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BVerfG - Entscheidung vom 18.06.2008

1 BvR 1336/08

BVerfG, Beschluss vom 18.06.2008 - Aktenzeichen 1 BvR 1336/08

DRsp Nr. 2008/19200

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung einer Berufung durch einen auf § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO gestützten Beschluss und die Verfassungsmäßigkeit des § 522 Abs. 3 ZPO .

I. Der Beschwerdeführer erwarb aufgrund eines notariell beurkundeten Kaufvertrages im Juli 2006 ein unter anderem mit einem Mehrfamilienhaus bebautes Grundstück. Im Ausgangsverfahren hat er wegen erheblicher Mängel des Gebäudes die Rückabwicklung des Kaufvertrages und die Zahlung von Schadenersatz verlangt sowie beantragt, die Haftpflicht der Verkäuferin für weitere Schäden und nutzlose Aufwendungen festzustellen.

Das Landgericht hat die Klage mit einem am 27. September 2007 verkündeten Urteil abgewiesen und dies damit begründet, dass der Beschwerdeführer von den Mängeln Kenntnis gehabt habe.

Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die Berufung nach einem entsprechenden Hinweis (§ 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO ) einstimmig zurückgewiesen. Der Rückabwicklung des Kaufvertrages und der Haftung der Verkäuferin stehe der vertraglich vorgesehene Gewährleistungsausschluss entgegen, und die Verkäuferin habe den Beschwerdeführer über die Mängel nicht arglistig getäuscht. Mit einem weiteren Beschluss hat das Oberlandesgericht eine Anhörungsrüge des Beschwerdeführers zurückgewiesen.

II. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Gebots der Rechtsschutzgleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG .

Während nach der Zurückweisung einer Berufung ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss ein Rechtsmittel gemäß § 522 Abs. 3 ZPO nicht zulässig sei, könne ein Urteil über die Zurückweisung der Berufung mit der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden, obwohl dem Urteil eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Sach- und Streitstand, eine mündliche Verhandlung und eventuell auch eine Beweisaufnahme zugrunde liege. Für diese Ungleichbehandlung gebe es keine Rechtfertigung (unter Berufung auf Krüger, NJW 2008, S. 945).

III. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu, noch ist ihre Annahme gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Rechts auf Rechtsschutzgleichheit angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Es verstößt nicht gegen das aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot der Rechtsschutzgleichheit, dass auf § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO gestützte Beschlüsse über die Zurückweisung einer Berufung einerseits gemäß § 522 Abs. 3 ZPO unanfechtbar sind, während Urteile mit entsprechendem Inhalt andererseits entweder mit der Revision angefochten oder - unter Berücksichtigung der Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO - mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden können.

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 wird in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG das Gebot gleichen Rechtsschutzes abgeleitet (vgl. BVerfGE 52, 131 [144, 156 f.] sowie 69, 248 [254] zur Waffengleichheit). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz jedoch unterschiedliche Anforderungen an gesetzliche Unterscheidungen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 55, 72 [88]; 88, 87 [96]; 101, 54 [101]; 107, 27 [45 f.]; 112, 164 [174]). Hinsichtlich der Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 105, 73 [110 f.]; 106, 166 [176]; 112, 164 [174]). In Zusammenhang mit der Gestaltung des Instanzenzuges und damit auch hinsichtlich des § 522 Abs. 2 ZPO ist der Gesetzgeber in den Grenzen des Willkürverbots zu ihm sachgerecht erscheinenden Differenzierungen befugt (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 1. Oktober 2004 - 1 BvR 173/04 -, NJW 2005, S. 659 sowie 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvR 1377/04 -, NJW-RR 2007, S. 1194 [1195]), denn in diesen Fällen geht es um eine Unterscheidung nach Sach- und nicht nach Personengruppen.

Die auf § 522 Abs. 3 ZPO beruhende Differenzierung beim Zugang zur Revisionsinstanz überschreitet nicht die dem Gesetzgeber durch das Willkürverbot gezogene Grenze; sie beruht auf einem hinreichenden sachlichen Unterscheidungsgrund (anders Krüger, NJW 2008, S. 945 [946 f.]; Rimmelspacher in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung , Bd. 2, 3. Auflage 2007, § 522 Rn. 35 m.w.N.). Dies gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass Urteile über die Zurückweisung der Berufung ebenfalls einstimmig gefasst werden können und dies in der Praxis der Berufungsgerichte möglicherweise zumeist der Fall ist (vgl. Krüger, NJW 2008, S. 945 [947]). Der Regelung des § 522 Abs. 3 ZPO liegt als gesetzgeberische Erwägung zu Grunde, dass die Unanfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses ihre Rechtfertigung zum einen in der Übereinstimmung von Ausgangs- und Berufungsgericht, zum anderen in dem Erfordernis der Einstimmigkeit des Spruchkörpers des Berufungsgerichts - obligatorische Einstimmigkeit - über die Voraussetzung der mangelnden Erfolgsaussicht des Rechtsmittels (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO ) sowie des Fehlens eines Bedürfnisses für revisionsgerichtliche Klärung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 ZPO ) findet (vgl. BTDrucks 14/4722, S. 97). Insbesondere die Erwartung des Gesetzgebers, dass der Einstimmigkeit eines Spruchkörpers über die genannten Voraussetzungen eine erhöhte Richtigkeitsgewähr zukommt, ist nicht sachwidrig, zumal der Gesetzgeber bei der Regelung des § 522 Abs. 2 ZPO nicht mit einem Missbrauch des Verfahrens der Beschlusszurückweisung rechnen muss (so auch Krüger, NJW 2008, S. 945 [947]). Gerade das Erfordernis der Einstimmigkeit des Spruchkörpers, das im zivilprozessualen Rechtsmittelrecht sonst nicht gilt, bietet danach eine verfahrensrechtliche Sicherung, die die Sonderregelung des § 522 Abs. 3 ZPO vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigt (so bereits in anderem Zusammenhang BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 13. März 2007 - 1 BvR 1377/04 -, NJW-RR 2007, S. 1194 [1195]).

Hinzu kommt, dass die Entscheidung über die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, wie sich auch aus § 523 Abs. 1 ZPO ergibt, vor der Entscheidung über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter und vor der Terminsbestimmung zu treffen ist, während ein Urteil erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung beraten und gefasst wird. Dementsprechend wird teilweise vertreten, dass die Anwendung des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO eine Prognose erfordere (vgl. Ball in: Musielak, ZPO , 6. Auflage 2008, § 522 Rn. 21 f.; Gerken in: Wieczorek/Schütze, ZPO , 3. Auflage 2004, § 522 Rn. 65). Ob dies zutrifft oder die Voraussetzung der "Überzeugung, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat", in vollem Umfang der abschließenden, umfassenden richterlichen Entscheidungsfindung bei vollständiger Spruchreife entspricht (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 20. Februar 2003 - 10 U 883/02 -, NJW 2003, S. 2100 [2101]), kann hier offen bleiben. Jedenfalls kommt die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss danach nur in Betracht, wenn der Berufung von vornherein kein Erfolg beschieden sein kann (vgl. BTDrucks 14/4722, S. 97). Auch dies unterscheidet das Verfahren der Beschlusszurückweisung von den Fällen der Zurückweisung der Berufung durch (einstimmig gefasstes) Urteil und rechtfertigt in Verbindung mit den bereits genannten Erwägungen des Gesetzgebers die mit § 522 Abs. 3 ZPO verbundene Differenzierung.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG Naumburg - 12 U 146/07 - 14.3.2008, vom - Vorinstanzaktenzeichen