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BGH - Entscheidung vom 11.09.2007

VIII ZB 114/05

Normen:
ZPO § 520 Abs. 3 § 85 Abs. 2

Fundstellen:
FamRZ 2008, 142

BGH, Beschluß vom 11.09.2007 - Aktenzeichen VIII ZB 114/05

DRsp Nr. 2007/18860

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist

1. Einer Partei ist grundsätzlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine geschulte und zuverlässige Kanzleiangestellte einen fristwahrenden Schriftsatz versehentlich beim falschen Gericht einwirft.2. Botendienste einschließlich der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze an das zuständige Gericht dürfen einer 45 Jahre alten Kanzleiangestellten, die die höhere Handelsschule besucht und in wirtschaftlichen Unternehmen kaufmännisch tätig war, bereits nach sechswöchiger Kanzleizugehörigkeit übertragen werden.

Normenkette:

ZPO § 520 Abs. 3 § 85 Abs. 2 ;

Gründe:

I. Die Beklagte hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 11. Juli 2005 zugestellte Urteil durch einen am 4. August 2005 bei dem Berufungsgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit Schreiben vom 8. September 2005 hat die Beklagte durch ihren Prozessbevollmächtigten die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum 9. Oktober 2005 beantragt. Dieser an das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen gerichtete Schriftsatz ist am 8. September 2005 in den Nachtbriefkasten der "gemeinsamen Eingangsstelle Amtsgericht und Landgericht Bremen" eingeworfen worden. Der Schriftsatz ist sodann (erst) am 13. September 2005 zum Berufungsgericht gelangt.

Mit Verfügung vom 13. September 2005 ist die Beklagte auf den bereits am Montag, den 12. September 2005 erfolgten Fristablauf hingewiesen worden.

Mit am 26. September 2005 eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich die Berufung begründet.

Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 28. November 2005 den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Der Kläger beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und form- und fristgerecht gemäß § 575 ZPO eingelegt und begründet worden. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO auch zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung nicht auf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zurückzuführen, für das die Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO einzustehen hätte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der im Ansatz auch das Berufungsgericht folgt, ist einer Partei grundsätzlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine geschulte und zuverlässige Kanzleiangestellte einen fristwahrenden Schriftsatz versehentlich beim falschen Gericht einwirft (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1994 - VII ZB 7/94, NJW 1994, 2958 f.).

Soweit das Berufungsgericht jedoch davon ausgeht, den Prozessbevollmächtigten der Beklagten treffe ein Auswahlverschulden hinsichtlich der für den Transport des fristwahrenden Schriftsatzes ausgewählten Mitarbeiterin L., weil diese keine ausgebildete Rechtsanwalts- und Notargehilfin und erst etwa sechs Wochen im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten tätig gewesen sei, übersteigt das die zu stellenden Anforderungen.

Sowohl beim Einkuvertieren der ausgehenden Post als auch beim anschließenden Botengang handelt es sich um einfache Tätigkeiten, mit denen ein Rechtsanwalt auch eine Auszubildende (BGH, aaO.) oder eine zuverlässige Praktikantin (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2002 - I ZB 23/01, NJW-RR 2002, 1070 , unter II 2 b) betrauen darf, sofern von der beauftragten Person eine gewissenhafte Ausführung des Auftrags erwartet werden kann (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935 , unter II 1).

Diese Voraussetzungen treffen auch hier zu. Nach den durch eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin L. glaubhaft gemachten Darlegungen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat die 45-jährige Kanzleiangestellte L. die zweijährige höhere Handelsschule besucht und war vor ihrer Tätigkeit in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in mehreren Unternehmen kaufmännisch tätig. Zudem war sie von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Rahmen ihrer Aufgabenübertragung darauf hingewiesen worden, dass fristwahrende Schriftsätze für das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen nur bei diesem einzuwerfen sind.

Danach war die Mitarbeiterin L. trotz der erst sechs Wochen währenden Kanzleitätigkeit eine für einfache Tätigkeiten wie Einkuvertieren und Botengänge geeignete Person, bei der sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten darauf verlassen durfte, dass sie den ihr übertragenen Botengang zuverlässig erledigen würde. Damit fehlt es an einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten.

Schließlich durfte die Beklagte auch darauf vertrauen, dass die erstmalig beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gewährt werden würde (BGH, Beschluss vom 18. September 2001 - VI ZB 26/01, MDR 2001, 1432 , unter II 1; vgl. auch Senatsbeschluss vom 11. September 2007 - VIII ZB 73/05, nicht veröffentlicht).

2. Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Da weitere Feststellungen nicht mehr erforderlich sind, ist der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß §§ 233 , 234 ZPO zu gewähren.

Vorinstanz: OLG Bremen, vom 28.11.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 2 U 74/05
Vorinstanz: LG Bremen, vom 06.07.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 11 O 258/04
Fundstellen
FamRZ 2008, 142