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BGH - Entscheidung vom 09.08.2007

3 StR 281/07

Normen:
StPO § 261

BGH, Beschluß vom 09.08.2007 - Aktenzeichen 3 StR 281/07

DRsp Nr. 2007/16039

Aussage gegen Aussage beim Vorwurf von Sexualdelikten; Ausschluss einer erfundenen Belastung

Schließt das Gericht in Fällen von Aussage gegen Aussage eine erfundene Belastung durch die Belastungszeugin mit der Begründung aus, diese sei intellektuell nicht in der Lage, sich das Tatverhalten ausgedacht zu haben, muss sich sowohl damit befassen, inwieweit die Tatvorwürfe identisch sind oder besondere Komplikationen bzw. sonstige ungewöhnliche Details aufweisen, als auch die Schulbildung der Belastungszeugin erörtern (hier: Realschülerin).

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben, da die Beweiswürdigung den besonderen Anforderungen eines Verfahrens nicht gerecht wird, bei dem sich - ohne nennenswertes objektives Beweismaterial - die Angaben des bestreitenden, nicht vorbestraften Angeklagten und der Nebenklägerin gegenüberstehen (vgl. zu solchen Beweislagen Maier NStZ 2005, 246 f.).

a) Die Jugendkammer hat nicht verkannt, dass in solchen Verfahren der Entstehung der belastenden Aussage besondere Bedeutung zukommt. Sie hat zwar aus dem von der Zeugin R. "berichteten Gesprächsinhalt und der Abfolge von Fragen und Antworten" geschlossen, dass eine Suggestion ausgeschlossen werden könne, aber eben diese Abfolge von Fragen und Antworten nicht zusammenhängend und chronologisch geordnet wiedergegeben. Insbesondere wird nicht ausreichend deutlich, was die Zeugin bewogen hat, im Zusammenhang mit den schlechten schulischen Leistungen die Frage an die Nebenklägerin zu stellen, ob sie mit dem Angeklagten habe schlafen müssen, und wie und in welcher Reihenfolge sich das Gespräch insoweit entwickelt hat.

b) Das Landgericht schließt eine erfundene Belastung mit der Begründung aus, die Nebenklägerin sei intellektuell nicht in der Lage, sich das Tatverhalten ausgedacht zu haben. Das wird indes nicht näher belegt. Dabei ist zu bedenken, dass die geschilderten drei Fälle des Missbrauchs in H. einerseits und die zwei Fälle in Ha. andererseits jeweils nahezu identisch beschrieben werden und weder besondere Komplikationen noch sonstige ungewöhnliche Details aufweisen. Da es sich bei der Geschädigten immerhin um eine Realschülerin handelt, über deren intellektuelle Fähigkeiten lediglich mitgeteilt wird, sie habe zwar in der Schule Probleme, im Nachhilfeunterricht "könne" sie jedoch den Stoff, hätte die Annahme ihrer Unfähigkeit, ein entsprechendes Geschehen zu erfinden, einer nachvollziehbaren Begründung bedurft.

c) Bei den Taten 4. und 5. ist zudem nicht ausreichend belegt, dass sie sich vor dem 28. Februar 2004 und damit vor Vollendung des 14. Lebensjahres der Nebenklägerin ereignet haben. Zwar wird bei der Sachverhaltsdarstellung als Tatzeitraum die Zeit zwischen dem 28. Februar 2003 und Februar 2004 angegeben. Nach den Urteilsausführungen hat die Nebenklägerin hierzu jedoch nur unklare Angaben gemacht. So hat sie einerseits ausgesagt, dass sie dreizehn Jahre alt gewesen sei, als der Angeklagte versucht habe, mit dem Penis in sie einzudringen. Andererseits hat sie erklärt, sie sei sich sicher, dass alles vor der Konfirmation im Mai 2004 geschehen sei. Für die Zeit von ihrem vierzehnten Geburtstag bis zur Konfirmation im Mai 2004 könne sie nicht mehr sagen, ob etwas passiert sei, sie glaube das nicht. Wenn ihr ihre polizeiliche Aussage vorgehalten werde, wonach die letzte Tat kurz vor ihrer Konfirmation im Mai gewesen sei, müsse sie angeben, dass sie dazu heute nichts mehr wisse.

Angesichts dieser unsicheren zeitlichen Einordnung des Geschehens durch die Zeugin, die immerhin die Möglichkeit offen lässt, dass sich diese Vorfälle erst in der Zeit zwischen dem 14. Geburtstag am 28. Februar 2004 und der Konfirmation im Mai 2004 ereignet haben, hätte die Jugendkammer darlegen müssen, weshalb sie diese Möglichkeit ausschließt und überzeugt ist, beide Taten hätten vor dem 28. Februar 2004 stattgefunden. Wäre die Nebenklägerin jedoch bereits vierzehn Jahre alt gewesen, hätte eine Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs nicht erfolgen dürfen.

2. Dies erfordert eine erneute tatrichterliche Prüfung. Dabei wird zu beachten sein, dass bereits bei den Taten 1. - 3., falls sie sich wie bisher erweisen lassen sollten, ein Verbrechen des schweren Kindesmissbrauchs nach § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegen würde (vgl. zum Eindringen mit dem Finger in die Scheide BGH NStZ 2005, 152 f.). Diese durch das 6. StrRG geschaffene Vorschrift ist bereits am 1. April 1998 in Kraft getreten.

Vorinstanz: LG Hannover, vom 16.04.2007