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BGH - Entscheidung vom 16.08.2007

1 StR 304/07

Normen:
StPO § 136 Abs. 1 § 257

Fundstellen:
NStZ 2007, 719

BGH, Beschluß vom 16.08.2007 - Aktenzeichen 1 StR 304/07

DRsp Nr. 2007/16024

Keine Pflicht zur Entscheidung über einen Verwertungswiderspruch

1. Unter dem Gesichtspunkt fairer Verfahrensgestaltung ist in der tatrichterlichen Hauptverhandlung ein Zwischenbescheid, in dem sich das Gericht zur Frage eines Beweisverwertungsverbots erklären müsste, nicht vorgesehen. 2. Es ist dem Gericht aber keineswegs verboten, seine Rechtsauffassung hierzu mitzuteilen, ohne dass dies etwa den Vorwurf der Befangenheit begründen könnte.

Normenkette:

StPO § 136 Abs. 1 § 257 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwölf Fällen, Totschlags in fünfzehn Fällen, versuchten Totschlags, Tötung auf Verlangen, gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls in fünf Fällen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Es hat die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Dem Angeklagten, einem Krankenpfleger in der Klinik S., lag zur Last, Patienten der Inneren Station 1 verschiedene Medikamente gespritzt zu haben, die zum Erschlaffen der Muskulatur und letztlich auch zum Atemstillstand geführt haben oder führen sollten. Auf diese Weise tötete er 28 Patienten. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I. Die Verfahrensrügen bleiben erfolglos. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

1. Eine Verletzung der §§ 136 , 136a StPO liegt nicht vor.

a) Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte im Rahmen des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens wegen Diebstahls von Medikamenten bei der ersten Durchsuchung am 15. Juli 2004 vom Zeugen PHM H. ordnungsgemäß über seine Rechte nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt. Danach holte er anwaltlichen Rat ein und legte zum Vorwurf des Diebstahls ein schriftliches Geständnis ab. Damit kannte der Angeklagte seine Rechte als Beschuldigter.

b) Bei seiner Festnahme am 29. Juli 2004 wurde der Angeklagte auch nicht über die ihm zur Last gelegte Straftat getäuscht (§ 136a Abs. 1 Satz 1 StPO ), und es bedurfte keiner weiteren Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO . Die Strafkammer hat festgestellt, der Angeklagte habe den Zeugen KHK B. und KHK F. während der Festnahme in seiner Wohnung ein aus sieben Seiten bestehendes Geständnis übergeben. Bevor der Sachbearbeiter das Geständnis entgegengenommen habe, habe er den Angeklagten eingehend über seine Rechte und Pflichten als Beschuldigter belehrt. Im Anschluss daran hätten die Zeugen dem Angeklagten die Frage gestellt, ob er auch das Medikament Lysthenon entwendet und dazu verwendet habe, Menschen zu töten. Damit konfrontierten die Polizeibeamten den bereits über seine Rechte belehrten Angeklagten mit dem sich im Laufe der Ermittlungen konkretisierenden Verdacht der Verwendung gestohlener Medikamente zur Tötung von Patienten. In der anschließenden Beschuldigtenvernehmung machte der Angeklagte nach Beratung durch seinen Anwalt auch zu dem Vorwurf der Tötung umfangreiche Angaben. Der Ablauf dieser Vorgänge ergibt sich - neben der freibeweislichen Klärung durch den Tatrichter - auch aus dem von der Revision mitgeteilten Schlussbericht der Kriminalpolizeiinspektion vom 28. April 2005.

c) Es ist nach den Feststellungen auch keine auf Täuschung oder Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils beruhende Zusage erkennbar, bei einer geständigen Einlassung könnten Exhumierungen unterbleiben. Die Revision trägt selbst eine Beschuldigtenvernehmung vom 10. August 2004 vor, aus der sich die Auffassung des zuständigen Staatsanwalts Le. ergibt: "Herr L., ich möchte Ihnen etwas vorhalten (...) die bisherige Vernehmung ist nach dem Schema verlaufen, dass man nach fünf Sekunden, nach Benennung des Falles, Namen des Patienten eigentlich schon wissen konnte, wie Ihre Antwort ist. Ich kann Ihnen sagen, ich bin verpflichtet, den Fall aufzuklären und ich werde auch das Notwendige tun. Werde, wenn es so weiterläuft, die Exhumierungen dieser ganzen Verstorbenen anordnen." Solche Hinweise an den Angeklagten, eine Exhumierung komme bei seinem Aussageverhalten in Betracht und könnte nur bei geständigen Angaben verhindert werden, sprechen gegen eine Täuschung oder ein Versprechen. Sie waren nicht nur zulässig, sondern sachgerecht.

2. Soweit die Revision beanstandet, die Strafkammer habe den Widerspruch der Verteidigung gegen die Verwertung näher bezeichneter polizeilicher Aussagen nicht schon in der Hauptverhandlung beschieden, hat diese Rüge keinen Erfolg. Unter dem Gesichtspunkt fairer Verfahrensgestaltung ist in der tatrichterlichen Hauptverhandlung ein Zwischenbescheid, in dem sich das Gericht zur Frage eines Beweisverwertungsverbots erklären müsste, nicht vorgesehen. Freilich ist es dem Gericht auch keineswegs verboten, seine Rechtsauffassung hierzu mitzuteilen, ohne dass dies etwa den Vorwurf der Befangenheit begründen könnte. Im Übrigen konnte sich der Angeklagte in seinem Verteidigungsverhalten auf die in Betracht kommende Verwertung schon deshalb einstellen, weil das Landgericht die Angaben des Angeklagten bei der Polizei trotz des Widerspruchs zum Gegenstand der Beweisaufnahme machte und die Entscheidung über die Frage der Verwertbarkeit ausdrücklich der Urteilsberatung vorbehalten hatte.

3. Die Rüge, auch die nach § 27 StPO entscheidende Kammer sei befangen gewesen, scheitert an § 336 Satz 2 StPO . Die zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch berufenen Mitglieder dieser Strafkammer sind nicht mehr "erkennende Richter" im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO , wenn sie über das jeweilige Ablehnungsgesuch entschieden haben (vgl. OLG München, Beschl. vom 22. September 2006 - 3 Ws 748/06 - in dieser Sache; OLG Hamburg NStZ 1999, 50 und OLG Dresden, Beschl. vom 2. Februar 1995 - 1 Ws 193/94 -, www.juris.de). Gegen deren Entscheidung konnte der Angeklagte nach § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO sofortige Beschwerde einlegen, was er auch getan hat.

II. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Die Feststellungen und die Beweiswürdigung tragen den Schuldspruch. Die von der Strafkammer vorgenommene Abgrenzung zwischen den Fällen, in denen sie einen Heimtückemord und den Fällen, in denen sie wegen Fehlens der Wehrlosigkeit der Patienten einen Totschlag angenommen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Anordnung der besonderen Schwere der Schuld hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

Vorinstanz: LG Kempten, vom 20.11.2006
Fundstellen
NStZ 2007, 719