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BGH - Entscheidung vom 28.03.2007

IV ZR 74/04

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

Fundstellen:
VersR 2007, 967

BGH, Beschluß vom 28.03.2007 - Aktenzeichen IV ZR 74/04

DRsp Nr. 2007/7515

Umfang des rechtlichen Gehörs im Zivilverfahren

Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Urteilsfindung in Erwägung zu ziehen und erhebliche Beweisantritte zu berücksichtigen. Geht das Gericht in einem Versicherungsfall davon aus, dass der Versicherungsnehmer den Vollbeweis des Verlustes versicherter Sachen führen muss, so hat es dahingehende Beweisantritte zu berücksichtigen.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) verletzt, weil es ihren Vortrag und die Beweisangebote für den Eintritt des Versicherungsfalles übergangen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass das angefochtene Urteil darauf beruht. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Urteilsfindung in Erwägung zu ziehen (BVerfG NJW 2000, 131 ) und erhebliche Beweisantritte zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2005, 1487 und NJW 1991, 285 , 286).

1. Die Klägerin verlangt von der Beklagten als Transportversicherer Ersatz für den Verlust von 12.000 Mobiltelefonen. Diese sind nach Darstellung der Klägerin zwischen dem 9. und 20. Juni 2001 bei der Firma C. eingelagert worden und dort gegen ihren Willen abhanden gekommen. Die von der Firma C. vorgelegten fünf Freigabeerklärungen vom 9. Juli 2001 stammten nicht von ihr, der Klägerin, sondern seien Fälschungen unter Verwendung einer von ihr an diesem Tag an die Firma C. gefaxten Freigabeerklärung für andere Mobiltelefone. Diesen Vortrag hat die Klägerin durch Zeugen, Urkunden und Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt, wie die Beschwerde im Einzelnen ausführt.

2. a) Das Berufungsgericht hat zur Abweisung des Klageanspruchs ausgeführt: Der von der Klägerin dargelegte Sachverhalt möge für das äußere Bild eines Verlustes der Sachen genügen. Jedoch habe die Beklagte konkrete Tatsachen vorgetragen, die die Klägerin nicht oder nicht erheblich bestritten habe, aus denen in ihrer Gesamtschau mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die Vortäuschung des Versicherungsfalles zu folgern sei. Der Klägerin obliege deshalb der Vollbeweis des Verlusts, den sie nicht führen könne. Geeigneten Beweis hierfür habe sie nicht angeboten.

b) Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht sich mit dem Sachvortrag und den Beweisantritten der Klägerin zu den Haupttatsachen des Versicherungsfalles nicht auseinandergesetzt und dadurch gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen habe. Entspricht der Vortrag der Klägerin der Wahrheit, ist er geeignet, den geltend gemachten Anspruch zu begründen.

Auf der Grundlage seiner Auffassung, es obliege der Klägerin, den Vollbeweis zu führen, hätte das Berufungsgericht den Vortrag und die Beweisantritte der Klägerin nicht außer Betracht lassen dürfen. Das Berufungsurteil zieht den Vortrag nicht in Erwägung und enthält insbesondere keine Ausführungen dazu, weshalb die Beweisangebote zur Führung des Vollbeweises ungeeignet sind, es erwähnt die Beweisangebote nicht einmal. Dies stellt eine prozessual unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung und damit zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar (vgl. BVerfG NJW 1993, 254 , 255). Sollte das Berufungsgericht unausgesprochen der Meinung gewesen sein, aufgrund der von ihm angenommenen Indizien für die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Versicherungsfalles hätten die Beweisangebote unbeachtet bleiben dürfen, läge auch darin eine unzulässige vorweggenommene Würdigung nicht erhobener Beweise. Der Beweisantritt zu einer Haupttatsache darf nicht aufgrund der Würdigung von Indiztatsachen übergangen werden (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 2000 - XI ZR 183/01 - NJW-RR 2002, 1072 unter II 3).

Schon deshalb ist das Berufungsurteil nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben. Auf die weiteren Gehörsrügen kommt es im Beschwerdeverfahren nicht an.

Vorinstanz: OLG Köln, vom 02.03.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 106/03
Vorinstanz: LG Köln, vom 20.05.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 85 O 148/02
Fundstellen
VersR 2007, 967