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BVerfG - Entscheidung vom 20.03.2007

2 BvR 51/07

Normen:
GG Art. 12 Abs. 1
RVG § 51 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
JurBüro 2007, 529
NJW 2007, 3420
NStZ-RR 2007, 359
Rpfleger 2007, 680

BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 - Aktenzeichen 2 BvR 51/07

DRsp Nr. 2007/9287

Verfassungsmäßigkeit der Versagung einer Pauschgebühr

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein Oberlandesgericht den Antrag eines Pflichtverteidigers auf Bewilligung einer Pauschgebühr mit der Begründung ablehnt, dass neben einem besonders schwierigen oder umfangreichen Verfahren weiterhin Voraussetzung die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren sei, und dies mit nicht sachfremden Argumenten verneint.

Normenkette:

GG Art. 12 Abs. 1 ; RVG § 51 Abs. 1 S. 1 ;

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Die Ablehnung der Bewilligung der Pauschgebühr verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG .

2. Prüfungsmaßstab sind die in der Verfassungsgerichtsrechtsprechung für den Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers entwickelten Grundsätze. Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Sinn der Pflichtverteidigung ist es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Ihr Zweck besteht ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfGE 39, 238 [241 f.]; 68, 237 [253 f.]). Angesichts der umfassenden Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers für die Wahrnehmung dieser im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe hat der Gesetzgeber die Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht angesehen, sondern den Pflichtverteidiger honoriert. Dass sein Vergütungsanspruch unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist (BVerfGE 68, 237 [253 ff.]). In Strafsachen, die die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, gewinnt die Höhe des Entgelts für den Pflichtverteidiger existenzielle Bedeutung. Für solche besonderen Fallkonstellationen gebietet das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung eine Regelung, die sicherstellt, dass ihm die Verteidigung kein unzumutbares Opfer abverlangt (vgl. BVerfGE 68, 237 [255]). Dieses Ziel stellt § 51 Abs. 1 RVG sicher (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. August 2005 - 2 BvR 896/05 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Februar 2005 - 2 BvR 2456/04 -, juris; Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. Dezember 2005 - 2 ARs 154/05 -, juris).

3. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Versagung der Pauschgebühr durch das Oberlandesgericht mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts lässt keine sachfremden Erwägungen erkennen, trägt dem Bedeutungsgehalt des Grundrechts auf Berufsausübungsfreiheit Rechnung und wahrt die Grenze der kostenrechtlichen Zumutbarkeit.

a) Soweit das Oberlandesgericht darauf abstellt, dass die Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG neben einem besonders schwierigen oder besonders umfangreichen Verfahren zusätzlich die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren voraussetzt (offen lassend: Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. Oktober 2005 - 2 (s) Sbd VIII - 196/05, 2 (s) Sbd 8 - 196/05 -, juris; Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. August 2005 - 2 (s) Sbd VIII - 168/05, 2 (s) Sbd 8 - 168/05 -, juris), ist dies von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

Das Oberlandesgericht kann sich für diese vom Wortlaut der Norm gedeckte Auslegung von § 51 Abs. 1 RVG auf den Willen des Gesetzgebers stützen. Nach der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwälte sollte § 51 Abs. 1 RVG zwar im wesentlichen der Vorgängernorm des § 99 Abs. 1 BRAGO entsprechen, das - neu aufgenommene - Kriterium der "Unzumutbarkeit" der gesetzlichen Gebühren den praktischen Anwendungsbereich der Vorschrift aber einschränken und den Ausnahmecharakter der Regelung zum Ausdruck bringen (vgl. BTDrucks 15/1971, S. 201). Gerechtfertigt sollte dies nach der amtlichen Begründung deshalb sein, weil in das Gebührenverzeichnis zum RVG neue Gebührentatbestände aufgenommen worden seien, bei denen die zugrunde liegenden Tätigkeiten in der Vergangenheit häufig bei der Bewilligung der Pauschgebühr berücksichtigt worden seien (vgl. BTDrucks 15/1971, S. 201). Als Beispiele nennt die amtliche Begründung die - nunmehr neu geschaffenen - Gebührentatbestände für die Teilname an Haftprüfungsterminen (Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG ) und den Zuschlag zur Hauptverhandlungsgebühr für mehr als fünf bzw. mehr als acht Stunden dauernde Hauptverhandlungstermine (Nr. 4110 VV RVG ) (BTDrucks 15/1971, S. 201). Die den Ausnahmecharakter der Vorschrift betonende Auslegung des Oberlandesgerichts verstößt nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG , weil auch bei ihr sichergestellt ist, dass der Pflichtverteidiger bei einem erbrachten "Sonderopfer" zusätzliche Vergütung erhält.

b) Die Erwägungen, mit denen das Oberlandesgericht eine Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren für den Beschwerdeführer verneint, sind nicht sachfremd und lassen eine Verkennung der Bedeutung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht erkennen.

In verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Oberlandesgericht eine Unzumutbarkeit mit der Begründung abgelehnt, die Sache habe keine Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufgeworfen. Die Einschätzung des Fachgerichts, trotz des für ein Verfahren vor dem Schöffengericht überdurchschnittlichen Umfangs der Ermittlungsakten (neun Bände einschließlich eines Leitz-Ordners) sei der Tatvorwurf sachlich und rechtlich überschaubar gewesen, ist angesichts der Anklageschrift nicht ermessensfehlerhaft. Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen nimmt lediglich vier Seiten ein. Der Tatvorwurf ist nicht komplex, sondern einfacher Natur.

Den Umstand, dass sich der Mandant des Beschwerdeführers in Untersuchungshaft befunden hat, sah das Oberlandesgericht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hinreichend durch den - beim nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten gesetzlich verankerten - Zuschlag zu den jeweils entstehenden Gebühren (vgl. Nrn. 4101, 4103, 4105, 4107 und 4109 VV RVG i.V.m. Vorbemerkung 4 Abs. 4 zu Teil 4 von Anlage 1 zum RVG ) sowie dadurch berücksichtigt, dass dem Beschwerdeführer der durch Besuche des Mandanten in der Justizvollzugsanstalt entstandene Aufwand durch Fahrtkostenerstattung gemäß Nr. 7003 VV RVG und Abwesenheitsgeld gemäß Nr. 7005 VV RVG angemessen vergütet worden sei. Hinzukommt, dass der Beschwerdeführer für seine auf Aufhebung des Haftbefehls zielende Tätigkeit vor der Hauptverhandlung eine gesonderte Terminsgebühr nach Nrn. 4103, 4102 VV RVG erhalten hat.

Von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist die weitere Erwägung des Oberlandesgerichts, sonstige die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühr begründende Umstände wie etwa eine besondere Bindung der Arbeitskraft des Beschwerdeführers durch das Strafverfahren seien nicht ersichtlich. Soweit der Beschwerdeführer hierzu im verfassungsgerichtlichen Verfahren vorträgt, das Verfahren habe seine "Arbeitskraft längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch" genommen, sind die Ausführungen zu allgemein gehalten.

Der Vortrag des Beschwerdeführers, die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühr ergebe sich bereits durch einen Vergleich mit der Gebühr, die ein Wahlverteidiger für die gleiche Tätigkeit hätte verlangen können, verkennt die Besonderheiten der Pflichtverteidigerbestellung. Dass die Vergütung des Pflichtverteidigers deutlich unter der eines Wahlverteidigers liegt bzw. liegen kann, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und ergibt sich aus dem dargestellten, der Vergütung des Pflichtverteidigers zugrunde liegenden Interessenausgleich (BVerfGE 68, 237 [253 ff.]). Überdies fehlt es dem vom Beschwerdeführer angestellten Vergleich, der die Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühr belegen soll, ohnehin an Aussagekraft, weil weder dargetan noch ersichtlich ist, weshalb der Beschwerdeführer durchgängig die Höchstgebühren eines Wahlverteidigers zugrunde legt. Die entsprechenden Gebührentatbestände (Nrn. 4101, 4100; 4103, 4102; 4105, 4104; 4107, 4106; 4109, 4108 VV RVG ) sind als Rahmengebühren ausgestaltet, so dass die genaue Höhe der Gebühr nach Maßgabe der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG zu ermitteln ist. Dass ein Wahlverteidiger für die Vertretung des Mandanten in der streitgegenständlichen Strafsache stets die Höchstgebühr erhalten hätte, ist spekulativ und nach dem Vortrag des Beschwerdeführers nicht nachzuvollziehen.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG ).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 01.12.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 2 ARs 105/06
Fundstellen
JurBüro 2007, 529
NJW 2007, 3420
NStZ-RR 2007, 359
Rpfleger 2007, 680