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BVerwG - Entscheidung vom 24.07.2008

4 KSt 1008.07

Fundstellen:
JurBüro 2008, 598
Rpfleger 2008, 666

BVerwG, Beschluß vom 24.07.2008 - Aktenzeichen 4 KSt 1008.07

DRsp Nr. 2008/16553

Gründe:

Der nach §§ 165 , 151 Satz 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Die von den Klägern geltend gemachten Gutachterkosten, die unmittelbar dem Bürgerverein Brandenburg-Berlin (BVBB) in Rechnung gestellt worden sind, sind nach § 162 Abs. 1 VwGO dem Grunde nach erstattungsfähig, weil sie den Klägern in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Rechtsstreit entstanden sind und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren.

1. Die hier umstrittenen Gutachterkosten sind den Klägern entstanden. Sie dienten ihrer Rechtsdurchsetzung im Verfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 13. August 2004 zum Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld. Es oblag den Klägern, die nach ihrer Meinung erforderlichen Kosten für die Vorbereitung und prozessuale Durchsetzung ihrer Rechte aufzubringen. Sie hatten auch zu entscheiden, ob sie zur Deckung dieser Kosten vorhandene Eigenmittel verwenden oder von Dritten zur Verfügung gestellte Fremdmittel einsetzen. Auf der Seite der Kläger entstanden sind auch solche Gutachterkosten, die ein Dritter vereinbarungsgemäß unter dem Vorbehalt vorstreckt, dass die Kläger hinsichtlich dieser Kosten eine Rückzahlungsverpflichtung trifft, soweit diese Kosten nach Beendigung des Rechtsstreits im Kostenfestsetzungsverfahren erstattet werden. So liegt es hier.

Die Kläger haben glaubhaft gemacht (§ 104 Abs. 2 Satz 1, § 294 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO ), dass sie mit dem Bürgerverein Brandenburg-Berlin (BVBB) eine mündliche Vereinbarung getroffen haben, nach welcher der BVBB hinsichtlich der ihm in Rechnung gestellten Gutachterkosten in Vorlage tritt und die Kläger im Fall der (vollständigen oder teilweisen) Erstattung dieser Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren zur Rückzahlung der Erstattungsbeträge an den BVBB verpflichtet sind. Nach dem Vorbringen der Kläger ist davon auszugehen, dass die Kostenübernahme durch den BVBB mit einer bedingten Rückzahlungsverpflichtung der Kläger verbunden war und ist. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger, Rechtsanwalt B., hat mit Schriftsatz vom 1. Februar 2007 anwaltlich versichert, dass der BVBB die hier umstrittenen Gutachterkosten aufgrund einer Vereinbarung mit den Klägern des Verfahrens BVerwG 4 A 1073.04 und 4 A 1075.04 unter der Bedingung vorgestreckt habe, dass die Kläger verpflichtet sind, dem BVBB die Beträge, die ihnen im Rahmen der Kostenerstattung zufließen, zum Zwecke der Schuldentilgung weiter zu leiten. Diese Rückzahlungsverpflichtung treffe die Kläger der Verfahren BVerwG 4 A 1073.04 und 4 A 1075.04 jeweils zur Hälfte. Die Kläger nehmen ferner Bezug auf eine dem Gericht im Verfahren BVerwG 4 A 1075.04 (Bl. 9143) vorgelegte Eidesstattliche Versicherung des Vorsitzenden des BVBB vom 21. November 2006, die den Abschluss einer derartigen Vereinbarung bestätigt. Zehn Kläger des Parallelverfahrens BVerwG 4 A 1075.04 haben außerdem Erklärungen vorgelegt, in denen sie den Abschluss einer solchen Vereinbarung an Eides statt versichern.

Der Abschluss dieser Vereinbarung ist angesichts der Interessenlage der Kläger und des BVBB auch nachvollziehbar. Aus der Sicht der Kläger liegt es nahe, zur Finanzierung der voraussichtlich hohen Gutachterkosten in einem Rechtsstreit, der komplexe und schwierige Rechtsfragen des Fachplanungsrechts aufwirft, zunächst auf vom BVBB zur Verfügung gestellte finanzielle Mittel zurückzugreifen. Der BVBB ist nach § 3 Abs. 6 seiner Satzung vom 18. November 2000 u.a. gegründet worden, um Untersuchungen zur Umweltbelastung der Flughafenanrainer zu veranlassen und Studien zu unterstützen, die "in anstehenden offiziellen Verfahren (Raumordnungsverfahren, Planfeststellungsverfahren, Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeitsprüfungen) eingebracht werden". Die dem BVBB in Rechnung gestellten Gutachten sind den Prozessbevollmächtigten der Kläger zur Verfügung gestellt worden. Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass der BVBB seine Mittel zur Unterstützung in einem Rechtsstreit ohne Rücksicht auf die etwaige Erstattung in einem späteren Kostenfestsetzungsverfahren zusagt und die Kläger dauerhaft von einer Rückzahlungsverpflichtung freistellen wollte. Im Falle eines (teilweisen) Obsiegens der Kläger käme ein endgültiger Verzicht des BVBB auf die Rückzahlung im Kostenausgleichsverfahren zu erstattende Gutachterkosten dem Beklagten und den Beigeladenen zugute. Der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass der BVBB die Prozessgegner der Kläger in dieser Weise hat unterstützen wollen.

Entgegen dem Vorbringen des Beklagten sind die anwaltliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Kläger und die eidesstattliche Versicherung des Vorsitzenden des BVBB inhaltlich nicht zu unbestimmt, um den Bestand der mündlich getroffenen Vereinbarung (einschließlich der bedingten Rückzahlungsverpflichtung der Kläger) glaubhaft zu machen. Nach dem Vortrag der Kläger wurde die Vereinbarung zu Beginn der Rechtsstreitigkeiten getroffen. Zu diesem frühen Zeitpunkt war noch nicht absehbar, in welchem Umfang Privatgutachten erforderlich werden und in welcher Höhe Kosten hierfür entstehen würden. Zu diesem Zeitpunkt stand auch noch nicht endgültig fest, ob und in welchem Umfang der Senat Musterverfahren bilden würde. Insoweit hat die mit dem BVBB getroffene Kostenvereinbarung zunächst den Charakter einer Rahmenvereinbarung, die mit der vom Gericht vorgenommenen Bestimmung der Musterkläger in den Verfahren BVerwG 4 A 1073.04 und 4 A 1075.04 und durch die dem BVBB unmittelbar in Rechnung gestellten Gutachterkosten konkretisiert worden ist.

2. Die hier umstrittenen Gutachterkosten der Kläger sind dem Grunde nach erstattungsfähig.

2.1 Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewordenen Aufwendungen der Beteiligten erstattungsfähig. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung der Beteiligten, sondern danach, wie ein verständiger Beteiligter, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Weise seine Interessen wahrgenommen hätte. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlung; ohne Belang ist, ob sich die Handlung im Prozessverlauf nachträglich als unnötig herausstellt. Nach diesen Maßgaben können auch Aufwendungen für private, also nicht vom Gericht bestellte Sachverständige ausnahmsweise erstattungsfähig sein (vgl. Beschluss vom 16. November 2006 - BVerwG 4 KSt 1003.06 - m.w.N., juris). Der Senat hat ferner bereits entschieden, dass einem Kläger in Fallkonstellationen, in denen das Nachvollziehen von Berechnungen oder technischen Zusammenhängen einen mit der Materie nicht vertrauten Laien überfordert, die prozessuale Mitwirkungspflicht obliegen kann, sich selbst sachkundig zu machen, notfalls sogar mithilfe eines selbst in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens, dessen Kosten je nach Ausgang des Verfahrens erstattungsfähig sein können (Beschluss vom 13. März 1992 - BVerwG 4 B 39.92 - NVwZ 1993, 268).

Zu berücksichtigen ist ferner, dass der planfestgestellte Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld zu einem internationalen Verkehrsflughafen, der hier Gegenstand der Klageverfahren war, durch die besondere Komplexität eines fachplanungsrechtlichen Großverfahrens gekennzeichnet war und dass die Planfeststellungsbehörde ebenso wie die beigeladene Flughafenbetreiberin sich ihrerseits zur Bewältigung der vielfältigen Probleme bei der Ermittlung und Bewertung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange bereits der Hilfe zahlreicher Sachverständigen bedient haben, deren Ergebnisse in den angefochtenen Planfeststellungsbeschluss eingegangen sind. Lärmbetroffene Anwohner, die gegen den Planfeststellungsbeschluss gerichtlich vorgehen wollten, mussten im Rechtsstreit daher zumindest plausibel machen, dass die von der Planfeststellungsbehörde gefundenen Ergebnisse an durchgreifenden Rechts- oder Abwägungsfehlern leiden. Dies konnte nur gelingen, wenn die Kläger die Tatsachenbasis des Planfeststellungsbeschlusses und die zugrunde liegenden gutachterlichen Ergebnisse derart in Zweifel ziehen konnten, dass das Gericht Veranlassung für eine eigene Beweiserhebung sehen musste. Bei dieser Ausgangslage entsprach es einer vernünftigen Prozessführung, dass die Kläger sich ihrerseits Sachverständige herangezogen haben, die befähigt waren, die tragenden Gründe des Planfeststellungsbeschlusses kritisch zu hinterfragen (in diesem Sinne auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 31. Juli 2001 - OVG 7 C 11685/90 - zu einem atomrechtlichen Großverfahren).

2.2 In Anwendung dieser Grundsätze sind die hier umstrittenen Gutachterkosten dem Grunde nach erstattungsfähig. Die zunächst dem BVBB in Rechnung gestellten Gutachten betreffen sämtlich Sach- und Rechtsfragen, die aus der Sicht der Kläger entscheidungserheblich waren oder doch zumindest bei verständiger Würdigung sein konnten. Das gilt für die Gutachten des Instituts für Umweltstudien W. zur "Überprüfung der Bestandsdaten streng geschützter Vogelarten im Umkreis des Flughafens Schönefeld und Konsequenzen für die Eingriffskompensation durch den Flughafenausbau" (November 2004), betreffend die "Fachliche Überprüfung der Darstellung von Eingriffen sowie von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für den Ausbau des Flughafens Schönefeld" (November 2004), betreffend "Fehler im Planfeststellungsbeschluss bezüglich der Verträglichkeit mit der FFH-Richtlinie im NATURA 2000-Gebiet [Glasowbachniederung]" (Oktober 2004) und zur "Abschätzung der Verträglichkeit einer Grundräumung im Glasowbach gemäß § 34 BNatSchG als Bestandteil des Vorhabens [Ausbau Flughafen Schönefeld]" (Oktober 2004) ebenso wie für die gutachterliche Einschätzung des Dr.-Ing. Horst B. vom 22. November 2004 zur "Entwicklung des Grundstückmarkts in der Flughafenumgebung und zu Entschädigungsfragen" und das Gutachten von G. vom 26. November 2004 zur "Belastungssituation mit Luftschadstoffen mit Bezug zum Planfeststellungsbeschluss Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld".

Dem Grunde nach erstattungsfähig sind ferner die vom BVBB für die Kläger verauslagten Kosten, die durch die Teilnahme an Sitzungsterminen in den Musterverfahren und deren Vorbereitung entstanden sind. Die Anwesenheit zumindest eines der für die Kläger tätig gewordenen Gutachter in der mündlichen Verhandlung ist bei der Erörterung klärungsbedürftiger Punkte, zu denen die Sachbeistände bereits gutachterlich Stellung genommen haben, prozessökonomisch sinnvoll gewesen, weil sie dazu beitragen konnte, dem Gericht in den entscheidungserheblichen Rechtsfragen die erforderlichen Tatsachenkenntnisse zu verschaffen und einen zügigen Verfahrensablauf zu ermöglichen.

2.3 Die Rechtssache ist gemäß § 173 VwGO i.V.m. der entsprechenden Anwendung von § 572 Abs. 3 ZPO an die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zurückzuverweisen, da der beschließende Senat hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Kosten im Einzelnen eine weitere Aufklärung und Glaubhaftmachung für erforderlich hält (zu dieser Verfahrensweise s.a. Olbertz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO , Stand: Oktober 2005, Rn. 11 zu § 165). Die umstrittenen Gutachterkosten waren ihrer Höhe nach bisher nicht Gegenstand des Kostenfestsetzungsverfahrens. Zu überprüfen sind insbesondere die in die Kostenabrechnung eingesetzten Arbeitstage der Gutachter bzw. ihrer Mitarbeiter, die für die Anfertigung der Gutachten in Rechnung gestellten Pauschalbeträge und Vervielfältigungskosten sowie der zeitliche Umfang der Sitzungsteilnahme von Sachbeiständen der Kläger.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 47 Abs. 1 , § 52 Abs. 1 GKG .

Fundstellen
JurBüro 2008, 598
Rpfleger 2008, 666