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BVerwG - Entscheidung vom 28.02.2007

3 C 48.06

Normen:
LAG § 349 Abs. 5 Satz 2
BGB § 419

Fundstellen:
NVwZ-RR 2007, 469

BVerwG, Urteil vom 28.02.2007 - Aktenzeichen 3 C 48.06

DRsp Nr. 2007/6877

Schadensausgleich; Rückforderung von Lastenausgleich wegen Schadensausgleich; Mithaftung für Rückzahlungspflicht; Übertragung ohne angemessene Gegenleistung

»Die Haftungsregelung des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG findet auch dann Anwendung, wenn der Erwerb der Schadensausgleichsleistung vor Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Januar 2000 stattgefunden hat.«

Normenkette:

LAG § 349 Abs. 5 Satz 2 ; BGB § 419 ;

Gründe:

I

Der Kläger wendet sich gegen seine gesamtschuldnerische Inanspruchnahme auf Rückzahlung zuviel gezahlter Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz.

Die am 22. Mai 1991 verstorbene Frau H. Sch. war zu 3/10 Miteigentümerin eines gemischt genutzten Grundstücks in G. Da das Grundstück von der DDR unter staatliche Verwaltung gestellt war, erhielt Frau Sch. im März 1987 wegen eines Wegnahmeschadens Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz in Höhe von insgesamt 11 749,50 DM. Am 3. Oktober 1990 endete die staatliche Verwaltung.

Durch notariellen Vertrag vom 28. Juni 1991 übertrug P. Sch., der Sohn und Alleinerbe von H. Sch., ebenso wie die übrigen Miteigentümer seinen Miteigentumsanteil an dem Grundstück auf den Kläger. Der Vertrag enthält folgende Bestimmungen:

"§ 3

Ein Entgelt wird für die Übergabe nicht gezahlt.

§ 4

Der Übernehmer übernimmt jedoch die in Abt. II und III des Grundbuches eingetragenen Belastungen. Er stellt die Übergeber aus allen Verpflichtungen hieraus frei."

Mit Bescheid vom 4. November 1996 forderte das Ausgleichsamt der Beklagten von P. Sch. die seiner Mutter gewährte Hauptentschädigung zurück. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Vollstreckungsmaßnahmen blieben ohne Erfolg.

Mit Bescheid vom 2. April 1998 forderte die Beklagte auch vom Kläger die Rückzahlung des an Frau Sch. gezahlten Lastenausgleichs gemäß § 419 BGB mit der Begründung, der übertragene Grundstücksanteil sei das gesamte Vermögen des Herrn Sch. gewesen. Mit seiner Beschwerde machte der Kläger geltend, er habe nicht gewusst, dass Herr Sch. im Übrigen vermögenslos gewesen sei.

Mit Bescheid vom 10. April 2000 hob die Beklagte den Rückforderungsbescheid vom 2. April 1998 auf; gleichzeitig nahm sie den Kläger gemäß § 349 Abs. 5 Satz 2 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) in der Fassung des 33. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (33. ÄndG LAG) vom 16. Dezember 1999 (BGBl I S. 2422) als Gesamtschuldner neben P. Sch. in Anspruch und forderte von ihm zuviel gezahlte Hauptentschädigung in Höhe von 11 579,50 DM zurück. Der Kläger sei im Blick auf die Schadensausgleichsleistung Rechtsnachfolger des Herrn Sch. Da die Anteilsübertragung unentgeltlich erfolgt sei, fehle es an einer angemessenen Gegenleistung.

Dagegen erhob der Kläger Beschwerde mit der Begründung, er habe die auf dem Grundstück lastenden umfangreichen Verbindlichkeiten übernommen und die früheren Eigentümer davon freigestellt. Die Hypotheken hätten sich auf 35 000 DM und 12 000 Goldmark belaufen. Außerdem sei ein erheblicher Reparaturaufwand notwendig gewesen. Die Beschwerdestelle beim Regierungspräsidium Kassel wies die Beschwerde mit Beschluss vom 17. Dezember 2002 zurück. Dazu führte sie aus, die Übernahme dinglicher Belastungen des Grundstücks stelle keine Gegenleistung dar.

Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13. Juni 2006 den Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 10. April 2000 aufgehoben. Dazu hat es ausgeführt, der Bescheid könne nicht auf § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG gestützt werden. Diese Bestimmung könne allenfalls auf Erwerbsvorgänge angewandt werden, die nach dem 1. Januar 1999 stattgefunden hätten. Nach der amtlichen Begründung sei sie an die Stelle des zu diesem Zeitpunkt außer Kraft getretenen § 419 BGB getreten. Da § 419 BGB für zuvor stattgefundene Vermögensübertragungen weiterhin gelte, habe erst ab diesem Zeitpunkt Anlass zu einer gesetzlichen Neuregelung bestanden. Die Anwendung des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG auf weiter zurückliegende Vorgänge stelle hingegen eine unzulässige Rückwirkung dar, da diejenigen, die die Schadensausgleichsleistung von einem Rückzahlungspflichtigen erlangt hätten, nicht damit hätten rechnen müssen, für dessen Pflicht in Haftung genommen zu werden. Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob der Kläger den Miteigentumsanteil ohne angemessene Gegenleistung erhalten hat.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das Verwaltungsgericht habe § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG falsch ausgelegt. Die Bestimmung gelte auch für Erwerbsvorgänge, die vor dem 1. Januar 1999 stattgefunden hätten.

Der Kläger ist der Auffassung, das angefochtene Urteil sei jedenfalls im Ergebnis zutreffend. Obwohl im Übernahmevertrag kein Entgelt vereinbart worden sei, sei die Übertragung wegen der übernommenen Schulden und wegen des desolaten Zustandes des Grundstücks nicht ohne angemessene Gegenleistung erfolgt.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II

Die Revision ist begründet. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG finde auf die Übertragung des Miteigentumsanteils des Herrn Sch. auf den Kläger keine Anwendung, weil der Erwerb vor dem 1. Januar 1999 erfolgt sei, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO ).

Der Wortlaut des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG bietet für die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Einschränkung des Anwendungsbereichs keine Grundlage. Die Formulierung "Hat ein Rechtsnachfolger _ erlangt" schließt mit der Wahl der Vergangenheitsform die Möglichkeit ein, dass auch Erwerbsvorgänge, die vor Inkrafttreten des 33. LAG-Änderungsgesetzes am 1. Januar 2000 stattgefunden haben, von der Regelung erfasst werden. Erst recht bietet der Wortlaut keinen Anhaltspunkt für die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Zäsur zum 1. Januar 1999.

Der Sinn und Zweck des Gesetzes spricht eindeutig gegen die Einschränkung des Anwendungsbereichs. Ausweislich der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber die Bestimmung eingefügt, weil in den Fällen der Weitergabe des zurückgegebenen Vermögens ohne angemessene Gegenleistung oder an Vermächtnisnehmer die Rückforderungsansprüche oftmals notleidend werden, wenn der Empfänger des Lastenausgleichs oder seine Erben ansonsten vermögenslos sind; insbesondere soll verhindert werden, dass die Vermögensübertragung ohne angemessene Gegenleistung gezielt erfolgt, um sich der gesetzlichen Rückzahlungspflicht zu entziehen (vgl. BTDrucks 18/866 S. 16). Dieses Ziel wäre in einer großen Zahl von Fällen nicht zu erreichen, wenn die Bestimmung auf Übertragungsvorgänge vor dem 1. Januar 2000 oder auch vor dem 1. Januar 1999 nicht anwendbar wäre. Der Schadensausgleich, der die Rückzahlungspflicht hinsichtlich des Lastenausgleichs auslöst, ist nämlich in großem Umfang bereits in den Jahren 1990 bis 1999 erfolgt. Die Weitergabe der Schadensausgleichsleistung hat sodann sehr häufig bald danach stattgefunden, weil in der Konstellation, die § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG voraussetzt, der ursprüngliche Empfänger der Schadensausgleichsleistung kein Interesse daran hatte, sie lange zu behalten.

Die Geltung des § 419 BGB bis zum 31. Dezember 1998 machte die Einbeziehung zuvor erfolgter Erwerbsvorgänge in die Neuregelung nicht überflüssig. Trotz einiger Überschneidungen bestehen zwischen § 419 BGB und § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG gravierende Unterschiede. § 419 BGB griff nur bei der Übernahme des gesamten Vermögens eines anderen ein; der Übernehmer musste wissen, dass es sich um das gesamte Vermögen des anderen handelte. Demgegenüber verlangt § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG nur die Übertragung ohne angemessene Gegenleistung. Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Gesetzesbegründung führt insoweit nicht zu einem anderen Ergebnis. Zwar wird dort auf das Außerkrafttreten des § 419 BGB hingewiesen. Dieser Hinweis ergänzt jedoch lediglich die tragende Begründung, dass die Aushöhlung der Rückzahlungspflicht durch Weitergabe der Schadensausgleichsleistung ohne angemessene Gegenleistung verhindert werden müsse (BTDrucks 14/866 S. 16).

Die vom Verwaltungsgericht gegen diese Auslegung erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot sind nicht gerechtfertigt. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 6. Juni 2006 - BVerwG 3 B 169.05 - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dargelegt, dass die Einbeziehung von Erwerbsvorgängen aus der Zeit vor Inkrafttreten des 33. LAG-Änderungsgesetzes in den Regelungsbereich des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG keine echte Rückwirkung darstellt, sondern lediglich eine Rückanknüpfung beinhaltet. Der in der Vergangenheit liegende Erwerbsvorgang als solcher wird weder angetastet noch verändert; der Erwerber wird lediglich für die Zukunft für den wegen des Schadensausgleichs zurückzuzahlenden Lastenausgleich mit in Haftung genommen. Eine schutzwürdige Vertrauensposition wird dadurch nicht beeinträchtigt. Die Gewährung des Lastenausgleichs stand stets unter dem Vorbehalt, dass im Falle des Schadensausgleichs eine Rückzahlungspflicht entstehen würde. Diesen Vorbehalt musste auch derjenige in Rechnung stellen, der die Schadensausgleichsleistung vom Rückzahlungspflichtigen ohne angemessene Gegenleistung entgegennahm. Diesen Überlegungen ist das Bundesverfassungsgericht in zwei Kammerentscheidungen vom 7. September 2006 - 1 BvR 1216/06 und 1798/06 - uneingeschränkt gefolgt. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts geben keinen Anlass, davon abzuweichen.

Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich, da das Verwaltungsgericht das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG nicht geprüft hat. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen zur Klärung der Frage, ob der Kläger den Miteigentumsanteil am Grundbesitz in G. ohne angemessene Gegenleistung erlangt hat. Dabei sei zur Klarstellung darauf hingewiesen, dass diese Frage entgegen der Auffassung der Beschwerdestelle nicht allein mit der Begründung bejaht werden kann, die Übernahme der dinglichen Belastungen stelle keine Gegenleistung dar. Vom Fehlen einer angemessenen Gegenleistung kann nur gesprochen werden, wenn der übertragene Grundbesitz unter Berücksichtigung aller Umstände einschließlich der bestehenden dinglichen Belastungen einen Vermögenswert darstellte, der im normalen Geschäftsverkehr nur gegen ein Entgelt überlassen worden wäre.

B e s c h l u s s

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 920,50 EUR festgesetzt.

Vorinstanz: VG Kassel, vom 13.06.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 6 E 54/03
Fundstellen
NVwZ-RR 2007, 469