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BVerwG - Entscheidung vom 10.10.2007

4 BN 36.07

Normen:
BauGB § 14
BauGB § 15

Fundstellen:
BRS 71 Nr. 116
BauR 2008, 328
ZfBR 2008, 70

BVerwG, Beschluss vom 10.10.2007 - Aktenzeichen 4 BN 36.07

DRsp Nr. 2009/18734

Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Veränderungssperre

1 Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Dazu gehören insbesondere Vorstellungen über die angestrebte Art der baulichen Nutzung der betroffenen Grundflächen. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus. Nicht erforderlich ist ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept. 2. Hieraus folgt ohne Weiteres, dass der Erlass einer Veränderungssperre nicht von endgültigen Aussagen zur Lösung von Nutzungskonflikten abhängig gemacht werden darf, die erst im weiteren Verlauf des Planungsverfahrens im Rahmen einer umfassenden Abwägung aller betroffenen privaten und öffentlichen Belange und unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung möglich sind. Änderungen einzelner Planungsvorstellungen nach Erlass der Veränderungssperre sind daher für deren Rechtmäßigkeit ohne Bedeutung, solange die Planungskonzeption der Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre hinreichend konkretisiert und erkennbar ist, die darin zum Ausdruck kommende Grundkonzeption der Planung nicht aufgegeben worden ist und die mit der Veränderungssperre verfolgte Sicherungsfunktion fortbesteht. 3. Sind die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre während ihrer Geltungsdauer endgültig entfallen, wird die Veränderungssperre (zumindest ab diesem Zeitpunkt) unwirksam.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Normenkette:

BauGB § 14 ; BauGB § 15 ;

Gründe:

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Antragsteller beimisst.

Die Beschwerde wirft eine Reihe von Fragen auf, die auf die Begründung der angegriffenen Veränderungssperre und die Bebauungsplanung der Antragsgegnerin zielen, und problematisiert die Frage, wann die Planung, deren Sicherung die Veränderungssperre dient, ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Soweit diese Fragen einer über die Umstände des Einzelfalls hinausgehenden, verallgemeinerungsfähigen Antwort zugänglich sind, sind sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Dazu gehören insbesondere Vorstellungen über die angestrebte Art der baulichen Nutzung der betroffenen Grundflächen. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus. Nicht erforderlich ist ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept (stRspr; Urteile vom 10. September 1976 - BVerwG 4 C 39.74 - BVerwGE 51, 121 und vom 19. Februar 2004 - BVerwG 4 CN 13.03 - NVwZ 2004, 984 ; jeweils m.w.N.). Hieraus folgt ohne Weiteres, dass der Erlass einer Veränderungssperre nicht von endgültigen Aussagen zur Lösung von Nutzungskonflikten abhängig gemacht werden darf, die erst im weiteren Verlauf des Planungsverfahrens im Rahmen einer umfassenden Abwägung aller betroffenen privaten und öffentlichen Belange und unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung möglich sind. Änderungen einzelner Planungsvorstellungen nach Erlass der Veränderungssperre sind daher für deren Rechtmäßigkeit ohne Bedeutung, solange die Planungskonzeption der Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre hinreichend konkretisiert und erkennbar ist, die darin zum Ausdruck kommende Grundkonzeption der Planung nicht aufgegeben worden ist und die mit der Veränderungssperre verfolgte Sicherungsfunktion fortbesteht. Sind die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre während ihrer Geltungsdauer endgültig entfallen, wird die Veränderungssperre (zumindest ab diesem Zeitpunkt) unwirksam (Beschluss vom 31. Mai 2005 - BVerwG 4 BN 25.05 - ZfBR 2005, 576 ).

Das Normenkontrollgericht lässt sich von diesen Grundsätzen leiten. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass diese Grundsätze in einem Revisionsverfahren zu überdenken, zu korrigieren oder fortzuentwickeln sein könnten. Mit ihrer in die Form von Grundsatzrügen gekleideten Urteilskritik greift sie die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung an, insbesondere die von der Vorinstanz zugrunde gelegte Begründung der Veränderungssperre und des Aufstellungsbeschlusses in der Drucks. Nr. 2139/2004 vom 17. Juni 2004. Mit derartigen auf den Einzelfall bezogenen Angriffen gegen die Rechtsanwendung eines Normenkontrollgerichts kann die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht begründet werden.

2. Die erhobenen Divergenzrügen sind unzulässig, weil sie den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügen.

Der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben (revisiblen) Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem ebensolchen Rechtssatz in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Widerspruch tritt (stRspr). Eine solche Divergenz zeigt die Beschwerde nicht auf.

Entgegen der Beschwerde hat das Normenkontrollgericht nicht den Rechtssatz aufgestellt, dass "eine behauptete und nicht weiter konkretisierte städtebauliche Gefahr" eine hinreichende inhaltliche Konkretisierung des künftigen Bebauungsplans darstelle. Die Vorinstanz sieht in der von der Antragsgegnerin angeführten "Gefahr" einer zu befürchtenden städtebaulichen Fehlentwicklung im Plangebiet die Rechtfertigung dafür, einen Bebauungsplan aufzustellen und der baulichen Verdichtung des Plangebiets auf der Grundlage des § 34 BauGB Einhalt zu gebieten. Von diesen Erwägungen zur planerischen Erforderlichkeit ist die Frage zu unterscheiden, ob die städtebaulichen Planungsabsichten im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre bereits ausreichend konkretisiert waren. Das Normenkontrollgericht kommt zu dem Ergebnis, dass dies der Fall gewesen ist. Das sieht die Beschwerde zwar anders. Die ihrer Ansicht nach fehlerhafte Anwendung eines vom Bundesverwaltungsgericht zur Rechtmäßigkeit einer Veränderungssperre aufgestellten, vom Tatrichter nicht in Frage gestellten Rechtssatzes stellt jedoch keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar.

Entgegen der Beschwerde lässt sich dem Normenkontrollurteil auch nicht der Rechtssatz entnehmen, dass "die Aufgabe von wesentlichen Planungszielen nicht zu einer Unwirksamkeit der Veränderungssperre führe". Das Normenkontrollgericht hat den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin vom 4. Juli 2006, auf den Grundstücken A.straße 11 - 21 eine Bebauung in zweiter Reihe nicht mehr zuzulassen, als teilweise Abänderung der ursprünglich maßgeblichen Planungsabsichten gewertet, in dieser Änderung jedoch offensichtlich keine endgültige Aufgabe der im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre hinreichend konkretisierten Planungsabsichten gesehen. Damit hat das Normenkontrollgericht keinen über die einzelfallorientierte Sachverhaltswürdigung hinausgehenden abstrakten Rechtssatz zu der Frage aufgestellt, unter welchen Voraussetzungen eine Veränderungssperre ihre Wirksamkeit wegen Aufgabe der ursprünglichen Planungsabsichten verliert. Die Divergenzrüge erschöpft sich auch insoweit in dem Vorwurf einer unrichtigen Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Rechtsgrundsätze. Das genügt den Zulässigkeitsanforderungen an eine Divergenzrüge nicht.

3. Die vom Antragsteller erhobene Rüge (§ 86 Abs. 1 , § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ), das Normenkontrollgericht habe die in der Begründung des Planaufstellungsbeschlusses und der Veränderungssperre angesprochenen "Bauvoranfragen" für die Grundstücke A.straße 7 und 11 sowie F. Flurstück 121/18 nicht zur Kenntnis genommen, greift nicht durch.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verletzt ein Gericht seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat (Beschluss vom 5. August 1997 - BVerwG 1 B 144.97 - NJW-RR 1998, 784 ). Die ordnungsgemäße Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht setzt voraus, dass unter Auseinandersetzung mit dem Prozessgeschehen und der Begründung der vorinstanzlichen Entscheidung schlüssig aufgezeigt wird, dass sich der Vorinstanz aufgrund ihrer Rechtsauffassung auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 ).

Daran lässt es die Beschwerde fehlen. Sie macht geltend, die angesprochenen "Bauvoranfragen" seien entscheidungserheblich, weil sie "entgegen der Unterstellung des Beschlusses vom 24. Juni 2006 nicht auf eine Bebauung in dritter Baureihe oder der Ausführung eines Mehrfamilienhauses im Bereich eines Gebietes mit einer Bebauung durch Einfamilienhäuser zielte". Diesem Vorbringen liegt zunächst die unrichtige Vorstellung zugrunde, dass die städtebauliche Erforderlichkeit einer Bebauungsplanung (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ) und die Mindestvoraussetzungen für den Erlass einer diese Planung sichernden Veränderungssperre nach dem Inhalt einzelner Bauvoranfragen zu beurteilen sei, welche die Gemeinde (u.a.) veranlasst haben, die Aufstellung eines Bebauungsplans und den Erlass einer Veränderungssperre zu beschließen. Im Übrigen entnimmt das Normenkontrollgericht der Planbegründung (Drucks. Nr. 2139/2004 vom 17. Juni 2004), dass sich der neue Bebauungsplan mit den Möglichkeiten der Bebauung in zweiter und dritter Reihe befassen, die Bestandsstrukturen festschreiben und eine Bebauung in der zweiten Reihe, insbesondere im Bereich der A.straße, ermöglichen soll und zugleich der Gefahr einer weiteren Ausdehnung der Mehrfamilienwohnhäuser in der zweiten und dritten Reihe begegnen will. Diese Zielvorstellungen erfüllen nach Ansicht des Normenkontrollgerichts das Erfordernis eines hinreichend konkretisierten Mindestmaßes an städtebaulichen Planungsabsichten. Auf der Grundlage dieser entscheidungstragenden Rechtsauffassung ist nicht erkennbar, dass sich das Normenkontrollgericht näher mit den von der Beschwerde angesprochenen Bauvoranfragen hätte befassen müssen. Gegenstand des vorliegenden Normenkontrollverfahrens ist die Wirksamkeit der verhängten Veränderungssperre, nicht die Rechtmäßigkeit negativ beschiedener "Bauvoranfragen" für das Plangebiet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 04.05.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 3 N 562/06
Fundstellen
BRS 71 Nr. 116
BauR 2008, 328
ZfBR 2008, 70