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BVerwG - Entscheidung vom 20.03.2007

1 C 34.06

BVerwG, Urteil vom 20.03.2007 - Aktenzeichen 1 C 34.06

DRsp Nr. 2007/11875

Gründe:

I. Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Asylanerkennung und ihrer Flüchtlingsanerkennung (Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG , jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG ).

Die 1977 in Bagdad geborene Klägerin ist irakische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie lebte vor ihrer Ausreise mit ihrem Ehemann in der Gegend von Diala. Im Januar 1997 kam sie mit ihrem Ehemann in die Bundesrepublik Deutschland und beantragte Asyl. Dabei berief sie sich im Wesentlichen auf die Asylgründe ihres Ehemannes. Dieser hatte geltend gemacht, vom irakischen Geheimdienst gezwungen worden zu sein, Kontakte zur Al-Dawa-Partei aufzunehmen, um Informationen über diese Partei und ihre Beziehungen zum Iran zu liefern; er sei zum Schein auf dieses Angebot eingegangen, nach seiner Freilassung aber zusammen mit seiner Ehefrau aus dem Irak geflohen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - stellte mit Bescheid vom 19. Februar 1997 zunächst zugunsten der Klägerin nur fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Auf ein entsprechendes Verpflichtungsurteil des Verwaltungsgerichts erkannte es die Klägerin mit Bescheid vom 27. August 1998 auch als Asylberechtigte an. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts war die Klägerin als kurdische Volkszugehörige im Irak einer Gruppenverfolgung ausgesetzt, ohne dass ihr eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung gestanden hätte. Außerdem drohe ihr wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland die Gefahr politischer Verfolgung durch das dortige Regime.

Im März 2005 teilte das Bundesamt der Klägerin mit, dass es beabsichtige, die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung zu widerrufen, da sich die politische Situation im Irak grundlegend geändert habe. Die Klägerin machte daraufhin geltend, sie habe nach Gewalttätigkeiten ihres Ehemannes den Kontakt zu diesem abgebrochen und um Hilfe für sich und das 1999 geborene gemeinsame Kind im Frauenhaus nachgesucht. Aufgrund der Eheprobleme müsse sie im Falle ihrer Rückkehr in den Irak mit Bedrohung und Belästigung nicht nur von Seiten der Familienangehörigen ihres Ehemannes, sondern auch durch ihre eigene Familie rechnen. Eine Aufnahme in den alten Familienverband sei nicht möglich, da dieser der Auffassung sei, ihr Verhalten sei mit dem islamischen Glauben nicht vereinbar. Darüber hinaus sei ihr als alleinstehender Frau und alleinerziehender Mutter aufgrund der allgemeinen Situation im Irak eine Rückkehr dorthin nicht zumutbar.

Mit Bescheid vom 16. November 2005 widerrief das Bundesamt die Asylanerkennung (Nr. 1 des Bescheides) sowie die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Nr. 2 des Bescheides), und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Nr. 3 des Bescheides) noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen (Nr. 4 des Bescheides). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die politische Situation im Irak habe sich durch die Militäraktion unter Führung der USA seit März 2003 grundsätzlich verändert. Die Baath-Regierung unter Saddam Hussein habe ihre politische und militärische Herrschaft über den Irak verloren. Anhaltspunkte für eine Wiedererlangung der Macht durch dieses Regime gebe es nicht. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, dass von der neu gebildeten irakischen Übergangsregierung politische Verfolgung ausgehe. Die Klägerin habe ferner nicht dargelegt, dass sie der Gefahr nichtstaatlicher politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wenn sie in den Irak zurückkehren müsse.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Widerrufsbescheid des Bundesamts aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, angesichts der hochgradig instabilen Lage im Irak könne von einer dauerhaften und stabilen Änderung der politischen Verhältnisse, die den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung rechtfertige, nicht ausgegangen werden. Außerdem sei der Widerruf unter Verstoß gegen § 73 Abs. 2a AsylVfG nicht als Ermessensentscheidung, sondern als gebundene Entscheidung ergangen. In Altfällen wie dem der Klägerin sei eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift in der Art geboten, dass nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der positiven Statusentscheidung ein Widerruf nur noch im Wege einer Ermessensentscheidung möglich sei.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 28. Juni 2006 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Widerrufsentscheidung des Bundesamts sei rechtmäßig. Das bisherige Regime Saddam Husseins habe seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die im März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren. Eine Rückkehr des alten Regimes sei nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Bildung einer Struktur, die eine vom früheren Regime gesehene Gegnerschaft als solche übernehme und erneut (wiederholend) verfolge. Dies gelte auch nach der Herstellung der Souveränität des Irak im Juni 2004 und mit Blick auf die durch Referendum vom 15. Oktober 2005 angenommene neue Irakische Verfassung sowie die Ende Mai 2006 gebildete neue Regierung unter Beteiligung von Schiiten, Sunniten und Kurden. Damit liege eine nachträgliche entscheidungserhebliche Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse vor, die sowohl die Bindungswirkung des rechtskräftigen, zur Asylanerkennung verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils beende als auch den Widerruf der ursprünglichen Anerkennungen rechtfertige. Dabei könne auf sich beruhen, ob die Klägerin den Irak unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins verlassen habe. Denn sie sei vor einem Wiederaufleben einer gleichartigen Verfolgung hinreichend sicher. Ihr drohe auch nicht aus anderen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneut eine - wie auch immer geartete - Verfolgung im Sinne von Art. 16a GG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG . Greifbare Anhaltspunkte für asylerhebliche Übergriffe von Seiten der neu gebildeten irakischen Regierung oder dem irakischen Staat sonst zurechenbarer Kräfte einschließlich der multinationalen Streitkräfte oder der kurdischen Parteien im Nordirak ließen sich den aktuellen Erkenntnissen nicht entnehmen. Auch für eine nichtstaatliche Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. b und c AufenthG gebe das Vorbringen der Klägerin nichts Tragfähiges her. Soweit es nach wie vor insbesondere zu terroristischen Anschlägen und fortgesetzten offenen Kampfhandlungen zwischen militanter Opposition sowie regulären Sicherheitskräften und Koalitionsstreitkräften komme, sei nicht erkennbar, dass dieses Geschehen bezogen auf die Klägerin an asylerhebliche Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG anknüpfe. Auch § 73 Abs. 2a AsylVfG führe nicht zur Rechtswidrigkeit der Widerrufsentscheidung. Die Norm sei im vorliegenden Fall weder direkt noch analog anwendbar. Im Übrigen könne die Klägerin auch nicht die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 , 3 , 5 oder 7 AufenthG beanspruchen.

Mit der vom Senat beschränkt auf den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen. Sie macht vor allem geltend, die Widerrufsentscheidung hätte nach § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG als Ermessensentscheidung ergehen müssen. Die gebundene Entscheidung, die das Bundesamt getroffen habe, sei daher rechtswidrig.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.

II. Die Revision ist nur teilweise begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat den Widerruf der Asylanerkennung der Klägerin in Übereinstimmung mit Bundesrecht als rechtmäßig angesehen. Insoweit hat die Revision keinen Erfolg (1.). Soweit das Berufungsgericht dagegen auch den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung als rechtmäßig bestätigt hat, ist die Revision begründet (2.). Das Berufungsurteil beruht insoweit auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ). Da der Senat auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend selbst entscheiden kann, ob der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung durch den angefochtenen Bescheid rechtmäßig ist, ist die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO ).

1. Das Berufungsgericht hat den Widerruf der Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte (Nr. 1 des Bescheides) im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig bestätigt.

a) Es ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der angefochtene Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG als gebundene Entscheidung ergehen konnte und nicht nach Maßgabe von § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG eine Ermessensausübung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erforderte. Zwar gilt § 73 Abs. 2a AsylVfG grundsätzlich auch für den nach dem 1. Januar 2005 ausgesprochenen Widerruf von Anerkennungen, die vor diesem Zeitpunkt unanfechtbar geworden sind, allerdings mit der Maßgabe, dass die darin vorgesehene neue Drei-Jahres-Frist, nach deren Ablauf das Bundesamt spätestens erstmals die Widerrufsvoraussetzungen prüfen muss, erst vom 1. Januar 2005 an zu laufen beginnt. Dies hat der Senat im Einzelnen in seinem Urteil vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 1 C 21.06 (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) ausgeführt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Für den Fall der Klägerin bedeutet dies, dass § 73 Abs. 2a AsylVfG zwar auf den angefochtenen Widerrufsbescheid anwendbar ist, dass aber die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung des Bundesamts in ihrem Fall nicht erfüllt sind, weil es an der erforderlichen vorherigen Prüfung und Verneinung der Widerrufsvoraussetzungen durch das Bundesamt fehlt. Eine solche Negativentscheidung ist auch nicht etwa pflichtwidrig unterblieben, denn die ab 1. Januar 2005 laufende Drei-Jahres-Frist war zum Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht abgelaufen. Es kann deshalb offen bleiben, welche Rechtsfolgen sich an eine pflichtwidrige Unterlassung der Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG knüpfen, insbesondere, ob diese Prüfungspflicht nur im öffentlichen Interesse oder nicht zumindest auch im Interesse des anerkannten Asylberechtigten oder Flüchtlings besteht.

b) Auch das Vorliegen der sonstigen formellen Voraussetzungen für den Widerruf hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler bejaht. Weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit des Widerrufs im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG bestehen gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides Bedenken. Denn das Gebot der Unverzüglichkeit des Widerrufs dient ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 13 m.w.N.). Ob die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG auch in Widerrufsverfahren nach § 73 Abs. 1 AsylVfG gilt, bedarf hier weiterhin keiner Entscheidung, da die Jahresfrist, die frühestens nach einer Anhörung der Klägerin mit angemessener Frist zur Stellungnahme zu laufen beginnt (stRspr, vgl. ebenfalls Urteil vom 18. Juli 2006 aaO. und Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 = juris Rn. 43), hier eingehalten wäre. Das Bundesamt hat nämlich die Anerkennung mit Bescheid vom 16. November 2005 widerrufen, nachdem es die Klägerin mit Schreiben vom 11. März 2005 angehört und ihr eine einmonatige Frist zur Stellungnahme gesetzt hatte.

c) Das Berufungsgericht hat ferner das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für den Widerruf der Asylberechtigung der Klägerin im Ergebnis zu Recht bejaht.

aa) Rechtsgrundlage für den Widerruf der Asylanerkennung (Nr. 1 des Bescheides) ist § 73 Abs. 1 AsylVfG in der Fassung des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes. Danach ist - vorbehaltlich des Satzes 3 - die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen (Flüchtlingsanerkennung), unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Dass gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung im Hinblick auf das Grundrecht auf Asyl in Art. 16a GG keine Bedenken bestehen, hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. Urteil vom 1. November 2005 aaO. juris Rn. 15 m.w.N.; ebenso BVerfG, Beschluss vom 26. September 2006 - 2 BvR 1731/04 - juris). Die abstrakten Anforderungen an den Wegfall der Voraussetzungen im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind im Übrigen für die Asylanerkennung und die Flüchtlingsanerkennung dieselben (vgl. Urteil vom 1. November 2005 aaO. juris Rn. 17). Unabhängig davon bleibt zu beachten, dass die Voraussetzungen für die Asylanerkennung und die Flüchtlingsanerkennung selbst und damit auch die Voraussetzungen für den Widerruf beider Anerkennungen - etwa hinsichtlich der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure - voneinander abweichen.

Die Anerkennung ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG insbesondere zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 1. November 2005 aaO. Rn. 17 m.w.N. und Urteil vom 18. Juli 2006 aaO. Rn. 16). Beruft sich der Asylberechtigte darauf, dass ihm bei der Rückkehr in seinen Heimatstaat nunmehr eine gänzlich neue und andersartige Verfolgung drohe, ist dabei der allgemeine Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 aaO. Leitsatz 2 und Rn. 26 f. zur Flüchtlingsanerkennung). Ändert sich im Nachhinein lediglich die Beurteilung der Verfolgungslage, so rechtfertigt dies den Widerruf nicht (vgl. Urteil vom 1. November 2005 aaO. Rn.17 und Urteil vom 18. Juli 2006 aaO. Rn. 26, jeweils m.w.N.). Wegen der weiteren Einzelheiten zur Auslegung von § 73 Abs. 1 AsylVfG wird wiederum auf das Urteil des Senats vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 1 C 21.06 Bezug genommen.

bb) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner im Revisionsverfahren nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und für das Revisionsgericht bindenden (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO ) tatrichterlichen Feststellungen und Prognosen annehmen, dass die für die Asylanerkennung maßgebliche Gefahr einer Gruppenverfolgung kurdischer Volkszugehöriger und einer Verfolgung wegen der Asylantragstellung der Klägerin in Deutschland nach der Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein inzwischen weggefallen ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat dieses Regime seine politische und militärische Herrschaft über den Irak durch die am 20. März 2003 begonnene Militäraktion unter Führung der USA endgültig verloren. Eine Rückkehr des alten Regimes ist demzufolge nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die "Bildung einer Struktur, die eine vom früheren Regime gesehene Gegnerschaft als solche übernehme" und erneut (wiederholend) verfolgt (UA S. 6). Die Klägerin ist nach diesen Feststellungen vor einer Wiederholung der der Asylanerkennung zugrunde liegenden Verfolgung künftig hinreichend sicher. Dass bei einer erheblichen nachträglichen Änderung der Sachlage, wie sie ein Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG voraussetzt, auch die Bindungswirkung des zuvor ergangenen rechtskräftigen Verpflichtungsurteils auf Asylanerkennung endet und damit einem Widerruf nicht entgegensteht, hat das Berufungsgericht im Übrigen zutreffend ausgeführt.

Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass der Klägerin nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aus anderen Gründen politische Verfolgung im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG droht, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Danach bestehen weder für eine Verfolgung durch die im Mai 2006 gebildete neue irakische Regierung oder ihr zurechenbare Kräfte noch für eine - möglicherweise quasistaatliche - Verfolgung durch die multinationalen Streitkräfte oder durch die kurdischen Parteien im Nordirak irgendwelche Anhaltspunkte. Diese nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen tragen den Schluss, dass die Klägerin nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit andersartiger asylerheblicher Verfolgung von staatlicher oder quasistaatlicher Seite ausgesetzt wäre. Die Klägerin hat sich selbst nicht substantiiert auf eine derartige Verfolgung berufen. Ihr Vorbringen zur Bedrohung durch ihre Familienangehörigen oder die ihres Ehemannes sowie zur Gefährdung als alleinstehende Frau und alleinerziehende Mutter ohne den Schutz eines Familienverbandes bezieht sich ersichtlich nur auf eine Gefährdung durch nichtstaatliche Akteure (vgl. unten 2. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung).

Ferner scheitert der Widerruf der Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte auch nicht am Fehlen jeglicher staatlicher oder quasistaatlicher Herrschaftsmacht im Irak im Sinne einer übergreifenden prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtigen Ordnung von gewisser Dauer (vgl. hierzu Urteil vom 20. Februar 2001 - BVerwG 9 C 20.00 - BVerwGE 114, 16 [21 ff.]). Es kann (weiterhin) offen bleiben, ob das völlige Fehlen einer solchen Herrschaftsmacht im Herkunftsstaat - unabhängig vom Wegfall der Verfolgungsgefahr - dem Widerruf der Anerkennung entgegenstünde (vgl. auch Urteil vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 1 C 21.06). Denn die aufgrund der Wahlen im Dezember 2005 gebildete neue irakische Regierung übt - wie sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts in Verbindung mit im Revisionsverfahren berücksichtigungsfähigen unstreitigen allgemeinkundigen Tatsachen (vgl. Urteil vom 20. Oktober 1992 - BVerwG 9 C 77.91 - BVerwGE 91, 104 [106 f.]) ergibt - mit Hilfe der multinationalen Streitkräfte jedenfalls in Teilen des Staatsgebiets eine De-facto-Gebietsgewalt im Sinne einer übergreifenden prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtigen Ordnung von gewisser Dauer aus, wie es nach der Rechtsprechung des Senats für das Bestehen staatlicher oder quasistaatlicher Gewalt - etwa auch im fortdauernden Bürgerkrieg - ausreicht (vgl. Urteil vom 20. Februar 2001 aaO., Urteil vom 1. November 2005 aaO. Rn. 28 und Urteil vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 1 C 21.06). Zwar hat das Berufungsgericht bei der Prüfung, ob der Klägerin nunmehr eine andersartige Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG droht, offen gelassen, ob es sich bei der neu gebildeten irakischen Regierung überhaupt um ein zur politischen Verfolgung fähiges Machtgebilde mit einer prinzipiell schutz- und verfolgungsmächtigen Ordnung von gewisser Stabilität handelt (UA S. 12 f.). Die an anderer Stelle getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts über die seit Wiederherstellung der Souveränität des Irak im Juni 2004 aufgebauten staatlichen Strukturen (UA S. 6 f.) und den Einsatz der multinationalen Streitkräfte belegen aber hinreichend, dass die irakische Regierung jedenfalls mit Hilfe der multinationalen Streitkräfte eine effektive staatliche oder staatsähnliche Gewalt im Sinne der genannten Rechtsprechung zumindest in Teilen des Staatsgebiets inne hat. Dies wird durch die allgemeinkundige und in der mündlichen Verhandlung erörterte unstreitige Tatsache bestätigt, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf Bitten der irakischen Regierung mit der Resolution 1723 vom 28. November 2006 das Mandat der multinationalen Streitkräfte um ein Jahr bis Ende 2007 verlängert hat. Trotz der vom Berufungsgericht festgestellten inneren Bedrohung durch terroristische Anschläge und fortgesetzte offene Kampfhandlungen militanter Opposition kann deshalb derzeit nicht von einem völligen Fehlen prinzipiell verfolgungs- und schutzmächtiger staatlicher oder quasistaatlicher Gewalt im Irak ausgegangen werden. Eine etwaige Verfolgung durch die irakische Regierung oder ihr zurechenbare Kräfte wäre danach ohne weiteres auch als staatliche Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG zu qualifizieren.

Das Berufungsgericht hat ferner zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Absehen vom Widerruf aus Gründen früherer Verfolgung nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG verneint. Es hat mithin den Widerruf der Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte im Ergebnis zutreffend als rechtmäßig bestätigt.

2. Hinsichtlich des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung (Nr. 2 und 3 des Bescheides) hält das Berufungsurteil dagegen einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

a) Allerdings ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass auch der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nicht schon wegen Verstoßes gegen § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG rechtswidrig ist und auch die übrigen formellen Voraussetzungen für den Widerruf vorliegen (vgl. oben zu 1. a und b).

b) Das angefochtene Urteil verfehlt auch nicht bereits im Ansatz die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Maßstäbe zur Auslegung der Widerrufsermächtigung in § 73 Abs. 1 AsylVfG . Wegen dieser Maßstäbe wird wiederum auf die vorstehenden Ausführungen im Rahmen des Widerrufs der Asylberechtigung (oben zu 1. c unter Hinweis auf das Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren BVerwG 1 C 21.06) verwiesen, die für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung entsprechend gelten.

An diesen Grundsätzen ist auch in Ansehung der am 20. Oktober 2004 in Kraft getretenen Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl Nr. L 304/12 vom 30. September 2004) - Qualifikationsrichtlinie -, die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 (Art. 38 Abs. 1) grundsätzlich unmittelbar anzuwenden ist, festzuhalten. Die den Widerruf betreffenden Bestimmungen der Richtlinie über die Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft (Art. 14 i.V.m. Art. 11) sind im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar. Denn sie gelten gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie nur bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gestellt wurden. Der dem hier streitigen Widerruf zugrunde liegende Asylantrag wurde von der Klägerin aber bereits 1997 und damit vor Inkrafttreten der Richtlinie gestellt. Abgesehen davon ist auch nicht erkennbar, dass sich für den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft aus Art. 14 i.V.m. Art. 11 der Richtlinie, der wörtlich an die entsprechenden Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention anknüpft, inhaltlich etwas anderes ergibt als aus § 73 Abs. 1 AsylVfG , der nach der Rechtsprechung des Senats ebenfalls im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 und 6 GFK auszulegen und anzuwenden ist (vgl. Urteil vom 1. November 2005 aaO. Rn.19 bis 24 und Urteil vom 18. Juli 2006 aaO. Rn. 15). Soweit im Rahmen der Widerrufsvoraussetzungen inzident zu prüfen ist, ob dem anerkannten Flüchtling nach Wegfall der ursprünglichen Verfolgung nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht, sind die wesentlichen Inhalte der Bestimmungen der Richtlinie über Neuanträge auf Anerkennung als Flüchtling bereits durch § 60 Abs. 1 AufenthG in nationales Recht umgesetzt und deshalb ohnehin zu beachten. Auch hinsichtlich des allgemeinen Prognosemaßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der nach den oben angeführten Grundsätzen bei der Prüfung einer neuen, andersartigen Verfolgungsgefahr anzuwenden ist, ergibt sich aus diesen Bestimmungen der Richtlinie nichts Abweichendes. Dieser Maßstab entspricht im Wesentlichen dem von der Richtlinie vorausgesetzten und auch in der Flüchtlingsdefinition ("begründete Furcht vor Verfolgung", vgl. auch Art. 2 Buchst. c der Richtlinie) angelegten Maßstab. Die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie vorgesehene Beweiserleichterung auf tatsächlicher Ebene greift nur im Falle einer Vorverfolgung ein.

c) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner im Revisionsverfahren nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und für das Revisionsgericht bindenden (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO ) tatrichterlichen Feststellungen und Prognosen annehmen, dass die im Anerkennungsbescheid angenommene ursprüngliche Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in den Irak mit der Beseitigung des Saddam-Regimes inzwischen weggefallen ist und insofern die dargelegten Voraussetzungen für einen Widerruf vorliegen (vgl. oben zu 1. c) bb) erster Absatz). Im Ergebnis zu Recht durfte es auch davon ausgehen, dass der Ausnahmefall einer auf der früheren Verfolgung beruhenden unzumutbaren Rückkehr im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG hier nicht geltend gemacht und auch sonst nicht in Betracht zu ziehen ist.

d) Hingegen sind die Erwägungen des Berufungsgerichts dazu, dass der Klägerin - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung im Juni 2006 - bei einer Rückkehr in den Irak nicht erneut eine (andere) Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG droht, mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang vereinbar. Das Berufungsgericht hat zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend geprüft, ob der Klägerin nach Wegfall der der Anerkennung zugrunde liegenden Verfolgung nunmehr bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine anders geartete Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG droht. Es hat hierbei in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Gefahr einer derzeitigen staatlichen oder quasistaatlichen Verfolgung der Klägerin verneint (vgl. oben zu 1. c) bb) zweiter Absatz). Hinsichtlich einer Verfolgung der Klägerin durch nichtstaatliche Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG genügen dagegen die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht den Anforderungen, die an die Prüfung der von der Klägerin geltend gemachten geschlechtsspezifischen Verfolgung durch private Akteure zu stellen sind.

Die Klägerin hat sich im behördlichen Widerrufsverfahren sowohl auf Bedrohung und Belästigung durch die Familie ihres - inzwischen getrennt lebenden - Ehemannes und ihre eigene Familie im Irak als auch auf Gefährdungen als alleinstehende Frau und alleinerziehende Mutter, die aus dem Familienverband verstoßen worden ist, berufen und sich hierzu auf ein Positionspapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 9. Juni 2004 bezogen (Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 11. April 2005). Auf diesen Vortrag hat ihr Prozessbevollmächtigter auch im Klage- und Berufungsverfahren jeweils verwiesen. Das Berufungsgericht hätte deshalb nicht ohne jegliche Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen und der angeführten Erkenntnisquelle eine Verfolgung durch private Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG verneinen dürfen. Auch wenn es die behauptete "Bedrohung und Belästigung" durch Familienangehörige möglicherweise als nicht hinreichend substantiiert oder - mangels Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG - als rechtlich unerheblich angesehen haben sollte, hätte es doch jedenfalls auf die ebenfalls geltend gemachte Gefahr geschlechtsspezifischer Verfolgung für alleinstehende Frauen und alleinerziehende Mütter ohne Unterstützung des Familienverbandes eingehen und sich mit der einschlägigen Auskunftslage, ggf. auch nach Durchführung weiterer Aufklärungsmaßnahmen, auseinandersetzen müssen. Da das Berufungsgericht die Frage einer geschlechtsspezifischen Verfolgung der Klägerin mithin auf zu schmaler Tatsachengrundlage geprüft und verneint hat, wird es dies im erneuten Berufungsverfahren nachholen müssen. Es wird dabei auch Feststellungen dazu treffen müssen, ob die Klägerin, wie sie vorträgt, bei einer Rückkehr in den Irak nicht auf den Schutz durch Familienangehörige zurückgreifen kann.

Über das Hilfsbegehren der Klägerin auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 , 3 , 5 und 7 AufenthG ist durch das Berufungsurteil bereits rechtskräftig - wenn auch auflösend bedingt durch den Erfolg der Klägerin mit ihrem Hauptantrag - entschieden (vgl. den Zulassungsbeschluss des Senats vom 26. Oktober 2006 - BVerwG 1 B 143.06 - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO . Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG .

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 28.06.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 9 A 259/06