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BGH - Entscheidung vom 25.09.2007

KVR 19/07

Normen:
GWB § 35 Abs. 2 S. 1 Nr. 2

Fundstellen:
AG 2008, 122
BB 2008, 185
BGHReport 2008, 137
BGHZ 174, 12
GRUR-RR 2008, 203
GRURInt 2008, 255
NJW-RR 2008, 636
WM 2007, 2343
ZIP 2008, 337
wrp 2008, 118

BGH, Beschluß vom 25.09.2007 - Aktenzeichen KVR 19/07

DRsp Nr. 2007/21994

"Sulzer/Kelmix"; Maßgebliche Umsätze für die Anwendung der Bagatellmarktklausel

»Für die Bagatellmarktklausel des § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB ist - anders als bei der Marktabgrenzung im Rahmen des § 19 Abs. 2 GWB - lediglich auf die im Inland erzielten Umsätze abzustellen.«

Normenkette:

GWB § 35 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ;

Gründe:

I. Die Betroffene zu 1 (nachfolgend Sulzer) ist ein Tochterunternehmen der in der Schweiz ansässigen Sulzer AG, die über ihre Tochterunternehmen im Bereich der Oberflächentechnologien und -dienstleistungen, insbesondere auf dem Gebiet der Komponenten und Dienstleistungen für Trennkolonnen und statisches Mischen tätig ist. Die Betroffene zu 2 (nachfolgend Kelmix) gehört zur Mixpac-Gruppe (nachfolgend Mixpac). Diese stellt Zweikomponentenmisch- und -applikationssysteme auf Kartuschenbasis einschließlich der Mischer und der Handaustraggeräte her. Die Betroffene zu 3 (nachfolgend Werfo) gehört zur Werfo-Gruppe, die unter anderem im Spritzgussverfahren Kunststoffartikel herstellt.

Mit Schreiben vom 25. August 2006 meldeten die Betroffenen zu 1 bis 5 beim Bundeskartellamt den geplanten Erwerb von 75,1% der Anteile der Kelmix, 76% der Werfo, 76% der Mold AG und von 100% des Gründerrechts der Mold Anstalt sowie von Kaufoptionen über die restlichen Anteile durch Sulzer an. Nachdem das Bundeskartellamt das Hauptprüfverfahren eingeleitet und mitgeteilt hatte, dass gegen das Zusammenschlussvorhaben wettbewerbliche Bedenken bestünden, haben die Betroffenen die Anmeldung am 29. Dezember 2006 zurückgenommen und gleichzeitig den Vollzug des Zusammenschlusses angezeigt.

Mit Beschluss vom 14. Februar 2007 hat das Bundeskartellamt den Zusammenschluss untersagt und dessen Auflösung angeordnet (BKartA WuW/E DE-V 1340). Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Anteilserwerb an Mixpac durch Sulzer zu einer Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von Mixpac auf dem Markt für die Herstellung von Kartuschen, Mischern und Austraggeräten für Zweikomponenten-Material für die medizinische Anwendung und zur Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für die genannten Geräte für Industrieanwendungen führe. Die Verstärkungswirkungen lägen im Bereich der medizinischen Anwendung in erster Linie im Wegfall eines potentiellen Wettbewerbers, der mit dem patentierten Mischerprodukt "Quadromischer" noch über die beste Marktzutrittschance verfüge und auf dem Markt bereits Erlöse erzielt habe. Nach Ansicht des Bundeskartellamts unterliegt der Anteilserwerb an Mixpac gemäß § 35 Abs. 1 GWB der Fusionskontrolle. Die Bagatellmarktklausel (§ 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB ) sei nicht anwendbar. Zwar sei auf keinem der betroffenen sachlich relevanten Einzelmärkte die Umsatzschwelle von 15 Mio. EUR im Inland überschritten. Jedoch sei entweder auf die bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise zugrunde zu legenden räumlich relevanten Märkte abzustellen, die hier zumindest europaweit abzugrenzen seien und deren Umsatzschwelle jeweils über 15 Mio. EUR liege, oder aber es seien die Inlandsumsätze zu addieren, da es sich um sachlich eng benachbarte Märkte handele.

Gegen diesen Beschluss haben die Betroffenen zu 1 bis 5 Beschwerde eingelegt. Auf Antrag der Betroffenen zu 1 bis 5 hat das Beschwerdegericht die aufschiebende Wirkung der Beschwerde bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache angeordnet (OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 1931). Hiergegen richtet sich die - vom Beschwerdegericht zugelassene - Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts.

II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die Aufhebung der angefochtenen Verfügung überwiegend wahrscheinlich ist. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Anteilserwerb an Mixpac durch Sulzer betreffe zwei unterschiedliche Märkte, die in räumlicher Hinsicht beide zumindest europaweit abzugrenzen seien. Das Bundeskartellamt habe zutreffend den Markt für Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für Zweikomponenten-Material danach unterteilt, in welchem Bereich die hergestellten Geräte zum Einsatz kämen. Die aufgezeigten Unterschiede zwischen den genannten Produkten, die für die Anwendung im medizinischen Bereich vorgesehen seien, und denen, die im Industriebereich zum Einsatz kämen, seien nach derzeitigem Sachstand so gewichtig, dass die Annahme eines einheitlichen Marktes nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden könne.

Die Bagatellmarktklausel finde Anwendung. Auf keinem der beiden Märkte, die von dem Anteilserwerb von Sulzer an der Mixpac-Gruppe betroffen seien, sei die Umsatzschwelle von 15 Millionen EUR überschritten. Entscheidend sei allein der im Inland erzielte Umsatz. Die in § 19 Abs. 2 Satz 3 GWB zum Ausdruck kommende ökonomische Marktabgrenzung sei auf die Bagatellmarktklausel nicht anzuwenden. Hierfür spreche eine Gesamtwürdigung des Wortlauts und der mit den Vorschriften des § 19 Abs. 2 Satz 3 und § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB verfolgten Zwecke.

Die Umsatzerlöse seien für die Prüfung der Bagatellmarktschwelle nicht zusammenzufassen. Die für das Eingreifen der Bagatellmarktklausel relevante gesamtwirtschaftliche Bedeutung eines Zusammenschlusses könne sich auch daraus ergeben, dass sich ein Zusammenschluss auf mehrere sachlich getrennte Einzelmärkte auswirke. Voraussetzung hierfür sei, dass eine isolierte Betrachtung der Einzelmärkte dem Sinn und Zweck der Bagatellmarktklausel, Vorhaben von der Fusionskontrolle auszunehmen, die einen gesamtwirtschaftlich unbedeutenden Markt betreffen, nicht gerecht werde. Dies sei anzunehmen, wenn die Einzelmärkte als gleichartig anzusehen seien. Sie müssten in sachlicher Hinsicht und auch hinsichtlich ihrer Marktstruktur hinreichende Übereinstimmungen aufweisen. Im Streitfall seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

III. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist rechtlich plausibel und lässt keinen erheblichen Rechtsfehler erkennen.

1. Entscheidungen des Beschwerdegerichts nach § 65 Abs. 3 GWB können im Rechtsbeschwerdeverfahren nur beschränkt überprüft werden. Das Verfahren nach § 65 Abs. 3 GWB ist ein Eilverfahren, in dem anders als im Beschwerdeverfahren nach § 63 GWB keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle der angefochtenen Verfügung der Kartellbehörde erfolgt. Nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 GWB ist Prüfungsmaßstab für die vom Beschwerdegericht vorzunehmende Rechtmäßigkeitskontrolle, ob "ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung" bestehen. Das Rechtsbeschwerdegericht prüft das dabei vom Beschwerdegericht gefundene Ergebnis nur auf rechtliche Plausibilität (BGH, Beschl. v. 8.5.2007 - KVR 31/06, WuW/E DE-R 2035 Tz. 17 - Lotto im Internet).

2. Das Beschwerdegericht hat berechtigte Zweifel gegenüber der Auffassung des Bundeskartellamts zum Ausdruck gebracht, der zufolge das beanstandete Vorhaben den Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle unterliegt. Der Zusammenschluss ist zwar nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB grundsätzlich kontrollpflichtig. Mit vertretbaren Erwägungen hat das Beschwerdegericht jedoch die Voraussetzungen der Bagatellmarktklausel nach § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB bejaht. Nach dieser Vorschrift gilt § 35 Abs. 1 GWB nicht, soweit ein Markt betroffen ist, auf dem seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf dem im letzten Kalenderjahr weniger als 15 Mio. EUR umgesetzt wurden. Dass diese Umsatzschwelle im Streitfall überschritten ist, hat das Beschwerdegericht mit Recht in Zweifel gezogen.

3. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts betrifft der vollzogene Zusammenschluss den räumlich europaweit abzugrenzenden Markt für Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für Zweikomponenten-Material, der sich nach dem Verwendungszweck in zwei sachlich relevante Teilmärkte unterteilen lässt: den Markt für medizinische Anwendungen/Dentalanwendungen und den Markt für Industrieanwendungen (industrielle und Bauanwendungen). Damit hat das Beschwerdegericht den relevanten Markt in Übereinstimmung mit dem Bundeskartellamt bestimmt.

a) Allerdings sind in den relevanten Markt auch Produkte einzubeziehen, die mit den anderen auf dem ins Auge gefassten Markt angebotenen Produkten nicht funktionell austauschbar sind, die jedoch die Grundlage dafür bieten, dass ihr Hersteller bei Vorliegen günstiger Wettbewerbsbedingungen jederzeit sein Sortiment umstellen und ein Konkurrenzprodukt anbieten könnte. Eine solche Angebotsumstellungsflexibilität kann jedoch nach der Rechtsprechung des Senats nur angenommen werden, wenn die Umstellung kurzfristig und mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand erfolgen kann (BGHZ 170, 299 Tz. 20 - National Geographic II). Da das Beschwerdegericht entsprechende Feststellungen nicht getroffen hat und die Marktabgrenzung auch im Übrigen keinen Rechtsfehler erkennen lässt, ist für das summarische Verfahren die vom Beschwerdegericht vorgenommene Marktabgrenzung zugrunde zu legen.

b) Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist auf jedem dieser Märkte die Umsatzschwelle von 15 Mio. EUR überschritten, wenn man die europaweit erzielten Umsätze zugrunde legt. Dagegen liegt der im Inland erzielte Marktumsatz auf beiden Märkten jeweils unter 15 Mio. EUR. Das Beschwerdegericht hat zu Recht bei der Anwendung der Bagatellmarktklausel auf die im Inland erzielten Umsätze abgestellt.

Zwar stellt § 19 Abs. 2 Satz 3 GWB in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 160, 321 , 327 ff. - Staubsaugerbeutelmarkt) nunmehr ausdrücklich klar, dass der räumlich relevante Markt "im Sinne dieses Gesetzes" weiter sein kann als der Geltungsbereich des GWB . Es besteht jedoch Streit darüber, ob diese ökonomische Marktabgrenzung auch bei der Ermittlung der nach § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB maßgeblichen Umsätze zugrunde zu legen ist. Nach der - von einem Teil des Schrifttums geteilten - Auffassung des Bundeskartellamts ist der relevante Markt einheitlich, also auch bei der Anwendung der Bagatellmarktklausel, ökonomisch abzugrenzen (BKartA WuW/E DE-V 1247, 1250; WuW/E DE-V 1340, 1344 f.; ebenso Ruppelt in Langen/Bunte, Kartellrecht, 10. Aufl., § 35 GWB Rdn. 24; Westermann/Bergmann, ZWeR 2006, 216, 232). Danach wäre in Fällen wie dem vorliegenden, in dem der räumlich relevante Markt über das Bundesgebiet hinausreicht, nicht nur auf den inländischen Teil des Gesamtumsatzes abzustellen. Nach der Gegenauffassung ist demgegenüber für die Prüfung der nach § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB maßgeblichen Schwelle - entsprechend der Rechtspraxis des Bundeskartellamts vor dem Inkrafttreten der 7. GWB -Novelle (WuW/E DE-V 203, 204) - stets auf die im Inland erzielten Umsätze im Sinne einer normativen Marktabgrenzung abzustellen (vgl. Burholt, WuW 2005, 889, 891; Kahlenberg/Haellmigk, BB 2005, 1509, 1511; Bauer in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 35 GWB Rdn. 16 f.; Stadler in Langen/Bunte aaO. § 130 GWB Rdn. 185; Bechtold, GWB , 4. Aufl., § 35 Rdn. 35; vgl. auch Monopolkommission, Hauptgutachten 2004/05 Tz. 458).

Die zuletzt genannte Auffassung verdient den Vorzug. Sinn und Zweck der Bagatellmarktklausel ist es, Vorhaben, die einen gesamtwirtschaftlich unbedeutenden Markt betreffen, von der Fusionskontrolle auszunehmen (Begründung des Regierungsentwurfs zur 2. GWB -Novelle BT-Drucks. VI/2520 S. 32; BGH, Beschl. v. 19.12.1995 - KVR 6/95, WuW/E 3037, 3042 - Raiffeisen; BGHZ 168, 295 Tz. 14 - Deutsche Bahn/KVS Saarlouis). An dieser grundsätzlichen Zielrichtung hat sich durch die Verlagerung der Bagatellmarktklausel aus dem Bereich der materiellen Untersagungsvoraussetzungen in die Vorschriften über den Geltungsbereich der Zusammenschlusskontrolle und durch die Erhöhung des Schwellenwerts von 10 auf 30 Millionen DM im Rahmen der 6. GWB -Novelle nichts geändert (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zur 6. GWB -Novelle BT-Drucks. 13/9720 S. 56; BGHZ 168, 295 Tz. 14 - Deutsche Bahn/KVS Saarlouis; BKartA WuW/E DE-V 203, 204). Bei der (Neu-)Festsetzung der für tolerabel erachteten Maximalgröße von Bagatellmärkten hat sich der Gesetzgeber deshalb an der relativen Bedeutung solcher Märkte im Verhältnis zur inländischen Gesamtwirtschaft orientiert. Wollte man die durch die 7. GWB -Novelle nicht veränderte Schwelle von 15 Mio. EUR auf räumlich relevante europäische oder gar weltweite Märkte beziehen, könnten Zusammenschlüsse auf Märkten geprüft und untersagt werden, die einen im Inland unbedeutenden Markt betreffen. Dies widerspräche dem Sinn und Zweck der Bagatellmarktklausel (OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 1881, 1884; Burholt, WuW 2005, 889, 893; Stadler in Langen/Bunte aaO. § 130 GWB Rdn. 185; Bauer in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff aaO. § 35 GWB Rdn. 16; Monopolkommission, Hauptgutachten 2004/05 Tz. 457).

Dieser Auslegung des Marktbegriffs in § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB steht § 19 Abs. 2 Satz 3 GWB nicht entgegen, wonach der räumlich relevante Markt weiter sein kann als der Geltungsbereich des Gesetzes (a.A. Ruppelt in Langen/Bunte aaO. § 35 GWB Rdn. 24; Westermann/Bergmann, ZWeR 2006, 216, 232). Zwar dient diese durch die 7. GWB -Novelle eingefügte Bestimmung der Klarstellung, dass grundsätzlich für die Abgrenzung des relevanten Marktes ein ökonomischer Marktbegriff zugrunde zu legen ist, der nicht nur für den Bereich der Missbrauchsaufsicht, sondern generell bei der Anwendung des Gesetzes gilt, insbesondere also auch für die Zusammenschlusskontrolle (Begründung des Regierungsentwurfs zur 7. GWB -Novelle BT-Drucks. 15/3640 S. 30). Der Gesetzgeber wollte damit allerdings lediglich der bereits mit der 6. GWB -Novelle verfolgten Absicht Nachdruck verleihen, dass bei der Prüfung der Marktbeherrschung die Wettbewerbsverhältnisse auf dem ökonomisch relevanten Markt maßgeblich sein sollen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zur 7. GWB -Novelle aaO.). Eine Aussage darüber, dass sich diese Klarstellung auch auf die Bestimmung des Bagatellmarkts bezieht, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Eine solche Klarstellung hätte auch deshalb nahegelegen, weil das Bundeskartellamt nach dem Inkrafttreten der 6. GWB -Novelle in seiner Entscheidungspraxis bei der Marktabgrenzung bereits den ökonomischen Marktbegriff zugrunde gelegt, bei der Anwendung der Bagatellmarktklausel aber weiterhin auf den (normativen) Inlandsmarkt abgestellt hatte (BKartA WuW/E DE-V 203, 204).

Für eine Zugrundelegung allein der Inlandsumsätze im Rahmen der Anwendung der Bagatellmarktklausel spricht auch die Kollisionsnorm des § 130 Abs. 2 GWB (vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten 2004/05 Tz. 458; OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 1881, 1886; Stadler in Langen/Bunte aaO. § 130 GWB Rdn. 185). Danach findet das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Anwendung auf alle Wettbewerbsbeschränkungen, die sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes auswirken (Auswirkungsprinzip). Diese Kollisionsnorm erfasst auch die Fusionskontrolle (vgl. zu § 98 Abs. 2 GWB a.F. BGH, Beschl. v. 29.5.1979 - KZR 2/78, WuW/E 1613, 1614 - Organische Pigmente). Um angesichts der Vielfalt denkbarer Rückwirkungen eine vom Gesetz nicht gewollte uferlose Ausdehnung des internationalen Anwendungsbereichs der Sachnormen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern, bedarf es einer Eingrenzung und Konkretisierung der maßgebenden Inlandsauswirkungen nach dem Schutzzweck des GWB allgemein und der jeweils in Frage kommenden speziellen Sachnorm (BGHSt 25, 208, 212 - Ölfeldrohre; BGH WuW/E 1613, 1614 - Organische Pigmente). In diesem Zusammenhang ist die Bagatellmarktklausel des § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB zu sehen, die verhindern soll, dass ein Zusammenschluss untersagt werden muss, obwohl seine Auswirkungen in Deutschland nur marginal sind. Diesem Verständnis folgend hat das Bundeskartellamt vor dem Inkrafttreten der 7. GWB -Novelle in Fällen mit Auslandsberührung das Übergewicht des Interesses an seiner Regelungsbefugnis damit begründet, dass ein volkswirtschaftlich bedeutsamer Inlandsmarkt betroffen sei (BKartA WuW/E 2405, 2413; WuW/E 2521, 2540; vgl. zum völkerrechtlichen Abwägungsgebot Barthelmeß/Rudolf, WuW 2003, 1176, 1179).

Entgegen der Auffassung des Bundeskartellamts könnte eine uferlose Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Sachnormen des GWB bei Zugrundelegung eines ökonomischen Marktbegriffs im Rahmen der Bagatellmarktklausel auch nicht durch den Filter des § 130 Abs. 2 GWB und durch die Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB verhindert werden. Beide Vorschriften können die auf den Inlandsmarkt bezogene Wirkung der Bagatellmarktklausel nicht ersetzen. Die Vorschrift des § 130 Abs. 2 GWB enthält ihrem Wortlaut nach gerade keine Einschränkung des Auswirkungsprinzips. Zwar steht auch der Auswirkungsgrundsatz unter einem Spürbarkeitsvorbehalt (BGH WuW/E 1613, 1614 f. - Organische Pigmente); doch fehlt es bei dieser ungeschriebenen Einschränkung an einer klaren Grenze, wie sie im Rahmen der Aufgreifkriterien in der Zusammenschlusskontrolle vonnöten ist. Die Inlandsumsatzschwelle des § 35 Abs. 1 Nr. 2 GWB dient zwar einem ähnlichen, aber nicht demselben Zweck wie die Bagatellmarktklausel: Sie nimmt Unternehmen mit vergleichsweise geringen Umsätzen generell von der Zusammenschlusskontrolle aus. Die Bagatellmarktklausel greift dagegen auch dann ein, wenn ein umsatzstarkes Unternehmen an dem Zusammenschluss beteiligt ist, der Zusammenschluss sich aber nur auf einem (Inlands-)Markt von geringer wirtschaftlicher Bedeutung auswirkt.

c) Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts erreicht keiner der beiden Märkte im Inland die Umsatzschwelle des § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB . Die Annahme des Beschwerdegerichts, dass eine am Sinn und Zweck der Bagatellmarktklausel orientierte Auslegung eine Addition der Inlandsumsätze auf den beiden sachlich relevanten Märkten nicht gebietet, hält der eingeschränkten rechtlichen Überprüfung, wie sie im Rahmen des Eilverfahrens allein in Betracht kommt (dazu oben III 1), stand.

aa) Sind von dem Zusammenschluss mehrere Märkte betroffen, auf denen für sich genommen jeweils Umsatzerlöse von weniger, zusammengerechnet aber von mehr als 15 Mio. EUR erzielt werden, hat der Bundesgerichtshof eine Addition der Umsätze unter besonderen Voraussetzungen zugelassen: Ausgehend vom Zweck der Bagatellmarktklausel, Vorhaben, die einen gesamtwirtschaftlich unbedeutenden Markt betreffen, von der Fusionskontrolle auszunehmen, hat der Senat die Anwendung der Klausel im Falle einer künstlichen Marktaufteilung abgelehnt, in dem die Abgrenzung lokaler Teilmärkte durch ein am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen willkürlich herbeigeführt worden war (BGHZ 81, 56, 62 - Transportbeton Sauerland). Ebenso kann eine gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Zusammenschlusses nach der Senatsrechtsprechung nicht verneint werden, wenn von dem Zusammenschluss eine Vielzahl benachbarter, jeweils entsprechend strukturierter räumlicher Märkte betroffen sind, die von den Zusammenschlussbeteiligten durch flächendeckende Organisationsstrukturen abgedeckt werden, und auf diesen Märkten zusammengerechnet Umsätze erzielt werden, die über die Bagatellmarktschwelle weit hinausgehen (vgl. BGH WuW/E 3037, 3043 - Raiffeisen). Schließlich hat der Senat eine Bündelung der auf verschiedenen sachlich relevanten Märkten erzielten Umsätze dann für notwendig angesehen, wenn die Zusammenschlussbeteiligten gleichzeitig auf dem Bagatellmarkt und einem vor- oder nachgelagerten Nicht-Bagatellmarkt tätig sind und die Wettbewerbsbedingungen auf dem Bagatellmarkt unmittelbar darüber entscheiden, welche Wettbewerber rechtlich und tatsächlich in der Lage sind, ihre Waren oder Dienstleistungen auch auf dem anderen Markt anzubieten (BGHZ 168, 295 Tz. 16 - Deutsche Bahn/KVS Saarlouis).

bb) Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass die Frage, unter welchen allgemeinen Voraussetzungen sachlich relevante Märkte im Hinblick auf die Bagatellmarktklausel zusammengefasst werden können, weder in der Praxis des Bundeskartellamts noch in der wissenschaftlichen Diskussion hinreichend geklärt ist. Das Bundeskartellamt ist in seiner bisherigen Entscheidungspraxis davon ausgegangen, dass die Bagatellmarktklausel jedenfalls dann nicht anwendbar ist, wenn sich Nachfrager und Wettbewerber der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen einer einheitlichen Unternehmenspolitik gegenübersehen, die Wettbewerbsbedingungen auf den betroffenen Märkten nicht voneinander unabhängig betrachtet werden können und die Märkte zusammengenommen eine gesamtwirtschaftliche Bedeutung erlangen. Die isolierte Betrachtung sachlich eng benachbarter Märkte widerspreche insbesondere dann dem Sinn und Zweck der Bagatellmarktklausel, wenn diese Märkte durch eine moderate Angebotsumstellungsflexibilität gekennzeichnet seien, die marktbestimmenden Anbieter und Nachfrager im Wesentlichen identisch seien und die Produkte über dieselben Vertriebswege abgesetzt und einheitlich vermarktet würden (BKartA WuW/E DE-V 203, 205; WuW/E DE-V 717, 718; WuW/E DE-V 1078, 1079; zustimmend Mestmäcker/Veelken in Immenga/Mestmäcker, GWB , 4. Aufl., § 35 Rdn. 39; Bauer in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff aaO. § 35 GWB Rdn. 14; Ruppelt in Langen/Bunte aaO. § 35 GWB Rdn. 26; differenzierend J. P. Schmidt, WuW 2003, 885, 896). Dabei hat das Bundeskartellamt eine weitgehende Identität der Nachfrager auch bei moderater Angebotsumstellungsflexibilität zunächst als notwendige Bedingung für die Annahme sachlich benachbarter Märkte angesehen (BKartA WuW/E DE-V 717, 718).

cc) Das Beschwerdegericht hat - ausgehend nicht nur von der Senatsrechtsprechung, sondern auch von der Entscheidungspraxis des Amtes - angenommen, die gesamtwirtschaftliche Bedeutung eines Zusammenschlusses könne sich auch daraus ergeben, dass er sich auf mehrere sachlich getrennte Einzelmärkte auswirke. Allerdings müsse eine Zusammenfassung der Märkte aus besonderen Gründen erforderlich sein, die anzunehmen seien, wenn es sich um gleichartige Einzelmärkte handele, die in sachlicher Hinsicht und in ihrer Marktstruktur im Wesentlichen übereinstimmten.

Diese Voraussetzungen hat das Beschwerdegericht jedoch im Streitfall verneint: Der Markt für Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für Zweikomponenten-Material für medizinische Anwendungen und der Markt für entsprechende Produkte für Industrieanwendungen seien nicht gleichartig. Zwar seien die auf beiden Märkten angebotenen Waren als solche sehr ähnlich, da die angebotenen Kartuschen, Mischer und Austraggeräte sich im Wesentlichen nur ihrer Größe nach unterschieden. Jedoch sei die Marktstruktur beider Märkte völlig unterschiedlich. Der Markt der für die medizinische Anwendung bestimmten Produkte werde von der Mixpac-Gruppe mit einem Marktanteil von über 95% beherrscht. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes sei diese Alleinstellung das Ergebnis einer Systemanbieterstellung, die durch eine äußerst hohe Produktqualität und zahlreiche Patente für essentielle Schnittstellen ihrer Produkte abgesichert sei. Die patentrechtlich geschützten Schnittstellen zwischen Kartuschen und Dosierpistolen und zwischen Mischern und Kartuschen hätten sich als Industriestandard durchgesetzt. Auf dem Markt für Kartuschen, Mischer und Austraggeräte für Industrieanwendungen seien die Wettbewerbsbedingungen völlig anders. Mit Sulzer, Ritter und Mixpac seien etwa drei gleich große Anbieter tätig. Eine Systembindung bestehe nicht. Die Kartuschen und Austraggeräte aller Hersteller könnten miteinander kombiniert werden. Auch die Nachfrager seien auf beiden Märkten völlig unterschiedlich. Zwischen den Märkten für Medizin-/Dental- und Industrieanwendungen bestehe auch keine Produktionsumstellungsflexibilität, die im Rahmen der Bagatellmarktklausel eine Zusammenfassung beider Inlandsumsätze gebiete. In der angefochtenen Entscheidung gehe das Bundeskartellamt von einer lediglich "eingeschränkten" anbieterseitigen Produktionsumstellungsflexibilität der auf beiden Märkten tätigen Hersteller aus. Es erscheine allenfalls möglich, mit 50-ml-Kartuschen aus dem Dentalbereich in den Industriebereich einzutreten, hingegen sei dies vom Industrie- zum Dentalbereich nicht möglich gewesen. Selbst wenn es den Anbietern für Industrieanwendungen ohne großen Zeit- und Kostenaufwand möglich sein sollte, ihre Produktion umzustellen und Kartuschen, Mischer und Austraggeräte (auch) für medizinische Anwendungen herzustellen, so sei ein Marktzutritt und eine hiermit einhergehende Angleichung der Wettbewerbsverhältnisse zwischen dem Markt für Industrie- und dem Markt für medizinische Anwendungen dennoch nur theoretisch denkbar. Tatsächlich sei die Marktstellung der Mixpac-Gruppe im Medizin-/Dentalbereich so dominant, dass in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Wettbewerbsverhältnisse nicht gerechnet werden könne. Ursächlich hierfür seien vor allem die herausragende Qualität und die patentrechtlich geschützten Schnittstellen ihrer systemgebundenen Produkte. Der Wechsel zu einem anderen Anbieter wäre selbst bei vollständiger Kompatibilität der Produkte mit erheblichen Schulungskosten und einem erheblichen Zeitaufwand verbunden.

dd) Diese Beurteilung ist im Rahmen der eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeiten, die sich dem Senat im Eilverfahren bieten, nicht zu beanstanden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bündelung der Umsätze, die auf verschiedenen sachlich relevanten Märkten erzielt werden, eine Ausnahme darstellt, die auf klar definierte Fallgruppen beschränkt sein muss. Denn es handelt sich bei der Bagatellmarktklausel um ein Aufgreifkriterium; seine Voraussetzungen müssen von den Zusammenschlussbeteiligten ohne große Schwierigkeiten zuverlässig ermittelt werden können. Dies bedeutet, dass weitere Fallkonstellationen, in denen eine Umsatzaddition über die bisherige Senatsrechtsprechung hinaus zugelassen werden soll, in ihren Voraussetzungen hinreichend klar umschrieben sein müssen.

Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht eine Umsatzaddition der beiden hier in Rede stehenden Märkte - der Herstellung von Kartuschen, Mischern und Austraggeräten für Zweikomponenten-Material für die medizinische Anwendung auf der einen und der Herstellung entsprechender Geräte für Industrieanwendungen auf der anderen Seite - im Hinblick auf die bestehenden Strukturunterschiede verneint hat. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts beruhen die im Streitfall bestehenden Unterschiede in erster Linie darauf, dass die Mixpac-Gruppe im Bereich der medizinischen Anwendungen über einen extrem hohen Marktanteil verfügt, der auf eine durch hohe Produktqualität und zahlreiche Patente für die wesentlichen Schnittstellen abgesicherte Systemanbieterstellung zurückzuführen ist. Selbst wenn die dadurch bewirkte Abschottung eines sachlich relevanten Teilmarktes das Ergebnis einer strategischen Segmentierung mit Hilfe von Patenten darstellen sollte, ließe sich daraus entgegen der Auffassung des Bundeskartellamts keine klare Zuordnung zu der durch die Entscheidung "Transportbeton Sauerland" (BGHZ 81, 56, 62) geprägten Fallgruppe begründen, in der es um mehrere sachlich gleichartige lokale Märkte ging, die auf eine durch eine Zusammenschlussbeteiligte willkürlich herbeigeführte Marktaufteilung zurückzuführen waren.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Satz 2 GWB .

Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 05.03.2007 - Vorinstanzaktenzeichen VI-Kart 3/07 (V)
Fundstellen
AG 2008, 122
BB 2008, 185
BGHReport 2008, 137
BGHZ 174, 12
GRUR-RR 2008, 203
GRURInt 2008, 255
NJW-RR 2008, 636
WM 2007, 2343
ZIP 2008, 337
wrp 2008, 118