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BVerwG - Entscheidung vom 08.10.2008

4 KSt 2000.08

Fundstellen:
JurBüro 2009, 94

BVerwG, Beschluß vom 08.10.2008 - Aktenzeichen 4 KSt 2000.08

DRsp Nr. 2008/20166

Gründe:

I. Der Beklagte beansprucht von den Klägern im Umfang seines Obsiegens die Erstattung der Aufwendungen von Sachverständigen für deren Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 24. und 25. Oktober 2006. Die von ihm sistierten Sachverständigen hatten sich im Planfeststellungsverfahren gutachtlich zu verschiedenen Fragestellungen geäußert. Der Beklagte hielt ihre Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung für geboten, damit sie dem Gericht und den Prozessbeteiligten bei Bedarf ihre Gutachten erläutern und zu Ausführungen der Kläger und deren präsenten Sachverständigen Stellung nehmen konnten. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat es abgelehnt, die Terminskosten der Sachverständigen des Beklagten gegen die Kläger festzusetzen. Gegen ihre Entscheidung vom 12. Juni 2008 hat der Beklagte Erinnerung eingelegt.

II. Der nach §§ 165 , 151 Satz 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Die von dem Beklagten geltend gemachten Gutachterkosten sind nach § 162 Abs. 1 VwGO dem Grunde nach erstattungsfähig. Sie waren zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig.

Da das Erscheinen der Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung nicht durch eine entsprechende Aufforderung des Gerichts veranlasst worden war, sind die entstandenen Kosten nur nach Maßgabe der Voraussetzungen erstattungsfähig, unter denen Aufwendungen für private, also nicht vom Gericht bestellte Sachverständige erstattet werden können. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Aufwendungen für private Sachverständige nur ausnahmsweise erstattungsfähig, nämlich dann, wenn die Partei mangels genügender eigener Sachkunde ihr Begehren tragende Behauptungen nur mit Hilfe eines selbst eingeholten Gutachtens darlegen oder unter Beweis stellen kann. Außerdem ist der jeweilige Verfahrensstand zu berücksichtigen: Die Prozesssituation muss das Gutachten herausfordern, und dessen Inhalt muss auf die Verfahrensförderung zugeschnitten sein (Beschluss vom 11. April 2001 - BVerwG 9 KSt 2.01 - Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 37). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung der Beteiligten, sondern danach, wie ein verständiger Beteiligter, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Lage seine Interessen wahrgenommen hätte (Beschlüsse vom 16. November 2006 - BVerwG 4 KSt 1003.06 - Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 43 und vom 24. Juli 2008 - BVerwG 4 KSt 1008.07 - Rn. 8). Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlung; ohne Belang ist, ob sich die Handlung im Nachhinein als unnötig herausstellt (Beschluss vom 3. Juli 2000 - BVerwG 11 KSt 2.99 - Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 35). In Anwendung dieser Grundsätze sind die hier umstrittenen Kosten der Sachverständigen der Fa. P., der Fa. O., des D. und des Diplom-Physikers M. dem Grunde nach erstattungsfähig.

Die Fa. P. hat im Planfeststellungsverfahren die Luftverkehrsprognose der G. und die Kurzanalyse des I. zu regionalökonomischen Effekten der möglichen Erweiterung von Luftfrachtkapazitäten am Flughafen Leipzig/Halle geprüft, die die Beigeladene mit ihrem Antrag auf Planfeststellung vorgelegt hatte. Den Schlussbericht vom 31. August 2004 haben die Kläger zu 1 und 2 in ihrer Einwendung unter verschiedenen Gesichtspunkten beanstandet und beantragt, das Gutachten einem etwa ergehenden Planfeststellungsbeschluss nicht zugrunde zu legen, sondern eine neue gutachterliche Untersuchung zu veranlassen. Auf Seite 70 der Klageschrift haben sie die Kritik unter Bezugnahme auf die Einwendung wiederholt und mit dem zusammenfassenden Vorwurf, das Gutachten zeichne ein zu optimistisches Bild des künftigen Bedarfs, die Planrechtfertigung in Abrede gestellt.

Die Fa. O. hat sich im Planfeststellungsverfahren mit der Frage beschäftigt, ob das geplante Parallelbahnsystem mit zwei unabhängig voneinander nutzbaren Start- und Landebahnen erforderlich ist, um einen zentralen Knotenpunkt im Luftfrachtverkehr betreiben zu können. Sie hat diese Frage bejaht; der Beklagte hat sich dem angeschlossen. Die Kläger sind dem Abschlussbericht der O. im Klageverfahren mit fachgutachterlichen Stellungnahmen der Firma f. vom 6. Januar 2005 entgegengetreten und haben nach einer Erwiderung der O. hierauf die Replik der f. vom 9. September 2006 vorgelegt. Beide Stellungnahmen der fdc kommen zu dem Ergebnis, dass sich der prognostizierte Luftverkehr auch mit der bisherigen Bahnkonfiguration störungsfrei abwickeln lässt.

Das D. hat mit einer Studie, die einen Zusammenhang zwischen dem Maximalpegel eines Fluggeräuschs (Dosis) und der Wahrscheinlichkeit, durch das Fluggeräusch zu erwachen (Wirkung), nachweist, die Basis für das im Planfeststellungsbeschluss verankerte Lärmschutzkonzept gelegt. Mit diesem Konzept hat der Beklagte Neuland betreten, weil es von dem gängigen Konzept abweicht, das allein an akustische Kenngrößen anknüpft. Die Kläger haben mit sachkundiger Unterstützung des Privatdozenten Dr.-Ing. Ma. und des Epidemiologen Prof. Dr. G. versucht, dem auf der D.-Studie aufbauenden Lärmschutzkonzept des Planfeststellungsbeschlusses mit einer grundsätzlichen Kritik an der Studie die Grundlage zu entziehen. Beide Sachverständige haben während des gerichtlichen Verfahrens mit den Autoren der D.-Studie durch wechselseitige Stellungnahmen eine intensive Debatte über die wissenschaftliche Tragfähigkeit der Studie geführt.

Der Diplom-Physiker M. hat die Aufgabe übernommen, auf der Grundlage der D.-Studie die Aufwachreaktionen für unterschiedliche Flugzeugmixe zu berechnen und u.a. die Frage zu beantworten, welche Schallpegeldifferenz zwischen Gebäudeäußerem und -innerem erforderlich ist, um im Rauminneren eine bestimmte Aufwachreaktion nicht zu überschreiten, und welche bauakustischen Maßnahmen zu treffen sind, um diese Differenz zu gewährleisten. Seiner Annahme, gekippte Fenster minderten den Schallpegelunterschied um 15 dB(A), sind die Kläger unter Berufung auf ihren Sachverständigen Ma. entgegengetreten, der für sich in Anspruch nimmt, den Nachweis geführt zu haben, dass für ein gekipptes Fenster eine Schallpegeldifferenz von 12 dB(A) anzusetzen ist. Sie haben ferner mit Ma. kritisiert, dass die Grenzwerte des durch Triebwerksprobeläufe verursachten Lärms nicht plausibel abgeleitet seien.

Der Beklagte durfte davon ausgehen, dass die zwischen den Beteiligten im Verwaltungsverfahren und in den vorbereitenden Schriftsätzen im Klageverfahren umstrittenen Fragen in der mündlichen Verhandlung weiterhin kontrovers diskutiert werden würden. Er durfte in der mündlichen Verhandlung seine bereits im Planfeststellungsverfahren herangezogenen Sachverständigen aufbieten, um sich in der Diskussion mit den zu erwartenden Argumenten der Kläger fundiert auseinandersetzen zu können.

Gerechtfertigt war zunächst die Präsenz der Autoren der D.-Studie und des Diplom-Physikers M.. Die Kläger hatten deren Gutachten durch die Sachverständigen Ma. und G. kritisch hinterfragt. Beide Sachverständige, deren Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung vorab von den Prozessvertretern der Kläger angekündigt worden war, haben sich mit den Auswirkungen von Fluglärm auf die menschliche Gesundheit wissenschaftlich beschäftigt und zu diesem Thema wiederholt öffentlich Stellung genommen. Der Beklagte verfügte in der Person seines Prozessbevollmächtigten und seiner Sachbearbeiter nicht über das erforderliche Spezialwissen, um den Darlegungen der Sachverständigen der Kläger auf gleichem fachlichen Niveau entgegnen zu können. Er brauchte sich nicht darauf zu verlassen, dass das Ausmaß der Sachkunde, die er sich durch die Lektüre der schriftlichen Gutachten und gutachterlichen Stellungnahme seiner Sachverständigen ohne Zweifel angeeignet hatte, ausreichen würde, um die Angriffe der Kläger erfolgreich abzuwehren.

Der Beklagte durfte sich ferner dafür entscheiden, Sachverständige der Firmen P. und O. zur mündlichen Verhandlung mitzubringen. Er musste damit rechnen, dass der von den Klägern detailliert in Frage gestellte Inhalt des Schlussberichts P. als entscheidungserheblich in der mündlichen Verhandlung zur Sprache kommen würde. Denn der Senat hatte im Eilbeschluss vom 19. Mai 2005 - BVerwG 4 VR 2000.05 - (NVwZ 2005, 940 ) die Planrechtfertigung auch unter Bezugnahme auf die Luftfrachtprognose der P. bejaht, allerdings betont, dass ihm das Fazit des Gutachtens nur für das Eilverfahren genüge, und sich damit eine vertiefte Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten. Für diese Prüfung durfte sich der Beklagte durch Sistierung von Sachverständigen der P. wappnen. Gleiches gilt für die geplante Verteidigung des Abschlussberichts der O., den die Kläger durch ihren Sachverständigen F. einer dezidierten Kritik hatten unterziehen lassen. Der Beklagte durfte die Kritik ernst nehmen, da der Sachverständige nach eigenen Angaben im Bereich der Flughafenplanung über eine mehr als 20-jährige Berufserfahrung, insbesondere in den Bereichen der Flughafenentwicklungsplanung, der Dimensionierung der flugbetrieblichen Anlagen und der Kapazitätsanalysen verfügt.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Anwesenheit von Gutachtern, die im Planfeststellungsverfahren für den Beklagten tätig geworden waren, in der mündlichen Verhandlung prozessökonomisch sinnvoll war, weil sie dazu beitragen konnten, dem Gericht in den entscheidungserheblichen Rechtsfragen die erforderlichen Tatsachenkenntnisse zu verschaffen und einen zügigen Verfahrensablauf zu ermöglichen. Wegen der gebotenen ex ante-Sicht ist unerheblich, ob und in welchem Umfang die Sachverständigen tatsächlich vom Gericht angehört worden sind oder auf sonstige Weise an der Verteidigung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses im Verlauf der mündlichen Verhandlung mitgewirkt haben (vgl. Beschluss vom 6. Dezember 2007 - BVerwG 4 KSt 1004.07 - Rn. 5) und ob die Erörterung entscheidungserheblicher Punkte Erkenntnisse der Sachverständigen zu Tage gefördert hat, die über diejenigen hinausgehen, die sich schon aus den schriftlichen Gutachten und Stellungnahmen ergeben.

2. Die Rechtssache ist gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO analog an die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zurückzuverweisen, da der Senat hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Kosten im Einzelnen eine weitere Aufklärung und Glaubhaftmachung für erforderlich hält (vgl. zu dieser Verfahrensweise Beschlüsse vom 24. Juli 2008 - BVerwG 4 KSt 1008.07 - Rn. 12 und vom 19. August 2008 - 4 KSt 1001.08 - Rn. 6). Die umstrittenen Gutachterkosten waren ihrer Höhe nach bisher nicht Gegenstand des Kostenfestsetzungsverfahrens. Zu überprüfen ist insbesondere, ob die Anwesenheit der Sachverständigen nach Anzahl und zeitlichem Umfang erforderlich war, sowie die jeweilige Dauer der Terminvorbereitung und die Angemessenheit der in Ansatz gebrachten Stundensätze.

Die Streitwertentscheidung beruht auf § 47 Abs. 1 , § 52 Abs. 3 GKG .

Fundstellen
JurBüro 2009, 94