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BGH - Entscheidung vom 22.11.2007

4 StR 397/07

Normen:
StPO § 260 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 22.11.2007 - Aktenzeichen 4 StR 397/07

DRsp Nr. 2008/583

Teilfreispruch bei angeklagter Tatmehrheit, einheitlicher Tat und teilweise nicht erwiesenen Einzeltaten

Wurden dem Angeklagten in der zugelassenen Anklage tatmehrheitlich begangene Taten zur Last gelegt, die im Urteil als (rechtlich) eine Tat gewürdigt wurden, so ist ein Teilfreispruch geboten, wenn nicht alle in der Anklage aufgeführten (Einzel-) Taten erwiesen sind.

Normenkette:

StPO § 260 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs (richtig: in 20 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, vgl. BGH StV 2004, 532 , 533, 534) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat nur den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hatten der Angeklagte, Halis Y. und Dominik K. vereinbart, über die Firma U GmbH, deren faktischer Geschäftsführer der Angeklagte war, im Einzelnen noch nicht konkretisierte Betrugstaten zu begehen, indem für die Firma Waren bestellt und nicht bezahlt werden sollten. Diese sollten dann weiterverkauft und die dadurch erzielten Geldbeträge als "Gewinn" geteilt werden. In Ausführung des gemeinsamen Vorhabens wurde dann eine Vielzahl von Warenbestellungen vorgenommen, wobei der Angeklagte - wie vereinbart - "im Hintergrund" blieb (UA 14). Der Verbleib der gelieferten und nicht bezahlten Waren ist bis auf wenige Ausnahmen nicht bekannt.

Das Landgericht hat 20 Einzelfälle von Warenbestellungen festgestellt, wobei ein Gesamtschaden von mehr als 817.000 Euro entstand. Angeklagt war die mittäterschaftliche Begehung von 37 Betrugstaten. Diese rechtliche Bewertung lag auch dem Eröffnungsbeschluss zu Grunde.

Die Strafkammer hat an - nach der Anklage - geschädigte Firmen Schreiben versandt, in denen um die Beantwortung der verfahrensrelevanten Fragen (u.a. über die Bestellungen, Lieferungen und eingetretenen Schäden) gebeten wurde. In den Anschreiben wurde mitgeteilt, dass das jeweilige Antwortschreiben ggf. in der Hauptverhandlung verlesen werden sollte, um den Firmen Zeugenvernehmungen zu ersparen (Bd. V Bl. 628 f. d.A.). Nicht alle angeschriebenen Firmen haben auf die Anfrage geantwortet.

Im Hauptverhandlungstermin vom 25. Juli 2006 wurde der rechtliche Hinweis erteilt, dass die angeklagten Taten "auch unter dem Gesichtspunkt eines Organisationsdeliktes, nämlich als ein Fall des Betruges in der Form des gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Betruges gesehen werden (könne)" (Prot. Bd. S. 18). Im Urteil ist ausgeführt, dass eine Freisprechung in Bezug auf einzelne nicht festgestellte Fälle im Sinne der Anklage, nämlich die Fälle, in denen die Strafkammer keine Rückantworten der geschädigten Firmen erhalten habe, vor dem Hintergrund des angenommenen Organisationsdelikts, d.h. eines Betruges im Rechtssinne, nicht in Betracht komme (UA 28).

Diese Würdigung begegnet rechtlichen Bedenken, weil im Hinblick auf die angeklagten, aber nicht festgestellten Fälle Anklage und Eröffnungsbeschluss nicht erschöpft sind (vgl. BGHSt 44, 196 , 202; BGH, Beschluss vom 20. Juni 2007 - 2 StR 181/07; Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 260 Rdn. 13). Der Senat stellt daher auf Antrag des Generalbundesanwalts das Verfahren im Hinblick auf diese Taten (= Ziffern 2, 6, 9, 11, 13 bis 17, 19, 23, 25, 27 und 32 bis 35 der Anklage vom 21. Februar 2006) gemäß den §§ 154 Abs. 2 , 154a Abs.2 StPO ein.

2. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat - unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

Zu den Verfahrensrügen (Verstöße gegen die §§ 251 Abs. 1 Nrn. 1 und 3, 251 Abs. 4 Sätze 1 und 2, 261 StPO ) bemerkt der Senat:

Die Revision beanstandet, dass die Strafkammer zu den festgestellten Vermögensschäden nur im Hinblick auf elf Firmen u.a. durch Verlesung der Antwortschreiben der geschädigten Firmen Urkundenbeweis erhoben habe, wobei in allen diesen Fällen der nach § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO erforderliche Gerichtsbeschluss nicht ergangen sei, sondern die Verlesungen "(teilweise) auf sachleitende Anordnung des Vorsitzenden, teilweise sogar ohne eine solche Anordnung" erfolgt seien. Von den Verfahrensbeteiligten sei - mit Ausnahme der Fälle Fa. H. GmbH und Fa. W. AG - nur der Verlesung der Antwortschreiben (z.T. nebst Anlagen) zugestimmt worden, nicht aber der Verlesung anderer Urkunden. Dem Angeklagten sei der Grund der Verlesungen nicht klar gewesen. Im Hinblick auf die übrigen (neun) Fälle sei über die Vermögensschäden überhaupt kein Beweis erhoben worden.

a) Die Verfahrensrügen im Hinblick auf die beanstandeten Verlesungen (Verletzung des § 251 Abs. 1 Nrn. 1 und 3, Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO ) sind schon unzulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ), weil die Revision folgende Verfahrenstatsachen nicht vorgetragen hat:

aa) Wie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt, erklärten sich die Angeklagten und ihre Verteidiger im Hauptverhandlungstermin vom 18. September 2006 grundsätzlich mit einem Anschreiben an die Geschäftspartner der Firma U (gemeint sind ersichtlich: die nach der Anklage Geschädigten) "entsprechend dem vom Gericht erstellten Entwurf vom 18.09.2006 mit den Erweiterungen, wie sie besprochen worden sind, und der anschließenden Verlesung der schriftlichen Auskünfte grundsätzlich und insoweit gemäß den getroffenen Absprachen einverstanden" (Prot. Bd. S. 75).

Die Revision hat weder diesen Verfahrensteil noch den "Entwurf vom 18.09.2006 mit den Erweiterungen, wie sie besprochen worden sind", noch den Inhalt der "getroffenen Absprachen" mitgeteilt.

bb) In den von der Revision genannten Fällen, in denen Urkundenbeweis erhoben wurde, erfolgte die Verlesung - was die Revision ebenfalls nicht vorgetragen hat - "gem. § 251 Abs. 1 Ziff.1 StPO auf gerichtliche Anordnung" (Prot. Bd. S. 157), was nahe legt - und ggf. im Wege des Freibeweises zu klären gewesen wäre -, dass ein Gerichtsbeschluss vorlag.

cc) Außer in den vom Beschwerdeführer genannten Fällen sind weitere Antwortschreiben auf die gerichtliche Anfrage - u.a. der Firmen Wi. GmbH und F. GmbH, bei denen die Revision behauptet, dass über die Schäden überhaupt kein Beweis erhoben worden sei - im Hauptverhandlungstermin vom 18. Januar 2007 "im Einverständnis aller Beteiligten ... gemäß § 251 Abs. 1 Ziffer 1 StPO " verlesen worden (Prot. Bd. S. 237).

b) Die Verfahrensrügen sind aber auch - insgesamt - unbegründet.

aa) Die Feststellungen zu der betrügerischen Absprache und "der praktischen Umsetzung dieses Vorhabens" beruhen nach den Urteilsgründen im Wesentlichen auf den Angaben des ehemaligen Mitangeklagten K. (UA 19, 23). Maßgebliche Beweismittel für die festgestellten Vermögensschäden waren, soweit Urkundenbeweis erhoben wurde, die Antwortschreiben der geschädigten Firmen auf die gerichtliche Anfrage (UA 26). Aus ihnen ergeben sich die getroffenen Feststellungen zu den Schäden, soweit sie für den Schuldspruch und den Strafausspruch von Bedeutung sind. Wie die Revision selbst vorträgt, haben die Verfahrensbeteiligten der Verlesung dieser Schreiben zugestimmt. Ein Verstoß gegen § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO liegt somit nicht vor. Die Schreiben durften auch - soweit es um die Höhe der Vermögensschäden ging - nach § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO verlesen werden.

Selbst wenn die Verlesungen deswegen rechtsfehlerhaft gewesen sein sollten, weil sie nicht durch Gerichtsbeschluss angeordnet wurden (§ 251 Abs. 4 Satz 1 StPO ), beruhte das Urteil nicht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO ); denn es kann ausgeschlossen werden, dass sich den Verfahrensbeteiligten der Grund der Verlesungen nicht erschlossen hat bzw. das Gericht die Verlesungsvoraussetzungen (§ 251 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StPO ) möglicherweise verneint hätte (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 52 , 53).

bb) Ein Verstoß gegen § 261 StPO ist ebenfalls nicht erwiesen.

Im Urteil ist ausgeführt, dass die Feststellungen zu den einzelnen Warenbestellungen und Lieferungen auf den glaubhaften Angaben des ehemaligen Mitangeklagten K., soweit dieser Angaben hierzu machen konnte, und den im Einverständnis mit allen Beteiligten gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO [richtig wohl: § 251 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StPO] verlesenen "entsprechenden Erklärungen" geschädigter Firmen beruhen (UA 26). Für elf der geschädigten Firmen trägt die Revision selbst vor, dass die Antwortschreiben der Firmen auf die Anfragen des Landgerichts verlesen wurden. Im Hinblick auf zwei weitere Firmen (F. GmbH und Wi. GmbH) wurden die Antwortschreiben ebenfalls verlesen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass der geständige ehemalige Mitangeklagte K. in sechs weiteren Fällen an den Taten selbst beteiligt war, die dazu getroffenen Feststellungen also auf seinen Angaben beruhen können. In dem dann noch verbleibenden letzten Fall (Parkettkontor) können die den Schuld- und Strafausspruch tragenden Feststellungen zum Schaden (ungefähre Zeitpunkte der Bestellung und Lieferung, ungefähre Höhe des Schadens, Nichtzahlung) ebenfalls auf den Angaben des ehemaligen Mitangeklagten K. beruhen. Zusätzlich können dazu auch die geständige ehemalige Mitangeklagte S. oder auch der in der Hauptverhandlung vernommene (Prot. Bd. S. 78) polizeiliche Sachbearbeiter V. gehört worden sein. Der geltend gemachte Verfahrensverstoß ist somit nicht bewiesen (vgl. BGHSt 16, 164, 167; 21, 4, 10). Eine Rekonstruktion der Beweisaufnahme ist - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - dem Revisionsgericht insoweit verwehrt (vgl. BGHSt 17, 351 , 352 f.; 31, 139, 140).

Vorinstanz: LG Essen, vom 06.02.2007