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BVerfG - Entscheidung vom 11.10.2007

2 BvR 1538/06

BVerfG, Beschluss vom 11.10.2007 - Aktenzeichen 2 BvR 1538/06 - Aktenzeichen 2 BvR 1828/06

DRsp Nr. 2007/19196

Gründe:

I. Die Verfassungsbeschwerden betreffen Beweisprobleme hinsichtlich des Zugangs von Anträgen Strafgefangener bei der Vollzugsbehörde.

1. a) Der Beschwerdeführer ist Strafgefangener. Im Ausgangsverfahren zur Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1538/06 stellte er mit Schreiben vom 5. Juli 2005 Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er begehrte, die Justizvollzugsanstalt Celle zur Herausgabe verschiedener nach seiner Verlegung einbehaltener Gegenstände zu verpflichten. Nachdem die Anstalt in ihrer Stellungnahme geltend gemacht hatte, der Beschwerdeführer habe die Herausgabe der Gegenstände bislang bei ihr nicht beantragt, übersandte dieser dem Gericht zwei vom 23. und 25. Mai 2005 datierende Schreiben, bei denen es sich nach seinen Angaben um Durchschriften seiner an die Vollzugsbehörde gerichteten, bislang unbeantwortet gebliebenen Anträge handelte. Die Justizvollzugsanstalt bestritt den Erhalt der Schreiben; der Beschwerdeführer beharrte darauf, sie in den Stationsbriefkasten eingeworfen zu haben. Zum Beweis bot er die Einsichtnahme in seinen Tischkalender an, in dem er jedes von ihm abgesandte Schreiben vermerke.

b) Mit Beschluss vom 16. April 2006 wies das Landgericht den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig zurück. Der Beschwerdeführer könne nicht nachweisen, dass die Justizvollzugsanstalt die vorgelegten Schreiben tatsächlich erhalten habe. Der Umstand, dass er das Absenden von Schreiben in seinem Kalender notiere, sei nicht geeignet, den Nachweis des Zugangs bei der Justizvollzugsanstalt zu erbringen. Dass der Verbleib der Schreiben nicht weiter aufgeklärt werden könne, wirke sich zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Dieser werde gehalten sein, der Justizvollzugsanstalt den von ihm benannten Antrag zukommen zu lassen und zunächst eine Entscheidung der Anstalt herbeizuführen.

c) Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer rügte, er habe den vom Landgericht geforderten Nachweis nicht erbringen können, da der Eingang seiner Schreiben von der Anstalt nicht dokumentiert werde, verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 19. Juni 2006 als unzulässig, weil die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht gegeben seien.

2. a) Im Ausgangsverfahren zur Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1828/06 kündigte der Beschwerdeführer gegenüber dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Celle unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Beschluss des Landgerichts vom 16. April 2006 an, er werde ab sofort morgens alle betroffenen Schriftstücke mit Durchschrift beim Abteilungsleiter vorlegen, um auf der Durchschrift den Erhalt des Originals mit Datum, Uhrzeit und Unterschrift bestätigen zu lassen. Für den Fall, dass der Anstaltsleiter mit dieser Vorgehensweise nicht einverstanden sei, bitte er um entsprechenden schriftlichen Hinweis. Mit Schreiben vom 4. Mai 2006 stellte er Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem er begehrte, die Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, ihm die Übergabe aller an die Anstalt gerichteten Schreiben und Anträge in einer Weise zu bestätigen, die ihm einen Nachweis des Zugangs erlaube. Die Justizvollzugsanstalt habe seinen Antrag vom 30. April 2006 zwar bislang nicht beschieden; die von ihm vorgeschlagene Vorgehensweise sei jedoch mittlerweile vom Stationspersonal zurückgewiesen worden. Es gehöre zum Alltag in der Justizvollzugsanstalt Celle, dass der Erhalt von Schreiben der Gefangenen bestritten werde.

In der Zwischenzeit teilte die Justizvollzugsanstalt dem Beschwerdeführer mit, er könne seine Anträge sowie weitere Schreiben in den vorhandenen Briefkasten auf der Station werfen, der an Werktagen morgens regelmäßig geleert werde. Die Anträge und Schreiben würden dann unmittelbar vom Abteilungshelfer bearbeitet. Es sei nicht ersichtlich, dass Schriftstücke unauffindbar verschwänden; daher sei sichergestellt, dass seine Anträge den richtigen Empfänger erreichten. Ebenso sei es unwahrscheinlich, dass ausgehende Briefe nicht ordnungsgemäß befördert würden, da sämtlicher Postein- und -ausgang registriert werde. Der Zeit- und Arbeitsaufwand für eine persönliche Übergabe seitens der Gefangenen und die Erteilung von Empfangsbestätigungen durch Bedienstete sei nicht zu vertreten, zumal jeweils geprüft werden müsste, ob Original und Durchschrift im Wortlaut identisch seien. Zudem seien empfangsberechtigte Bedienstete nicht ständig anwesend. Anträge der Gefangenen würden zeitgerecht bearbeitet, so dass Untätigkeitsklagen bisher nicht vorgekommen seien. Insofern werde dem Wunsch des Beschwerdeführers nicht entsprochen.

Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin, seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ablehnungsfall als Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu behandeln. Weiterhin beantragte er die Einholung des Zeugnisses von sechzehn namentlich benannten Insassen der Justizvollzugsanstalt Celle darüber, dass das Bestreiten des Erhalts von Anträgen und Schreiben Teil der Vollzugswirklichkeit sei.

b) Mit Beschluss vom 5. Juni 2006 wies das Landgericht den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück. Der Beschwerdeführer habe aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegen die Anstalt, in der er inhaftiert sei, einen Anspruch darauf, dass ihm der Eingang oder die Entgegennahme von Schreiben quittiert werde.

c) Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit angegriffenem Beschluss vom 4. August 2006. Die Rechtsbeschwerde sei - unabhängig davon, dass schon zweifelhaft sei, ob es sich überhaupt um einen konkreten Einzelfall im Sinne des § 109 StVollzG handele - unzulässig, da die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht vorlägen.

II. 1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1538/06, die nur den Beschluss des Oberlandesgerichts ausdrücklich als Angriffsgegenstand nennt, rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 , Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG . Die Zurückweisung wegen fehlenden Nachweises eines Antragseingangs bei der Justizvollzugsanstalt habe zur Folge, dass er künftig in jeder Anstalt Vorkehrungen treffen müsse, um im Zweifelsfall den Beweis dafür antreten zu können, dass er seine Schreiben und Anträge tatsächlich an die Anstalt abgeschickt habe. Für die betroffenen Vollzugsbehörden eröffne sich die Möglichkeit, jederzeit den Zugang von Schreiben zu bestreiten. Es sei Ausdruck des Gewaltverhältnisses, dass er keinerlei Möglichkeit habe, sicherzustellen, dass seine Post innerhalb der Justizvollzugsanstalt den Empfänger auch tatsächlich erreiche, da über verwaltungstechnische Abläufe allein die Anstalt entscheide. Nicht einmal der Einwurf in den Haus- bzw. Stationsbriefkasten lasse sich erforderlichenfalls beweisen. Vor diesem Hintergrund hätte das Oberlandesgericht die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG nicht verneinen dürfen.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1828/06 rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 , Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG . Die Auffassung der Strafvollstreckungskammer führe zu einer Aushebelung des in Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsschutzes gegen die öffentliche Gewalt. Der Zugang zum Gericht werde in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht gerechtfertigter Weise erschwert beziehungsweise gänzlich unmöglich gemacht. Die Vollzugsbehörden allein bestimmten aufgrund des bestehenden Machtverhältnisses den inneranstaltlichen Postweg für die an sie adressierten Schreiben der Insassen. Mit dem Einwerfen in den Hausbriefkasten ende jegliche Möglichkeit der Einflussnahme durch den Absender. Dass die Justizvollzugsanstalt nicht die Absicht habe, sich den damit verbundenen Beweisvorteil wieder nehmen zu lassen, beweise ihr Verweigerungsverhalten.

3. Das Niedersächsische Justizministerium hat von der Gelegenheit zur Stellungnahme Gebrauch gemacht. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG lägen nicht vor; insbesondere sei weder eine Grundrechtsverletzung von besonderem Gewicht noch eine existenzielle Betroffenheit des Beschwerdeführers zu erkennen. Im Übrigen wäre eine Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt, den Eingang oder die Entgegennahme aller schriftlichen Mitteilungen der Inhaftierten zu quittieren, nur mit unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand erfüllbar. Da nahezu sämtliche Lebensbeziehungen der Inhaftierten der Anstaltsordnung unterlägen, werde bei den Vollzugsbehörden täglich eine Vielzahl von Anträgen eingereicht, welche gegenwärtig mit einem Eingangsstempel versehen würden. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Missstände seien dabei nicht aufgetreten. Ungeachtet dessen bestehe jedoch auch kein Bedürfnis für die Erteilung einer Eingangsbestätigung, da die Inhaftierten ausreichende Möglichkeiten hätten, sich des Zugangs ihrer Anträge auf anderem Wege zu versichern. Zum einen bestehe für sie schon wegen der räumlichen Nähe zur Vollzugsbehörde jederzeit die Möglichkeit, sich bei den zuständigen Vollzugsbediensteten nach dem Verbleib eines Antrags zu erkundigen. Sollte sich dieses nicht als erfolgversprechend erweisen, könnten sie sich gemäß § 108 Abs. 1 StVollzG jederzeit schriftlich oder - im Rahmen der regelmäßigen Sprechstunden nach § 108 Abs. 1 Satz 2 StVollzG - mündlich an den Anstaltsleiter wenden. Zum anderen könnten Inhaftierte sich selbstverständlich auch auf dem regulären Postweg an die Vollzugsbehörde wenden und etwa ein Einschreiben mit Rückschein aufgeben. Hierdurch bestehe für sie - wie für jeden anderen Bürger auch - die Möglichkeit, den Zugang eines Schreibens zu beweisen.

4. Der Beschwerdeführer wurde unterdessen in die Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel verlegt. Er erwiderte auf die Stellungnahme des Justizministeriums, die Anbringung eines Eingangsstempels auf dem Original sei zu Beweiszwecken ungeeignet. Der Versand von Anträgen als Einschreiben mit Rückschein stelle keine wirkliche Alternative dar, da auch derartige Sendungen in den Stationsbriefkasten eingeworfen werden müssten, so dass sich erneut das bereits beschriebene Beweisproblem stelle. Der Beschwerdeführer hat weiterhin mitgeteilt, dass ihm auch in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel der Eingang an die Anstalt gerichteter Eingaben nicht bestätigt werde.

III. Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor. Weder kommt den Verfassungsbeschwerden grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG ). Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig und haben daher keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 [24 ff.]).

1. Obwohl der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1538/06 lediglich den Beschluss des Oberlandesgerichts ausdrücklich als Angriffsgegenstand nennt, lässt sein weiteres Vorbringen - mit dem er sich nicht lediglich gegen die Verneinung der besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG durch das Oberlandesgericht, sondern auch unmittelbar gegen die durch das Landgericht vorgenommene Beweislastverteilung wendet - erkennen, dass seine Verfassungsbeschwerde sich auch gegen den erstinstanzlichen Beschluss richtet.

2. Für beide Verfassungsbeschwerden ist das erforderliche Rechtsschutzinteresse entfallen. Daher bedarf es keiner Entscheidung, ob der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1828/06 entgegensteht, dass der Beschwerdeführer die behauptete Gehörsverletzung durch das Oberlandesgericht nicht vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde zum Gegenstand einer Anhörungsrüge gemäß § 120 Abs. 1 StVollzG , § 33a StPO gemacht hat, oder ob die Einlegung dieses Rechtsbehelfs wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit entbehrlich war (vgl. BVerfGK 7, 115 [116]; 7, 403 [407]).

a) Das vom Beschwerdeführer mit den Verfassungsbeschwerden verfolgte Begehren hat sich mit seiner nicht nur vorübergehenden Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel erledigt (vgl. zur Erledigung im fachgerichtlichen Verfahren Calliess/Müller-Dietz, StVollzG , 10. Auflage 2005, § 115 Rn. 14).

b) Die Voraussetzungen für ein trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels fortbestehendes Rechtsschutzinteresse (vgl. BVerfGE 110, 77 [85 f.] m.w.N.) liegen nicht vor. Vor allem ist ein Fortbestand des Rechtsschutzinteresses nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 52, 42 [51]; 69, 257 [266]; 81, 138 [141 f.]; 81, 208 [213]) zu bejahen.

Der Beschwerdeführer hat zwar mitgeteilt, dass ihm auch in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel der Eingang seiner an die Anstalt gerichteten Eingaben nicht bestätigt wird. Darüber hinaus lässt die Stellungnahme des Niedersächsischen Justizministeriums erkennen, dass die diesbezügliche Praxis die Billigung der gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 StVollzG zuständigen Aufsichtsbehörde findet. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass der Beschwerdeführer Gefahr läuft, künftig aufgrund von Beweisproblemen der beschriebenen Art keinen effektiven Rechtsschutz erlangen zu können.

Abgesehen davon, dass dem Vorbringen des Antragstellers nichts über eine Klärung der Frage zu entnehmen ist, ob ebenso wie die Justizvollzugsanstalt Celle auch die Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel es ablehnt, einem möglichen Beweisverlust durch interne Dokumentation der eingehenden Anträge von Strafgefangenen vorzubeugen, ist davon auszugehen, dass eine künftig mit Anträgen des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung befasste Strafvollstreckungskammer bei der Behandlung etwaiger Beweisprobleme hinsichtlich des Antragszugangs bei der Vollzugsbehörde dem Anspruch des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung tragen wird.

Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur formal die Möglichkeit gewährleistet, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes gebietet. Der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Zugang zum Gericht darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 35, 263 [274]; 40, 272 [274 f.]; 77, 275 [284]). Die Beweislastverteilung im gerichtlichen Verfahren darf nicht dazu führen, dass bestehende Rechtspositionen leerlaufen (vgl. BVerfGE 101, 106 [121]). Beweislasten dürfen nicht in einer Weise zugeordnet werden, die es den belasteten Verfahrensbeteiligten faktisch unmöglich macht, sie zu erfüllen (vgl. BVerfGE 54, 148 [157 f.]; 59, 128 [160]).

Soweit es um den Strafvollzug geht, muss das Beweisrecht der spezifischen Situation des Strafgefangenen und den besonderen Beweisproblemen, die sich daraus ergeben können, Rechnung tragen (vgl. zur Glaubhaftmachung im Rahmen eines Wiedereinsetzungsgesuchs BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 1993 - 2 BvR 389/92 -, StV 1993, S. 451 , sowie aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung OLG Celle, Niedersächsische Rechtspflege 1986, S. 280 f.; OLG Düsseldorf, NStZ 1990, S. 149 f.; zu behördlichen Dokumentationslasten siehe auch BGH, Beschluss vom 11. November 1998 - XII ZB 119/98 -, FamRZ 1999, S. 579 ).

Macht ein Gefangener ausdrücklich oder der Sache nach geltend, durch das Verschwinden von Anträgen, die er an die Justizvollzugsanstalt gestellt hat, werde ihm effektiver Rechtsschutz verweigert, dürfen die Gerichte daher die Beweislast nicht einseitig dem Gefangenen zuweisen, ohne zu prüfen, ob und wie der Gefangene grundsätzlich die Möglichkeit hat, dieser Beweislast zu genügen. Vielmehr muss unter Ausschöpfung der gerichtlichen Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung ein Weg der Fallbehandlung gefunden werden, der vermeidet, dass das Recht zur Disposition der Behauptungen einer der beteiligten Seiten gestellt wird. Gehen die Gerichte - wie die Strafvollstreckungskammer im Ausgangsverfahren zur zweiten Verfassungsbeschwerde - davon aus, dass dem Gefangenen ein Anspruch auf Erteilung einer Eingangsbestätigung für bei der Anstalt eingereichte Anträge nicht zusteht, so müssen sie sich in angemessener Weise mit den Beweisschwierigkeiten des Gefangenen auseinandersetzen, dem eine Eingangsbestätigung als Beweismittel nicht zur Verfügung steht, und dürfen es nicht - wie die Strafvollstreckungskammer im Ausgangsverfahren zur ersten Verfassungsbeschwerde - ablehnen, diesen Beweisschwierigkeiten auf andere Weise angemessen Rechnung zu tragen.

Es ist Sache der Fachgerichte, zu entscheiden, welche der unterschiedlichen in Betracht kommenden Lösungen - auch unter den Gesichtspunkten des mit der Umsetzung verbundenen Aufwandes und der Vermeidung von Missbrauchsgefahren - das einfache Recht gebietet. Dabei kann auch der - vom Landgericht Lüneburg trotz entsprechenden Beweisangebots des Beschwerdeführers nicht weiter aufgeklärten - Frage Bedeutung zukommen, ob es in der betroffenen Justizvollzugsanstalt häufiger zum Verlust von Anträgen der Gefangenen kommt. Wenn dies tatsächlich der Fall sein sollte, müsste schon aus diesem Grund eine Beweislastverteilung ausscheiden, die sich auf die Vermutung stützt, die Zugangswege innerhalb der Anstalt seien ausreichend geschützt und mit Anträgen, die den Bediensteten übergeben oder in dafür vorgesehene anstaltsinterne Briefkästen eingeworfen worden sind, werde in der Anstalt generell sachgerecht umgegangen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG Celle, vom 19.06.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 1 Ws 260/06
Vorinstanz: LG Lüneburg, OLG Celle, vom 16.04.2006vom 04.08.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 17 StVK 275/05 - Vorinstanzaktenzeichen 1 Ws 369/06
Vorinstanz: LG Lüneburg, vom 05.06.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 17 StVK 331/06