Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 16.06.2008

3 B 9.08

BVerwG, Beschluß vom 16.06.2008 - Aktenzeichen 3 B 9.08

DRsp Nr. 2008/13181

Gründe:

Die Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO ). Der angefochtene Beschluss beruht auf Verfahrensfehlern, die von der Klägerin mit der Beschwerde geltend gemacht werden (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ).

1. Die Vorinstanzen sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Beklagte - sowie das Ministerium als übergeordnete Planungsbehörde - hinsichtlich der Frage, mit welchen Betten der festgestellte Bedarf an HNO-Betten in der Planungsregion des Kreises G. zu befriedigen sei, eine Auswahlentscheidung zwischen dem Krankenhaus der Klägerin und dem des Beigeladenen treffen musste und dass sie hierbei § 8 Abs. 2 Satz 2 KHG zu beachten hatte. Insofern hat das Berufungsgericht der Beklagten einen gewissen Entscheidungsspielraum zuerkannt. Sie könne die vorhandene Überversorgung sowohl durch eine Bettenreduktion bis zur jeweiligen Auslastungsquote bei sämtlichen Plankrankenhäusern als auch dadurch abbauen, dass ein Krankenhaus gänzlich aus dem Plan gestrichen und die Versorgung bei einem anderen konzentriert werde. Voraussetzung sei jeweils, dass die Entscheidung auf sachlich vertretbaren Erwägungen beruhe.

Das Verwaltungsgericht hatte die angefochtenen Bescheide aufgehoben, weil die Beklagte weder dem Feststellungsbescheid noch dem Widerspruchsbescheid eine ausreichende formelle Begründung beigefügt habe; außerdem bestünden Zweifel, ob die Beklagte materiell ihren Beurteilungsspielraum im Rahmen ihrer Auswahlentscheidung überhaupt ausgeübt habe.

Das Berufungsgericht hat demgegenüber angenommen, dass das Ministerium und in dessen Gefolge die Beklagte tatsächlich eine Auswahlentscheidung dahin getroffen hätten, dass der festgestellte Bedarf an HNO-Betten allein mit Betten im Krankenhaus des Beigeladenen zu decken sei. Hierfür seien die folgenden Erwägungen maßgebend gewesen: Erstens hätte die HNO-Abteilung im Krankenhaus der Klägerin höchstens mit 4 Betten aufrechterhalten werden können, was aber unvorteilhaft wenig sei. Zweitens befinde sich die größere HNO-Abteilung im Krankenhaus des Beigeladenen am Ort der größten Nachfrage. Drittens füge sich die Schließung der HNO-Abteilung im Krankenhaus der Klägerin in ein umfassenderes Konzept, wonach sie kompensiert werde durch eine Beibehaltung der 89 chirurgischen Betten trotz unzureichender Auslastung. Diese Erwägungen seien der Klägerin bereits bekannt oder doch ohne weiteres erkennbar gewesen, so dass die angefochtenen Bescheide insoweit keiner Begründung bedurft hätten (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG ); jedenfalls aber sei die Begründung während des Berufungsrechtszuges, nämlich mit der Berufungsbegründung der Beklagten, heilend nachgeholt worden (vgl. § 45 Abs. 2 LVwVfG ).

2. Die Feststellung, die Planungsbehörde oder doch die Beklagte hätten ihre Entscheidung auf die genannten drei Gründe gestützt, hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft getroffen. Das Berufungsgericht hat über die Berufungen nicht mündlich verhandelt und auch keine Beweise erhoben; es hat seine Feststellungen vielmehr allein in Auswertung der ihm vorliegenden Verwaltungsakten getroffen. Die in Rede stehende Feststellung findet in den Verwaltungsakten indes keine Stütze. Damit hat das Berufungsgericht seine Entscheidung insofern nicht auf der Grundlage des vorangegangenen Verfahrens getroffen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ); zudem bestand für die Klägerin keine Möglichkeit, sich zu den Grundlagen der Berufungsentscheidung zuvor zu äußern (§ 108 Abs. 2 VwGO ).

Ausweislich der Verwaltungsakten hat das Ministerium die Beklagte mit Schreiben vom 31. Mai 2005 (Bl. 262 ff.) angewiesen, Feststellungsbescheide auf der Grundlage des "Strukturvorschlags", wie er den beteiligten Krankenhäusern mit Anhörungsschreiben vom 28. Februar 2005 (Bl. 229 ff.) unterbreitet worden war, sowie der Stellungnahmen der Krankenhäuser hierzu zu erlassen. Der "Strukturvorschlag" führt hinsichtlich des Fachgebiets HNO lediglich die Konzentration beim Krankenhaus des Beigeladenen an, teilt aber sachliche Gründe dafür nicht mit. Offenbar geht die Entscheidung insofern allein auf die Zustimmung der Klägerin zurück, die diese zuvor aber nur bedingt erteilt (Bl. 83, 86; vgl. Bl. 1) und in dem erwähnten Anhörungsverfahren ausdrücklich widerrufen hatte (Schreiben vom 22. April 2005, Bl. 37 der Akte des Ministeriums).

Lässt sich den Verwaltungsakten nichts dafür entnehmen, dass die drei vom Berufungsgericht angegebenen sachlichen Erwägungen tatsächlich die den Feststellungsbescheid tragende Auffassung der Behörde waren, so geben sie erst recht nichts dafür her, dass diese Auffassung der Behörde der Klägerin auch ohne formelle Mitteilung im Feststellungs- oder im Widerspruchsbescheid bereits bekannt oder doch auch ohne Begründung für die Klägerin ohne weiteres erkennbar waren (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG ). Das Berufungsgericht betont zwar wiederholt, dass die von ihm angeführten sachlichen Erwägungen den angefochtenen Bescheiden "erkennbar" zugrunde lägen. Damit meint es offenbar - ebenso wie die Beklagte mit ihrer Berufungsbegründung -, dass diese Erwägungen den Bescheiden zugrunde gelegt werden könnten, weil sie geeignet seien, die getroffene Auswahlentscheidung materiell zu begründen. Daraus ließe sich aber nicht schließen, dass die Behörde ihren Bescheiden diese Erwägungen auch tatsächlich zugrunde gelegt hat.

3. Auch der Hilfserwägung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die in Rede stehenden Erwägungen im Zuge ihrer Berufungsbegründung jedenfalls heilend nachgeschoben, liegt ein Verfahrensfehler zugrunde.

Es ist schon zweifelhaft, ob die darin gelegene tatsächliche Feststellung dem objektiven Erklärungsinhalt der Berufungsbegründung entspricht. Die Beklagte hat nämlich keineswegs eine getroffene Auswahlentscheidung nachträglich begründet. Im Gegenteil hat sie betont, keine Auswahlentscheidung getroffen zu haben, weil sie eine solche - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - nicht für geboten erachtet habe und weiterhin nicht für geboten erachte; vielmehr habe sie lediglich die Planbettenzahl bei beiden betroffenen Krankenhäusern auf die Auslastungsquote reduziert, was beim Krankenhaus der Klägerin zu einer Reduktion auf null geführt habe. Allerdings hat die Beklagte im Weiteren - mit einem einzigen Satz - ihre Auffassung dargelegt, dass die getroffene Entscheidung sachlich nicht beanstandet werden könne, weil die gebotene beiderseitige Bettenreduktion sich zugunsten der größeren Abteilung auswirke, die sich obendrein am Ort der stärksten Nachfrage befinde. Darin klingen immerhin die ersten beiden Erwägungen an, mit denen das Berufungsgericht die Auswahlentscheidung rechtfertigen möchte. Die dritte Erwägung - Kompensation in der Chirurgie - aber lässt sich diesem einen Satz schlechterdings nicht entnehmen. Doch mag dies auf sich beruhen.

Jedenfalls musste die Würdigung dieser Passage der Berufungsbegründung sowohl als heilende Nachholung der formellen Begründung der angefochtenen Bescheide (§ 45 Abs. 2 LVwVfG ) als auch als Ergänzung der materiellen Auswahlgründe (§ 114 Satz 2 VwGO ) die Klägerin überraschen (§ 108 Abs. 2 VwGO ). Das Berufungsgericht hat die Klägerin auf diese Würdigung vor seiner Berufungsentscheidung nicht hingewiesen; weder hat es über die Berufung mündlich verhandelt, noch findet sich ein dahingehender Hinweis in der Anhörung zur beabsichtigten Verfahrensweise nach § 130a VwGO . Ohne einen solchen Hinweis brauchte die Klägerin mit dieser Würdigung aber nicht zu rechnen. Wenn die Beklagte - wie erwähnt - selbst hervorgehoben hat, keine Auswahlentscheidung getroffen zu haben, lag die Annahme fern, das Gericht könne in dem einzigen nachfolgenden Satz gleichwohl die Begründung für eine solche Auswahlentscheidung erblicken.

4. Die angefochtene Entscheidung beruht auch auf den aufgezeigten Verfahrensfehlern. Dass das Berufungsurteil ohne die aktenwidrigen Feststellungen nicht damit hätte begründet werden können, die Beklagte - sowie das Ministerium als übergeordnete Planungsbehörde - habe eine auf die erwähnten drei Erwägungen gestützte Auswahlentscheidung getroffen, liegt auf der Hand. Dann aber hing die Berufungsentscheidung davon ab, ob der Vortrag der Beklagten zur Berufungsbegründung geeignet war, die Auswahlentscheidung nachzuholen. Hätte das Berufungsgericht die Klägerin zuvor hierzu angehört, so hätte diese darauf hingewiesen, dass die Beklagte eine formelle Begründung nicht geben wollte und dass § 114 Satz 2 VwGO lediglich erlaube, defizitäre Ermessenserwägungen zu ergänzen, nicht aber Ermessenserwägungen erstmals anzustellen.

Vor allem aber wären die drei vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen dann unter den Beteiligten erörtert worden. Es erscheint als höchst zweifelhaft, ob die Berufungsentscheidung dann ebenso ausgefallen wäre; denn diese Erwägungen dürften kaum geeignet sein, die Auswahlentscheidung materiell zu begründen. Das gilt für alle drei Erwägungen. Dass eine HNO-Abteilung mit nur 4 Betten "unvorteilhaft klein" sei, mag einer gleichmäßigen Reduktion aller vorhandenen Abteilungen bis zur gegenwärtigen Auslastungsquote entgegenstehen und deshalb für die Konzentration der erforderlichen 10 Betten bei nur einem der Krankenhäuser sprechen; es gibt aber nichts für die Frage her, ob diese Konzentration im Krankenhaus der Klägerin oder dem des Beigeladenen erfolgen soll. Dass die HNO-Abteilung des Beigeladenen am Ort der größten Nachfrage bestehe, lässt außer Acht, dass die Entscheidung, an welcher Betriebsstätte des Beigeladenen die HNO-Abteilung eingerichtet werden soll, ausdrücklich vorbehalten wurde; eine Verlagerung der Abteilung vom Stammhaus in G. an die Betriebsstätte in R., wie sie nach der Behauptung der Klägerin beabsichtigt ist, würde das Argument entkräften. Dass schließlich die Zahl der chirurgischen Planbetten für die Auswahl der bedarfsgerechten HNO-Abteilung unerheblich ist, scheint das Berufungsgericht selbst zu sehen; zudem berücksichtigt die Annahme einer unzureichenden Auslastung der Abteilung Chirurgie noch nicht die Schließung des evangelischen Krankenhauses R.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 30.10.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 13 A 1569/07