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BVerfG - Entscheidung vom 14.08.2007

2 BvR 760/07

Normen:
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
StPO § 354 Abs. 1a

Fundstellen:
NStZ 2007, 710
StV 2007, 561

BVerfG, Beschluss vom 14.08.2007 - Aktenzeichen 2 BvR 760/07

DRsp Nr. 2007/16254

Verfassungsmäßigkeit einer eigenen Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts

1. Entscheidungen der Revisionsgerichte im Bereich der Strafzumessung sind verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn dem Angeklagten im Revisionsverfahren ausreichend Gelegenheit gegeben wird, Gründe, die gegen eine solche Entscheidung sprechen können, vorzutragen (BVerfG - 2 BvR 1447/05, 136/05 - 14.06.2007).2. Diese Grundsätze gelten nicht nur für eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts nach § 354 Abs. 1a S. 1, sondern auch für die Entscheidungsmöglichkeit nach § 354 Abs. 1a S. 2 StPO .3. Eine Anwendung des § 354 Abs. 1a S. 2 StPO scheidet zur Kompensation von im Revisionsverfahren eingetretenen Verzögerungen, die durch die Justizorgane verursacht wurden, nicht generell aus. Eine eigene Entscheidung des Revisionsgerichts kann sogar veranlasst sein, wenn eine Zurückverweisung der Strafsache an das Tatgericht das Verfahren weiter in einer für den Angeklagten unzumutbaren Weise verzögern würde.

Normenkette:

GG Art. 101 Abs. 1 S. 2 ; StPO § 354 Abs. 1a ;

Gründe:

Ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

In seinem Beschluss vom 14. Juni 2007 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, dass Entscheidungen der Revisionsgerichte im Bereich der Strafzumessung dann im Einklang mit der Verfassung stehen, wenn dem Angeklagten im Revisionsverfahren ausreichend Gelegenheit gegeben wird, Gründe, die gegen eine solche Entscheidung sprechen könnten, vorzutragen. Sind diese Gründe stichhaltig, muss das Revisionsgericht von einer eigenen Entscheidung absehen. Anderenfalls werden grundrechtliche Positionen des Angeklagten, insbesondere sein Anspruch auf ein faires Verfahren, verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 1447/05 und 2 BvR 136/05 -, Absatz-Nr. 92-96; www.bverfg.de/entscheidungen).

Diese Maßstäbe hat das Bundesverfassungsgericht zwar für eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts nach § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO entwickelt. Sie gelten genauso aber auch für die Entscheidungsmöglichkeit nach § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO . Diese Regelung unterscheidet sich von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO nicht strukturell, sondern nur durch die Art der Rechtsfolgenentscheidung. Während nach Satz 1 des § 354 Abs. 1a StPO das Revisionsgericht eine als angemessen empfundene Strafe aufrechterhält, senkt es diese im Fall des Satz 2 der Vorschrift auf das aus seiner Sicht erforderliche Maß herab.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers scheidet eine Anwendung des § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO zur Kompensation von im Revisionsverfahren eingetretenen Verzögerungen, die durch die Justizorgane verursacht wurden, nicht generell aus. Vielmehr kann eine eigene Entscheidung des Revisionsgerichts sogar veranlasst sein, wenn eine Zurückverweisung der Strafsache an das Tatgericht das Verfahren weiter - in einer für den Angeklagten unzumutbaren Weise - verzögern würde (vgl. BGH, NStZ 1997, S. 29 ). Eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts wird nur dann nicht in Betracht kommen, wenn ihm die tatsächlichen Grundlagen für eine Strafzumessung fehlen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Verzögerungen im Revisionsverfahren zu einer außergewöhnlichen, vom Revisionsgericht nicht vorherzusehenden und zu kalkulierenden Belastung des Angeklagten geführt haben. Ergeben sich Hinweise auf solche neuen Umstände, hat das Revisionsgericht deren Aufklärung und Würdigung den Tatgerichten zu überlassen. Entscheidet es gleichwohl in willkürlicher Weise selbst, verstößt es nicht nur gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, sondern verletzt auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG führt.

Hinweise darauf, dass der Bundesgerichtshof seine Sachentscheidungskompetenz willkürlich zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgeübt hätte, liegen nicht vor. Das Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass der Strafsenat im Rahmen der Hauptverhandlung auf ihm nicht bekannte Strafzumessungsumstände hingewiesen worden wäre. Der Vortrag in der Verfassungsbeschwerde zeigt zwar auf, dass sich die Verteidigerin gegen die rechtliche Möglichkeit einer Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO gewandt hat, belegt aber nicht, ob sie dem Bundesgerichtshof auch die aus ihrer Sicht einer solchen Entscheidung entgegenstehenden tatsächlichen Argumente vermittelt hat.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: BGH, vom 08.02.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 3 StR 494/06
Fundstellen
NStZ 2007, 710
StV 2007, 561