Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 08.10.2007

3 B 16.07

BVerwG, Beschluß vom 08.10.2007 - Aktenzeichen 3 B 16.07

DRsp Nr. 2007/19452

Gründe:

Die Gegenvorstellung ist unstatthaft. Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. November 2006 ist mit dem Beschluss des Senats vom 13. Juli 2007, mit dem die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen wurde, rechtskräftig geworden (§ 121 VwGO ). Der Senat ist nicht befugt, die Rechtskraft aufgrund einer Gegenvorstellung zu durchbrechen. Das ist im geltenden Prozessrecht nicht vorgesehen. Anlass, die Gegenvorstellung gleichwohl - als ungeschriebenen Rechtsbehelf - zuzulassen, besteht nicht. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass derartige ungeschriebene Rechtsbehelfe früher erwogen worden sind. Nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1887, 1902) und dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3220) kommen derartige außerordentliche Rechtsbehelfe jedoch nicht mehr in Betracht (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 17. Februar 2005 - BVerwG 8 B 9.05 - Buchholz 428 § 37 Nr. 36 und vom 7. August 2007 - BVerwG 3 B 43.07 - m.w.N.).

Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass der Senat die Klägerin ihrem gesetzlichen Richter entzogen hätte (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ). Richtig ist, dass das Bundesverwaltungsgericht als letztinstanzliches Gericht zur Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet ist, wenn seine Entscheidung von der Gültigkeit oder der Auslegung einer Vorschrift des europäischen Gemeinschaftsrechts abhängt (Art. 234 Abs. 3 EG), und dass eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorliegen kann, wenn es dies unterlässt. Die Entscheidung des Senats hing aber nicht von der Gültigkeit oder der Auslegung einer Vorschrift des europäischen Gemeinschaftsrechts ab. Der Senat hatte über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu entscheiden. Dies beurteilte sich nach § 132 Abs. 2 VwGO . Der Senat hat erkannt, dass einer Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt, wenn sie auslaufendes oder ausgelaufenes Recht betrifft. Diese Auslegung entspricht ständiger Rechtsprechung; Fragen zum europäischen Gemeinschaftsrecht warf das nicht auf. Auch die Anwendung auf den vorliegenden Fall warf keine Fragen zur Gültigkeit oder zur Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts auf. Die Klägerin hat zwar die Zulassung der Revision zur Klärung einer Vorschrift des europäischen Gemeinschaftsrechts begehrt. Dass diese Vorschrift längst außer Kraft getreten und in diesem Sinne "ausgelaufen" war, ließ sich aber ohne Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zweifelsfrei feststellen. Ebenso zweifelsfrei stand fest, dass sich die als klärungsbedürftig bezeichnete Frage unter dem geltenden Gemeinschaftsrecht nicht mehr in vergleichbarer Weise stellt.

Damit hat der Senat die Voraussetzungen, unter denen ein letztinstanzlich entscheidendes nationales Gericht nach Art. 234 Abs. 3 EG zur Einholung einer Vorabentscheidung verpflichtet ist, nicht eingeschränkt. Der Klägerin ist beizupflichten, dass eine Vorabentscheidung nicht unterbleiben kann, weil die im Raum stehende Vorlagefrage auslaufendes oder ausgelaufenes Gemeinschaftsrecht betrifft. Die Vorlagefrage muss aber für die anstehende Entscheidung des nationalen Gerichts erheblich sein. Ob das der Fall ist, hat das nationale Gericht in eigener Zuständigkeit zu beurteilen. Hätte der Senat über eine zugelassene Revision entscheiden und hierbei über den geltend gemachten Klaganspruch in der Sache befinden müssen, so wäre die von der Klägerin in Zweifel gezogene Auslegung und Gültigkeit der in Rede stehenden Vorschrift des europäischen Gemeinschaftsrechts erheblich gewesen, und er hätte diese Frage - in den Grenzen der sog. acte-clair-Doktrin (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81, Cilfit - Slg. S. 3415 [Rn. 12 ff.]) - dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen müssen. Daran hätte es nichts geändert, dass die Vorschrift längst außer Kraft getreten und auch nicht durch eine gleich oder ähnlich gelagerte Vorschrift ersetzt worden ist. Anders liegt es hingegen bei der Verfahrensentscheidung, ob die Revision zuzulassen sei, und in diesem Zusammenhang, ob der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzliche Bedeutung zukommt. Für diese Entscheidung erklärt das nationale Recht allein für erheblich, ob die Klärung einer Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren zur Fortentwicklung des Rechts beitragen kann oder ob die Rechtsfrage auslaufendes oder ausgelaufenes Recht betrifft. Hingegen ist unerheblich, in welchem Sinne die Rechtsfrage zu klären sein wird und ob diese Klärung in der alleinigen Zuständigkeit des Revisionsgerichts liegt oder aber die Einholung einer Vorabentscheidung erfordern würde. Richtig ist, dass das deutsche Prozessrecht damit den Zugang zur Revision allein zur Klärung auslaufenden oder ausgelaufenen Gemeinschaftsrechts nicht eröffnet. Das löst allenfalls die Frage aus, ob in derartigen Fällen dann das Berufungsgericht als letztinstanzliches Gericht im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EG anzusehen ist.

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 08.11.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 6 UE 2902/05