Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 02.04.2008

6 C 16.07

BVerwG, Urteil vom 02.04.2008 - Aktenzeichen 6 C 16.07

DRsp Nr. 2008/12110

Gründe:

I. Die Klägerin betreibt ein digitales zellulares Mobilfunknetz nach dem GSM- und dem UMTS-Standard.

Mit Beschluss vom 30. August 2006 (ABl BNetzA S. 2271 [2272 ff.]) stellte die Bundesnetzagentur fest, dass die Klägerin auf dem regulierungsbedürftigen bundesweiten Vorleistungsmarkt für Anrufzustellung in ihr Mobilfunknetz (Markt 16 der Märkte-Empfehlung der Europäischen Kommission vom 11. Februar 2003) über beträchtliche Marktmacht verfügt. Auf dieser Grundlage verpflichtete sie die Klägerin, Betreibern von öffentlichen Telefonnetzen die Zusammenschaltung mit ihrem öffentlichen Mobilfunk-Telefonnetz an ihrem Vermittlungsstellenstandort zu ermöglichen (Nr. I.1.1), über die Zusammenschaltung Verbindungen in ihr Netz zu terminieren (Nr. I.1.2) und zum Zwecke des Zugangs Kollokation sowie im Rahmen dessen Nachfragern bzw. deren Beauftragten jederzeit Zutritt zu diesen Einrichtungen zu gewähren (Nr. I.1.3). Sie verpflichtete die Klägerin ferner dazu, dass Vereinbarungen über Zugänge auf objektiven Maßstäben beruhen, nachvollziehbar sind, einen gleichwertigen Zugang gewähren und den Geboten der Chancengleichheit und der Billigkeit genügen (Nr. I.2). Außerdem verfügte sie, dass die Entgelte für die Gewährung des Zugangs und der Kollokation der Genehmigung nach Maßgabe des § 31 TKG unterliegen (Nr. I.3). Schließlich erlegte sie der Klägerin die Verpflichtung auf, für Zugangsleistungen, zu deren Angebot sie verpflichtet worden ist und für die eine allgemeine Nachfrage besteht, innerhalb von drei Monaten ein Standardangebot zu veröffentlichen (Nr. II).

Die Bundesnetzagentur begründete ihre Marktdefinition und -analyse im Wesentlichen wie folgt: In Übereinstimmung mit der Märkte-Empfehlung der Europäischen Kommission umfasse der sachlich relevante Markt alle Terminierungen, die in einem Netz ausgeführt würden. Da mittels der Terminierung eines Gesprächs die angewählte Verbindung zu einem bestimmten Teilnehmer hergestellt werde, sei eine konkrete Terminierungsleistung nicht gegen eine andere austauschbar. Die nachfragenden Netzbetreiber verfügten weder unmittelbar noch abgeleitet von der Endkundenebene über adäquate Substitutionsmöglichkeiten. Der Markt für Anrufzustellung in die einzelnen Mobilfunknetze sei durch beträchtliche und anhaltende Marktzutrittsschranken, fehlende Tendenz zu wirksamem Wettbewerb und eine Insuffizienz des allgemeinen Wettbewerbsrechts gekennzeichnet. Jedes Unternehmen sei in seinem eigenen Mobilfunknetz Monopolist. Die daraus folgende Vermutung der Marktbeherrschung werde nicht durch andere Kriterien widerlegt. Insbesondere hätten die nachfragenden Festnetz- und Mobilfunknetzbetreiber weder das Potenzial noch den Anreiz, um eine wirksame entgegengerichtete Nachfragemacht auszuüben. Eine solche gehe auch nicht von der Anruferseite, den Endkunden, aus. Denn neuere Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Terminierungsentgelte für das Marktverhalten der Mobilfunkendkunden nur eine vergleichsweise geringe Rolle spielten. In der Gesamtschau werde daher der bundesweite Markt für Anrufzustellungen in das Mobilfunknetz der Klägerin von dieser beherrscht.

Zur Begründung der einzelnen Regulierungsverpflichtungen führte die Bundesnetzagentur im Wesentlichen aus: Die der Klägerin auferlegte Zugangspflicht sei erforderlich und angemessen, obwohl diese die Anrufzustellung in ihr Netz schon bislang am Markt anbiete. Wegen des überragenden Interesses der Endnutzer an der Erreichbarkeit aller anderen Nutzer genüge dieses freiwillige Angebot angesichts der abstrakten Gefahr seiner Rücknahme oder Einschränkung nicht. Die Auferlegung des Diskriminierungsverbotes sei nach pflichtgemäßem Ermessen ebenso geboten wie die Regulierung der Zugangsentgelte. Dabei sei eine nachträgliche Missbrauchskontrolle der Entgelte nicht ausreichend, um die Regulierungsziele, insbesondere die Wahrung der Verbraucherinteressen, sicherzustellen. Gerade im Interesse der Verbraucher sei vielmehr eine enge Orientierung an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nötig. Angesichts der immer größer werdenden Nachfrage sei schließlich die Auferlegung der Standardangebotspflicht geboten.

Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage zum Teil abgewiesen, ihr im Übrigen aber stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Bei der an die Empfehlung der Kommission angelehnten Marktabgrenzung habe die Bundesnetzagentur den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum ebenso wenig überschritten wie bei der Marktanalyse. Rechtmäßig seien auch die der Klägerin im Einzelnen auferlegten Regulierungsverpflichtungen mit Ausnahme der ihr unter Nr. I.3 der Regulierungsverfügung auferlegten Entgeltgenehmigungspflicht. Nach § 30 Abs. 1 Satz 2 TKG sollten solche Entgelte - unbeschadet weiterer, hier nicht problematischer Voraussetzungen - einer nur nachträglichen Regulierung unterworfen werden, wenn dies zur Erreichung der Regulierungsziele ausreiche. Nach dieser dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragenden Regelung sei die nachträgliche Missbrauchskontrolle ein grundsätzlich ebenso geeignetes Mittel der Preiskontrolle wie die Entgeltgenehmigungspflicht. Die Bundesnetzagentur habe nicht ausreichend dargelegt, dass die nachträgliche Regulierung unter den hier vorliegenden Umständen zur Erreichung der Regulierungsziele unzureichend sei.

Gegen dieses Urteil haben die Klägerin und die Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision geltend, schon die Marktabgrenzung, für die sich die Beklagte nicht auf einen Beurteilungsspielraum berufen könne, sei rechtsfehlerhaft. Entgegen dem künstlich verengten Ein-Netz-Ein-Markt-Konzept komme als sachlich relevanter Markt allenfalls der Markt für Zusammenschaltung in Mobilfunknetze insgesamt in Betracht. Die Beklagte habe hinsichtlich des von ihr abgegrenzten Mobilfunkterminierungsmarktes auch nicht die sich kontinuierlich weiter entwickelnden Substitutionsmöglichkeiten berücksichtigt. Bei der Beurteilung der Regulierungsbedürftigkeit des Marktes habe die Bundesnetzagentur die Vorgaben der Märkte-Empfehlung überbewertet. Insbesondere lasse sich die Frage, ob die Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts eines Mitgliedstaates ausreiche, um dem angenommenen Marktversagen entgegenzuwirken, nur nach dem jeweiligen Stand des nationalen Wettbewerbsrechts beurteilen. Die leerformelartigen Erwägungen der Bundesnetzagentur ließen aber empirische Aussagen zur Wirkungskraft des deutschen Wettbewerbsrechts vermissen. Bei der Marktanalyse habe die Beklagte die erhebliche entgegengerichtete Nachfragemacht verkannt, der sie, die Klägerin, durch Festnetz- und Mobilfunknetzbetreiber sowie durch Endkunden ausgesetzt sei. Die stetigen und nachhaltigen Preissenkungen der Vergangenheit belegten den Preisdruck, der auf den Terminierungsmärkten herrsche. Die Auferlegung der vom Verwaltungsgericht nicht beanstandeten Regulierungsverpflichtungen sei angesichts der am Markt bereits freiwillig bestehenden Angebote rechtswidrig. Die bloße abstrakte Gefahr, dass freiwillige Angebote zurückgenommen oder mit überhöhten Konditionen verknüpft werden könnten, reicht für ein regulatorisches Einschreiten nicht aus.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2007 insoweit aufzuheben, als die Klage abgewiesen worden ist, und den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 30. August 2006 insgesamt aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen und

unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2007 die Klage auch insoweit abzuweisen, als sie sich auf Nr. I.3 des Beschlusses der Bundesnetzagentur vom 30. August 2006 bezieht.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend, soweit die Klage abgewiesen worden ist, und führt zur Begründung ihrer Revision aus: Bei der Aufhebung der der Klägerin auferlegten Entgeltgenehmigungspflicht habe das Verwaltungsgericht § 30 Abs. 1 TKG unrichtig angewendet. Überhöhte Mobilfunkterminierungsentgelte liefen nicht nur den Interessen der Gesamtheit der Verbraucher zuwider, sondern verzerrten zugleich den Wettbewerb insbesondere zu Lasten von Netzbetreibern mit geringem Endnutzerbestand. Daraus folge die regulatorische Aufgabe, ein Entgeltniveau sicherzustellen, das demjenigen entspreche, welches sich auf einem wettbewerblich strukturierten Markt einstellen würde. Eine nachträgliche Entgeltregulierung nach Maßgabe einer Missbrauchskontrolle sei nur eingeschränkt geeignet, überhöhte Terminierungsentgelte zu verhindern. Erforderlich sei daher die Pflicht zur Genehmigung anhand des Maßstabes der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung. Es hätten erhebliche Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Entgelte nach Fortführung des freiwillig beschrittenen Absenkungspfades weiterhin überhöht geblieben wären. Die mittlerweile abgeschlossenen Entgeltgenehmigungsverfahren hätten dies nachträglich bestätigt.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen,

und verteidigt das angefochtene Urteil, soweit dieses der Klage stattgegeben hat.

II. Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht, soweit es die Klage abgewiesen hat, nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO ). Dagegen ist die zulässige Revision der Beklagten begründet. Denn das Verwaltungsgericht hätte die Klage auch insoweit abweisen müssen, als es ihr stattgegeben hat.

Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache insgesamt ohne Erfolg. Die Ergebnisse der Marktdefinition und Marktanalyse sowie die der Klägerin auferlegten Regulierungsverpflichtungen, die zusammen einen einheitlichen Verwaltungsakt bilden (§ 13 Abs. 3 TKG ), erweisen sich als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in deren Rechten.

1. Die Bundesnetzagentur hat ohne Rechtsfehler entschieden, dass die Klägerin auf dem regulierungsbedürftigen bundesweiten Markt für Anrufzustellung in ihr Mobiltelefonnetz über eine die Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen rechtfertigende beträchtliche Marktmacht verfügt.

a) Bei der rechtlichen Überprüfung dieser Entscheidung hat der Senat zu beachten, dass der Bundesnetzagentur ein Beurteilungsspielraum in Bezug auf die von ihr zu verantwortende Marktdefinition und Marktanalyse zusteht.

aa) Gemäß § 10 Abs. 1 TKG legt die Bundesnetzagentur die sachlich und räumlich relevanten Telekommunikationsmärkte fest, die für eine Regulierung nach den Vorschriften des Teils 2 des Telekommunikationsgesetzes in Betracht kommen. Im Unterschied zum früheren Recht, das in § 33 TKG 1996 auf § 19 GWB verwies (s. dazu Urteil vom 25. April 2001 - BVerwG 6 C 6.00 - BVerwGE 114, 160 [170 f.] = Buchholz 442.066 § 33 TKG Nr. 1 S. 6), richtet sich die Abgrenzung der zu regulierenden Märkte jetzt unmittelbar nach den Grundsätzen des europäischen Wettbewerbsrechts (vgl. Art. 15 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2002/21/EG vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste - Rahmenrichtlinie, RRL -, dessen Umsetzung § 10 TKG dient; s. auch Nr. 4 der Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht vom 11. Juli 2002, ABl EG Nr. C 165, S. 6 - Marktanalyse-Leitlinien -). Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG ist die potentielle Regulierungsbedürftigkeit eines Marktes anhand der dort genannten Kriterien zu prüfen. Bei der in § 11 Abs. 1 TKG vorgesehenen Marktanalyse hat die Bundesnetzagentur im Rahmen der Festlegung der nach § 10 TKG für eine Regulierung in Betracht kommenden Märkte zu ermitteln, ob auf dem untersuchten Markt wirksamer Wettbewerb besteht (§ 11 Abs. 1 Satz 1 TKG ); dies ist nicht der Fall, wenn ein oder mehrere Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 TKG ).

Der Beurteilungsspielraum, den § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG seinem Wortlaut nach ausdrücklich einräumt, erstreckt sich unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik und des Normzwecks auf die Marktdefinition und -analyse insgesamt. Die Abgrenzung des relevanten Marktes (§ 10 Abs. 1 TKG ), die Prüfung seiner potentiellen Regulierungsbedürftigkeit (§ 10 Abs. 2 Satz 1 TKG ) sowie die Marktanalyse (§ 11 Abs. 1 TKG ) sind aufeinander bezogen und untrennbar miteinander verbunden. Dies ergibt sich daraus, dass einerseits schon die in § 10 Abs. 1 TKG angesprochene Festlegung der "Telekommunikationsmärkte ..., die für eine Regulierung ... in Betracht kommen" mit Blick auf die Prüfung anhand der drei Kriterien des § 10 Abs. 2 TKG erfolgt (s. auch Schütz, in: BeckTKG, 3. Aufl. 2006, § 10 Rn. 110) und andererseits die Marktanalyse nach § 11 Abs. 1 TKG "im Rahmen der Festlegung der nach § 10 für eine Regulierung nach diesem Teil in Betracht kommenden Märkte" stattfindet. Wegen dieser engen Verknüpfung beschränkt sich der prognostische Charakter der von der Bundesnetzagentur zu treffenden Entscheidung, mit dem der Gesetzgeber den Beurteilungsspielraum in § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG gerechtfertigt hat (BTDrucks 15/2316 vom 9. Januar 2004 S. 61), nicht auf den sog. Drei-Kriterien-Test. Er bezieht sich ebenso bereits auf die Marktabgrenzung, weshalb "die für wettbewerbsrechtliche Zwecke definierten Märkte und die Märkte, die für eine bereichsspezifische Regulierung definiert werden, nicht immer identisch sind" (vgl. Nr. 27 der Marktanalyse-Leitlinien), und erstreckt sich schließlich auch auf die Marktanalyse (s. auch den in Nr. 71 der Marktanalyse-Leitlinien verwandten Begriff "Marktprognose").

bb) Höherrangiges Gemeinschaftsrecht erlaubt nicht nur, sondern gebietet sogar die Einräumung eines Beurteilungsspielraums der nationalen Regulierungsbehörde bei der Marktdefinition und -analyse. Nach dem gemeinschaftlichen Rechtsrahmen ist das Ergebnis des Marktdefinitions- und Marktanalyseverfahrens als eine "Entscheidung über Märkte mit transnationaler Ausstrahlung" konzipiert (so zutreffend Ladeur/Möllers, DVBl 2005, 525 [533]), die in einem gestuften Verfahren der grenzüberschreitenden Abstimmung und Interventionsmöglichkeiten der Europäischen Kommission unterliegt. Diese hat zunächst eine Empfehlung in Bezug auf relevante Produkt- und Dienstmärkte zu erlassen (Art. 15 Abs. 1 Satz 1 RRL) sowie die bereits erwähnten Marktanalyse-Leitlinien zu veröffentlichen (Art. 15 Abs. 2 RRL). Die nationalen Regulierungsbehörden haben unter weitestgehender Berücksichtigung der Empfehlung und der Leitlinien die relevanten Märkte festzulegen (Art. 15 Abs. 3 Satz 1 RRL) sowie unter weitestgehender Berücksichtigung der Leitlinien eine Analyse der relevanten Märkte durchzuführen (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 RRL). Soweit Maßnahmen nach Art. 15, 16 RRL, die eine nationale Regulierungsbehörde zu ergreifen beabsichtigt, Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten haben, ist der Entwurf der Maßnahme der Kommission und den nationalen Regulierungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten zu übermitteln (Art. 7 Abs. 3 RRL), um Stellungnahmen zu ermöglichen, denen dann die betreffende Regulierungsbehörde gemäß Art. 7 Abs. 5 RRL weitestgehend Rechnung zu tragen hat. Unter den in Art. 7 Abs. 4 RRL genannten Voraussetzungen steht der Kommission ein Veto-Recht gegen den Maßnahmeentwurf zu.

Dieses besondere Verfahren, welches durch § 12 Abs. 2 TKG in nationales Recht umgesetzt worden ist, dient der wechselseitigen Durchlässigkeit nationaler Entscheidungen für transnationale Interessen auf der Grundlage vereinheitlichender Vorgaben durch die Kommission und lässt die Eröffnung eines Beurteilungsspielraums europarechtlich notwendig erscheinen, da eine uneingeschränkte gerichtliche Kontrolle der genannten unbestimmten Rechtsbegriffe den von der Rahmenrichtlinie erstrebten Kooperations- und Koordinationseffekt (Art. 7 Abs. 2 RRL) bei der Festlegung und Analyse der Märkte gefährden würde (s. auch Ladeur/Möllers, aaO. S. 534). Dies entspricht auch der Auffassung der Kommission, die den nationalen Regulierungsbehörden bei der Ausübung ihrer (sämtlichen) Befugnisse gemäß Art. 15 und 16 RRL "aufgrund der komplizierten ineinandergreifenden Faktoren (wirtschaftlicher, sachlicher und rechtlicher Art), die bei der Definition relevanter Märkte und bei der Ermittlung von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht gewürdigt werden müssen", einen weitreichenden "Ermessensspielraum" zubilligt (so Nr. 22, s. auch Nr. 71 der Marktanalyse-Leitlinien), bei dem es sich nach deutscher Rechtsterminologie um einen Beurteilungsspielraum handelt.

Der Anerkennung eines umfassenden Beurteilungsspielraums kann von Gemeinschaftsrechts wegen nicht die Rechtsbehelfsgarantie des Art. 4 Abs. 1 RRL entgegengehalten werden. Nach dieser Vorschrift sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass es auf nationaler Ebene wirksame Verfahren gibt, nach denen jeder Nutzer oder Anbieter, der von einer Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde betroffen ist, bei einer unabhängigen Beschwerdestelle, insbesondere einem Gericht, Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegen kann. Diese Regelung ist Ausfluss des in der Gemeinschaftsrechtsordnung verankerten Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes, der ein allgemeines Prinzip des Gemeinschaftsrechts ist und die nationalen Gerichte verpflichtet, den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsen (EuGH, Urteil vom 21. Februar 2008 - Rs. C-426/05, Tele2 - Rn. 30). Mit diesem Grundsatz hält es der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung für vereinbar, der Kommission, soweit diese sekundäres Gemeinschaftsrecht anwendet, "ein bestimmtes Ermessen namentlich bei Beurteilungen wirtschaftlicher Art" einzuräumen (Urteile vom 31. März 1998 - Rs. C-68/94 und C-30/95, Frankreich u.a./Kommission - Slg. 1998, I-1375 Rn. 223 und vom 15. Februar 2005 - Rs. C-12/03 P, Tetra Laval - Slg. 2005, I-987 Rn. 38; s. auch EuG, Urteil vom 21. September 2005 - Rs. T-87/05, EDP - Slg. 2005, II-3745 Rn. 63). Soweit es, wie hier, um die Zuständigkeit nationaler Behörden geht, betont der Europäische Gerichtshof, dass die gerichtliche Kontrolle, zu der das Gemeinschaftsrecht die nationalen Gerichte im Hinblick auf den wirksamen gerichtlichen Schutz der sich aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften ergebenden Rechte verpflichtet, nicht über diejenige hinausgehen muss, die die Gemeinschaftsgerichte in vergleichbaren Fällen vornehmen. Das Gemeinschaftsrecht verlangt nicht, dass die Mitgliedstaaten bei komplexen Beurteilungen eine gerichtliche Nachprüfung behördlicher Entscheidungen vorschreiben, die weiter geht, als sie der Europäische Gerichtshof selbst vornimmt (Urteil vom 21. Januar 1999 - Rs. C-120/97, Upjohn - Slg. 1999, I-223 Rn. 32 ff.; s. auch Schlussanträge des Generalanwalts vom 18. Juli 2007 in der Rechtssache C-55/06, Arcor - Rn. 91 ff.).

cc) Ebenso wenig besteht ein Widerspruch des hier in Rede stehenden Beurteilungsspielraums zu nationalem Verfassungsrecht. Zwar ist die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe regelmäßig Sache der Gerichte, die die Rechtsanwendung der Verwaltungsbehörden grundsätzlich uneingeschränkt zu überprüfen haben. Doch reicht die Pflicht zur gerichtlichen Überprüfung nicht weiter als die materiell-rechtliche Bindung der Exekutive. Sie endet dort, wo das materielle Recht der Verwaltungsbehörde in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise Entscheidungen abverlangt, ohne dafür hinreichend bestimmte Entscheidungsprogramme vorzugeben (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1992 - 1 BvR 167/87 - BVerfGE 88, 40 [56, 61]; Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 [156 f.]). Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht Gesetzen unter anderem dann eine Beurteilungsermächtigung für die Verwaltung entnommen, wenn der von ihr zu treffenden Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz für sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, das mit besonderer fachlicher Legitimation in einem besonderen Verfahren entscheidet, zumal wenn es sich um ein Kollegialorgan handelt, das mögliche Auffassungsunterschiede bereits in sich zum Ausgleich bringt und die Entscheidung damit zugleich versachlicht (s. Urteil vom 16. Mai 2007 - BVerwG 3 C 8.06 - BVerwGE 129, 27 Rn. 27 = Buchholz 418.72 WeinG Nr. 30 m.w.N.). Diese Voraussetzungen treffen auf die Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe der §§ 10 , 11 TKG innerhalb des in den §§ 132 ff. TKG geregelten förmlichen Verfahrens durch die Bundesnetzagentur zu (vgl. auch Urteil vom 28. November 2007 - BVerwG 6 C 42.06 - Rn. 29 f. zum Regulierungsermessen).

dd) Daraus folgt, dass das Gericht die Überprüfung einer von der Bundesnetzagentur gemäß §§ 10 , 11 TKG vorgenommenen Marktdefinition und -analyse darauf erstrecken, aber auch begrenzen muss, ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt hat (stRspr; zuletzt Urteil vom 16. Mai 2007 aaO. Rn. 38 m.w.N.).

b) Die Bundesnetzagentur hat die für die Marktdefinition und -analyse geltenden Verfahrensbestimmungen beachtet. Nach § 12 Abs. 1 TKG gibt sie den interessierten Parteien Gelegenheit, innerhalb einer festgesetzten Frist zu dem Entwurf der Ergebnisse Stellung zu nehmen; die Anhörungsverfahren sowie deren Ergebnisse werden veröffentlicht. Sofern die Marktdefinition und -analyse Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten hat, stellt die Bundesnetzagentur den Entwurf der Ergebnisse nach näherer Maßgabe des § 12 Abs. 2 TKG der Kommission und den nationalen Regulierungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten zur Verfügung. Im Hinblick auf dieses Konsultations- und Konsolidierungsverfahren sind Defizite weder geltend gemacht noch ersichtlich. Zudem hat das Bundeskartellamt sein in § 123 Abs. 1 Satz 1 TKG vorgeschriebenes Einvernehmen erteilt.

c) In materieller Hinsicht hat die Bundesnetzagentur den sachlich und räumlich relevanten Markt gemäß § 10 Abs. 1 TKG rechtsfehlerfrei abgegrenzt.

aa) Die Behörde hat sich dabei entgegen der Kritik der Klägerin nicht von einem unrichtigen Verständnis des § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG leiten lassen, der in Übereinstimmung mit Art. 15 Abs. 3 Satz 1 RRL vorschreibt, dass bei der Marktdefinition die Empfehlung in Bezug auf relevante Produkt- und Dienstmärkte, die die Europäische Kommission nach Art. 15 Abs. 1 RRL erlässt (hier die Empfehlung vom 11. Februar 2003, ABl EG Nr. L 114 S. 45 - Märkte-Empfehlung -), weitestgehend zu berücksichtigen ist. Als eine Empfehlung im Sinne von Art. 249 Abs. 5 EG besitzt die Märkte-Empfehlung zwar keine originäre Rechtsverbindlichkeit. Doch entspricht es schon generell der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass Empfehlungen der Kommission einer gesteigerten Berücksichtigungspflicht durch nationale Behörden und Gerichte unterliegen, wenn sie Aufschluss über die Auslegung zur Durchführung von Gemeinschaftsrecht erlassener innerstaatlicher Rechtsvorschriften geben oder wenn sie verbindliche gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen sollen (EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1989 - Rs. C-322/88, Grimaldi - Slg. 1989, 4407 Rn. 18). Dies gilt im hier vorliegenden Zusammenhang erst recht angesichts der Besonderheit, dass das sekundäre Gemeinschaftsrecht in Art. 15 Abs. 3 RRL - und ihm folgend § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG - ausdrücklich die "weitestgehende" Berücksichtigung der Märkte-Empfehlung fordern.

Diese Berücksichtigungspflicht entspricht dem Zweck der Rahmenrichtlinie, deren Ziel es ist, eine weitgehende Harmonisierung der Telekommunikations-Binnenmärkte zu erreichen. Sie schließt zwar nicht aus, dass die nationalen Regulierungsbehörden - unter Beachtung der in der Märkte-Empfehlung und in den Marktanalyse-Leitlinien dargelegten Grundsätze und Methoden - über die im Anhang der Empfehlung aufgelisteten 18 Telekommunikationsmärkte hinaus zusätzliche Märkte definieren oder aber empfohlene Märkte weiter oder enger abgrenzen als empfohlen (Klotz, MMR 2003, 495 [497] sowie in: BerlKomm TKG , 2006, Einl. II Rn. 78 ff.; Jochum, in: Wilms/Masing/Jochum, TKG § 10 Rn. 53). Doch begründet Art. 15 Abs. 1 , 3 RRL i.V.m. § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die in der Märkte-Empfehlung aufgeführten Märkte auch in Deutschland potentiell (d.h. vorbehaltlich der noch durchzuführenden Marktanalyse) regulierungsbedürftig sind (so zutreffend Heun, in: HdbTKR, 2. Aufl. 2007, Rn. G 135; ähnlich: Schütz, in: BeckTKG, § 10 Rn. 27; Heinen, in: BerlKomm TKG , § 10 Rn. 71). Diesem methodischen Ansatz entspricht eine nachvollziehende Bewertung anhand der Marktabgrenzungskriterien des europäischen Wettbewerbsrechts, die einerseits die von der Vermutungswirkung ausgehende Vorprägung der Entscheidung durch die Festlegung der Kommission, andererseits aber auch und insbesondere etwaige vom europäischen Standard abweichende nationale Besonderheiten angemessen berücksichtigt. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass sich die Märkte-Empfehlung bei wörtlichem Verständnis lediglich darauf bezieht, dass die nationalen Regulierungsbehörden die im Anhang aufgeführten Märkte "prüfen". Dieser auf eine deutlich abgeschwächte Berücksichtigungspflicht zielende Einwand verkennt nicht nur die Bindungswirkung des sekundären Gemeinschaftsrechts, auf dem die Empfehlung beruht (Art. 15 Abs. 3 Satz 1 RRL), sondern auch Erwägungsgrund 20 der Märkte-Empfehlung, wonach die "Festlegung" von Produkt- und Dienstmärkten, die für eine Regulierung in Betracht kommen, beabsichtigt war.

bb) Die Bundesnetzagentur ist bei ihren tatsächlichen Feststellungen und ihrer abschließenden rechtlichen Bewertung von der zuvor beschriebenen Wirkung der Märkte-Empfehlung als einer (widerleglichen) Vermutung für die potentielle Regulierungsbedürftigkeit der 18 Märkte der Sache nach zutreffend ausgegangen, auch wenn bestimmte Formulierungen in ihrer Marktfestlegung zu Missverständnissen Anlass geben könnten (Fehlen "unumgänglicher" bzw. "zwingender" Abweichungsgründe, vgl. ABl BNetzA 2006, 2429 [2451, 2471]). Denn sie hat in Anwendung der Marktabgrenzungskriterien des europäischen Wettbewerbsrechts, insbesondere der Austauschbarkeit auf der Nachfrageseite und der Angebotsumstellungsflexibilität (s. Nr. 38 ff. der Marktanalyse-Leitlinien unter Hinweis auf die stRspr des EuGH), die von der Kommission empfohlene Definition eines Marktes für "Anrufzustellung in einzelnen Mobilfunknetzen" (Markt 16) unter erschöpfender Berücksichtigung der ihr zugänglichen tatsächlichen Erkenntnisse nachvollzogen und auch im Hinblick auf die spezifischen deutschen Marktverhältnisse bestätigt.

Dabei hat sie sich nicht auf die Prüfung einer technischen Substituierbarkeit der Terminierung beschränkt, die nach ihren Feststellungen nicht besteht, sondern auch erwogen, ob es auf der Endkundenebene Möglichkeiten zur Umgehung der fraglichen Terminierungsleistungen gibt, die mit in den Markt aufgenommen werden müssen. Sie hat sich in diesem Zusammenhang mit der Möglichkeit beschäftigt, statt des Mobilfunkanschlusses den Festnetzanschluss des gewünschten Teilnehmers anzurufen, statt netzübergreifender nur netzinterne Verbindungen zu initiieren, alternative mobile Kommunikationstechniken wie SMS, MMS oder Nachrichten und Gespräche über IP-Netzwerke zu nutzen, sich von dem Angerufenen zurückrufen zu lassen oder auch den Anruf überhaupt zu vermeiden. Im Ergebnis hat sie in keiner dieser Varianten eine zureichende Substitutionsmöglichkeit erkannt. Ihre Bewertung, dass (auch in Deutschland) weder eine adäquate Austauschbarkeit noch eine Angebotsumstellungsflexibilität in Bezug auf die Terminierung durch den einzelnen Mobilfunknetzbetreiber besteht und dass deshalb eine Abweichung von der Märkte-Empfehlung nicht gerechtfertigt ist, hält sich in den Grenzen ihres Beurteilungsspielraums. Sie ist erkennbar nicht von sachfremden Erwägungen getragen und daher hinzunehmen.

cc) Auch der Umstand, dass sich die Bundesnetzagentur bei der Marktdefinition mit dem Produkt "T-Mobile

Vorinstanz: VG Köln, vom 08.03.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 1 K 3918/06