Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 18.10.2007

3 StR 226/07

Fundstellen:
NStZ 2008, 93
StV 2008, 353

BGH, Urteil vom 18.10.2007 - Aktenzeichen 3 StR 226/07

DRsp Nr. 2007/22052

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und gegen ihn ein fünfjähriges Berufsverbot verhängt. Hiergegen wenden sich der Angeklagte und die Nebenklägerin mit ihren Revisionen. Der Angeklagte beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Die Nebenklägerin erstrebt mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts insbesondere eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg. Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.

Das Landgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

Zum Tatzeitpunkt betreuten ein Arzt, der Angeklagte - ein ausgebildeter Krankenpfleger - und vier weitere Pflegekräfte die Patienten auf der chirurgischen Intensivstation eines Krankenhauses. Für den schwerkranken M. der sich nach mehreren Operationen wegen einer Krebserkrankung seit über zwei Wochen in einem künstlichen Koma befand, war vorrangig die Krankenschwester T. verantwortlich.

Der Angeklagte ging in das Krankenzimmer des Patienten M. und verabreichte ihm über einen Venenkatheder ohne medizinische Indikation und ohne die erforderliche ärztliche Verordnung eine Überdosis eines Herzantiarrhythmikums. Etwa eine halbe Stunde später begab er sich nochmals zu dem Schwerkranken und stellte einen Perfusor ab, über den diesem ein für seinen Kreislauf lebenswichtiges Medikament zugeführt wurde. Dabei war ihm bewusst, dass der Patient durch jede der beiden Handlungen in Lebensgefahr geraten würde. Anschließend unterdrückte er noch einen akustischen Alarm, der bei einem starken Blutdruckabfall auf dem Überwachungsmonitor ausgelöst wurde.

In der Folgezeit konnte die Krankenschwester T. , die zufällig im Krankenzimmer erschienen war, durch sofort eingeleitete Gegenmaßnahmen die für das Tatopfer lebensgefährliche Situation beseitigen. Während eines Zeitraums von einigen Minuten war bei M. ein lebensbedrohliches Herzkammerflattern aufgetreten. Der Patient verstarb am nächsten Tag an den Folgen seines Grundleidens.

I. Revision des Angeklagten

Der Angeklagte beanstandet zu Recht, dass der Tötungsvorsatz nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist.

1. Zur Motivation des Angeklagten und zum subjektiven Tatbestand des Totschlags hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:

Der Angeklagte habe entweder aus Mitleid das Sterben des Patienten beschleunigen oder diesen - um seine Notfallkompetenz zu beweisen und sich dadurch Anerkennung zu verschaffen - reanimationsbedürftig machen wollen. Keinesfalls habe er bezweckt, den Zustand des Tatopfers zu stabilisieren oder zu verbessern. Jedes der festgestellten möglichen Motive lasse für sich genommen und auch kumuliert nur den Schluss auf einen Tötungswillen zu. Bei dem für ihn günstigeren zweiten Motiv habe der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Da ihm aufgrund seines medizinischen Fachwissens der kritische Gesundheitszustand des Patienten und die lebensbedrohlichen Auswirkungen seines Tuns bekannt gewesen seien, habe er auf das Ausbleiben des Todes nicht vertrauen, sondern nur vage hoffen können. Es sei für ihn erkennbar gewesen, dass es allein vom Zufall abhänge, ob der Patient reanimiert werden könne oder versterbe.

2. Die Darlegung des Landgerichts, der Angeklagte habe auf jeden Fall mit Tötungswillen, also mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt, steht im Widerspruch zu den weiteren Urteilsausführungen, wonach es bei dem möglichen Motiv, sich durch eine bewiesene Notfallkompetenz Anerkennung zu verschaffen, nur einen bedingten Vorsatz angenommen hat. Unabhängig davon bestehen gegen die Begründung, mit der das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz bejaht hat, durchgreifende rechtliche Bedenken.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Tötungsvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ist das Willenselement des bedingten Vorsatzes gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn er mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten. Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. BGHSt 36, 1 , 9 f.; BGH NStZ-RR 2000, 165 , 166). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotzt erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27, 35, 51).

Die im Urteil verwendete Formulierung, der Angeklagte habe auf das Ausbleiben des Todes nicht vertrauen, sondern nur vage darauf hoffen können, und die Wertung, es sei für ihn erkennbar gewesen, dass es allein vom Zufall abhänge, ob der Patient reanimiert werden könne oder versterbe, vermag - für sich genommen - nur den Vorwurf der (bewussten) Fahrlässigkeit zu begründen (vgl. BGH NStZ 2003, 259 , 260; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 212 Rdn. 6). Sie schließt nicht aus, dass der Angeklagte - trotz der von ihm erkannten Lebensgefahr - auf die Beherrschung der für den Patienten lebensgefährlichen Situation tatsächlich vertraut hat. Wenn er mit der vom Landgericht als möglich unterstellten, angesichts der objektiven Umstände indes fern liegenden Motivation gehandelt haben sollte, seine Notfallkompetenz zu beweisen, konnte er dies nur durch eine Rettung des Lebens von M. tun. Hinzu kommt, dass auf der Intensivstation eines Krankenhauses schnell lebenserhaltende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Diese Gesichtspunkte, die für ein Vertrauen auf die Rettung des Tatopfers sprechen könnten, hat das Landgericht bei der erforderlichen Gesamtabwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls nicht erkennbar berücksichtigt.

II. Revision der Nebenklägerin

Die Nebenklägerin hat mit ihrer Rüge Erfolg, das Mordmerkmal der Heimtücke sei nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.

1. Das Landgericht hat hierzu ausgeführt:

Der Angeklagte habe die Arg- und Wehrlosigkeit des M. nicht ausgenutzt, denn diesem habe wegen des Langzeitkomas die Fähigkeit zum Argwohn gefehlt. Der Heimtückevorsatz lasse sich auch nicht mit der Arglosigkeit der Krankenschwester T. begründen, weil der Angeklagte die Krankenschwester nicht zielgerichtet von ihren pflegerischen Aufgaben gegenüber dem Tatopfer abgelenkt oder sonst in Sicherheit gewogen habe. Als Pfleger auf der Intensivstation sei auch er selbst schutzbereiter Dritter gewesen. In einer solchen Konstellation sei das bloße Ausnutzen einer Gelegenheit zur Tötung für das Mordmerkmal Heimtücke nicht ausreichend.

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht allerdings für die Frage der Heimtücke nicht auf die Arg- und Wehrlosigkeit des bewusstlosen Patienten M. selbst abgestellt. Denn dieser war - anders als eine schlafende Person (vgl. BGHSt 23, 119 , 120 f.) - wegen des Komas, in dem er sich befand, zu keinerlei Argwohn und Gegenwehr fähig. Es hat im Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass beim Angriff auf das Leben eines bewusstlosen Erwachsenen Heimtücke vorliegen kann, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. BGHSt 8, 216, 218; 18, 37, 38; 32, 382, 387 f.). Zutreffend ist es auch von der Arg- und Wehrlosigkeit der Pflegekräfte, insbesondere der Krankenschwester T. , ausgegangen, weil diese mit einem Angriff auf das Leben des M. nicht rechneten und deshalb einem solchen nicht wirksam entgegentreten konnten.

b) Der Begründung, mit der das Landgericht im Ergebnis das Mordmerkmal der Heimtücke verneint hat, kann jedoch nicht gefolgt werden.

Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Besinnungslosen vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut (vgl. BGHSt 8, 216, 219; BGH NStZ 2006, 338 , 339 f.). Sie muss aufgrund der Umstände des Einzelfalls allerdings den Schutz wirksam erbringen können, wofür eine gewisse räumliche Nähe und eine überschaubare Anzahl der ihrem Schutz anvertrauten Menschen erforderlich sind.

Vor allem die Krankenschwester T. , aber auch die weiteren auf der Intensivstation zum Tatzeitpunkt vorhandenen Pflegekräfte, sind als schutzbereite Dritte in diesem Sinne anzusehen. Nach den Feststellungen waren sie auf der Intensivstation nur für wenige Patienten verantwortlich sowie speziell auch zu deren Schutz vor Leib- und Lebensgefahr eingesetzt, hielten sich in der Nähe des bewusstlosen M. auf und hatten tatsächlich die Betreuung sowie regelmäßige Kontrolle des schwerkranken Tatopfers entsprechend den ärztlichen Anordnungen übernommen. Dabei wurden sie unterstützt durch technische Geräte wie den Überwachungsmonitor, über den bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes ein akustischer Alarm ausgelöst wurde. Sie waren daher in der Lage, bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des M. sofort einzugreifen und ärztliche Hilfe herbeizuholen.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts scheitert ein Ausnutzen nicht daran, dass der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit der schutzbereiten Pflegekräfte nicht gezielt herbeiführte, sie also weder von ihren pflegerischen Aufgaben gegenüber dem Tatopfer ablenkte noch sonst in Sicherheit wog (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 211 Rdn. 25 m. w. N.). Er musste die schutzbereiten Dritten nicht ausschalten, um die Tötung des nicht mehr behüteten Tatopfers ungehindert durchführen zu können (so aber missverständlich BGH NStZ 2006, 338 , 339; Schneider in MünchKomm § 211 Rdn. 135). Für das Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit ist es - wie bei der Heimtücke gegenüber dem Tatopfer selbst, bei der es nicht darauf ankommt, ob der Täter die Arglosigkeit herbeiführte oder bestärkte - ausreichend, dass der Täter die von ihm erkannte Arglosigkeit eines schutzbereiten Dritten bewusst zur Tatbegehung ausnutzt, und zwar unabhängig davon, worauf diese beruht (vgl. BGHSt 8, 216, 219). Auch steht der Annahme von Heimtücke nicht entgegen, dass dem Angeklagten selbst eine besondere Schutzpflicht gegenüber dem Tatopfer oblag (vgl. BGHSt 8, 216, 219). Im Gegenteil: Als Pflegekraft auf der Intensivstation eines Krankenhauses missbrauchte er seine Kenntnisse und seine Stellung zu einem Angriff auf das Leben einer auch seinem Schutz unterliegenden Person und handelte daher in besonderer Weise hinterhältig.

c) Das Mordmerkmal der Heimtücke ist auch nicht deshalb zwangsläufig zu verneinen, weil der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen den Tod des M. möglicherweise aus Mitleid herbeiführen wollte. Zwar kann es entfallen, wenn der Täter nicht aus einer feindseligen Haltung gegenüber dem Opfer heraus, sondern aus Mitleid gehandelt hat, um einem Todkranken schwerstes Leid zu ersparen. Es reicht jedoch nicht jede Mitleidsmotivation aus, um eine die Heimtücke prägende Gesinnung auszuschließen. Gerade in einer oberflächlich vorhandenen Mitleidsmotivation kann sich Feindseligkeit gegenüber dem Lebensrecht eines Schwerkranken äußern (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 14), zumal wenn dieser - wie hier - im Koma liegt, deshalb seinen Zustand nicht realisiert sowie keine Schmerzen erleidet und seine Angehörigen um sein Leben kämpfen.

III. Umfang der Aufhebung

Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler ist über den Tötungsvorsatz und die subjektive Tatseite der Heimtücke neu zu verhandeln und zu entscheiden. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO ). Die ihnen zugrunde liegende Beweiswürdigung lässt keinen Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil des Angeklagten erkennen. Ergänzende Feststellungen, die zu den bestehen bleibenden nicht in Widerspruch stehen, sind zulässig.

Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 22.12.2006
Fundstellen
NStZ 2008, 93
StV 2008, 353