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BGH - Entscheidung vom 22.11.2007

III ZR 280/06

Normen:
BGB § 839
ZPO § 286

Fundstellen:
BGHReport 2008, 279
DVBl 2008, 535
MDR 2008, 207
NVwZ-RR 2008, 169
UPR 2008, 149
VersR 2008, 1067
ZUR 2008, 158

BGH, Urteil vom 22.11.2007 - Aktenzeichen III ZR 280/06

DRsp Nr. 2007/23968

Pflichten eines Entwässerungsverbandes bei absehbarem längerfristigen Ausfall von Entwässerungseinrichtungen; Anforderungen an den Nachweis der Kausalität der Verursachung eines Schadens

»a) Zu den Pflichten eines Entwässerungsverbands, bei einem absehbaren längerfristigen Ausfall von Entwässerungseinrichtungen Ersatz- und Vorsorgemaßnahmen zu treffen.b) Es besteht kein Anscheinsbeweis dahin, dass die Überschwemmung des Grundstücks eines Verbandsmitglieds auf das Abschalten eines Schöpfwerks zurückzuführen ist, wenn Vorkehrungen für eine anderweitige Ableitung des Niederschlagswassers getroffen waren.«

Normenkette:

BGB § 839 ; ZPO § 286 ;

Tatbestand:

Der klagende Landwirt bewirtschaftet in R. (Ostfriesland) einen überwiegend auf Milchwirtschaft ausgerichteten landwirtschaftlichen Betrieb. Er nimmt den beklagten Entwässerungsverband, dessen Mitglied er ist, wegen einer Überschwemmung seiner Grundstücke im September 2001 auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger ist Eigentümer von im R. H. gelegenen Flächen, die sich im Einzugsbereich des Schöpfwerks M. des beklagten Verbands befinden. Von April bis Oktober 2001 war das Schöpfwerk aufgrund von Bauarbeiten abgeschaltet. Im September 2001 kam es zu starken Regenfällen, bei denen die Weiden des Klägers teilweise im Wasser standen. Der Kläger führt dies auf einen Anstieg des Wassers im R. Tief und eine anschließende Überschwemmung seiner Grundstücke zurück und macht wegen der Stilllegung des Schöpfwerks M. sowie wegen mangelnder Vorsorgemaßnahmen den Beklagten dafür verantwortlich. Mit der Klage hat er Ersatz seines auf 19.499,64 EUR berechneten Schadens und Erstattung der Kosten eines zur Schadensermittlung eingeholten Privatgutachtens in Höhe von 639,16 EUR verlangt. Das Landgericht hat, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und den Rechtsstreit zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts haftet der beklagte Verband auf Schadensersatz, weil er seine dem Kläger gegenüber als Mitglied bestehende Verpflichtung, die Entwässerung der Weideflächen zu gewährleisten, schuldhaft nicht erfüllt habe (§ 839 Abs. 1 BGB ). Als Gegenleistung für den entrichteten Mitgliedsbeitrag schulde der Beklagte vor allem die Entwässerung der vom Kläger landwirtschaftlich genutzten Flächen. Diese Verpflichtung habe der Beklagte nicht erfüllt. Die Überschwemmungen seien auf ein schuldhaftes Fehlverhalten zurückzuführen. Zwar habe das Abschalten der Anlage selbst noch keine Pflichtverletzung dargestellt. Jedoch sei der Verband verpflichtet gewesen, für die Zeit der Reparatur und des Ausfalls des Schöpfwerks Vorsorge zu treffen, um die Entwässerung trotz dieser Einschränkungen sicherzustellen. Er sei indes auf die Betriebsbeeinträchtigungen nicht ausreichend vorbereitet gewesen. Wie sich bereits daraus ergebe, dass es erwiesenermaßen zu Überschwemmungen gekommen sei, habe die Mitinanspruchnahme der Kesselschleuse E. und der B. Schleuse nebst Handbetrieb der Stufenschöpfwerke nicht ausgereicht, um das Wasser bei Auftreten überdurchschnittlicher Regenmengen von den Weiden abzuschlagen. Angesichts der Bedeutung einer funktionierenden Entwässerung für die Mitglieder sei der Beklagte verpflichtet gewesen, eine vorhandene Pumpe in Betrieb zu nehmen und - gegebenenfalls darüber hinaus - zusätzliche mobile Pumpen anzumieten, um auch Spitzenbelastungen bewältigen zu können.

Die Pflichtverletzung sei für den eingetretenen Schaden kausal gewesen. Zwar sei es richtig, dass es nach dem vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten eine Mehrzahl möglicher Überschwemmungsursachen gebe, die zudem in nicht eindeutig unterscheidbarer Weise zusammengewirkt und einander beeinflusst haben könnten. Das entlaste den Beklagten jedoch nicht, weil auch eine Mitursächlichkeit zur Haftungsbegründung ausreiche. Dass aber ein Fehlverhalten auf Seiten des beklagten Verbands jedenfalls als mitursächlich in Betracht komme, habe der gerichtliche Sachverständige bestätigt. Dabei kämen dem Kläger die Grundsätze des Anscheinsbeweises zugute. Der hierfür erforderliche typische Geschehensablauf sei darin zu sehen, dass es gerade zu einem Zeitpunkt zu den festgestellten, im Ausmaß unüblichen Überschwemmungen gekommen sei, in dem das Entwässerungssystem des Beklagten teilweise lahmgelegt gewesen sei. Zwar könne der Beweis des ersten Anscheins durch einen Gegenbeweis erschüttert werden. Hierzu müssten jedoch Tatsachen, aus denen der Schluss auf die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des gewöhnlichen Ablaufs abgeleitet werden solle, voll bewiesen werden. Für derartige Tatsachen habe der beklagte Verband indessen keinen geeigneten Beweis angetreten.

II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Schadensersatzanspruch des Klägers unter dem Blickwinkel des § 839 BGB geprüft. Es geht hier - entgegen der Revision - nicht um eine der Allgemeinheit gegenüber obliegende Pflicht des Beklagten zur Unterhaltung von Gewässern gemäß §§ 28 , 29 WHG , die in Niedersachsen auch die Unterhaltung und den Betrieb von Anlagen zur Abführung des Wassers umfasst (§ 98 Abs. 2 Nr. 4 NWG ) und deren Verletzung der Senat in ständiger Rechtsprechung nach allgemeinem Deliktsrecht, insbesondere § 823 Abs. 1 BGB , beurteilt (BGHZ 121, 367 , 374; 125, 186, 188; Urteil vom 13. Juni 1996 - III ZR 40/95 - NJW 1996, 3208 , 3209; jeweils m.w.N.; kritisch hierzu Czychowski/Reinhardt, WHG 9. Aufl., § 28 Rn. 60; Reinhardt, NuR 2004, 420, 427 f.), sondern um die besonderen Pflichten eines Wasser- und Bodenverbands als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 1 Wasserverbandsgesetz - WVG ) gegenüber seinen Mitgliedern. Das Mitgliedschaftsverhältnis gehört dem öffentlichen Recht an. Pflichtverletzungen des Verbands in dieser Sonderverbindung können daher Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ) oder Schadensersatzansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis (vgl. Senatsurteil vom 5. März 1987 - III ZR 265/85 - VersR 1987, 768 f.; Urteil vom 8. März 2007 - III ZR 55/06 - RdL 2007, 182, 183 = NVwZ 2007, 1221 ) auslösen, regelmäßig aber nicht auf die allgemeinen Bestimmungen des Deliktsrechts gestützte sonstige Ersatzansprüche.

2. Hingegen ist die weitere Ansicht des Berufungsgerichts, als Gegenleistung für den Mitgliedsbeitrag schulde der Beklagte vor allem die Entwässerung der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke des Klägers, der Beklagte müsse, wie es an anderer Stelle heißt, deren Entwässerung "gewährleisten" oder "sicherstellen", ohne Grundlage. Der von den Verbandsmitgliedern zu entrichtende Beitrag besagt ersichtlich nichts über Inhalt und Umfang der den Beklagten treffenden Pflichten, im Gegenteil sind umgekehrt die Verbandsbeiträge unter anderem an den Vorteilen der Verbandsmitglieder oder den vom Verband für sie erbrachten Leistungen zu bemessen (§ 28 Abs. 4 WVG ). Der Pflichtenkreis des Beklagten ergibt sich vielmehr in erster Linie aus Gesetz und Satzung. Hierzu stellt das Berufungsgericht nichts fest. Es fehlt in dieser Beziehung auch an entsprechendem Parteivortrag.

Nach der im Revisionsverfahren vorgelegten Satzung des Beklagten vom 10. April 1996 hat der Verband außer dem Ausbau und der Unterhaltung von Gewässern II. und III. Ordnung (§ 2 Nr. 1 und 7) unter anderem zur Aufgabe, Grundstücke zu ent- und zu bewässern sowie Anlagen zur Ent- und Bewässerung herzustellen, zu beschaffen, zu betreiben, zu unterhalten und zu beseitigen (§ 2 Nr. 3 und 4). Für die Durchführung der Gewässerunterhaltung und des Gewässerausbaus verweist § 4 (Unternehmen, Plan) auf beim Verband aufbewahrte Verzeichnisse und Pläne. Näheres über den Pflichtenumfang des Beklagten bei der Entwässerung der im Verbandsgebiet gelegenen Grundstücke sowie der weiteren Abführung des Wassers ergibt sich aus diesen Bestimmungen nicht. Der bisher vorgetragene Sachverhalt lässt deswegen nur den allgemeinen Schluss zu, dass der Beklagte die Entwässerung des Verbandsgebiets im Rahmen des erkennbar Gebotenen und wirtschaftlich Vertretbaren so zu planen und durchzuführen hat, wie es den anerkannten Regeln der Entwässerungstechnik entspricht (vgl. Senatsurteil vom 5. März 1987 aaO. S. 769). Das schließt zwar Ersatz- und Vorsorgemaßnahmen bei einem absehbaren längerfristigen Ausfall von Entwässerungseinrichtungen ein, steht jedoch einer unbedingten Einstandspflicht des Verbands für die umfassende Entwässerung der Grundstücke nach Art einer Garantiehaftung, wie es in den Formulierungen des Berufungsgerichts anklingt, entgegen. Das Berufungsgericht wird daher erforderlichenfalls diesen Fragenkreis weiter aufzuklären haben. Dabei wird die Feststellung, welche Vorsorgemaßnahmen im Streitfall nach den anerkannten technischen Regeln zu treffen waren und ob hierfür die von dem Beklagten getroffenen Vorkehrungen ausreichten, nicht ohne sachverständige Hilfe zu treffen sein. Der Umstand allein, dass es gleichwohl zu einer Überschwemmung gekommen ist, genügt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts für eine Pflichtverletzung nicht. Schon aus diesem Grunde kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben.

3. Durchgreifenden Bedenken begegnen ferner die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Kausalität eines etwaigen Pflichtenverstoßes auf Seiten des Beklagten für den beim Kläger eingetretenen Schaden. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, dem Kläger kämen die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins zugute.

a) Die Frage, ob ein Anscheinsbeweis eingreift, unterliegt der Prüfung durch das Revisionsgericht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins nur bei typischen Geschehensabläufen anwendbar, d.h. in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (BGHZ 100, 31 , 33; 160, 308, 313; BGH, Urteil vom 5. April 2006 - VIII ZR 283/05 - NJW 2006, 2262 , 2263 Rn. 10). Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer bestimmten Tatsache für einen bestimmten Erfolg bei allen Sachverhalten der Fallgruppe notwendig immer vorhanden sein muss; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BGHZ 160 aaO.; Urteil vom 5. April 2006 aaO.).

b) Ein Wahrscheinlichkeitsurteil dieser Art ist im Streitfall schon wegen der Seltenheit und Komplexität des Sachverhalts nicht möglich. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass das Abschalten eines zur Entwässerung des Untergebiets betriebenen Schöpfwerks trotz Vorkehrungen für eine anderweitige Ableitung des Niederschlagswassers bei stärkeren Regenfällen in aller Regel zu einer Überschwemmung der anliegenden Grundstücksflächen führt. Dementsprechend hat der vom Landgericht beauftragte Sachverständige neben zeitweise zu hohen Wasserständen im R. Tief sowie unzureichender Vorflut zwischen einzelnen Teilflächen und den Stufenschöpfwerken oder einem Rückstau auf denselben Teilflächen wegen zu langer Außerbetriebnahme der Stufenschöpfwerke auch eine Reihe weiterer, nicht nur theoretisch denkbarer Ursachen genannt: unzureichende Unterhaltung der Entwässerungsgräben auf den Teilflächen, außergewöhnlich starke Niederschläge und niedrigere Geländehöhen in Abweichung von den Grundkarten. Dass die im Ausmaß unüblichen Überschwemmungen zeitlich mit den Beeinträchtigungen im Entwässerungssystem des Beklagten zusammenfielen, worauf sich das Berufungsgericht stützt, begründet allenfalls einen gewissen Anhalt, lässt aber schon deswegen den Schluss auf einen typischen Geschehensablauf nicht zu, weil Feststellungen zu den Auswirkungen ähnlicher Fallgestaltungen fehlen und sich auch die allgemeine Lebenserfahrung, wie ausgeführt, dafür nicht in Anspruch nehmen lässt.

III. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif. Infolgedessen ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache gemäß § 563 Abs. 1 ZPO zur erneuten tatrichterlichen Beurteilung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Vorinstanz: OLG Oldenburg, vom 06.10.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 6 U 224/05
Vorinstanz: LG Aurich, vom 13.07.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 5 O 1445/02
Fundstellen
BGHReport 2008, 279
DVBl 2008, 535
MDR 2008, 207
NVwZ-RR 2008, 169
UPR 2008, 149
VersR 2008, 1067
ZUR 2008, 158