Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BAG - Entscheidung vom 08.05.2008

6 AZR 402/07

Normen:
Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) § 38

Fundstellen:
NZA 2008, 1319

BAG, Urteil vom 08.05.2008 - Aktenzeichen 6 AZR 402/07

DRsp Nr. 2008/13883

AVR-Auslegung - Übergangsgeld; Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR)

Orientierungssätze: Erhält der Arbeitnehmer auf Grund eines in einem Kündigungsschutzverfahren abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs eine Abfindung, besteht gem. § 38 Abs. 2 Buchst. e AVR kein Anspruch auf Zahlung eines Übergangsgeldes.

Normenkette:

Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) § 38 ;

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Zahlung eines Übergangsgeldes.

Die 1960 geborene Klägerin war seit dem 1. Oktober 1991 bei dem Beklagten beschäftigt. Sie bezog zuletzt ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 3.663,45 Euro. In ihrem Dienstvertrag haben die Parteien unter § 2 die Anwendung der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung vereinbart.

Mit Schreiben vom 29. März 2004 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen zum 30. September 2004. In dem anschließenden Kündigungsschutzprozess schlossen die Parteien in der Güteverhandlung vom 21. Mai 2004 den folgenden Vergleich:

"1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche, arbeitgeberseitige, betriebsbedingte Kündigung zum 30.09.2004 beendet wird.

2. Die Beklagte verpflichtet sich, an die Klägerin entsprechend §§ 9 , 10 KSchG i.V.m. § 3 Ziffer 9 EStG eine Abfindung in Höhe von 22.000,00 Euro brutto gleich netto zu zahlen.

..."

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zahlung eines Übergangsgeldes nach § 38 AVR. Darin ist bestimmt:

"§ 38 Voraussetzungen für Zahlung des Übergangsgeldes

(1) Der Mitarbeiter, der am Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses

a) das 21. Lebensjahr vollendet hat und

b) in einem ununterbrochenen Dienstverhältnis von mindestens fünf Jahren bei demselben Dienstgeber gestanden hat,

erhält beim Ausscheiden ein Übergangsgeld.

(2) Das Übergangsgeld wird nicht gewährt, wenn

a) der Mitarbeiter das Ausscheiden verschuldet hat,

b) der Mitarbeiter gekündigt hat,

c) das Dienstverhältnis durch Auflösungsvertrag (§ 34) beendet ist,

d) der Mitarbeiter eine Abfindung aufgrund des Kündigungsschutzgesetzes erhält,

e) der Mitarbeiter aufgrund eines Vergleichs ausscheidet, in dem vom Dienstgeber eine Geldzahlung ohne Arbeitsleistung zugebilligt wird,

..."

Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr stehe nach § 38 Abs. 1 AVR ein Übergangsgeld zu.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 11.906,21 Euro Übergangsgeld nebst 5 % Zinsen p. a. über dem Basiszinssatz seit dem 7. Januar 2005 zu zahlen.

Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags geltend gemacht, die Klägerin habe gemäß § 38 Abs. 2 AVR keinen Anspruch auf Zahlung eines Übergangsgeldes, weil sie auf Grund des vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleichs eine Abfindung erhalten habe.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht gemäß § 38 Abs. 2 Buchst. e AVR kein Übergangsgeld zu.

1. Die Klägerin erfüllt zwar an sich die Anspruchsvoraussetzungen des § 38 Abs. 1 AVR, denn sie hat das 21. Lebensjahr vollendet und stand länger als fünf Jahre ununterbrochen in einem Dienstverhältnis zum Beklagten.

2. Der Anspruch ist jedoch nach § 38 Abs. 2 Buchst. e AVR ausgeschlossen.

a) In § 38 Abs. 2 AVR sind Tatbestände geregelt, die den Anspruch auf ein Übergangsgeld ausschließen. Es handelt sich hierbei um rechtshindernde Einwendungen des Arbeitgebers (vgl. zum im Wesentlichen wortgleichen § 62 BAT Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand November 2000 § 62 Rn. 29).

b) § 38 Abs. 2 Buchst. e AVR betrifft nach seinem Wortlaut sowohl gerichtliche als auch außergerichtliche Vergleiche. Auf die Höhe der Geldzahlung kommt es nicht an (Scheffer/Mayer Kommentar zu den AVR 4. Aufl. Stand 2003 § 38 Erl. 3 d). Auf Grund des weit gefassten Wortlauts des § 38 Abs. 2 Buchst. e AVR erfasst dieser Ausschlusstatbestand alle Geldleistungen, die der Arbeitgeber im Vergleich zusagt, ohne dass der Arbeitnehmer hierfür zur Erbringung einer Gegenleistung verpflichtet wäre. Die Vorschrift verwendet nicht die Begriffe "Entgelt" oder "Arbeitsentgelt ohne Arbeitsleistung", sondern den weiten Begriff "Geldzahlung ohne Arbeitsleistung". Dazu gehören auch Abfindungszahlungen, weil diese kein Entgelt für geleistete Arbeit darstellen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin schließt der Wortlaut des § 38 Abs. 2 Buchst. e AVR den Anspruch auf Übergangsgeld daher nicht nur dann aus, wenn Zahlungen auf Grund einer vergleichsweisen Verlängerung der Kündigungsfrist bzw. einer Freistellung während des Laufs der Kündigungsfrist erfolgen, sondern auch bei Zahlung einer Abfindung auf Grund eines in einem Kündigungsschutzverfahren abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs.

c) Der Ausschluss eines Anspruchs auf Übergangsgeld bei Zahlung einer Abfindung auf Grund eines in einem Kündigungsschutzprozess abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs entspricht auch dem Zweck des § 38 AVR. Dieser besteht darin, unfreiwillig ausgeschiedenen Arbeitnehmern die Übergangszeit bis zur Begründung eines neuen Beschäftigungsverhältnisses durch die Zahlung eines Übergangsgeldes finanziell zu erleichtern (vgl. Scheffer/Mayer Kommentar zu den AVR 4. Aufl. Stand 2003 § 38 Erl. 1). Erhält der Arbeitnehmer auf Grund eines in einem Kündigungsschutzverfahren abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs eine Abfindung, wird er ohne Arbeitsleistung vom Arbeitgeber finanziell unterstützt. Unerheblich ist, ob der Arbeitgeber die Abfindung in erster Linie zahlt, um ein Unterliegen im Kündigungsschutzprozess und daraus folgende Annahmeverzugsansprüche abzuwenden, oder, wie die Revisionserwiderung geltend macht, um dem Arbeitnehmer den Wechsel in ein neues Arbeitsverhältnis zu erleichtern. Entscheidend ist, dass der ausgeschiedene Mitarbeiter in der Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Abfindungszahlung zum Bestreiten seines Lebensunterhalts - ggf., wie hier, ergänzend neben Arbeitslosengeld - verwenden kann. Der Abfindungszahlung kommt damit in tatsächlicher Hinsicht dieselbe Wirkung zu wie einem Übergangsgeld nach § 38 AVR.

d) Diese Auslegung wird durch den Regelungszusammenhang des § 38 Abs. 2 AVR bestätigt. Gemäß § 38 Abs. 2 Buchst. d AVR wird das Übergangsgeld nicht gewährt, wenn der Mitarbeiter eine Abfindung auf Grund des Kündigungsschutzgesetzes erhält. Diese Regelung bezieht sich auf Fälle, in denen das Gericht das Arbeitsverhältnis auf Antrag einer Partei nach §§ 9 , 10 KSchG auflöst und den Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verurteilt. Hier dient die Abfindung nach dem Gesamtzusammenhang des § 38 Abs. 2 AVR demselben Zweck wie das Übergangsgeld. Neben der Abfindung ist ein weiteres Übergangsgeld nicht erforderlich, um dem Arbeitnehmer die Übergangszeit bis zur Begründung eines neuen Beschäftigungsverhältnisses finanziell zu erleichtern (vgl. Scheffer/Mayer Kommentar zu den AVR 4. Aufl. Stand 2003 § 38 Erl. 3 c). Angesichts des klar angeordneten Ausschlusses eines Anspruchs auf Übergangsgeld bei einer durch das Gericht festgesetzten Abfindung wäre es widersprüchlich, wenn man demgegenüber in den Fällen einer zwischen den Parteien vereinbarten Abfindungszahlung einen Anspruchsausschluss gem. § 38 Abs. 2 Buchst. e AVR verneinen würde, da die wirtschaftliche Wirkung der Abfindungszahlung für den begünstigten Arbeitnehmer in beiden Fällen gleich ist.

e) Da die Klägerin auf Grund des gerichtlichen Vergleichs in dem von ihr eingeleiteten Kündigungsschutzprozess eine Abfindung in Höhe von 22.000,00 Euro erhalten hat, kann sie von dem Beklagten gem. § 38 Abs. 2 Buchst. e AVR kein Übergangsgeld verlangen.

II. Die Klägerin hat gem. § 97 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Hinweise:

Branchenspezifische Problematik: Arbeitsverhältnisse beim Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche

Vorinstanz: LAG Mecklenburg-Vorpommern, vom 11.07.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 5 Sa 66/06
Vorinstanz: ArbG Stralsund, vom 24.01.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 5 Ca 12/05
Fundstellen
NZA 2008, 1319