Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 05.11.2008

B 6 KA 59/08 B

Normen:
SGB V § 95 Abs. 6 S. 1

BSG, Beschluss vom 05.11.2008 - Aktenzeichen B 6 KA 59/08 B

DRsp Nr. 2009/6157

Entziehung der Zulassung eines Vertragsarztes, Berücksichtigung strafprozessualer Grundsätze bei der Würdigung von Wohlverhalten

Im Zusammenhang mit der Würdigung von Wohlverhalten bei der Entziehung der Zulassung eines Vertragsarztes gilt der strafprozessuale Grundsatz, demzufolge ein einer Straftat Verdächtiger nicht gezwungen werden soll, sich selbst zu belasten, nicht. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten auch des Beschwerdeverfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 627.000 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGB V § 95 Abs. 6 S. 1;

Gründe:

I

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Zulassungsentziehung.

Der klagende Zahnarzt wurde 1989 zur vertragszahnärztlichen Versorgung im Bezirk der zu 7. beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung zugelassen. Im Jahr 2003 wurde ihm gegenüber der Vorwurf erhoben, Zahnersatz von der Firma G. bezogen und dabei sog Kickback-Zahlungen erhalten zu haben. Er habe sich von der Firma jeweils einen Teil des Gewinns geben lassen, den diese durch Einkauf des Zahnersatzes im Ausland, aber Verkauf zu den in Deutschland üblichen Preisen erzielt habe. Diese Rabattzahlungen habe er nicht an die Krankenkassen weitergeleitet, es vielmehr bei der Abrechnung der höheren Kosten gegenüber den Krankenkassen belassen. Die Richtigkeit dieses Vorwurfs habe er im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bei seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht auch eingeräumt. Seine Verurteilung wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in 36 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten ist rechtskräftig (zuletzt BGH, Urteil vom 17.11.2006).

Auf Antrag von Krankenkassen entzog ihm der Zulassungsausschuss die Zulassung (Beschluss vom 15.3.2004). Der beklagte Berufungsausschuss wies seinen Widerspruch zurück (Beschluss vom 9.11.2004). Seine Klage und seine Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts [SG] vom 20.11.2007 und des Landessozialgerichts [LSG] vom 28.5.2008). In dem Urteil des LSG ist ausgeführt, die Zulassungsentziehung sei sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht rechtmäßig. Soweit der Kläger gerügt habe, ein Schriftsatz der Beigeladenen zu 7. vom 28.10.2004 sei ihm nicht zugeleitet worden, sodass er ihn nicht zur Kenntnis habe nehmen können, sei das unbeachtlich. Es sei nämlich offensichtlich, dass auch im Falle der vermissten Gewährung rechtlichen Gehörs keine andere Sachentscheidung getroffen worden wäre, weil der Schriftsatz inhaltlich nur eine Zusammenfassung anderswo in den Akten enthaltener Vorgänge und Würdigungen enthalte. Der Kläger habe seine vertragszahnärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Seine Ansicht, er sei nur bei Preisnachlässen im Laborbereich zur Weiterleitung an die Krankenkassen verpflichtet, weil der Gesamtvertrag nur dies ausdrücklich erwähne, treffe nicht zu. Zudem habe er auf seinen Abrechnungen gegenüber der Beigeladenen zu 7. stets erklärt, nur tatsächlich angefallene Kosten in Rechnung zu stellen. Ebenso wenig griffen seine Bewertungen der Zahlungen als Provisionsanteil bzw als Schenkung durch. Die verlorene Eignung zur Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung habe er nicht durch sog Wohlverhalten wiedererlangt, wie sich vor allem aus dem andauernden Mangel an Einsicht in das Unrecht ergebe.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger Verfahrensmängel und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

II

Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.

1. Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) sind unzulässig. Seine Ausführungen entsprechen nicht den Anforderungen an eine ausreichende Darlegung des Verfahrensmangels gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG . Bei der Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht ist zum einen auszuführen, dass das LSG Beweisanträgen ohne hinreichende Gründe nicht gefolgt sei. Zum anderen ist darzutun, dass die Sachentscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel "beruhen kann" (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ). Dieser letzteren Darlegungspflicht genügen die Ausführungen des Klägers nicht.

Der Kläger macht geltend, das LSG hätte die von ihm benannten Zeugen (seine Geschäftspartner wegen der Zahlungsflüsse uä und die Richter des Strafverfahrens wegen der Beurteilung seiner Persönlichkeit) vernehmen müssen, was dessen Beurteilung der Wohlverhaltensfrage hätte beeinflussen können. Dieses Vorbringen reicht für eine genügend substantiierte Verfahrensrüge nicht aus.

Das LSG hat es ausdrücklich abgelehnt, ein Wohlverhalten etwa aus dem Absehen von einem Berufsverbot im Strafurteil abzuleiten (LSG-Urteil S 16 unten). Es hat vielmehr als entscheidend angesehen, dass zum einen noch keine fünf Jahre eines Wohlverhaltens in Frage stünden (LSG-Urteil S 16); zum anderen habe sich der Kläger im Zulassungsentziehungsverfahren, bezogen auf das Unrecht seiner Handlungsweise, uneinsichtig gezeigt, wie vielerlei Vorkommnisse zeigten (LSG-Urteil S 16 unten iVm S 14/15 und S 15 unten). Bezogen auf diese Ausführungen des LSG unterliegt es schon erheblichen Zweifeln, ob das Begehren der Vernehmung - insbesondere auch der Richter, deren Bewertung bereits in dem von ihnen gefällten und vom LSG berücksichtigten Strafurteil niederlegt ist - überhaupt ein geeignetes Beweisangebot zur Untermauerung von Wohlverhalten darstellt. Jedenfalls hätte in der Beschwerdebegründung substantiiert dargelegt werden müssen, inwiefern die Beurteilung des LSG durch die Vernehmung der Geschäftspartner und der Strafrichter hätte beeinflusst werden können. Ohne substantiierte Ausführungen hierzu fehlt es auch an der ausreichenden Darlegung, inwiefern die Sachentscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel "beruhen kann".

2. Soweit der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, ist seine Beschwerde ebenfalls erfolglos. Sie ist hinsichtlich einer der Rechtsfragen schon nicht zulässig und im Übrigen, ihre Zulässigkeit unterstellt, jedenfalls unbegründet.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch Bundessozialgericht [BSG] SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt, und ebenso dann, wenn zwar keine klare normative Regelung dieses Falles und auch noch keine Rechtsprechung zu dieser Konstellation, aber Rechtsprechung bereits zu Teilaspekten vorliegt und sich hieraus ohne Weiteres die Beantwortung der Rechtsfrage ableiten lässt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort siehe zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG [Kammer], Beschluss vom 29.5.2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG [Kammer], DVBl 1995, 35 ).

Bei der als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Rechtsfrage,

ob eine bereits zur Begründung der Zulassungsentziehung herangezogene Tatsache im Rahmen der gerichtlichen Prüfung des Wohlverhaltens erneut negativ für den Betroffenen gewertet werden kann,

fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit. Die Antwort auf diese Rechtsfrage lässt sich ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ableiten. Der Senat hat im Urteil vom 19.7.2006 (SozR 4-2500 § 95 Nr 12 RdNr 16 ff) näher dargelegt, dass im Rahmen der Überprüfung einer Zulassungsentziehung, die nicht im Wege des Sofortvollzugs bereits während des Gerichtsverfahrens wirksam geworden ist, aus verfassungsrechtlichen Gründen auch zu würdigen ist, ob sich die Sachlage während des Prozesses zu Gunsten des (Zahn-)Arztes geändert hat. Während gemäß § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V die Feststellung einer in der Vergangenheit geschehenen "gröblichen Pflichtverletzung" die hinreichende tatbestandliche Voraussetzung für eine Zulassungsentziehung darstellt, welche die Ungeeignetheit des Vertrags(zahn)arztes für die Zukunft indiziert, ist unter dem Blickwinkel des sog "Wohlverhaltens" zu fragen, ob ein erst im Verlauf des sozialgerichtlichen Verfahrens entstandener veränderter Sachverhalt zur zweifelsfreien Überzeugung des Gerichts diesen Eignungsmangel ausnahmsweise wieder entfallen lässt (vgl BSG, aaO, RdNr 18). Die gröbliche Pflichtverletzung und ein eventuell beachtliches "Wohlverhalten" beziehen sich notwendig aufeinander; es muss festgestellt werden, ob das Verhalten des betroffenen (Zahn-)Arztes nach der Entziehung der Zulassung zu dem Schluss zwingt, dass die von der Pflichtverletzung ausgehende Indizwirkung für einen Eignungsmangel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entkräftet ist. Soweit daran Zweifel bleiben, ist weiterhin vom Eignungsmangel auszugehen; der strafprozessuale Grundsatz, demzufolge ein einer Straftat Verdächtiger nicht gezwungen werden soll, sich selbst zu belasten, und zudem Unsicherheiten der Beurteilung zugunsten des Betroffenen gehen, gilt im Kontext der Würdigung von Wohlverhalten nicht (vgl BSG, aaO). Hier handelt es sich nicht um eine Bestrafung, sondern um die ausnahmsweise Suspendierung einer an sich rechtmäßig ausgesprochenen Zulassungsentziehung. Umstände, die eine solche Entkräftung rechtfertigen können, dürfen nicht lediglich vermutet, zugunsten des (Zahn-)Arztes unterstellt oder aus bloßer Unauffälligkeit während eines schwebenden Verfahrens hergeleitet, sondern müssen positiv festgestellt werden. Diese nicht weiter klärungsbedürftigen Grundsätze zum Wohlverhalten hat das LSG beachtet, indem es von der groben Pflichtverletzung, die sich in der strafrechtlichen Verurteilung wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs manifestiert hat, ausgegangen ist und aus verschiedenen Indizien - insbesondere dem Fehlen einer Unrechtseinsicht und seiner Bagatellisierungstendenz - den Schluss gezogen hat, dass das Verhalten des Klägers im Verlauf des schwebenden sozialgerichtlichen Verfahrens keine positive Zukunftsprognose zulässt.

Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage,

ob die Ausschöpfung von Rechtsmitteln und die dabei vorgebrachte Argumentation zu negativen Schlüssen bei der Prüfung des Wohlverhaltens führen dürfen.

Zu dieser Frage lässt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ohne Weiteres ableiten, dass solche negativen Schlüsse grundsätzlich nicht ausgeschlossen sind. Für die Frage des Wohlverhaltens sind nach dieser Rechtsprechung Schlüsse aus dem Gesamtverhalten des Geprüften erlaubt, ohne dass dies eingegrenzt wird (vgl dazu zB BSG, aaO, RdNr 17 und 18; s auch BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9 RdNr 24). Alle weiteren Aussagen, insbesondere, welche Art von Schlussfolgerungen sich aus einer Rechtswegausschöpfung ziehen lassen, hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Deshalb ist die vom Kläger formulierte Rechtsfrage einer - über den Einzelfall hinausgehenden - generalisierenden Beantwortung mit grundsätzlicher Klärung nicht zugänglich.

Auch die ferner vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage,

ob eine zu Unrecht nicht im vollen Umfang gewährte Akteneinsicht einem Anhörungsdefizit im Sinne des § 42 Satz 2 SGB X mit der Folge der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichgestellt werden kann,

vermag eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu begründen. Insoweit fehlt es schon an der Zulässigkeit der Rüge. Der Beschwerdebegründung des Klägers sind nähere Ausführungen zur Anwendung des § 42 SGB X nicht zu entnehmen. Der Kläger hätte aber entsprechend den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG aufzeigen müssen, inwiefern noch ein Klärungsbedarf besteht, was eine Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung erfordert hätte (vgl BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; Nr 23 S 42; BVerfG [Kammer] SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 4). Der Kläger setzt sich indessen insoweit mit keiner Gerichtsentscheidung auseinander, obgleich über das angefochtene Urteil hinaus jedenfalls eine vorliegt (s LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30.11.2005 - L 10 KA 29/05 - MedR 2006, 616, 617/618, in Juris RdNr 47/48).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung ( VwGO ). Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO ).

Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 , § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz . Zur Bemessung wird auf die aus den Akten ersichtlichen Berechnungen von SG und LSG verwiesen.

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 28.05.2008 - Vorinstanzaktenzeichen L 11 KA 16/08
Vorinstanz: SG Duisburg, - Vorinstanzaktenzeichen S 19 KA 3/05