtlich waren, aus denen sich - über die im angefochtenen Beschluss erörterten asylerheblichen Gründe hinaus - Gründe für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ergeben. Das Berufungsgericht durfte sich daher bei der Begründung des fehlenden Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG auf die Feststellung beschränken, dass sich solche aus den im Rahmen des Flüchtlingsschutzes festgestellten Tatsachen nicht ergeben. So aber ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung (BA S. 7 Ziffer 2) zu verstehen. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerde umfasst die Begründung damit auch die Auseinandersetzung mit der Frage, ob das religiöse Existenzminimum für Yeziden in der Türkei gewährleistet ist. Denn der angefochtene Beschluss verweist in den Gründen ausdrücklich auf zwei Urteile des gleichen Senats vom 17. Juli 2007 (11 LB 324/03 und 11 LB 332/03), und zwar wegen der dort getroffenen Feststellungen zur Verfolgungsgefahr für Yeziden in der Türkei wegen ihrer Religionszugehörigkeit. Für das erstgenannte Urteil weist das Berufungsgericht zudem darauf hin, dass der Kläger des seinerzeitigen Verfahrens aus dem gleichen Dorf stammt wie der Kläger des vorliegenden Verfahrens. In beiden Verfahren begründet das Oberverwaltungsgericht im Einzelnen, warum nach seiner Überzeugung Yeziden in der Türkei bei ihrer Religionsausübung nicht unzumutbar behindert werden und ihr religiöses Existenzminimum - auch im Hinblick auf ihre religiöse Betreuung durch nur noch wenige Sheiks - nicht verletzt wird (vgl. OVG Lüneburg, Urteile vom 17. Juli 2007 - 11 LB 324/03 - juris S. 46 f. und 11 LB 332/03 - juris Rn. 94-97).

Soweit die Beschwerde weiter rügt, dass die angefochtene Entscheidung keine Begründung dazu enthalte, warum das Privatleben der Klägers im Sinne von Art. 8 EMRK durch seine Abschiebung nach 12 Jahren Aufenthalt in Deutschland nicht verletzt werde, ergibt sich daraus kein Verfahrensmangel. Denn diese Frage betrifft kein von der Beklagten festzustellendes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, sondern ein von der Ausländerbehörde zu beachtendes (mögliches) inlandsbezogenes Vollstreckungsverbot. Sie war damit für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens unerheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG .

Vorinstanz: OVG Niedersachsen, vom 30.10.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 11 LB 117/05