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BVerfG - Entscheidung vom 30.01.2008

1 BvR 943/07

Normen:
VwVfG § 48
Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10.04.1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste Art. 11 Abs. 1
TKG § 16

Fundstellen:
NJW 2008, 1582
NVwZ 2008, 550

BVerfG, Beschluss vom 30.01.2008 - Aktenzeichen 1 BvR 943/07

DRsp Nr. 2008/3807

Pflicht der Regulierungsbehörde zur Rücknahme eines rechtswidrigen Gebührenbescheides

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Fachgerichte davon ausgehen, dass ein rechtswidriger Gebührenbescheid, mit dem die Regulierungsbehörde Lizenzierungsgebühren für 30 Jahre im Voraus erhoben hat, nicht zwingend zurückzunehmen sei, auch wenn ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorliegt.

Normenkette:

VwVfG § 48 ; Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10.04.1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste Art. 11 Abs. 1 ; TKG § 16 ;

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein Urteil, durch das der Beschwerdeführerin ein Anspruch auf Rücknahme eines gemeinschaftsrechtswidrigen Gebührenbescheids versagt wurde.

I. 1. Für das Betreiben von Übertragungswegen und das Angebot von Sprachtelefondiensten ist eine Lizenz erforderlich. Für die Lizenzerteilung werden Gebühren erhoben. Deren Höhe richtete sich zunächst nach der Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung vom 28. Juli 1997.

Nach dieser Verordnung sollte der sich ergebende Verwaltungsaufwand durch eine einmalige Zahlung bei Lizenzerteilung vorab finanziert werden. Für die Berechnung der Gebührenhöhe wurde die Laufzeit einer Lizenz mit 30 Jahren angesetzt. Zur Ermittlung des Jahresaufwands wurde der zu erwartende Personalbedarf geschätzt und mit einem bestimmten Betrag je Arbeitskraft multipliziert. Der sich für 30 Jahre ergebende, abgezinste Gesamtaufwand wurde sodann auf die als wahrscheinlich prognostizierte Gesamtzahl der Lizenzen umgelegt, woraus sich die Gebühr als fester Satz ergab.

Das Bundesverwaltungsgericht entschied am 19. September 2001, die Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung sei nichtig (BVerwGE 115, 125 ). Die in der Verordnung vorgesehene Berechnungsweise sei von der Verordnungsermächtigung des mittlerweile außer Kraft getretenen § 16 des Telekommunikationsgesetzes vom 25. Juli 1996 nicht gedeckt. Diese ermächtige nicht zu einer Gebührenverordnung, welche die Tätigkeit der Regulierungsbehörde über den mit der Lizenzerteilung selbst verbundenen Verwaltungsaufwand hinaus finanziere. Die in der Verordnung vorgesehene Vorauserhebung von Kosten für 30 Jahre verletze zudem Art. 3 Abs. 1 GG . Die von dem Verordnungsgeber angestellte Prognose des Verwaltungsaufwands genüge nicht den Mindestanforderungen an die Stichhaltigkeit derartiger Prognosen.

2. Die Beschwerdeführerin bietet Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit an. Die damalige Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zog sie im Juni 2000 für die Erteilung einer Telekommunikationslizenz durch Bescheid zu einer Gebühr von gut 10 Mio. DM heran. Die Beschwerdeführerin zahlte die Gebühr und focht den Bescheid nicht an.

Im Dezember 2001 beantragte die Beschwerdeführerin die Rückerstattung der gezahlten Gebühr. Die Regulierungsbehörde lehnte eine Rückerstattung ab.

3. Die Beschwerdeführerin erhob Klage, um eine Rückerstattung der gezahlten Gebühr zu erreichen. Das Verwaltungsgericht Köln wies die Klage ab. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht ein.

a) Das Bundesverwaltungsgericht setzte das Verfahren durch Beschluss vom 7. Juli 2004 zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG aus (BVerwGE 121, 226 ).

Nach deutschem Recht habe die Beschwerdeführerin weder einen Anspruch auf Gebührenerstattung noch auf erneute Bescheidung. Insbesondere scheide ein Anspruch auf Rücknahme des rechtswidrigen Gebührenbescheids aus. Das Rücknahmeermessen der Beklagten sei nicht auf Null reduziert, da die Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes nicht schlechthin unerträglich sei.

Zwar sei die von der Beschwerdeführerin festgesetzte Gebühr extrem hoch. Nach der neuen Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung von 2002 betrage die Gebühr für die Erteilung einer Lizenz lediglich rund 4.000 EUR. Die Aufrechterhaltung des Gebührenbescheids bewirke für die Beschwerdeführerin einen erheblichen Wettbewerbsnachteil. Jedoch seien diese Folgen im Wesentlichen auf das Verhalten der Beschwerdeführerin selbst zurückzuführen, die von einer Anfechtung des Gebührenbescheids oder einer sogenannten Gleichbehandlungsvereinbarung mit der Regulierungsbehörde abgesehen habe.

Das Rücknahmeermessen der Beklagten sei nicht wegen einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Gebührenbescheids reduziert. Die mit der Überprüfung der Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung von 1997 einhergehenden Rechtsfragen seien von hoher Komplexität gewesen, so dass sich die Annahme einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Verordnung verbiete.

Jedoch stelle sich die Frage, ob aus Art. 11 Abs. 1 der - mittlerweile außer Kraft getretenen - Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997 über einen Gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste (im Folgenden: Lizenzierungsrichtlinie) folge, dass sich das Rücknahmeermessen dann zu einer Rücknahmepflicht verdichte, wenn der Gebührenbescheid gegen die Richtliniennorm verstoße.

Das Bundesverwaltungsgericht legte daher dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob Art. 11 Abs. 1 Lizenzierungsrichtlinie der Vorauserhebung von Kosten des allgemeinen Verwaltungsaufwands für einen Zeitraum von 30 Jahren entgegenstehe. Für den Fall, dass diese Frage bejaht werde, fragte das Bundesverwaltungsgericht zudem, ob Art. 10 EG und Art. 11 Lizenzierungsrichtlinie es geböten, einen bestandskräftigen Gebührenbescheid, mit dem derartige Gebühren erhoben worden seien, aufzuheben, wenn das nationale Recht dies zwar zulasse, aber nicht fordere.

b) Der Europäische Gerichtshof entschied über die Vorlagefragen durch Urteil vom 19. September 2006 (Slg. 2006, I-8559).

Art. 11 Abs. 1 Lizenzierungsrichtlinie habe einer Gebühr, wie sie die streitige Regelung vorgesehen habe, entgegengestanden. Die Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung habe der Berechnung der Gebühr allgemeine Verwaltungskosten in zu weitgehendem Umfang zugrunde gelegt. Zudem sei die Vorauserhebung der Gebühr für einen Zeitraum von 30 Jahren mit der Lizenzierungsrichtlinie nicht vereinbar.

Das Gemeinschaftsrecht verlange nicht, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet sei, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen. Sei jedoch die Behörde nach nationalem Recht verpflichtet, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, wenn diese offensichtlich mit innerstaatlichem Recht unvereinbar sei, so müsse im Fall offensichtlicher Unvereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht die gleiche Verpflichtung bestehen. Weiter heißt es in dem Urteil wörtlich:

"...Um zu beurteilen, wie klar Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13 ist und ob die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit diesem Artikel offensichtlich ist oder nicht, sind die Ziele dieser Richtlinie heranzuziehen, die zu den Maßnahmen gehört, die zur vollständigen Liberalisierung der Telekommunikationsdienste und -infrastrukturen getroffen wurden, und bezweckt, den Markteintritt neuer Wettbewerber zu erleichtern... Insoweit kann die Erhebung einer sehr hohen Gebühr, die die für einen Zeitraum von 30 Jahren geschätzten allgemeinen Kosten abdeckt, den Wettbewerb ernsthaft beeinträchtigen, wie das vorlegende Gericht in seinen Vorabentscheidungsersuchen ausgeführt hat, und stellt im Rahmen dieser Beurteilung einen erheblichen Faktor dar.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand des Vorstehenden zu beurteilen, ob eine mit dem Gemeinschaftsrecht klar unvereinbare Regelung wie jene, die den in den Ausgangsverfahren streitigen Gebührenbescheiden zugrunde liegt, offensichtlich rechtswidrig im Sinne des betreffenden nationalen Rechts ist..."

c) Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision der Beschwerdeführerin mit dem angegriffenen Urteil zurück.

Die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Bescheids sei zum maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses nicht offensichtlich gewesen. Die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Kostenansatzes beruhten auf einer Auslegung von Art. 11 Lizenzierungsrichtlinie. Die Komplexität der Erwägungen des Gerichtshofs verbiete die Annahme einer offensichtlichen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit.

Die Annahme eines offensichtlichen Gemeinschaftsrechtsverstoßes sei nicht deshalb geboten, weil der Europäische Gerichtshof davon ausgegangen sei, die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende Regelung sei mit dem Gemeinschaftsrecht "klar unvereinbar". In dem Urteil des Gerichtshofs werde zwischen der offensichtlichen Rechtswidrigkeit im Sinne des nationalen Rechts und der klaren Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung von 1997 unterschieden. Dem Bundesverwaltungsgericht obliege die Entscheidung, ob der ergangene Gebührenbescheid nach nationalem Recht zurückgenommen werden müsse. Für diese Entscheidung enthalte das Gemeinschaftsrecht lediglich die Vorgabe, dass die Offensichtlichkeit der Verletzung des Gemeinschaftsrechts nach demselben Maßstab zu beurteilen sei wie die Offensichtlichkeit des Verstoßes gegen das nationale Recht.

Die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Bescheids stelle sich nicht schon deshalb als offensichtlich dar, weil die Lizenzierungsrichtlinie den Markteintritt neuer Wettbewerber erleichtern solle und die Erhebung der streitigen Gebühr den Wettbewerb ernsthaft beeinträchtigen könne. Diese Gesichtspunkte sprächen zwar für die Aufhebung des Bescheids, begründeten jedoch nicht die Annahme, die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit sei offensichtlich im Sinne des nationalen Rechts.

4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG . Das Bundesverwaltungsgericht sei von der eingeholten Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs bewusst und unter Überschreitung seines Umsetzungsspielraums abgewichen. Der Europäische Gerichtshof habe einen "klaren" Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht festgestellt. Diese Feststellung lasse dem Bundesverwaltungsgericht keinen Raum, die Klarheit des Verstoßes in Abrede zu stellen. Der Europäische Gerichtshof habe zudem als maßgeblichen Evidenzfaktor die gemeinschaftsrechtlich intendierte Erleichterung des Marktzutritts für neue Wettbewerber vorgegeben. Dieser Aspekt werde in dem angegriffenen Urteil ohne jegliche Begründung verworfen.

II. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt, da die Verfassungsbeschwerde in der Sache keine Aussicht auf Erfolg hat.

1. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, das nach § 48 VwVfG grundsätzlich bestehende Rücknahmeermessen der Beklagten sei im vorliegenden Fall nicht zugunsten der Beschwerdeführerin reduziert, verletzt keine materiellen Grundrechte.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dem Grundgesetz keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt zu entnehmen, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben (vgl. BVerfGE 116, 24 [55]; 117, 302 [315]). Dies gilt auch für bestandskräftige Verwaltungsakte, deren Rechtsgrundlage gegen Verfassungsrecht verstößt (vgl. BVerfGE 20, 230 [235 f.]).

Danach kann offenbleiben, ob mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. September 2001 davon auszugehen ist, dass die Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung von 1997 auch Art. 3 Abs. 1 GG verletzt hat. Selbst in diesem Fall wäre die Annahme einer Ermessensreduzierung verfassungsrechtlich nicht geboten gewesen.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch nicht den grundrechtsgleichen Anspruch der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Unterlassen einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof verletzt.

a) Der Europäische Gerichtshof ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG . Es stellt einen Entzug des gesetzlichen Richters dar, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt (vgl. BVerfGE 73, 339 [366 f.]; 82, 159 [194 ff.]; stRspr).

Das Bundesverfassungsgericht beanstandet allerdings die Auslegung und Anwendung von Verfahrensnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl. BVerfGE 82, 159 [194]). Allein dieser - durch Fallgruppenbildung verfeinerte - Willkürmaßstab (vgl. BVerfGE 75, 223 [245]) entspricht der Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 82, 159 [195]).

Die Vorlagepflicht wird danach unter anderem dann offensichtlich unhaltbar gehandhabt, wenn das letztinstanzliche Gericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt - Fallgruppe des bewussten Abweichens von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ohne Vorlagebereitschaft - (vgl. BVerfGE 75, 223 [245]; 82, 159 [195]).

b) Nach diesem Maßstab ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, von einer erneuten Vorlage an den Europäischen Gerichtshof abzusehen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist nicht erkennbar, dass das Bundesverwaltungsgericht bewusst von der eingeholten Vorabentscheidung des Gerichtshofs abgewichen ist.

aa) Ein derartiges bewusstes Abweichen ist nicht darin zu erblicken, dass das Bundesverwaltungsgericht den Verstoß der Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung gegen die Lizenzierungsrichtlinie nicht für offensichtlich gehalten hat, obwohl der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. September 2006 die Regelung als "mit dem Gemeinschaftsrecht klar unvereinbar" bezeichnet hat.

Der Europäische Gerichtshof hat ausdrücklich festgehalten, es sei Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die Verordnung offensichtlich rechtswidrig im Sinne des betreffenden nationalen Rechts sei. Damit wurde dem Bundesverwaltungsgericht ein eigenständiger Beurteilungsspielraum eingeräumt. Der argumentative Ausgangspunkt des Bundesverwaltungsgerichts, dass diese Beurteilung auch zur Verneinung einer offensichtlichen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit führen könne, steht angesichts dessen zu dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in keinem erkennbaren Widerspruch.

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der weiteren Frage, was die Aussage des Europäischen Gerichtshofs, der Gemeinschaftsrechtsverstoß sei "klar", für seine rechtliche Würdigung im Rahmen des § 48 Abs. 1 VwVfG bedeutet, ausführlich auseinandergesetzt. Die in dem angegriffenen Urteil vertretene Auffassung, die Klarheit des Gemeinschaftsrechtsverstoßes präjudiziere nicht notwendigerweise dessen Offensichtlichkeit im Sinne des nationalen Rechts, erscheint zumindest nicht unvertretbar. Sie wird auch in einem Teil der Literatur vertreten (vgl. Ludwigs, NVwZ 2007, S. 549 [551]; Rennert, DVBl 2007, S. 400 [402]; für eine gemeinschaftsrechtlich begründete Rücknahmepflicht dagegen Nolte, MMR 2007, S. 30 [31]; Ruffert, JZ 2007, S. 407 [409]; insoweit offen Gärditz, NWVBl 2006, S. 441 [446]). Für sie lässt sich zudem die sprachliche Differenzierung des Europäischen Gerichtshofs zwischen der "klaren Unvereinbarkeit" der Rechtsverordnung mit dem Gemeinschaftsrecht und ihrer "offensichtlichen Rechtswidrigkeit" anführen. Auch etwa in den englischen und französischen Fassungen des Urteils des Gerichtshofs findet sich eine ähnliche Differenzierung zwischen klarem Gemeinschaftsrechtsverstoß ("clearly incompatible"/"clairement incompatible") und offensichtlicher Rechtswidrigkeit ("manifest unlawfulness"/"illégalité manifeste").

bb) Ein bewusstes Abweichen von der eingeholten Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs folgt auch nicht daraus, dass das Bundesverwaltungsgericht aus der Wettbewerbswirkung der gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Gebühr nicht auf die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Gebührenbescheids geschlossen hat.

Zwar hat der Europäische Gerichtshof dem Bundesverwaltungsgericht aufgegeben, die Ziele der Lizenzierungsrichtlinie, den Wettbewerb im Telekommunikationsbereich zu fördern und den Markteintritt neuer Wettbewerber zu erleichtern, bei der Beurteilung der Offensichtlichkeit des Gemeinschaftsrechtsverstoßes zu berücksichtigen. Im Rahmen dieser Beurteilung stelle es einen erheblichen Faktor dar, dass die Erhebung einer sehr hohen Gebühr, welche die für einen Zeitraum von 30 Jahren geschätzten allgemeinen Kosten abdecke, den Wettbewerb ernsthaft beeinträchtigen könne.

Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil festgestellt, es habe erwogen, ob sich die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit deshalb als offensichtlich darstelle, weil die Erhebung der umstrittenen Gebühr den Wettbewerb ernsthaft beeinträchtigen könne. Diese Gesichtspunkte begründeten indes nicht die Annahme, die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit erweise sich als offensichtlich. Nichts anderes ergebe sich, wenn die möglichen Auswirkungen der Gebührenregelung auf den Wettbewerb bereits bei Erlass des Gebührenbescheids Anlass zu ernsthaften Zweifeln an dessen Gemeinschaftsrechtskonformität gegeben haben sollten.

Jedoch ist im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht zu prüfen, ob möglicherweise auf der Grundlage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs eine andere Entscheidung zu der Frage der Offensichtlichkeit des Gemeinschaftsrechtsverstoßes näher gelegen hätte. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter wäre erst anzunehmen, wenn die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs derart offenkundig im Widerspruch stünden, dass von einem bewussten oder sonst willkürlichen Abweichen ausgegangen werden müsste. Das ist nicht der Fall.

Das Bundesverwaltungsgericht hat den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum unter ausdrücklicher Berücksichtigung der Vorgaben des Gerichtshofs ausgefüllt. Dass das Bundesverwaltungsgericht von diesen Vorgaben abrücken wollte, lässt sich seinem Urteil nicht entnehmen. Der bloße Umstand, dass das Bundesverwaltungsgericht die Erwägungen nicht im Einzelnen offenlegt, aus denen heraus die Wettbewerbswirkung der gemeinschaftsrechtswidrigen Gebühr nicht zur Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes führen soll, zwingt nicht zu der Annahme, dass diesen Erwägungen eine bewusste oder besonders schwerwiegende Missachtung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zugrunde gelegen hat.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: BVerwG, vom 17.01.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 6 C 33.06
Fundstellen
NJW 2008, 1582
NVwZ 2008, 550