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BGH - Entscheidung vom 17.10.2007

IV ZR 8/06

Normen:
ZPO § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3

BGH, Beschluss vom 17.10.2007 - Aktenzeichen IV ZR 8/06

DRsp Nr. 2007/22016

Zurückweisung verspäteten Vorbringens in der Berufungsinstanz; Begriff der neuen Angriff- und Verteidigungsmittel

Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen neu ist, hängt davon ab, wie allgemein es in erster Instanz gehalten war. Wenn es einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert und erstmals substantiiert, ist es neu, nicht aber dann, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird.

Normenkette:

ZPO § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ;

Gründe:

I. 1. Der Kläger begehrt aus abgetretenem Recht einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der er selbst als Gesellschafter beteiligt ist, vom Beklagten die Zahlung von 100.000 EUR als Teil eines Betrages in Höhe von insgesamt 600.000 EUR, der unstreitig von der GbR an den Beklagten gezahlt wurde. Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte diesen Geldbetrag als Darlehen oder als Kaufpreis erhalten hat und ob die im Gegenzug der GbR übertragenen und inzwischen wertlos gewordenen Aktien zur Sicherung des behaupteten Darlehens oder in Erfüllung des vom Beklagten eingewandten Kaufvertrages überlassen wurden. Eine schriftliche Vereinbarung darüber wurde nicht getroffen.

2. Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der insoweit beweispflichtige Kläger habe den Abschluss eines Darlehensvertrages nicht bewiesen. Dies ergebe sich aus den Aussagen der vernommenen Zeugen, insbesondere zum Inhalt einer Besprechung aller Gesellschafter der GbR - mit Ausnahme des abwesenden Gesellschafters J. - mit dem Beklagten, dessen Steuerberater sowie dem Zeugen S. Anfang März 2000 über die fragliche Vereinbarung. Der Zeuge S., zum damaligen Zeitpunkt ein Vertrauter der Gesellschafter und für deren GbR auch als Vertreter rechtsgeschäftlich tätig, sowie der Steuerberater des Beklagten, der Zeuge T., hätten bekundet, dass die GbR gegen Zahlung von 600.000 EUR Aktien des Beklagten habe kaufen wollen. Der gegenteiligen Aussage des Zeugen J., eines Gesellschafters der GbR, könne wegen dessen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits nicht gefolgt werden. Der Zeuge Je., als Steuerfachgehilfe Mitarbeiter der GbR, sei nach eigenem Bekunden am Zustandekommen der Vereinbarung nicht beteiligt gewesen.

Im Berufungsrechtszug hat der Kläger erneut vorgetragen, die Gesellschafter der GbR seien lediglich bereit gewesen, dem Beklagten ein Darlehen in der genannten Höhe zur Verfügung zu stellen. Eine Meinungsänderung dahin, es solle ein Kaufvertrag über die Aktien mit dem Beklagten abgeschlossen werden, habe es weder vor, während noch nach der fraglichen Unterredung Anfang März 2000 gegeben. Zum Beweis dafür hat sich der Kläger auf das Zeugnis des Gesellschafters der GbR D. bezogen, der, was zwischen den Parteien unstreitig ist, wie alle anderen Gesellschafter der GbR mit Ausnahme des Zeugen J. an dieser Unterredung teilgenommen hatte. Das Berufungsgericht hat den Beweisantritt als verspätet angesehen, weil der Kläger nicht dargetan habe, dass das Unterlassen dieses Beweisangebotes in erster Instanz nicht auf Nachlässigkeit beruht habe (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ), und die Berufung zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II. Das Berufungsgericht hat verfahrensfehlerhaft angenommen, der Kläger sei mit seinem Beweisantritt den Zeugen D. betreffend gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen. Damit hat es zugleich in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) verletzt.

1. Der vom Kläger unter Zeugenbeweis gestellte Vortrag ist nicht als neues Angriffsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zu bewerten. Der Begriff der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ist nach bisherigem Recht auszulegen. Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen neu ist, hängt also davon ab, wie allgemein es in erster Instanz gehalten war. Wenn es einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert und erstmals substantiiert, ist es neu, nicht aber dann, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (BGHZ 159, 245 , 251; 164, 330, 333; BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - VII ZR 279/05 - NJW 2007, 1531 unter III 1). Der Kläger hatte jedoch bereits im ersten Rechtszug in der Klagebegründung in das Wissen des Zeugen D. gestellt, dass sich alle Gesellschafter der GbR einig gewesen seien, dem Beklagten zu helfen und ihm ein Darlehen in Höhe von 600.000 EUR zu gewähren. Das Darlehen habe unbefristet zu einem Zinssatz von 4% gewährt werden sollen, ein Rückzahlungstermin sei nicht vereinbart worden. Weiter habe Einigkeit dahin bestanden, dass der Beklagte zur Sicherheit des Darlehens Aktien im Wert von 600.000 EUR an die GbR übertragen sollte. Dieser Vortrag konnte im Gesamtzusammenhang der Klage nur dahin verstanden werden, dass dementsprechend - unter Einschaltung des Streithelfers und des Zeugen T. - auch eine Vereinbarung getroffen worden sei. Insoweit war der im Berufungsrechtszug gehaltene und unter Beweis durch das Zeugnis des Gesellschafters D. gestellte Vortrag, anlässlich der Besprechung der Gesellschafter Anfang März 2000 habe es unter diesen - ebenso wenig wie vor dieser Unterredung oder zu irgendeinem Zeitpunkt danach - keinen Sinneswandel dahin gegeben, die GbR werde die Aktien vom Beklagten gegen Zahlung von 600.000 EUR kaufen, nicht neu. Der Vortrag erster Instanz wurde vielmehr lediglich in einem bestimmten Punkt konkretisiert und verdeutlicht.

2. Der in der unzulässigen Zurückweisung des Vorbringens liegende Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Bei Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zum fortbestehenden Konsens der Gesellschafter über die Gewährung eines Darlehens an den Beklagten, unter Beweis gestellt durch einen Gesellschafter der GbR, der an der betreffenden Besprechung Anfang März 2000 - anders als die in erster Instanz vernommenen Zeugen J. und Je. - unstreitig teilgenommen hatte, mussten sich für das Berufungsgericht konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ergeben, die eine erneute Tatsachenfeststellung geboten. Es ist nicht auszuschließen, dass seine Entscheidung, die sich maßgeblich auf eine Würdigung der Aussagen jener Zeugen stützt, die in das Zustandekommen und die Umsetzung der mündlichen Vereinbarung mit dem Beklagten eingebunden waren, unter Berücksichtigung der Bekundungen des Gesellschafters der GbR D. anders ausgefallen wäre. Bei der neuen Verhandlung und Entscheidung werden auch die Ausführungen in der Beschwerdeschrift zu bedenken sein, die sich mit der für eine vertragliche Vereinbarung erforderlichen Genehmigung des Gesellschafters der GbR J. befassen, der bei der fraglichen Besprechung mit dem Beklagten nicht zugegen war.

Vorinstanz: KG, vom 13.12.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 14 U 115/04
Vorinstanz: LG Berlin, vom 16.04.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 8 O 253/03