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BVerwG - Entscheidung vom 09.10.2008

6 B 37.08

BVerwG, Beschluß vom 09.10.2008 - Aktenzeichen 6 B 37.08

DRsp Nr. 2008/20179

Gründe:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem das erstinstanzliche Urteil aufhebenden Beschluss des Oberverwaltungsgerichts führt zum Erfolg. Zu Recht macht sie einen Verfahrensmangel geltend (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ), der unter Beachtung ihres Rügevorbringens richtigerweise in einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt. Das Berufungsgericht hat sich nämlich mit entscheidungswesentlichen Umständen des klägerischen Sachvortrages nicht auseinandergesetzt.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ), dessen Verletzung die Klägerin sinngemäß rügt, verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist zwar nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht den von ihm entgegengenommenen Vortrag der Beteiligten in seine Erwägungen einbezogen hat. Wenn allerdings besondere Umstände den eindeutigen Schluss zulassen, dass es die Ausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat, wird der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (stRspr; vgl. nur Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 264 Rn. 30 m.w.N.). So liegen die Dinge hier.

Das Verwaltungsgericht hat die auf § 3 Abs. 3 Nr. 4 GefHG gestützte Feststellung des Beklagten aufgehoben, wonach es sich bei dem Briard-Rüden namens "Grisou" der Klägerin um einen gefährlichen Hund handele. Dabei ist es von der Rechtsauffassung ausgegangen, dass die Regelung in § 3 Abs. 3 Nr. 4 Alt. 1 GefHG, nach der Hunde als gefährlich gelten, die ein anderes Tier durch Biss geschädigt haben, in den Fällen, in denen es zu Beißereien zwischen Hunden komme, generell nicht anwendbar sei. Das Berufungsgericht hat demgegenüber in dem angefochtenen Beschluss in bindender Weise die dem schleswig-holsteinischen Landesrecht zugehörige Norm des § 3 Abs. 3 Nr. 4 Alt. 1 GefHG dahin ausgelegt, dass auch der Biss eines Hundes gegen einen anderen Hund die Gefährlichkeitsvermutung begründe. Die Regelung stelle darauf ab, ob der beißende Hund der Angreifer sei; daran fehle es allerdings regelmäßig bei Beißereien zwischen Hunden zur Rangklärung, weil dann ein Angriff eines Hundes nicht vorliege. Deshalb kam es für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts auf die tatsächlichen Umstände des Zwischenfalls zwischen dem Hund der Klägerin und einem Labrador namens "Linus" am 11. April 2005 an.

Diese Umstände sind zwischen den Beteiligten umstritten. Die Klägerin hat schon in der Klageschrift den Sachverhalt aus ihrer Sicht so geschildert, dass es "zu einer Hundebeißerei im Sinne eines spielerischen Schnappens unter zwei Rüden gekommen ist, die arttypisch die Ranghierarchie klären wollten". In der Erwiderung auf die Berufungsbegründung des Beklagten hat der Klägervertreter nachdrücklich auf das Fortbestehen dieses Auffassungsunterschiedes hingewiesen. Die Klägerseite hat u.a. bestritten, dass "Linus" nach dem Vorfall überhaupt eine offene Wunde gehabt habe und dass diese Wunde durch den Tierarzt Dr. T. hätte behandelt werden müssen. Dementsprechend hat der Klägervertreter nach dem gerichtlichen Hinweis auf die Entscheidungsmöglichkeit gemäß § 130a Satz 1 VwGO nachdrücklich hervorgehoben, das Berufungsgericht könne - gerade bei anderer Rechtsansicht als das Verwaltungsgericht - nicht in der Sache selbst zu Gunsten des Beklagten entscheiden, weil der Sachverhalt weiterhin streitig sei.

In dem angefochtenen Beschluss hat das Oberverwaltungsgericht dessen ungeachtet ausgeführt: "Dass der Hund der Klägerin den Labrador der Frau von B. durch mindestens 'einen Biss geschädigt hat, ohne angegriffen worden zu sein' (§ 3 Abs. 3 Nr. 4, 1. Alternative Gefahrhundegesetz), wird durch den Inhalt der Verwaltungsvorgänge und den Vortrag der Parteien belegt und steht für den Senat außerhalb jeden Zweifels" (Berufungsurteil Seite 9). Das Berufungsgericht hätte sich insoweit aber mit dem Vorbringen der Klägerin auseinandersetzen müssen, es habe sich lediglich um eine Beißerei zur Rangklärung gehandelt, weil es nach dem selbst gewählten rechtlichen Bewertungsmaßstab für die Entscheidung darauf ankam. Indem es diesen Vortrag der Klägerin übergangen hat, ist deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.

Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der ihm in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die angegriffene Entscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: OVG Schleswig-Holstein, vom 26.03.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 4 LB 9/07