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BVerfG - Entscheidung vom 10.04.2008

1 BvR 1440/07

Normen:
GG Art. 2 Abs. 1 Art. 20 Abs. 3
ZPO § 543

Fundstellen:
NJW 2008, 2493
WM 2008, 966

BVerfG, Beschluss vom 10.04.2008 - Aktenzeichen 1 BvR 1440/07

DRsp Nr. 2008/10839

Verfassungsmäßigkeit der Zurückweisung eines Antrags auf Zulassung der Revision im Zivilverfahren; Begriff der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Bundesgerichtshof als Revisionsgericht in Zivilsachen eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit der Begründung zurückweist, die angefochtene Entscheidung erweise sich zwar als fehlerhaft, eine Entscheidung des Revisionsgerichts sei aber nicht erforderlich, da aufgrund einer zuvor ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshof Wiederholungsgefahr nicht bestehe. Dies gilt jedenfalls dann, wenn auch vor dieser Entscheidung des Revisionsgerichts Zulassungsgründe nicht vorlagen.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 1 Art. 20 Abs. 3 ; ZPO § 543 ;

Gründe:

I. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zulassung der Revision in einem Zivilrechtsstreit.

1. Die Beschwerdeführerin und Klägerin des Ausgangsverfahrens finanzierte Bauvorhaben geschlossener Immobilienfonds. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) wollte sich an mehreren Immobilienfonds beteiligen und unterschrieb zu diesem Zweck entsprechende Zeichnungsscheine. Hierin beauftragte er eine Treuhandgesellschaft, für ihn den Beitritt zu den Fonds zu bewirken, und ermächtigte sie, die zur Finanzierung erforderlichen Kredite aufzunehmen. Zugleich verpflichtete er sich, später - wie dann auch geschehen - eine umfassende, notariell beglaubigte Vollmacht nachzureichen. In Ausführung des ihr erteilten Auftrages schloss die Treuhänderin, die nicht über eine gesonderte Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz verfügte, unter anderem im Namen des Beklagten bei der Beschwerdeführerin und Klägerin des Ausgangsverfahrens, einer französischen Bank, mehrere Kreditverträge ab, die der Finanzierung der von den Fonds beabsichtigten Bauvorhaben dienten.

Nachdem die Darlehen nicht weiter bedient worden waren, nahm die Beschwerdeführerin den Beklagten anteilig auf Begleichung der ausstehenden Zinsverbindlichkeiten in Anspruch. Der Beklagte erhob Widerklage und verlangte die Rückabwicklung der Verträge wegen Nichtigkeit, da die Treuhänderin bei deren Abschluss nicht wirksam bevollmächtigt gewesen sei.

Die Klage hatte vor dem Landgericht zunächst Erfolg. Das Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil indessen auf und verurteilte auf die Widerklage hin die Beschwerdeführerin zur Rückabwicklung der Kreditverträge. Die der Treuhänderin erteilte notariell beglaubigte Vollmacht sei wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz nichtig. Eine Vertretungsmacht der Treuhänderin bei Abschluss der Darlehensverträge folge auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Rechtsscheinsvollmacht, weil der Beschwerdeführerin die Vollmacht nicht im Original vorgelegen habe. Die Vorlage der Zeichnungsscheine befand das Oberlandesgericht im Anschluss an die damalige Rechtsprechung des II. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes (Hinweis auf BGHZ 159, 294 [303]) für nicht ausreichend, um ihnen eine wirksame Bevollmächtigung zu entnehmen. Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.

Die Beschwerdeführerin erhob Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof. Etwa ein Jahr nach deren Einlegung entschied der mit der Nichtzulassungsbeschwerde befasste XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes, bei dem die Nichtzulassungsbeschwerde anhängig war, in einer anderen Sache, dass entgegen der auf entsprechende Anfrage hin aufgegebenen Ansicht des II. Zivilsenates die Zeichnungsscheine eine eigenständige Vollmacht beinhalteten, weswegen grundsätzlich bei deren Vorlage eine Vertretungsmacht der Treuhänderin (§§ 171 , 172 BGB ) angenommen werden könne (Hinweis auf BGH, Urteil vom 25. April 2006 - XI ZR 29/05 -, NJW 2006, S. 1952 [1953]). Gleichwohl wies er im Ausgangsverfahren später die Nichtzulassungsbeschwerde zurück (Beschluss veröffentlicht u.a. in ZIP 2007, S. 1780 mit ablehnender Anmerkung von Derleder, EWiR 2007, S. 543): Eine Divergenz habe im maßgeblichen Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht bestanden. Zwar stehe das Berufungsgericht mit seinen Ausführungen zu der Frage, ob die vom Beklagten unterschriebenen Zeichnungsscheine eine Vollmacht enthielten und daher bei ihrer Vorlage eine Anwendung der §§ 171 , 172 BGB rechtfertigten, im Widerspruch zu der nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Rechtsprechung des Senats. Das Urteil sei daher gemessen an der geänderten Rechtsprechung fehlerhaft. Dennoch sei die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht geboten, weil es an einer Wiederholungsgefahr fehle. Nichts spreche dafür, dass das Berufungsgericht, das seinem Urteil erklärtermaßen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes habe zugrunde legen wollen, die nach Erlass des Berufungsurteils geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu dieser Frage künftig nicht beachten werde.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Justizgewährungsanspruchs (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ) durch den Beschluss des Bundesgerichtshofes über die Nichtzulassungsbeschwerde.

II. Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG ). Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG ), noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG ). Die Nichtzulassung der Revision durch den Bundesgerichtshof ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der allgemeine Justizgewährungsanspruch ist nicht verletzt (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ). Das Bundesverfassungsgericht prüft bei Verfassungsbeschwerden, die sich wie die vorliegende gegen die Anwendung zivilrechtlicher Normen durch die Fachgerichte wenden lediglich, ob die angegriffenen Entscheidungen Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereiches beruhen (vgl. BVerfGE 7, 198 [207]; 18, 85 [93]; 102, 347 [362]). Ein derartiger Fehler ist nicht feststellbar.

1. Soweit der Bundesgerichtshof bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt seiner Beschlussfassung eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung aufgrund fehlender Wiederholungsgefahr für nicht geboten erachtet hat, ist dies aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich.

Gemessen am Erkenntnisstand zu diesem Zeitpunkt war das Berufungsurteil auf der Grundlage der geänderten Rechtsprechung zwar fehlerhaft. Denn entgegen der vom Berufungsgericht noch vertretenen Auffassung konnte nach der neueren, während des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde ergangenen Rechtsprechung des XI. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes den Zeichnungsscheinen selbst bereits die Erteilung einer Vollmacht entnommen werden. Gleichwohl konnte das Revisionsgericht unter Hinweis auf die seiner Ansicht nach fehlende Wiederholungsgefahr die Zulassung ablehnen. Insoweit unterliegt es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, den Zugang zum Revisionsgericht nicht für jeden Fall eines Rechtsfehlers vorzusehen, sondern ihn zugleich von einem bestehenden Interesse der Allgemeinheit an einer Korrektur des Ergebnisses abhängig zu machen und zu diesem Zwecke an das Kriterium der Wiederholungsgefahr zu binden (vgl. BVerfGK 6, 72, [75 f.]). Auch die Anwendung des Kriteriums der Wiederholungsgefahr durch den Bundesgerichtshof ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Ansicht des Gerichts, das Oberlandesgericht werde sich in Kenntnis des im Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofes (NJW 2006, S. 1952 ) künftig auch an die geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung halten, ist eine sachlich vertretbare und nachvollziehbare Einschätzung.

2. Bei bestimmten Fallkonstellationen kann allerdings eine verfassungskonforme Auslegung von § 543 Abs. 2 Satz 1, § 544 Abs. 4 ZPO dahin geboten sein, dass für die Frage der Zulassung der Revision ausnahmsweise auch auf den Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde abzustellen ist. Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, dass dies etwa dann der Fall ist, wenn zu diesem Zeitpunkt ein Zulassungsgrund vorlag, dieser jedoch aufgrund einer Entscheidung des Revisionsgerichts in einer anderen Sache nachträglich entfallen ist (vgl. BVerfGK 6, 79 [81 f.]). Insoweit geht die Beschwerdeführerin jedoch daran vorbei, dass ihre Nichtzulassungsbeschwerde auch im Zeitpunkt der Einlegung nicht zuzulassen gewesen wäre.

Aus damaliger Sicht kam eine Divergenz im strengen Sinne ohnehin nicht in Betracht, weil das dem Berufungsurteil widersprechende Urteil des Bundesgerichtshofes zu diesem Zeitpunkt noch nicht ergangen war. Auch unterhalb der Schwelle der Divergenz im engeren Sinne war die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht geboten. Dabei kam es auf eine etwaige und - wie die Beschwerdeführerin meint - erst im Laufe des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens entfallene Wiederholungsgefahr nicht an. Denn aus der insoweit maßgeblichen Sicht bei Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde war das angegriffene Urteil nicht rechtsfehlerhaft; schon deswegen war der Nichtzulassungsbeschwerde zu jenem Zeitpunkt keine Aussicht auf Erfolg zuzumessen.

Demgemäß wurde der Beschwerdeführerin durch die später erfolgte Änderung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes keine verfahrensrechtliche Position entzogen. Vielmehr kam erst durch diese Rechtsprechungsänderung eine Zulassung überhaupt in Betracht, die dann allerdings bezogen auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung - wie dargelegt - verfassungsrechtlich unbedenklich verneint wurde. Insoweit handelt es sich vorliegend nicht um einen Fall, in dem nach Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde der Zulassungsgrund nachträglich entfallen ist, sondern umgekehrt um einen Fall, in dem aufgrund einer später erfolgten Rechtsprechungsänderung dieser Zulassungsgrund erst in Betracht gekommen war. Da der Nichtzulassungsbeschwerde bei sofortiger Entscheidung der Erfolg versagt geblieben wäre, ist es damit auch ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführerin durch eine von ihr nicht beeinflussbare Reihenfolge der Bearbeitung und Entscheidung ein aus rechtsstaatlicher Sicht nicht zu rechtfertigender Nachteil bei der Justizgewähr entstehen konnte, der auch im vorliegenden Fall zu einer aus verfassungsrechtlichen Gründen zu korrigierenden Auslegung von § 543 Abs. 2 Satz 1, § 544 Abs. 4 ZPO hätte führen müssen.

Zur Frage einer möglichen Zulassung wegen Grundsatzbedeutung hat die Beschwerdeführerin keine substantiierten Darlegungen gemacht.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: BGH, vom 17.04.2007 - Vorinstanzaktenzeichen XI ZR 343/05
Fundstellen
NJW 2008, 2493
WM 2008, 966