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BVerwG - Entscheidung vom 04.08.2008

1 B 2.08

BVerwG, Beschluß vom 04.08.2008 - Aktenzeichen 1 B 2.08

DRsp Nr. 2008/18113

Gründe:

Die Beschwerde, mit der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) sowie Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) geltend gemacht werden, bleibt ohne Erfolg.

1. Die Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache lässt sich den von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen nicht entnehmen.

a) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,

"ob die Beweislast im Hinblick auf das Bestehen einer Staatsangehörigkeit bei der Behörde oder bei dem betroffenen Ausländer liegt"

(Beschwerdebegründung S. 6), wäre in dem erstrebten Revisionsverfahren schon deshalb nicht klärungsfähig, weil das Berufungsgericht keine Entscheidung nach objektiven Beweislastgrundsätzen getroffen hat. Vielmehr hat es ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin türkische Staatsangehörige ist (UA S. 10 f).

b) Die von der Beschwerde aufgeworfene "Tatsachenfrage",

"ob eine Eintragung in türkische Register, die im Hinblick auf Nachnamen, Vornamen und Anzahl der Geschwister mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt, geeignet ist, eine türkische Staatsangehörigkeit zu beweisen"

(Beschwerdebegründung S. 8), verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt eine Rechtsfrage voraus; eine solche liegt schon nach dem eigenen Vorbringen der Beschwerde nicht vor.

c) Die als grundsätzlich angesehene Frage,

"ob eine Ausweisungsverfügung auf eine Strafvorschrift gestützt werden kann, obwohl das entsprechende Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde und damit Strafklageverbrauch vorliegt"

(Beschwerdebegründung S. 10), rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Zum einen führt die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts durch die Staatsanwaltschaft (§ 170 Abs. 2 StPO ) nicht zu einem Strafklageverbrauch, denn das Ermittlungsverfahren kann bei entsprechendem Anlass wieder aufgenommen werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO , 51. Aufl. 2008, § 170 Rn. 9 m.w.N.). Zum anderen ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass für die Ausländerbehörde - unbeschadet dessen, dass sie in der Regel von der Richtigkeit einer strafgerichtlichen Entscheidung ausgehen darf - keine rechtliche Bindung an tatsächliche Feststellungen und Beurteilungen des Strafrichters besteht (Urteil vom 27. Oktober 1978 - BVerwG 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 [66 m.w.N.]); das gilt erst recht mit Blick auf eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft.

2. Die Verfahrensrügen sind, soweit sie nicht schon unzulässig sind, jedenfalls unbegründet.

a) Die Beschwerde rügt als Gehörsverletzung, das Berufungsgericht habe den Hinweis darauf unterlassen, dass es aufgrund des Registerauszugs von der türkischen Staatsangehörigkeit der Klägerin sowie ihrer vorsätzlichen Täuschung darüber ausgehe und die Klägerin - trotz fehlender Eintragung ihrer Person in die Urkunde - das Gegenteil beweisen müsse. Des Hinweises und der Erörterung habe es bedurft, um ihr die Gelegenheit zur Stellung eines Beweisantrags zu geben (Beschwerdebegründung S. 12 ff.).

Mit diesem Vorbringen wird eine Verletzung des § 108 Abs. 2 VwGO nicht aufgezeigt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er begründet keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts und verpflichtet es auch nicht dazu, den Beteiligten regelmäßig vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen (vgl. BVerfGE 84, 188 , 190; BVerfG, Beschluss vom 10. April 1987 - 1 BvR 883/86 - DB 1987, 2287, Kammerbeschluss vom 2. Januar 1995 - 1 BvR 320/94 - NJW 1996, 45 [46]). Allerdings darf es seine Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen sich die Beteiligten vorher äußern konnten (Beschluss vom 11. März 1999 - BVerwG 9 B 981.98 - Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 54 ). Diesen Anforderungen genügt das Berufungsgericht.

Im Hinblick auf den Registerauszug hat das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin zur Kenntnis genommen und erwogen (UA S. 11 f.). Da die Beklagte bereits erstinstanzlich (Schriftsatz vom 27. Oktober 2003, VG-Akte Bl. 39/40) die Rechtsauffassung vertreten hatte - und hierauf zweitinstanzlich noch einmal verwiesen hat -, dass die Klägerin (auch) türkische Staatsangehörige sei, weil sich dies aus dem Eintrag ihres Vaters in einem türkischen Register ergebe, die türkische Staatsangehörigkeit ihres Vaters daher bis zum Beweis des Gegenteils vermutet werde und sich über das in der Türkei geltende Abstammungsprinzip auch auf die Klägerin als Tochter übertrage, konnte das Berufungsgericht zudem davon ausgehen, dass die Klägerin dem nichts entgegen zu setzen habe. Im Übrigen hat es seine Entscheidung nicht allein auf den Urkundeninhalt gestützt, sondern diesen mit den Angaben der Klägerin sowie des Herrn H.E. gegenüber der Ausländerbehörde abgeglichen. Die Beschwerde legt nicht dar, dass die in der mündlichen Verhandlung anwesende Klägerin gehindert gewesen wäre, weitere Angaben zu diesem Sachkomplex zu machen. Allein der Umstand, dass das Gericht sie hierzu nicht von sich aus befragt hat, genügt nicht zur Begründung eines Gehörsverstoßes.

b) Auch die erhobenen Verfahrensrügen zur türkischen Staatsangehörigkeit ihres Vaters und zum Schluss, dass auch die Klägerin nach dem türkisch-rechtlichen Abstammungsprinzip türkische Staatsangehörige sei, zur inhaltlichen Unrichtigkeit der Registereintragungen bzw. fehlenden Betroffenheit der Familie der Klägerin sowie zur vorsätzlichen Tatbestandserfüllung des § 92 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 AuslG 1990 durch die Klägerin (Beschwerdebegründung S. 14 ff.) rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

Die erhobenen Aufklärungsrügen genügen schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO . Hinsichtlich der von der Beschwerde behaupteten Verstöße gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO ) wird nicht substantiiert dargelegt, aus welchem Grund sich dem Berufungsgericht auch ohne entsprechende förmliche Beweisanträge der Klägerin in der mündlichen Verhandlung weitere Sachverhaltsermittlungen hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - DÖV 1998, 117 f. - Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26).

Auch soweit die Beschwerde im Übrigen in den unterschiedlichsten Einkleidungen - Gehörsverstoß, Verletzung der Hinweis- und Erörterungspflicht, Überraschungsentscheidung - rügt, das Berufungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Vater die türkische Staatsangehörigkeit besessen habe, er identisch mit dem im Register eingetragenen T.E. sei und die Klägerin aufgrund des türkischen Abstammungsprinzips ebenfalls die türkische Staatsangehörigkeit habe, wendet sie sich letztlich gegen die dem Tatrichter vorbehaltene Beweiswürdigung. Das Recht auf Gehör gibt - ebenso wenig wie die Rüge mangelhafter Sachaufklärung - keinen Anspruch auf Beweiserhebungen, die nicht beantragt wurden oder die sich dem Gericht nicht aufdrängen mussten. Ein Verstoß gegen Hinweispflichten oder das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung entfällt schon deshalb, weil die Beklagte - wie bereits ausgeführt - schon erstinstanzlich die entsprechenden Tatsachen und ihre rechtliche Bewertung in den Prozess eingeführt hatte (s.u. 2.a).

Soweit die Beschwerde geltend macht, die Klägerin habe die Richtigkeit der Registereintragungen detailliert bestritten und das Berufungsgericht sei außerdem zu Unrecht von einem vorsätzlichen Verstoß der Klägerin gegen ausländerrechtliche Straftatbestände ausgegangen, haben ihre Verfahrensrügen ebenfalls keinen Erfolg. Auch hier wendet sie sich in erster Linie gegen die dem Tatrichter vorbehaltene Würdigung der Registereintragung und subjektive Tatbestandsmerkmale. Hiermit lässt sich eine Revision nicht erreichen. Soweit die Beschwerde auf eine abweichende Entscheidung in einem Eilverfahren Bezug nimmt, gilt, dass ein gewissenhafter Prozessbeteiligter mit der Möglichkeit einer abweichenden Würdigung der tatsächlichen Umstände in der Hauptsache immer rechnen muss (vgl. Beschluss vom 1. September 1993 - BVerwG 4 B 93.93 - juris), zumal im vorliegenden Fall ein Wechsel des zuständigen Spruchkörpers stattgefunden hatte und in der Beschwerdeentscheidung vom 19. Juni 2002 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Klägerin bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids befristet worden war. Dass der Klägerin deshalb - wie von der Beschwerde behauptet - die Stellung eines Beweisantrags nicht möglich gewesen sei, ist nicht nachvollziehbar.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG (Auffangstreitwert jeweils für beide Streitgegenstände).

Vorinstanz: OVG Niedersachsen, vom 02.10.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 11 LB 131/07