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BVerfG - Entscheidung vom 24.01.2007

2 BvR 1133/04

Normen:
GG Art. 2 Abs. 1
HZÜ Art. 13

Fundstellen:
WM 2007, 375

BVerfG, Beschluss vom 24.01.2007 - Aktenzeichen 2 BvR 1133/04

DRsp Nr. 2007/10840

Verfassungsmäßigkeit von Zustellungen nach dem Haager Zustellungsübereinkommen

1. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die Verweigerung der Zustellung auf Grundlage des Art. 13 HZÜ nur unter engen Voraussetzungen, nämlich nur dann, wenn die Hoheitsrechte oder die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet sind, zulässig sein soll. Dies ist durch das Interesse an einer schnellen und effektiven Rechtshilfe bei gerichtlichen Zustellungen gerechtfertigt.2. Nach dem Haager Zustellungsübereinkommen ist es nicht die Aufgabe der deutschen Behörden, eine ausländische Klage nach dem einschlägigen Prozessrecht des ersuchenden Staats auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 1 ; HZÜ Art. 13 ;

Gründe:

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die im Wege der Rechtshilfe beantragte Zustellung einer Klage auf Schadensersatz und Strafschadensersatz, mit der sie vor einem Gericht der Vereinigten Staaten von Amerika in Anspruch genommen werden soll. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrte sie, das Zustellungszeugnis nicht herauszugeben oder an die ersuchende Behörde zurückzureichen. Dieser Antrag wurde mit Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 2004 abgelehnt (BVerfGK 3, 259 ff.).

I. 1. Ein ehemaliger leitender Angestellter hat das puertoricanische Tochterunternehmen der Beschwerdeführerin vor dem für Puerto Rico zuständigen Bundesgericht der Vereinigten Staaten von Amerika auf Schadensersatz und Strafschadensersatz in Höhe von mindestens 11.114.500,00 US-Dollar verklagt. Er macht wegen seiner Entlassung und Nichtberücksichtigung bei der Besetzung einer Führungsposition eine Verletzung des Altersdiskriminierungsgesetzes im Angestelltenverhältnis des Abschnitts VII des Bundesgesetzes von 1964 über die Bürgerrechte geltend. Zusätzlich zu seinem direkten Arbeitgeber richtet sich die Klage auch gegen die Beschwerdeführerin sowie ihr U.S.-amerikanisches und ihr mexikanisches Tochterunternehmen.

Die U.S.-amerikanische Klageschrift vom 19. September 2003 wurde der Beschwerdeführerin im Wege der Rechtshilfe auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (Haager Zustellungsübereinkommen - HZÜ; BGBl 1977 II S. 1452) durch den Präsidenten des Amtsgerichts Darmstadt als der für das Land Hessen zuständigen Behörde auf der Grundlage seiner Zustellungsanordnung vom 22. März 2004 zugestellt.

2. Mit Schriftsatz vom 29. April 2004 stellte die Beschwerdeführerin beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main einen Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG mit dem Ziel, die Entscheidung über die Zustellung aufzuheben.

Das Oberlandesgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 1. Juni 2004 zurück. Die Voraussetzungen des ordre-public-Vorbehalts aus § 13 HZÜ lägen nicht vor. Die Vorschrift könne nur angewendet werden, wenn die Zustellung besonders schwere Beeinträchtigungen der Wertungsgrundlagen der Rechtsordnung des ersuchten Staates mit sich bringen würde. Diese enge Auslegung des § 13 HZÜ sei auch von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gedeckt, insbesondere mit den im Beschluss des Zweiten Senats vom 25. Juli 2003 (BVerfGE 108, 238 ff.) enthaltenen Maßstäben vereinbar. Im vorliegenden Fall könne nicht von einer exorbitant hohen und jeglicher sachlicher Grundlage entbehrenden Schadensersatzforderung gesprochen werden. Vielmehr habe der Kläger des U.S.-amerikanischen Ausgangsverfahrens die geltend gemachte Klagesumme im Einzelnen substantiiert dargelegt. Auch bestünden keine Hinweise, dass das Verfahren in den Vereinigten Staaten nicht zum Zwecke der Rechtsverfolgung betrieben werde. Für einen offensichtlichen Rechtsmissbrauch gebe es keine ausreichenden Anhaltspunkte. Dass die Beschwerdeführerin ihre Argumente gegen den klageweise geltend gemachten Anspruch nunmehr in einem Gerichtsverfahren in den Vereinigten Staaten geltend machen müsse, könne daran - auch im Hinblick auf ein möglicherweise drohendes pre-trial discovery-Verfahren - nichts ändern.

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sowie - hilfsweise - aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 GG .

Die gegen sie in den Vereinigten Staaten erhobene Klage sei evident unzulässig, weil deren Prozessvoraussetzungen nicht vorlägen. Die Klage sei vielmehr mit dem Ziel erhoben worden, den "Abkauf eines spezifischen Lästigkeitswerts" zu erpressen. Die Höhe der Klage sei insoweit unerheblich, weil Grundrechtsschutz unabhängig von der Existenzbedrohung eines Unternehmens zu gewähren sei. Insbesondere durch die Zustellung einer U.S.-amerikanischen Zivilklage und deren Rechtsfolgen werde bereits in die grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre des Zustellungsempfängers eingegriffen.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht nach § 93a Abs. 2 BVerfGG zur Entscheidung anzunehmen. Weder kommt ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist sie zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG .

a) Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne (BVerfGE 80, 137 [152] m.w.N.). Diese kann auf der Grundlage des Haager Zustellungsübereinkommens, dem der Deutsche Bundestag mit Gesetz vom 22. Dezember 1977 zugestimmt hat, eingeschränkt werden. Das Übereinkommen dient wichtigen Belangen des Gemeinwohls, die geeignet sind, einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 91, 335 [339 ff.]). Der deutsche Staat schützt den Bürger, der sich im internationalen Rechtsverkehr bewegt, nicht vor der Verantwortlichkeit in einer fremden Rechtsordnung. Vielmehr unterstützt der Staat die Durchsetzung des ausländischen Regelungsanspruchs auch gegen eigene Staatsbürger und in der Erwartung einer gegenseitig gewährten Rechtshilfe.

Auch dass die Verweigerung der Zustellung auf Grundlage des Art. 13 HZÜ nur unter engen Voraussetzungen, nämlich nur, wenn die Hoheitsrechte oder die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet sind, zulässig sein soll, ist durch das Interesse an einer schnellen und effektiven Rechtshilfe bei gerichtlichen Zustellungen gerechtfertigt und verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfGE 91, 335 [340]). Es liefe dem Grundsatz zuwider, dass fremde Rechtsanschauungen und -ordnungen grundsätzlich zu achten sind, auch wenn sie im Einzelfall mit den deutschen Auffassungen nicht übereinstimmen, wenn eine generelle Überprüfung ausländischer Klagen am Maßstab der deutschen Rechtsordnung vorgenommen würde (vgl. BVerfGE 108, 238 [247 f.]). Andernfalls könnte die materielle Prüfung des Zustellungsersuchens zu Verzögerungen bei der Zustellung oder, wegen der Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Rechtsauffassungen, zu einer Vereitelung der Zustellung führen, die durch das Haager Zustellungsübereinkommen gerade ausgeschlossen werden sollten.

Trotz der grundsätzlichen Entscheidung zu Gunsten der Zustellung der ausländischen Klage ist die Vorbehaltsklausel des Art. 13 HZÜ nicht inhaltsleer. Eine Grenze muss dort als erreicht angesehen werden, wo das mit der Klage verfolgte Ziel "offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstieße" (BVerfGE 91, 335 [343]; 108, 238 [247]). Die Möglichkeit der Verhängung von Strafschadensersatz (punitive damages) verletzt noch nicht unverzichtbare rechtsstaatliche Grundsätze (BVerfGE 91, 335 [343 f.]). Bei Forderungen von Strafschadensersatz in für einen Beschwerdeführer existenzgefährdender Höhe oder bei Sammelklagen (class action) mit einer unübersehbaren Anzahl von Klägern, einer entsprechenden Klageforderung und einer begleitenden Medienkampagne scheint die Unvereinbarkeit einer Zustellung mit unverzichtbaren Grundsätzen eines freiheitlichen Rechtsstaates aber jedenfalls dann nicht schlechthin ausgeschlossen zu sein, wenn diese Forderungen als offensichtlich rechtsmissbräuchlich erscheinen.

Ein evidenter Rechtsmissbrauch durch die Klageerhebung und deren Zustellung in Deutschland ist vorliegend nicht ersichtlich. Das Oberlandesgericht setzt sich in den Gründen seines Beschlusses ausführlich mit der Entscheidung des Zweiten Senats vom 25. Juli 2003 (BVerfGE 108, 238 ff.) auseinander und grenzt den vorliegenden Fall von diesem Verfahren ab. Die Klage betrifft keine Sammelklage. Kläger ist ein einzelner ehemaliger leitender Angestellter eines Tochterunternehmens der Beschwerdeführerin. Die geltend gemachte Schadensersatzsumme beläuft sich zwar auf einen beachtlichen Betrag, dieser steht aber nicht ohne jeden Bezug zur behaupteten Rechtsverletzung und dem behaupteten Schaden. Der Kläger hat in der Klageschrift im Einzelnen aufgeschlüsselt, aus welchen Posten sich seine Forderung zusammensetzt.

b) Ihren Vorwurf, die Klagezustellung diene allein dazu, sie zu einem Vergleich zu bewegen, sucht die Beschwerdeführerin dadurch zu belegen, dass sie die Klage als offensichtlich unzulässig bezeichnet. Nach dem Haager Zustellungsübereinkommen ist es aber nicht die Aufgabe der deutschen Behörden, eine ausländische Klage nach dem einschlägigen Prozessrecht des ersuchenden Staats auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen. Die Formalisierung des Zustellungsverfahrens will zur Förderung des zwischenstaatlichen Rechtsverkehrs vielmehr gerade ausschließen, dass eine Prüfung vorgenommen wird. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann den deutschen Behörden kein Vorwurf eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit gemacht werden, wenn sie die prozessrechtlichen Grundlagen des ausländischen Rechts bei der Zustellung der Klage in Deutschland nicht überprüfen.

c) Auch die Unterwerfung unter eine "pre-trial discovery", ein zwischen Klageerhebung und mündlicher Verhandlung durchgeführtes Beweis- und Beweisermittlungsverfahren (vgl. auch BGHZ 118, 312 [323]), stellt keinen offensichtlichen Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats dar. Zwar kann ein solches Verfahren in Richtung einer "Ausforschung" des Gegners ausgestaltet werden (vgl. Hay, US-amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rn. 189), die reine Möglichkeit verstößt aber im Verfahren der Klagezustellung nicht gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung. Vor einer konkreten gegen die Beschwerdeführerin gerichteten Beweisaufnahme bedarf es weiterer Rechtshilfeentscheidungen deutscher Hoheitsträger, bei denen die Rechte der Beschwerdeführerin zu beachten sind. Sie wird durch die Eröffnung der Möglichkeit eines pre-trial discovery-Verfahrens durch eine Klagezustellung in Deutschland nicht zugleich schutzlos einer Ausforschung ausgeliefert.

d) Dass die Beschwerdeführerin ihre außergerichtlichen Kosten, das heißt in erster Linie ihre Anwaltskosten, nicht ersetzt bekommt, selbst wenn die U.S.-amerikanische Klage sich später als unzulässig herausstellen sollte (vgl. dazu Hay, aaO., Rn. 154), begründet ebenfalls keinen Verstoß gegen unverzichtbare rechtsstaatliche Grundsätze. Die Risiken gerichtlicher Entscheidungen, die sich in prozessualer und materieller Hinsicht von deutschem Recht unterscheiden, hat ein Unternehmer, der grenzüberschreitend am Wirtschaftsleben teilnimmt, grundsätzlich zu tragen. Fehlende Kostenerstattung für die obsiegende Partei ist dem deutschen Recht außerdem nicht völlig fremd. Gemäß § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG erhält die im ersten Rechtszug des Urteilsverfahrens obsiegende Partei im Arbeitsgerichtsprozess ebenfalls keine Erstattung ihrer Anwalts- und sonstigen Verfahrenskosten, ohne dass dies verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.

2. Eine Verletzung in Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich, weil einer Klagezustellung keine berufsregelnde Tendenz zukommt. Auch eine Verletzung in Art. 14 Abs. 1 GG scheidet mangels einer gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenheit in von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgütern durch den Akt der Klagezustellung aus. Die Zustellung einer Klage - unabhängig davon, ob es sich um eine inländische oder eine ausländische Klage handelt - bezieht den Empfänger in ein Gerichtsverfahren ein, trifft aber keine Entscheidung über den Ausgang des Verfahrens.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 01.06.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 20 VA 1/04
Vorinstanz: AG Darmstadt, vom 22.03.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 3 AR 44/04
Fundstellen
WM 2007, 375