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BSG - Entscheidung vom 06.03.2007

B 1 KR 162/06 B

Normen:
EG Art. 49 Art. 50
EGVtr Art. 59 Art. 60
EWGRL 7/79 Art. 4 Abs. 1
EWGV 1408/71 Art. 22 Abs. 1 Buchst. a
SGB IV § 8 Abs. 1 Nr. 1
SGB VI § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 06.03.2007 - Aktenzeichen B 1 KR 162/06 B

DRsp Nr. 2007/8849

Ausgestaltung des Sozialleistungsrechts im europarechtlichen Kontext

Bei der Ausgestaltung seines Sozialleistungsrechts ist ein nationaler Gesetzgeber europarechtlich grundsätzlich nicht auf ein bestimmtes sozialpolitisches Konzept festgelegt. Ob in anderen Mitgliedstaaten ggf weiter gehende Leistungen als im Aufenthaltsstaat gewährt werden ist unerheblich, solange eine bestimmte Ausgestaltung des Leistungsrechts nicht im Einzelfall europarechtswidrig ist. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

EG Art. 49 Art. 50 ; EGVtr Art. 59 Art. 60 ; EWGRL 7/79 Art. 4 Abs. 1 ; EWGV 1408/71 Art. 22 Abs. 1 Buchst. a ; SGB IV § 8 Abs. 1 Nr. 1 ; SGB VI § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Die 1906 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte, ursprünglich in Deutschland lebende Klägerin begehrt - bislang erfolglos - die vollständige Erstattung von Kosten, die ihr für Behandlungsmaßnahmen in Spanien entstanden sind und künftig entstehen werden "bis zum Eintritt des spanischen Sozialversicherungsträgers". Die Klägerin musste sich während eines Besuches bei ihrem ihn Spanien lebenden Sohn dort vom 26. 1. bis 3. 2. 2001 in stationäre Behandlung begeben. Ihre Krankheit wurde dort anschließend wiederholt behandelt, allerdings wurde die Klägerin bettlägerig und pflegebedürftig und hatte nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) dort spätestens seit September 2002 ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt. Mit ihrem Begehren, die in Spanien angefallenen Behandlungskosten von der Beklagten vollständig ersetzt zu erhalten, ist die Klägerin im Verwaltungsverfahren erfolglos geblieben, weil sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien habe und nach den Rechtsvorschriften der "Verordnung des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Nr 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern" (EWG-VO 1408/71) auf Sachleistungsansprüche gegen den aushelfenden spanischen Versicherungsträger beschränkt sei; auch die Art und Weise der Inanspruchnahme richte sich nach den Rechtsvorschriften des spanischen Trägers. Das dagegen angerufene Sozialgericht hat die - auch auf Erstattung künftiger Behandlungskosten gerichtete - Klage aus gleichem Grund abgewiesen und sich ergänzend auf § 13 Abs 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch gestützt; die Bundesrepublik Deutschland erstatte den spanischen Sozialversicherungsträgern nur einen Pauschbetrag für Krankenversicherungsleistungen an deutsche Rentner mit Wohnsitz in Spanien. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat ergänzend Ausführungen zum Vorliegen eines Wohnort- und Aufenthaltswechsels und zur Maßgeblichkeit der Beschränkung der Erstattung auf die deutschen Sätze gemacht. Mögliche Probleme bei der Leistungsabwicklung mit dem spanischen Leistungsträger begründeten keine weiter gehenden Ansprüche gegen die Beklagte, weil es keine entsprechende Anspruchsgrundlage gebe (Urteil vom 8. 11. 2006).

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) zu verwerfen. Ihre Begründung genügt nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des in mehrfacher Hinsicht geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

Wer sich - wie die Klägerin - im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft, muss gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG Rechtsfragen klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Fragen im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Beschwerde formuliert insoweit folgende Fragen:

1.

Hat ein Bürger der Bundesrepublik Deutschland, der in einem anderen Staate der Europäischen Union (EU) so schwer erkrankt, dass er nicht transportfähig ist, seinen Wohnsitz oder regelmäßigen Aufenthalt in diesen anderen Staat verlegt, obwohl er nicht beabsichtigt, sich dort ständig anzusiedeln, sondern infolge gesundheitlicher Umstände nicht in der Lage ist, wieder in sein Heimatland zurückzureisen?

2.

Kann ein deutscher Sozialversicherungsträger einen deutschen Staatsbürger seiner Rechte entkleiden, indem er ihn darauf verweist, dass er mit dem Sozialversicherungsträger des betreffenden Landes pauschale Vereinbarungen über Leistungen getroffen hat, obwohl die Behörden des Gastlandes die Gewährung solcher Leistungen von Bedingungen abhängig machen, die aus tatsächlichen Gründen nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten zu erfüllen sind? - Ist es nicht vielmehr zu erwarten, dass er innerhalb der EU - wie im Inland auch - mit den Verbänden der Leistungserbringer Rahmenabkommen trifft, die den deutschen Staatsbürger unmittelbar zur Inanspruchnahme von Leistungen berechtigen?

3.

Ist es mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als sozialem Rechtsstaat vereinbar, dass seine Bürger in Notfällen erst auf dem möglicherweise Jahre dauernden Klagewege im Gastland angebliche Rechtsansprüche aus internationalen Verwaltungsabkommen über Leistungsaustausch geltend zu machen haben oder muss nicht vielmehr die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den betreffenden Sozialversicherungsträger im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht die von ihr abgeschlossenen Abkommen durchsetzen?

4.

Ist es mit den Verträgen über die EU, insbesondere mit dem Grundsatz der Freizügigkeit zu vereinbaren, dass bei Reisen von einem Land der EU in ein anderes Land der EU in den geschilderten Notfällen seine Ansprüche aus dem sozialversicherungsrechtlichen Verhältnis verliert, weil der eine Staat unterstellt, der betreffende Bürger habe damit seinen Wohnsitz bzw gewöhnlichen Aufenthalt verlegt, während das Gastland die Einrichtung des Wohnsitzes von formalen Voraussetzungen abhängig macht, die aus tatsächlichen Gründen nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten, zumindest aber mit großen Verzögerungen zu erfüllen sind?

Mit diesen Fragen wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache indessen nicht dargetan, weil sich die Beschwerde weder in hinreichender Weise mit den für die Begründung eines Anspruchs der Klägerin maßgeblichen deutschen wie europarechtlichen Rechtsgrundlagen auseinander setzt noch sich mit bereits zu den Fragenkomplexen ergangener einschlägiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundessozialgerichts (BSG) befasst. Da das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht dazu vorgesehen ist, die inhaltliche Richtigkeit des angegriffenen Urteils noch einmal durch das Beschwerdegericht in vollem Umfang überprüfen zu lassen, muss sich auch ihre Begründung an den Voraussetzungen des § 160 Abs 2 SGG ausrichten und bei einer Grundsatzrüge berücksichtigen, dass eine Rechtsfrage nicht mehr klärungsbedürftig ist, wenn sie bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden worden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). Deshalb hätte sich die Beschwerde eingehend mit der ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander setzen und darlegen müssen, inwiefern gleichwohl noch Klärungsbedarf besteht (vgl dazu auch BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). Das ist nicht geschehen.

Frage 1. hat Voraussetzungen zum Gegenstand, unter denen davon ausgegangen werden kann, dass ein Versicherter seinen Wohnsitz bzw gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb von Deutschland genommen hat. Hierzu hat das LSG in dem angefochtenen Urteil umfangreiche Ausführungen gemacht, dabei auf BSG-Rechtsprechung Bezug genommen und ist in der Subsumtion dazu gelangt, dass die Klägerin von einem bestimmten Zeitpunkt an Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in Deutschland gehabt habe. Inwieweit in diesem Zusammenhang Rechtsfragen von allgemeiner, über den Fall der Klägerin hinausgehender Bedeutung entschieden worden sind, die durch die bereits vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung unbeantwortet geblieben sein sollten und bezüglich derer weiterhin das Bedürfnis nach Durchführung eines Revisionsverfahrens bestehen könnte, lässt das Beschwerdevorbringen nicht erkennen.

Abgesehen davon, dass die weiteren Fragen schon auf eine Verkennung der einschlägigen Rechtsgrundlagen hindeuten, enthalten sie keine klar erkennbaren rechtlichen Bezugspunkte, sondern vielfach eigene rechtspolitische Wertungen und verkennen, dass Art 23 Abs 1 Grundgesetz insoweit bestimmte Regelungsbefugnisse zur Verwirklichung der EU vorsieht, sogar bis hin zur Übertragung von Hoheitsrechten. Unberücksichtigt lässt das Beschwerdevorbringen weiter, dass ein nationaler Gesetzgeber bei der Ausgestaltung seines Sozialleistungsrechts europarechtlich grundsätzlich nicht auf ein bestimmtes sozialpolitisches Konzept festgelegt ist (vgl EuGHE 1995, I-4625, RdNr 33 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 11 S 56 - Nolte), und dass es ohne Belang ist, ob in anderen Mitgliedstaaten ggf weiter gehende Leistungen als im Aufenthaltsstaat gewährt werden, solange sich eine bestimmte Ausgestaltung des Leistungsrechts nicht im Einzelfall als europarechtswidrig diskriminierend darstellt (EuGHE 2003, I-4509 = SozR 4-6030 Art 59 Nr 1 RdNr 112, 128, 131 mwN - Müller-Fauré/van Riet; BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4, jeweils RdNr 10 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 3 RdNr 12). Zum Umfang der Leistungsansprüche derjenigen Personen, die sich von einem Mitgliedstaat der EU in einen anderen begeben, liegen inzwischen mehrere Entscheidungen des EuGH und des BSG zu verschiedenen Grundsatz- und Detailproblemen aus dem Schnittbereich von europarechtlicher Freizügigkeit und dem Schutz gegen das Risiko der Krankheit vor. Dann aber kann es den Darlegungsanforderungen einer auf die Verletzung von Europarecht gestützten Nichtzulassungsbeschwerde offenkundig nicht genügen, lediglich in pauschaler Weise darauf zu verweisen, das angestrebte Revisionsverfahren würde "Gelegenheit geben, die Rechtsanwendung zu den EWG-VOen 1408/71 und 574/72 zu überprüfen". Ähnliches gilt in Bezug auf die bloße pauschale Bezeichnung von drei beim EuGH anhängig gewesener Verfahren; so muss zB auch die Rüge, eine bestimmte Regelung verstoße gegen das Grundgesetz , unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt (zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG, Beschluss vom 4. 4. 2006 - B 12 RA 16/05 B mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat in entsprechender Anwendung von § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 5. Senat - L 5 KR 142/04 - 08.11.2006,
Vorinstanz: SG Kiel, vom 29.10.2004 - Vorinstanzaktenzeichen S 17 KR 525/03