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BSG - Entscheidung vom 24.01.2008

B 3 P 26/07 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluss vom 24.01.2008 - Aktenzeichen B 3 P 26/07 B

DRsp Nr. 2008/5124

Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, Bezeichnung des Verfahrensmangels, Erforderlichkeit der Durchsicht der Verfahrensakten durch das Beschwerdegericht

Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, die Verfahrensakten selbst daraufhin durchzusehen, wodurch dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers unterlaufen sein könnte. Daher genügt die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht den förmlichen Anforderungen, wenn zur Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der Verfahrensrüge eine eigene Durchsicht der Verfahrensakten durch das Beschwerdegericht erforderlich ist. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 § 160a Abs. 2 S. 3 ;

Gründe:

I. Der 1963 geborene und bei der beklagten Pflegekasse versicherte Kläger begehrt die Gewährung von Pflegegeld der Pflegestufe I nach dem SGB XI . Zuletzt hat das Landessozialgericht (LSG) seine Berufung gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ( SG ) zurückgewiesen (Urteil vom 5.10.2007): Der für die Bewilligung von Pflegegeld der Pflegestufe I erforderliche Zeitaufwand erreiche im Bereich der Grundpflege nicht die im Gesetz vorgesehenen "mehr als 45 Minuten" (§ 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI ). Sowohl das im Verwaltungsverfahren vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung eingeholte ärztliche Gutachten als auch das vom SG veranlasste Sachverständigengutachten hätten im Bereich der Grundpflege einen täglichen Zeitaufwand von nur 32 Minuten ergeben. Dies sei nachvollziehbar. Selbst bei Berücksichtigung des seit 2004 erforderlichen An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen werde der Mindestwert für die Pflegestufe I nicht erreicht. Der - hilfsweise beantragten - Einholung eines weiteren Gutachtens bedürfe es nicht, weil sich der Senat zu einer weiteren Beweisaufnahme nicht habe gedrängt fühlen müssen. Gründe für die Zulassung der Revision hat das LSG nicht gesehen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit dem Begehren auf Zulassung der Revision sowie dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung von Rechtsanwältin R..

II. 1. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Begründungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG und ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen.

a) Der Kläger rügt als wesentlichen Verfahrensfehler die Verletzung des § 103 SGG . Er habe im Berufungsverfahren ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache beantragt, dass im Bereich der Grundpflege zusätzlicher Zeitaufwand wegen der notwendigen Verwendung von Stützstrümpfen sowie infolge der bei ihm bestehenden Inkontinenz bestehe und deshalb die für die Pflegestufe I erforderliche Zeitgrenze überschritten sei; das ergebe sich aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem LSG. Diesem Beweisantrag sei das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.

Mit diesem Vorbringen ist ein Verfahrensfehler nicht hinreichend dargetan. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Eine Verfahrensrüge kann jedoch nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG auf eine Verletzung des § 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) nicht und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dabei genügt ein Beschwerdevorbringen den Begründungsanforderungen nur, wenn es ua mindestens einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnet, dem das LSG nicht gefolgt ist (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4, 5). Das gilt auch für Verfahrensbeteiligte, die - wie der Kläger - im Berufungsverfahren anwaltlich nicht vertreten waren. Zwar kann dahingestellt bleiben, ob ein Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG auch bei einem solchen Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zur Niederschrift des Gerichts gestellt sein (vgl dazu BSG, Beschlüsse vom 12.5.1999 - B 2 U 78/99 B - und vom 2.1.2002 - B 2 U 298/01 B - sowie Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.2.1992 = SozR 3-1500 § 160 Nr 6) und ob der Antrag den Anforderungen an einen Beweisantrag iS der ZPO entsprechen muss (BSG SozR 1500 § 160 Nr 45; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 210 mwN). Doch gleichwohl kann nicht darauf verzichtet werden, dass er darlegen muss, einen konkreten Beweisantrag gestellt zu haben; aus seinem Vorbringen im Berufungsverfahren muss sich ergeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens noch durch welche Beweismittel für aufklärungsbedürftig hält und dass das Gericht entsprechende Ermittlungen anstellen soll. Dementsprechend ist im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Einzelnen aufzuzeigen, dass und wodurch diese Voraussetzung zumindest im oben genannten Sinne erfüllt ist (vgl BSG, Beschlüsse vom 2.6.2003 - B 2 U 80/03 B - und vom 1.3.2006 - B 2 U 403/05 B -).

Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht. Der Vortrag zeigt nicht hinreichend auf, welche von dem Beschwerdeführer abgegebenen Erklärungen als Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG anzusehen sein sollen. Die Beschwerde möchte das in dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem LSG sehen, wonach der Beschwerdeführer hilfsweise beantragt hat, "ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen". Dem kann indes nicht entnommen werden, worüber Beweis hätte erhoben werden sollen. Deshalb wären von der Beschwerde sonstige Erklärungen des Beschwerdeführers aufzuzeigen gewesen, aus denen die Tatsachen hervorgehen, zu denen seiner Überzeugung nach weiterer Beweis zu erheben gewesen wäre. Denn zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 160 Nr 45) muss nicht nur die Stellung eines Antrags selbst, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO ; s hierzu auch Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 214) und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte, und dass es sich bei dem Hilfsbeweisantrag nicht nur um eine Beweisanregung gehandelt habe (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Ist das nicht im Protokoll über die mündliche Verhandlung selbst festgehalten, muss deshalb durch Verweis auf anderweitige, schriftsätzlich verkörperte Erklärungen aufgezeigt werden, dass aus Sicht des Beteiligten weiter aufklärungsbedürftige Punkte im Sinne eines förmlichen Beweisantrages in das Berufungsverfahren eingeführt worden sind. Daran fehlt es hier, denn die Beschwerde beschränkt sich auf unspezifizierte und nicht weiter belegte Angaben, was sich nach Meinung des Klägers zusätzlich auf seinen Pflegebedarf auswirke. Damit ist eine Verfahrensrüge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG indes nicht ordnungsgemäß bezeichnet, weil ohne weiteres Aktenstudium nicht ersichtlich ist, wann und in welchem Rahmen dieser Sachvortrag in das Verfahren eingeführt worden ist. Ist deshalb zur Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der Verfahrensrüge - wie hier - eine eigene Durchsicht der Verfahrensakten durch das Beschwerdegericht erforderlich, genügt das Vorbringen den förmlichen Anforderungen nicht, weil es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, die Verfahrensakten selbst daraufhin durchzusehen, wodurch dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers unterlaufen sein könnte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 S 21 und Nr 34 S 50).

b) Ebenfalls keine zulässige Verfahrensrüge liegt weiter in dem Vorbringen der Beschwerde, das LSG habe zu Unrecht seine eigene Einschätzung an die Stelle medizinischer Sachkunde gestellt. Nach den eigenen Ausführungen des Klägers hat sich das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil mit den unterschiedlichen Gutachten auseinandergesetzt und Gründe angegeben, weshalb es ihnen folge. Soweit der Kläger meint, das LSG habe dabei eine unzutreffende Beweiswürdigung vorgenommen, kann darauf eine Nichtzulassungsbeschwerde nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht gestützt werden.

2. Der Antrag auf Bewilligung von PKH zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens und auf Beiordnung einer Prozessbevollmächtigten ist abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet entgegen § 73a Abs 1 SGG iVm § 114 ZPO keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig ist. Es kann deshalb offen bleiben, ob der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage wäre, die Kosten für die Inanspruchnahme seiner Rechtsanwältin selbst aufzubringen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 05.10.2007 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 P 4848/05
Vorinstanz: SG Stuttgart, vom 20.09.2005 - Vorinstanzaktenzeichen S 8 P 2189/03