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BVerfG - Entscheidung vom 24.07.2008

1 BvR 547/06

Normen:
GG Art. 2 Abs. 1 Art. 20 Abs. 3

Fundstellen:
FamRZ 2008, 2258

BVerfG, Beschluss vom 24.07.2008 - Aktenzeichen 1 BvR 547/06

DRsp Nr. 2008/19120

Umfang des effektiven Rechtsschutzes in einem Sorgerechsverfahren

Eine Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren über einen Antrag auf Umgang des Antragstellers mit seinen aus einer gescheiterten Ehe hervorgegangenen Kindern im Hinblick auf ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Mißbrauchs verletzt den Antragsteller in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 1 Art. 20 Abs. 3 ;

Gründe:

I. Der Beschwerdeführer wandte sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die überlange Verfahrensdauer vor dem Amtsgericht Königstein und die Zurückweisung seiner Untätigkeitsbeschwerde durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem Umgangsverfahren hinsichtlich seiner aus der Ehe hervorgegangenen Kinder C. (geb. 1995) und O. (geb. 1997). Nach Erledigung des Ausgangsbegehrens hat der Beschwerdeführer beantragt festzustellen, dass die Gerichte seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt haben.

1. Der Beschwerdeführer und die Kindesmutter leben seit Februar 2003 dauernd getrennt; die Kinder leben im Haushalt der Mutter. Nach der Trennung nahm der Kontakt des Beschwerdeführers zu den Kindern stetig ab, bis er schließlich ganz abbrach. Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2003 beantragte der Beschwerdeführer, den Umgang mit den Kindern zu regeln. Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2004 beantragte er, den Umgang im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu regeln. Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2004 erinnerte der Beschwerdeführer an die ausstehende Entscheidung.

Nachdem von der Kindesmutter der Verdacht des sexuellen Missbrauchs an beiden Kindern erhoben wurde, beantragte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 15. März 2004, die Einholung eines Sachverständigengutachtens und für die Zeit bis zur Erstellung des Gutachtens begleiteten Umgang anzuordnen.

Der dem Amtsgericht am 26. März 2004 zugegangene Jugendamtsbericht vom 24. März 2004 führte aus, dass anlässlich eines Hausbesuches am 27. Februar 2004 mit den Kindern gesprochen wurde. Die Tochter C. habe ohne nähere Begründung erklärt, keinen Kontakt zum Vater haben zu wollen. Der Sohn O. habe den Kontakten zu seinem Vater nachgetrauert und gesagt, dass er zu seinem Vater gern Kontakt hätte.

Nachdem der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 21. April 2004 erneut um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gebeten hatte, terminierte das Amtsgericht mit Verfügung vom 7. Mai 2004 auf den 30. Juni 2004.

Das Gericht hörte die Kinder am 23. Juni 2004 - getrennt voneinander - an. C. erklärte, was sie später in einem persönlichen Brief an den Richter widerrief, sie habe nichts dagegen, wenn der Vater sie zu Hause besuche, sie würde dies sogar begrüßen. Ausflügen mit dem Vater stehe sie reservierter gegenüber. O. gab an, er würde gerne wieder einmal mit dem Vater Fußball spielen. Auch gegen andere Kontakte mit dem Vater habe er keine Vorbehalte; er stehe diesen offener gegenüber als seine Schwester.

Das Amtsgericht beschloss im Termin am 30. Juni 2004, zur Frage, ob der Umgang des Beschwerdeführers den Kindern schade, ein Sachverständigengutachten einzuholen; das Gutachten wurde mit Beschluss vom 29. September 2004 in Auftrag gegeben. Mit Schreiben vom 31. Januar 2005 teilten die Gutachter dem Amtsgericht mit, dass eine Gegenüberstellung der Kinder mit dem Kindesvater notwendig sei, der die Mutter jedoch nicht zustimme. Mit Schreiben vom 4. Februar 2005 teilte das Amtsgericht den Gutachtern mit, die Gegenüberstellung sei durchzuführen, wenn die Gutachter dies für erforderlich hielten.

Mit Schriftsatz vom 19. April 2005 beantragte der Beschwerdeführer, der Kindesmutter ein Zwangsgeld aufzuerlegen, damit diese den Aufforderungen des Gerichts vom 4. Februar 2005 und der Sachverständigen vom 31. Januar 2005 nachkomme. Hilfsweise beantragte er, der Kindesmutter im Wege der einstweiligen Anordnung für die Dauer der Gutachtenerstellung das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen und auf das Jugendamt zu übertragen.

Mit Schreiben vom 11. Mai 2005, 15. Juni 2005 und vom 30. Juni 2005 fragte die Staatsanwaltschaft Frankfurt beim Amtsgericht nach, ob das Gutachten zwischenzeitlich vorliege. Auf Nachfrage des Amtsgerichts vom 29. Juni 2005 teilten die Sachverständigen mit Schreiben vom 11. Juli 2005 mit, dass die bisherigen Termine, die Kinder mit dem Vater zu sehen, von der Mutter nicht eingehalten worden seien. Um die Gutachtenfrage beantworten zu können, sei die Konfrontation der Kinder mit dem Beschwerdeführer erforderlich.

Mit Beschluss vom 12. Juli 2005 gab das Gericht der Kindesmutter auf, die Konfrontation der Kinder mit dem Beschwerdeführer bis zum 31. August 2005 zu ermöglichen. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist könne die Kindesmutter das Beweismittel Sachverständigengutachten nur benutzen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts dadurch das Verfahren nicht verzögert werde.

Schließlich wurde das Sachverständigengutachten unter dem 6. September 2005 ohne die Zusammenführung des Beschwerdeführers mit den Kindern erstellt. Der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs wurde weder bestätigt noch erhärtet. Das Gutachten führt aus, es bestünde der Verdacht, dass im Lauf der Psychotherapie eine suggestive Befragungstechnik und eine hohe suggestive Fremdüberzeugung eine Rolle gespielt hätten, da das Verhalten der Kinder sehr diskrepant zu den Berichten der Mutter gewesen sei. Da mittlerweile zwei Jahre verstrichen seien, müsse eine Entfremdung eingetreten sein, so dass der Umgang mit dem Vater zunächst in begleiteter Form wieder aufzunehmen sei.

Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 28. September 2005 erneut, begleiteten Umgang anzuordnen und mahnte mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2005 erneut eine Entscheidung an.

Das Amtsgericht hörte die Kinder am 18. Oktober 2005 - gemeinsam - an. Angesprochen auf gewünschte Kontakte zum Beschwerdeführer antwortete die Tochter zurückhaltend. Mit Beschluss vom selben Tage wurde das Umgangsregelungsverfahren mit dem seit 24. Juni 2005 anhängigen Scheidungsverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Mit Beschluss vom 23. November 2005 wies das Amtsgericht die Parteien darauf hin, dass nach Aufnahme der Umgangssache in den Scheidungsverbund über den Umgang zusammen mit der Ehescheidung zu entscheiden sei. Dies sei derzeit nicht möglich, weil erforderliche Auskünfte zum Versorgungsausgleich nicht vorlägen. Außerdem befänden sich die Akten auf entsprechende Anforderung bei der Staatsanwaltschaft und seien trotz Rückforderung noch nicht zurückgegeben worden.

Mit Schriftsatz vom 28. November 2005 erhob der Beschwerdeführer vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main Untätigkeitsbeschwerde und trug mit Schriftsatz vom 20. Januar 2006 ergänzend vor, über seine Anträge, den Umgang mit den Kindern (vorläufig) zu regeln, sei bisher ohne erkennbaren Grund nicht entschieden worden. Das Amtsgericht habe im Urteil zum Trennungsunterhalt vom 5. Dezember 2005 ausdrücklich festgestellt, der Umstand, dass offenbar kein Anlass bestehe, den Umgang des Beklagten mit den gemeinsamen Kindern der Parteien zu unterbinden, stehe seit dem Vorliegen des schriftlichen Sachverständigengutachtens vom 6. September 2005 fest.

Mit Schriftsatz vom 20. Januar 2006 erinnerte der Beschwerdeführer an die ausstehende Entscheidung über die Untätigkeitsbeschwerde. Er frage sich, warum nach Vorliegen des Urteils der Antrag des Beschwerdeführers auf einstweilige Anordnung zur Regelung des Umgangs nicht entschieden werde.

Mit Beschluss vom 31. Januar 2006 verwarf das Oberlandesgericht die Untätigkeitsbeschwerde als unzulässig. Die Beschwerde sei nicht statthaft, weil nach dem Gesetz eine Beschwerde wegen Untätigkeit des Amtsgerichts zum Oberlandesgericht nicht eröffnet sei. Eine Beschwerde sei allenfalls dann als zulässig anzusehen, wenn ein Fall völlig unzumutbarer und auf Rechtsverweigerung hinauslaufender Verzögerung vorliege. Die aufgezeigten Verfahrensschritte belegten indes, dass das Amtsgericht jederzeit das Verfahren gefördert habe und keine unzumutbare Verzögerung im Sinne einer Rechtsverweigerung festgestellt werden könne.

Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 10. April 2006 zurück.

2. Verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erhob der Beschwerdeführer am 28. Februar 2006 Verfassungsbeschwerde.

3. Mit Beschluss vom 24. April 2006 wies das Bundesverfassungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die Regelung vorläufigen begleiteten Umgangs des Beschwerdeführers mit den Kindern zurück, weil mit einer unverzüglichen Entscheidung des Fachgerichts zu rechnen sei, sobald die Prozessakte wieder beim Amtsgericht eintreffe.

4. Mit Beschluss vom 14. Juni 2006 regelte das Amtsgericht vorläufig - beschränkt auf fünf Termine - den Umgang des Beschwerdeführers mit den Kindern in Begleitung eines Mitarbeiters des Jugendamtes des Main-Taunus-Kreises. Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen, insbesondere der Anhörungen der Beteiligten, der Stellungnahme des Jugendamtes sowie des schriftlichen Gutachtens sei das Umgangsrecht wie aus dem Tenor ersichtlich zu regeln und diene dem Wohl der Kinder. Der betreute Umgang ermögliche es den beiden Kindern, nach über drei Jahren Besuchskontakte zu dem Vater anzubahnen, wiederherzustellen und gegebenenfalls weiterzuführen.

Das am 22. März 2006 durch die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main im Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs in Auftrag gegebene Glaubwürdigkeitsgutachten vom 16. Juni 2006 ergab zusammenfassend, dass die Aussagezuverlässigkeit bei beiden Kindern als gegen "Null" gehend einzustufen sei, worauf die Ermittlungen eingestellt wurden.

Nachdem das Jugendamt mitgeteilt hatte, keinen begleiteten Umgang durchzuführen und insoweit die Caritas vorschlug, änderte das Amtsgericht mit Beschluss vom 13. September 2006 seinen Beschluss vom 14. Juni 2006 insoweit ab, als der Beschwerdeführer bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache berechtigt und verpflichtet sei, Umgang mit den Kindern C. und O. auszuüben. Die fünf Besuche seien in Anwesenheit eines zur Mitwirkung bereiten Mitarbeiters der Caritas durchzuführen.

5. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2006 beantragte der Beschwerdeführer, eine schwere Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG , Art. 19 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG festzustellen. Das Amtsgericht habe über den Eilantrag des Beschwerdeführers vom 9. Januar 2004 trotz Vorliegens des Sachverständigengutachtens nicht entschieden, den Ausgang des Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft abgewartet und selbst nach Vorliegen des Einstellungsbeschlusses der Staatsanwaltschaft vom 19. Juni 2006 erst am 18. September 2006 - also ein Jahr nach Vorliegen des Gutachtens - die beiden Therapeutinnen als Zeuginnen angehört. Die Anhörungen hätten ohne Weiteres direkt nach Vorlage des Gutachtens erfolgen können. Die gebotene Eilentscheidung sei somit erst am 13. September 2006 in brauchbarer Form ergangen. Der Beschluss vom 14. Juni 2006 habe hingegen nicht durchgeführt werden können, da er nicht mit dem Jugendamt abgestimmt gewesen sei. Durch die Zurückweisung der Untätigkeitsbeschwerde sei die Verfahrensdauer erheblich verlängert worden. Die außerordentlich lange Verfahrensdauer habe - wie der Beschwerdeführer mit ergänzendem Schriftsatz vom 12. Dezember 2006 mitgeteilt hat - endgültige Fakten geschaffen. Die Caritas habe mit Schreiben vom 22. November 2006 mitgeteilt, dass die Kinder den Kontakt ablehnten. Man sehe sich außer Stande, einen begleiteten Umgang durchzuführen und könne nichts mehr für den Vater tun. Dagegen habe sich O. noch im Jahr 2005 stark nach seinem Vater gesehnt und sogar bei seiner Vernehmung durch die Ermittlungsrichterin im März 2006 eine starke emotionale Berührtheit gezeigt, als er auf den Vater angesprochen wurde. Nachdem sich das Amtsgericht im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens zwei Jahre und acht Monate Zeit gelassen habe, einen begleiteten Umgang anzuordnen, habe sich nunmehr die Grundrechtsverletzung realisiert. Die überlange Verfahrensdauer habe eine tiefgehende Entfremdung und damit schwerwiegende Nachteile für den Beschwerdeführer und seine Kinder zur Folge gehabt.

6. Die Regierung des Landes Hessen und die Kindesmutter haben von der Gelegenheit zur Stellungnahme - auch zum Gegenstandswert - keinen Gebrauch gemacht.

II. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des dem Beschwerdeführer mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG garantierten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG ). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG ).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig; insbesondere besteht das Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde trotz der beschlossenen Umgangsregelung vom 14. Juni 2006, durch die sich die ursprüngliche Beschwer erledigt hat, fort.

a) Erledigt sich im Verlauf des verfassungsgerichtlichen Verfahrens das eigentliche Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers in der Hauptsache, besteht nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Rechtsschutzbedürfnis unter anderem dann fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (BVerfGE 104, 220 [232 f.]; 105, 239 [246]), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (BVerfGE 91, 125 [133]; 99, 129 [138]) oder wenn eine relevante Gefahr der Wiederholung des Eingriffs besteht (BVerfGE 91, 125 [133]; 103, 44 [58 ff.]). Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt. Eine existentielle Betroffenheit des Beschwerdeführers kann sich vor allem aus dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidung oder seiner aus ihr folgenden Belastung ergeben (BVerfGE 90, 22 [25 f.]).

b) Die Dauer des einstweiligen Anordnungsverfahrens als auch des Umgangsverfahrens vor dem Amtsgericht sowie die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts haben den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt und betreffen den Beschwerdeführer bis heute existentiell.

aa) Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG begründet einen Anspruch des einzelnen Bürgers auf effektiven Rechtsschutz in bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreitigkeiten, der gebietet, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. BVerfGE 88, 118 [124] m.w.N.). Ob eine Verfahrensdauer unangemessen lang ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Bestimmend sind vor allem die Natur des Verfahrens (vgl. BVerfGE 46, 17 [29]) und die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 1997 - 1 BvR 711/96 -, NJW 1997, S. 2811 [2812]). In umgangsrechtlichen Verfahren ist bei der Beurteilung, welche Verfahrensdauer noch als angemessen erachtet werden kann, zu berücksichtigen, dass jede Verfahrensverzögerung wegen einer eintretenden Entfremdung häufig rein faktisch zu einer (Vor-)Entscheidung führt (BVerfG, NJW 1997, S. 2811 [2812]). Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass sich das kindliche Zeitempfinden vom objektiven Zeitempfinden eines Erwachsenen unterscheidet. Die Gefahr einer faktischen Präjudizierung ist hier besonders groß. Ebenso ist die mit dem gerichtlichen Verfahren einhergehende Belastung für die Betroffenen bei der Beurteilung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer zu berücksichtigen (BVerfGK 2, 140 f.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 11. Dezember 2000 - 1 BvR 661/00 -, NJW 2001, S. 961 f.).

bb) Diesen Anforderungen ist weder das Verfahren vor dem Amtsgericht noch die Entscheidung des Oberlandesgerichts gerecht geworden.

(1) Das Amtsgericht hat den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes im Umgangsverfahren sowohl in dem anhängigen Eilverfahren als auch im Hauptsacheverfahren in gewichtigem Maße verkannt. Sowohl die Gesamtverfahrensdauer als auch die Verfahrensführung im Einzelnen war dem Beschwerdeführer in Anbetracht der gravierenden Gefahr einer Entfremdung von den - im Zeitpunkt der Antragstellung sechs und acht Jahre alten - Kindern nicht zumutbar.

Es sind keine Gründe ersichtlich, warum das Amtsgericht über den Eilantrag des Beschwerdeführers vom 9. Januar 2004 nicht zeitnah entschieden hat und auch keine Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers vom 15. März 2004 getroffen hat, für die Zeit der Gutachtenerstellung vorläufig den Umgang zu regeln. Es hat den Beschwerdeführer damit faktisch vom Umgang ausgeschlossen. Es widerspricht darüber hinaus dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes, dass das Amtsgericht die von den Sachverständigen mit Schreiben vom 31. Januar 2005 und 11. Juli 2005 für erforderlich gehaltene und von der Kindesmutter nicht herbeigeführte Zusammenführung der Kinder mit dem Vater nicht wirksam gefördert hat. Das Gericht hat sich mit Schreiben an die Sachverständigen vom 4. Februar 2005 auf den Hinweis beschränkt, dass die Konfrontation zwischen dem Beschwerdeführer und den Kindern erfolgen solle, wenn dies für erforderlich gehalten werde, und hat mit Beschluss vom 12. Juli 2005 der Kindesmutter lediglich aufgegeben, die Konfrontation zu ermöglichen. Andere wirksame Mittel, insbesondere, wie vom Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19. April 2005 beantragt, der Mutter Zwangsmittel anzudrohen oder ihr zeitweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen, um die Zusammenführung der Kinder mit dem Vater zu bewirken, hat das Gericht nicht erwogen. Insoweit ist das Amtsgericht der Verfahrensverzögerung nicht wirksam entgegengetreten. Es hat auch nicht berücksichtigt, dass seit Antragstellung des Beschwerdeführers auf Einräumung von Umgang mit seinen Kindern vom 10. Dezember 2003 beziehungsweise seit seinem Eilantrag vom 9. Januar 2004 bis zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung am 6. September 2005 17 Monate vergangen waren, in denen der Vater keinen Kontakt zu den Kindern hatte und sich die Gefahr, die Kinder würden sich vom Vater weiter entfremden, somit gravierend erhöhen konnte.

Auch nach Erstellung des Sachverständigengutachtens vom 6. September 2005, das einen begleiteten Umgang grundsätzlich befürwortete, hat das Amtsgericht weder über den Eilantrag des Beschwerdeführers vom 9. Januar 2004 noch über den Antrag vom 10. Dezember 2003 entschieden. Das Amtsgericht hat noch nicht einmal zu dem Zeitpunkt über den Eilantrag sowie den Hauptsacheantrag entschieden, als es in seinem Urteil vom 5. Dezember 2005 zum Trennungsunterhalt die Ansicht zum Ausdruck gebracht hat, dass nichts gegen einen begleiteten Umgang des Beschwerdeführers mit seinen Kindern sprechen würde.

Insoweit kommt es nicht darauf an, dass es der Beschwerdeführer im Hauptsacheverfahren versäumt hat, einen Abtrennungsantrag zu stellen, der das Umgangsverfahren aus dem seit dem 18. Oktober 2005 bestehenden Scheidungsverbundverfahren hätte herauslösen können. Dem Beschwerdeführer war die Dauer des Umgangsverfahrens bereits unzumutbar, bevor das Gericht das Umgangsverfahren mit dem Scheidungsverfahren verbunden hat.

(2) Das Oberlandesgericht ist zwar zutreffend der Ansicht, dass das Gesetz eine Untätigkeitsbeschwerde nicht eröffnet. Es hält die Untätigkeitsbeschwerde aber gleichwohl für zulässig, wenn ein Fall völlig unzumutbarer und auf Rechtsverweigerung hinauslaufender Verzögerung vorliege. Auf der Grundlage dieser Auslegung des Verfahrensrechts hält die Verwerfung des Antrags des Beschwerdeführers einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand.

Hierbei hat das Oberlandesgericht verkannt, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Umgangsverfahren gebietet, die Frage der Angemessenheit einer Verfahrensdauer unter Berücksichtigung des Verfahrensgegenstandes in Ansehung der Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere des Alters der betroffenen Kinder, im Hinblick auf die Einschätzung der Gefahr einer faktischen Präjudizierung zu bewerten. Das Oberlandesgericht hat sich weder mit dem Alter der Kinder noch der mit zunehmendem Zeitablauf wachsenden und hier erkennbar bestehenden Gefahr einer Entfremdung zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Kindern auseinandergesetzt. Es hat nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Entscheidung seit über zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu den Kindern hatte und ist auch nicht der Wirksamkeit der vom Amtsgericht unternommenen Verfahrensschritte nachgegangen. Insbesondere hat es in seine Würdigung nicht hinreichend einbezogen, dass der Beschwerdeführer bereits am 9. Januar 2004 eine vorläufige Umgangsregelung beantragt hatte. Vor allem indem das Oberlandesgericht die zweijährige Gesamtdauer des Eilverfahrens im vorliegenden Umgangsstreit trotz der ersichtlichen, durch das Zeitverstreichen fortschreitenden Entfremdung der Kinder, für die der Beschwerdeführer keine Ursache gesetzt hat, für angemessen und zumutbar erachtet hat, hat das Gericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz verkannt und ihn in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts beruht auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei hinreichender Berücksichtigung des Rechts des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz zu einer anderen Bewertung gelangt wäre.

cc) Die Grundrechtsverletzung ist auch gewichtig und betrifft den Beschwerdeführer so existentiell, dass die Feststellung des Grundrechtsverstoßes durch das Bundesverfassungsgericht auch nach Erledigung des eigentlichen Rechtsschutzzieles gerechtfertigt ist. Ein gewichtiger Grundrechtsverstoß liegt insbesondere dann vor, wenn sowohl die Gesamtdauer des Verfahrens als auch die Gesamtschau der gerichtlichen Möglichkeiten, das kindschaftsrechtliche Verfahren entsprechend der erforderlichen Sensibilität zu beschleunigen, nicht so genutzt werden, dass die gewählte Verfahrensgestaltung das Bemühen um Konkordanz der betroffenen Grundrechte erkennen lässt (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse, FamRZ 1993, S. 662 [663]; 2002, S. 809; 2004, S. 1166 [1167]).

Die Betroffenheit des Beschwerdeführers ergibt sich vorliegend aus dem Gegenstand und der Gesamtdauer der Verfahren sowie aus der daraus folgenden Belastung. Die Gesamtdauer des vorliegenden Umgangsverfahrens in der Hauptsache von zwei Jahren und sechs Monaten sowie im einstweiligen Umgangsverfahren von zwei Jahren und fünf Monaten hat zu einem faktischen Umgangsausschluss, verbunden mit der Gefahr der Entfremdung der Kinder vom Beschwerdeführer, geführt. Im Hinblick darauf, dass der Sohn des Beschwerdeführers noch im Jahr 2005 geäußert hatte, den Beschwerdeführer sehen zu wollen und die Tochter in ihrer Anhörung im Juni 2004 geäußert hatte, nichts dagegen zu haben, wenn der Vater sie besuche, ist nicht auszuschließen, dass eine zügige Verfahrensführung die Gefahr der Entfremdung hätte vermindern können.

2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG . Die Entscheidung über die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG .

Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 31.01.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 3 WF 295/05
Fundstellen
FamRZ 2008, 2258