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BSG - Entscheidung vom 30.07.2008

B 14 AS 7/08 B

Normen:
SGB II § 41 Abs. 1 S. 4
SGG § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 1 S. 2

BSG, Beschluss vom 30.07.2008 - Aktenzeichen B 14 AS 7/08 B

DRsp Nr. 2008/17540

Berufungsfähigkeit im sozialgerichtlichen Verfahren in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende

Die Berufungsfähigkeit nach § 144 SGG kann in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht durch die Behauptung der lediglich fiktiven Möglichkeit des weiteren Leistungsbezugs nach SGB II für einige Jahre hergestellt werden. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

SGB II § 41 Abs. 1 S. 4 ; SGG § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 , Abs. 1 S. 2 ;

Gründe:

I. Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für eine private Haftpflichtversicherung. Er macht mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend, das Landessozialgericht (LSG) habe seine Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen.

Der im Jahre 1951 geborene Kläger bezieht seit 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von dem Beklagten. Der weitere Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für seine Privathaftpflicht in Höhe von 66,39 EUR jährlich wurde von dem Beklagten durch Bescheid vom 22. November 2005 abgelehnt. Der Beklagte bewertete das Begehren des Klägers als Antrag auf Kostenübernahme im Rahmen des § 23 Abs 1 SGB II. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2006; Urteil des Sozialgerichts [SG] vom 5. Juni 2007). Das SG hat dem Urteil die Rechtsmittelbelehrung beigefügt, dass dieses Urteil mit der Berufung angefochten werden könne. Das LSG hat den Kläger mit Schreiben 30. Oktober 2007 darauf hingewiesen, dass der Beschwerdewert gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) vom 500,00 EUR nicht erreicht werde und die Berufung dementsprechend nicht statthaft sein dürfte. Der Kläger hat daraufhin die Rechtsansicht geäußert, die Statthaftigkeit der Berufung ergebe sich aus § 144 Abs 1 Satz 2 SGG . Der Wert des Beschwerdegegenstands sei unerheblich, weil die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betreffe. Zwischen den Parteien stünden die Beiträge zur Privathaftpflichtversicherung für die Jahre 2005, 2006 und 2007 sowie für die Zukunft im Streit. Die Leistungsdauer sei ungewiss, übersteige aber in jedem Fall ein Jahr.

Das LSG hat durch Beschluss vom 4. Dezember 2007 die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, soweit der Kläger erklärt habe, er begehre die Übernahme der Kosten für seine Privathaftpflichtversicherung für mehrere Jahre, könne dies der Berufung nicht zur Statthaftigkeit verhelfen. Entscheidend sei, was der Rechtsmittelkläger in Wirklichkeit als sachlich verfolgbares Prozessziel anstrebe, was er nach den gegebenen Umständen "wollen kann". Soweit der Berufungsantrag hierüber hinausgehe und durch die Sachlage nicht gerechtfertigt sei, könne hierdurch die Zulässigkeit der Berufung nicht herbeigeführt werden (Hinweis auf BSG SozR 1500 § 158 Nr 5). Insoweit sei hier zu beachten, dass nach § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereich nur begründet und festgestellt werden dürften, soweit das Gesetz es vorschreibe oder zulasse. Für Leistungen nach dem SGB II scheide damit sowohl eine mehrjährige oder unbefristete Gewährung von Leistungen als auch eine Vorabentscheidung darüber, ob ein geltend gemachter Bedarf dem Grunde nach als abweichender Bedarf (§ 23 SGB II) anerkannt werde, mangels rechtlicher Grundlage aus. Nach § 41 Satz 1 SGB II sollten Leistungen nach dem SGB II jeweils nur für sechs Monate bewilligt werden. Für eine Umdeutung der Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde sei kein Raum.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) geltend. Die Entscheidung des LSG beruhe auf der Rechtsfrage, ob § 144 Abs 1 Satz 2 SGG auf sich im Streit befindliche wiederkehrende Leistungen anwendbar sei, die sich zwar über einen längeren Zeitraum als ein Jahr erstrecken, über die jedoch auf Grund gesetzlicher Vorschriften - wie vorliegend des § 41 Satz 1 SGB II - immer jeweils nur für einen Zeitraum von einigen Monaten entschieden werde. Rechtsfolge der vom LSG vorgenommenen Auslegung des § 144 Abs 1 Satz 2 SGG wäre die weitgehende Gegenstandslosigkeit dieser Vorschrift. Die vom LSG vorgenommene Auslegung sei keinesfalls zwingend. Die Berufung habe nach seiner Ansicht wiederkehrende bzw laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen, weil zwischen den Parteien die Beiträge für die Privathaftpflicht für die Jahre 2005, 2006 und 2007 im Streit gestanden hätten. Diese Rechtsfrage sei auch klärungsbedürftig. Sie sei weder vom Bundessozialgericht (BSG) noch von den Tatsachengerichten der Sozialgerichtsbarkeit entschieden. Die Rechtsfrage habe schließlich eine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung und sei auch entscheidungserheblich, denn wenn man entgegen der Auffassung des LSG davon ausgehe, dass hier wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit stünden, so wäre die Berufung zulässig gewesen.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist geklärt. Ihre Beantwortung ergibt sich ohne weitere Probleme aus der Anwendung einfachen Rechts. Dem Begriff der wiederkehrenden und laufenden Leistung iS des § 144 Abs 1 Satz 2 SGG sind die Wiederholung, die Gleichhaltigkeit und der Ursprung in dem selben Rechtsverhältnis (Stammrecht) gemeinsam (vgl Littmann in Lüdtke, Hk SGG 2. Aufl 2006, § 144 RdNr 12; BSG SozR 1500 § 144 Nr 5). Leistungen beruhen auf demselben Rechtsverhältnis, wenn ihnen derselbe Leistungsfall zu Grunde liegt (BSG SozR 4100 § 118 Nr 10), auf den die Einzelansprüche zurückgeführt werden können. Lediglich ein natürlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang oder dasselbe Sozialrechtverhältnis reichen hierfür nicht aus. Zu Recht hat das LSG hierzu ausgeführt, dass § 41 SGB II insofern eine zeitliche Zäsur schafft, die den jeweiligen Streitgegenstand in zeitlicher Hinsicht umschreibt (vgl zur Nichtanwendbarkeit des § 96 SGG im Bereich des SGB II BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 1 RdNr 17). Insofern begrenzt § 41 SGB II den jeweiligen Streitgegenstand in Rechtsstreitigkeiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende in zeitlicher Hinsicht auf die Dauer um sechs bzw maximal zwölf Monate. Die Leistungsbewilligung im SGB II für jeweils sechs Monate hat ua ihre Ursache darin, dass es Ziel des Gesetzes ist, die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wieder in Arbeit zu integrieren und ein dauerhafter Bezug von Leistungen nach dem SGB II (als rentenähnliches Recht) die Ausnahme sein soll. Insofern kann mit der Behauptung der lediglich fiktiven Möglichkeit, auch noch in einigen Jahren Empfänger von Leistungen nach dem SGB II zu sein, die Berufungsfähigkeit nicht hergestellt werden, denn diese ist, was das LSG zutreffend ausgeführt hat, jeweils auf das sachlich verfolgbare (materiell mögliche) Prozessziel beschränkt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 04.12.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 13 AS 3729/07
Vorinstanz: SG Stuttgart, vom 05.06.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 4 AS 817/06