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BGH - Entscheidung vom 09.01.2007

4 StR 449/06

Normen:
StGB § 63

Fundstellen:
NStZ 2007, 266

BGH, Beschluß vom 09.01.2007 - Aktenzeichen 4 StR 449/06

DRsp Nr. 2007/2646

Keine Anordnung bei bloßem "Verdacht" einer Erkrankung (hier: Schizophrenie)

Besteht lediglich der "Verdacht" eines der in § 20 StGB aufgeführten Zustandes (hier: einer Schizophrenie), darf die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt nicht angeordnet werden.

Normenkette:

StGB § 63 ;

Gründe:

Das Landgericht hat nach Verbindung zweier Sicherungsverfahren und eines Strafverfahrens gegen den im Tatzeitraum 15 und 16 Jahre alten Beschuldigten bzw. Angeklagten (im folgenden Beschuldigten) sowohl im Sicherungsverfahren als auch im Strafverfahren verhandelt. Es hat wegen einer bei sämtlichen Taten bestehenden Schuldunfähigkeit dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Die gegen die Maßregelanordnung gerichtete Revision des Beschuldigten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat im Wesentlichen Erfolg.

1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann keinen Bestand haben, weil die Voraussetzungen des § 20 oder 21 StGB nicht, wie für die Maßregel nach § 63 StGB erforderlich, rechtsfehlerfrei festgestellt sind.

Der bereits im Kindesalter massiv verhaltensauffällige, in kein Umfeld integrierbare und bereits strafrechtlich in Erscheinung getretene Beschuldigte beging in der Zeit zwischen März 2004 und Juni 2005 zum Teil gemeinsam mit anderen Jugendlichen eine Vielzahl von Eigentumsdelikten, zumeist Einbrüche, um mit der Tatbeute Nahrungsmittel und Drogen zu finanzieren. Das Landgericht ist zu der Auffassung gelangt, der Beschuldigte leide an einer hebephrenen oder paranoiden Schizophrenie, mithin einer krankhaften seelischen Störung. Auf Grund dieser Erkrankung sei im Tatzeitraum die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten vollständig im Sinne des § 20 StGB aufgehoben gewesen, da es ihm krankheitsbedingt an der Kraft und Selbstkontrolle gefehlt habe, seinen Impulsen zur Tatbegehung zu widerstehen.

Diese Wertung findet in der Beweiswürdigung keine ausreichende Stütze. Die Frage, ob beim Beschuldigten im Tatzeitraum eine die Schuldunfähigkeit begründende Erkrankung aus dem Formenkreis der Schizophrenie vorlag, ist im Urteil vielmehr unklar behandelt. Nach übereinstimmender Meinung der gehörten Sachverständigen besteht beim Beschuldigten nämlich lediglich ein "Verdacht" auf eine paranoide Schizophrenie oder eine drogeninduzierte Psychose (UA 15). Dass sich dieses Krankheitsbild bereits im Tatzeitraum manifestiert hatte, lässt sich den Darlegungen der Sachverständigen, denen sich das Landgericht ohne weitere Begründung angeschlossen hat, nicht entnehmen. Vielmehr deutet die Erwägung, es sei "mit großer Wahrscheinlichkeit" davon auszugehen, dass sich beim Beschuldigten eine Schizophrenie "entwickele", da er glaubhaft von halluzinatorischen Wahrnehmungen berichte (UA 17), eher darauf hin, dass bei Begehung der Taten das Krankheitsbild einer Schizophrenie (noch) nicht ausgeprägt war.

Diese Unklarheiten werden auch nicht durch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. G. ausgeräumt. Danach steht auf Grund der während der Behandlung in der vorläufigen Unterbringung gewonnenen Erkenntnisse - neben einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, einer schweren Suchterkrankung und einer unterdurchschnittlichen Intelligenz - beim Beschuldigten "mittlerweile" eine paranoide bzw. eher eine hebephrene Schizophrenie "im Vordergrund". Auch diese Darlegungen lassen offen, ob das Krankheitsbild bereits während des Tatzeitraums so manifest war, dass - wie die Strafkammer meint - allein deswegen die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung sämtlicher Taten aufgehoben war. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der Beschuldigte einerseits sämtliche Taten auf Grund einer konkreten Motivation (Beschaffungskriminalität) begangen, dabei eine gewisse Routine und Geschicklichkeit gezeigt und sogar Sicherungsmaßnahmen getroffen hat, um nicht entdeckt zu werden (UA 19), also rational und kontrolliert gehandelt hat, andererseits aber gleichzeitig krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sein soll, von der Begehung der Taten Abstand zu nehmen. Dies hätte der vertieften Erörterung bedurft.

2. Da die Voraussetzungen der vom Landgericht angenommenen Schuldunfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei festgestellt sind, kann das Urteil keinen Bestand haben. Ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler lässt sich nicht ausschließen, da sich angesichts der dargestellten Unklarheiten auch die Voraussetzungen des § 21 StGB den Urteilsgründen nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen lassen. Die Feststellungen zu den äußeren Sachverhalten der rechtswidrigen Taten können jedoch aufrechterhalten werden, da sie von dem Rechtsfehler nicht berührt sind.

3. Das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO ) steht der Zurückweisung nicht entgegen. Zwar könnte, da allein der Beschuldigte Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hat, auch bei Feststellung seiner - uneingeschränkten oder erheblich verminderten - Schuldfähigkeit selbst bei Überleitung des Sicherungsverfahrens in das Strafverfahren (§ 416 StPO ) durch den neuen Tatrichter eine Jugendstrafe nicht verhängt werden. Eine Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB sowie ein Schuldspruch wegen der festgestellten rechtswidrigen Taten wären aber auch dann möglich, wenn (nur) eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf rechtsfehlerfreier Grundlage sicher festgestellt werden könnte (vgl. BGH StraFo 2004, 390; Fischer in KK 5. Aufl. § 416 Rdn. 8 m.N.). Hierfür sprechen nach den bisherigen Feststellungen erhebliche Anhaltspunkte; die Feststellung obliegt dem neuen Tatrichter. Dieser wird insbesondere Gelegenheit haben zu prüfen, ob die Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Beschuldigten in ihrem Zusammenwirken zu einer Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit geführt haben (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 5).

Sollte erneut bei allen Taten die Schuldunfähigkeit des Beschuldigten festgestellt werden, wird, soweit auf Grund der Anklageschrift vom 6. August 2005 ein Strafverfahren durchgeführt wird (Fall B VI 47), Freispruch zu erfolgen haben.

Schließlich wird darauf hingewiesen, dass die Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse in den Fällen B I 1 bis 11, II 12 bis 18, IV 20 bis 30 und V 37 und 38 (Aufbrüche mehrerer Kellerräume in dem selben Gebäude) rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 347 ).

Vorinstanz: LG Magdeburg, vom 16.03.2006
Fundstellen
NStZ 2007, 266