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BVerfG - Entscheidung vom 20.06.2007

1 BvR 1028/07

Normen:
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
GG Art. 3 Abs. 1
VO/DDR AVTI

BVerfG, Beschluss vom 20.06.2007 - Aktenzeichen 1 BvR 1028/07

DRsp Nr. 2007/14510

Prüfung des Rechtswegs bei Verwerfung eines Rechtsmittels; Berücksichtigung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in der ehemaligen DDR

1. Eine Verfassungsbeschwerde ist in der Regel unzulässig, wenn ein an sich gegebenes Rechtsmittel, durch dessen Gebrauch der behauptete Grundrechtsverstoß ausgeräumt werden könnte, aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt.2. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Fachgerichte bei der Beurteilung der Zugehörigkeit eines Betriebes zum Anwendungsbereich der AVTI Organisationsentscheidungen der ehemaligen DDR weder überprüfen noch korrigieren.

Normenkette:

BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1 ; GG Art. 3 Abs. 1 ; VO/DDR AVTI;

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Berücksichtigung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) der Deutschen Demokratischen Republik aufgrund eines fiktiven Anspruchs auf Einbeziehung in die Zusatzversorgung.

I. Die Beschwerdeführerin ist Rechtsnachfolgerin des am 28. Juni 2006 verstorbenen Versicherten.

Der 1937 geborene Versicherte war in der Deutschen Demokratischen Republik seit dem 14. Oktober 1970 berechtigt, den Titel eines Ingenieurs der Fachrichtung Eisenbahn-Betriebs- und -verkehrstechnik zu führen. Nach diversen früheren Tätigkeiten arbeitete der Versicherte vom 20. April 1975 bis über den 30. Juni 1990 hinaus beim Konsum Mostrich- und Essigbetrieb Karl-Marx-Stadt. Eine Einbeziehung des Versicherten in die AVTI ist nicht erfolgt. 1971 trat der Versicherte der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung bei. Mit seinem Begehren einer rückwirkenden Berücksichtigung des Zeitraums von April 1975 bis Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVTI hatten der Versicherte und nach seinem Tode die Beschwerdeführerin im fachgerichtlichen Rechtsweg keinen Erfolg. Er sei am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Betrieb oder einem diesem gleichgestellten Betrieb tätig gewesen. Zuletzt verwarf das Bundessozialgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin als unzulässig.

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die ihr Begehren zurückweisenden Gerichtsentscheidungen und macht eine Verletzung von Grundrechten geltend.

II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdeführerin hat nicht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG den Rechtsweg ordnungsgemäß erschöpft, weil die von dem Versicherten erhobene Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wurde. Eine Verfassungsbeschwerde ist in der Regel unzulässig, wenn - wie hier - ein an sich gegebenes Rechtsmittel, durch dessen Gebrauch der behauptete Grundrechtsverstoß ausgeräumt werden könnte, aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt (vgl. BVerfGE 74, 102 [114]; BVerfGK 1, 222 [223]). Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Bundessozialgericht an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde überhöhte Anforderungen gestellt hat.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist im Übrigen auch in der Sache ohne Aussicht auf Erfolg, weil eine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin nicht festgestellt werden kann. Insoweit wird auf die Gründe des Beschlusses der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2005 ( 1 BvR 1921/04 u.a., NZS 2006, S. 314) verwiesen.

Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die Fachgerichte hätten willkürlich den Konsum Mostrich- und Essigbetrieb Karl-Marx-Stadt, in welchem der Versicherte am 30. Juni 1990 beschäftigt war, nicht als einen einem volkseigenen Betrieb gleichgestellten Betrieb beurteilt, ist ein entsprechender Verfassungsverstoß weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich.

a) Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verwaltungspraxis der Deutschen Demokratischen Republik würde die AVTI noch weitere, in der auf Grund der Verordnung über zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (GBl DDR I S. 844; im Folgenden: Verordnung AVTI) erlassenen 2. Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung vom 24. Mai 1951 (GBl DDR I S. 487; im Folgenden: 2. Durchführungsbestimmung) nicht genannte Betriebe erfassen.

Wird - wie von der Beschwerdeführerin gerügt - die tatsächliche Verwaltungspraxis der Deutschen Demokratischen Republik bei der Einbeziehung in die AVTI von den Fachgerichten nicht hinreichend berücksichtigt, liegt darin kein Verfassungsverstoß. Wie das Bundesverfassungsgericht im oben erwähnten Beschluss vom 26. Oktober 2005 in Bezug auf Molkereigenossenschaften in der Deutschen Demokratischen Republik ausgeführt hat, begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Fachgerichte bei der Beurteilung der Zugehörigkeit eines Betriebes zum Anwendungsbereich der AVTI Organisationsentscheidungen der Deutschen Demokratischen Republik weder überprüfen noch korrigieren. Im Übrigen ist dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht zu entnehmen, dass eine entsprechende ständige Verwaltungspraxis der Deutschen Demokratischen Republik in Bezug auf den hier in Frage stehenden Personenkreis vorgelegen hat. Sie stützt sich zwar insoweit auf eine in dem von ihr vorgelegten Gutachten vom 18. Januar 2007 getroffene Aussage. Danach seien etwa 3 bis 5 vom Hundert der in konsumgenossenschaftlichen Produktionsbetrieben beschäftigten Ingenieure im Besitz einer Versorgungszusage gewesen. Unabhängig davon, dass diese Angabe nicht substantiiert belegt ist, lässt sie - ihre Richtigkeit unterstellt - keine Feststellung zu, ob den in das Versorgungssystem AVTI einbezogenen Ingenieuren die Versorgungszusage gerade aufgrund ihrer Tätigkeit in den konsumgenossenschaftlichen Produktionsbetrieben oder aufgrund einer früheren Tätigkeit in einem anderen Betrieb gegeben wurde.

b) Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene fachgerichtliche Auslegung von § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung ist nicht willkürlich.

aa) Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird. Von willkürlicher Missachtung kann dagegen nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinander setzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 [278 f.]; 89, 1 [13 f.]).

bb) Die im vorliegenden Fall erfolgte und zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellte Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung durch die Fachgerichte stellt keine krasse Verkennung der Rechtslage dar. Die Fachgerichte haben sich vielmehr ausführlich und nachvollziehbar mit der Rechtslage auseinandergesetzt.

Soweit die Beschwerdeführerin demgegenüber meint, es habe in der Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen Republik über die Regelung des § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung hinaus noch weitere gleichstellungsfähige Betriebe gegeben, kann er damit einen Verfassungsverstoß nicht begründen. Die Fachgerichte können sich in einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise auf Wortlaut und Systematik von § 1 der 2. Durchführungsbestimmung stützen. § 1 Abs. 1 greift den Begriffsgebrauch der Verordnung AVTI auf, spricht von "volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben" und bestimmt den Kreis der Angehörigen der technischen Intelligenz. In Absatz 2 wird dann abschließend festgelegt, welche Betriebe gleichgestellt werden. Der Betrieb, in dem die Beschwerdeführerin zum maßgeblichen Zeitpunkt beschäftigt war, ist nicht aufgeführt. Es fehlen im Wortlaut der Vorschrift öffnende Begriffe, wie "beispielsweise" oder "insbesondere". Auch die von der Beschwerdeführerin vorgelegte gutachterliche Äußerung kommt zu dem Ergebnis, dass nach der Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen Republik konsumgenossenschaftliche Betriebe nicht den volkseigenen Betrieben gleichgestellt waren.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: BSG, vom 06.03.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 4 RS 28/06
Vorinstanz: LSG Chemnitz, vom 06.02.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 7 R 306/05
Vorinstanz: SG Chemnitz, vom 21.03.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 20 RA 728/03