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BFH - Entscheidung vom 10.01.2007

VIII B 218/05

Normen:
AO § 169 Abs. 2
FGO § 96 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
BFH/NV 2007, 1086

BFH, Beschluss vom 10.01.2007 - Aktenzeichen VIII B 218/05

DRsp Nr. 2007/6780

Urteil ohne Gründe; Steuerhinterziehung

Ergeht ein Steuerbescheid unter Bezugnahme auf die Festsetzungsfrist von 10 Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO ), so ist dieses Urteil nicht allein deshalb ohne Gründe ergangen, weil es auf die Frage der Steuerhinterziehung nicht eingeht. Das gilt jedenfalls dann, wenn sich der Kl. nicht gegen Annahme einer Steuerhinterziehung gewendet hat und die Frage der Festsetzungsverjährung keinen wesentlichen Streitpunkt vor dem FG gebildet hat.

Normenkette:

AO § 169 Abs. 2 ; FGO § 96 Abs. 1 S. 1 ;

Gründe:

I. Der seinerzeit mit seiner Familie in Deutschland lebende Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein Angehöriger eines anderen Staates, gehört der Religionsgemeinschaft der ... an. Er war Offizier der Armee seines Staates, bevor er sich als Unternehmensberater und Vermittler von Ausrüstungsgegenständen für die Armee betätigte. Er ist mittlerweile in seinen Heimatstaat zurückgekehrt.

Die Steuerfahndung stellte 1997 fest, dass er bei der X-Bank auf seinen Namen ein Depot unterhielt, in dem sich Bankschuldverschreibungen befanden, die ihn und seine Ehefrau als Inhaber auswiesen und auf US-Dollar sowie britische Pfund lauteten. Jeweils in DM umgerechnet hatten sie folgende Werte:

Dollar-Papiere Pfund-Papiere

1985 1 158 904 208 764

1986 1 022 655 490 318

1987 1 493 324 507 462

1988 2 136 000 576 000

1989 2 380 000 489 600

1990 2 384 000 520 200

1991 2 718 000 511 200

1992 3 220 000 439 200

1993 3 784 000 460 800

1994 3 720 000 432 000

1995 3 683 107 412 360

1996 3 910 148 7 777 358

Der Kläger behauptet, dieses Wertpapiervermögen lediglich treuhänderisch gehalten zu haben. Die aus den Schuldverschreibungen erzielten Zinsen flossen auf Konten bei zwei Schweizer Banken, die den Kläger als Kontoinhaber auswiesen.

Bei einer der beiden Banken bestand ferner ein Konto auf den Namen SL (SL-Konto), auf das der Kläger für eigene Zwecke zugreifen konnte. Der Kläger behauptet, das Konto stehe wirtschaftlich dem Y-Trust zu. Dabei handele es sich um eine Stiftung, die von seiner Großmutter zugunsten der Religionsgemeinschaft der ... gegründet worden sei.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hielt das Treuhandverhältnis bezüglich der Schuldverschreibungen nicht für nachgewiesen und rechnete die Papiere und die hieraus resultierenden Zinsen dem Kläger zu 70 v.H. zu. Das SL-Konto und die hieraus resultierenden Zinsen rechnete es dem Kläger zu 20 v.H. zu. Es handelte sich hierbei um Zinsbeträge aus dem dem Vermögen von 219 368 DM in 1989, 221 985 DM in 1990 und 242 587 DM in 1991 bzw. --aus dem schweizerischen Vermögen-- von 224 464 DM in 1989, 256 556 DM in 1990 bzw. von 250 746 DM in 1991. In den Einkommensteuerbescheiden 1989, 1990 und 1991, jeweils vom 17. November 1997, unterwarf das FA unter anderem diese Zinseinkünfte der Besteuerung.

Nach erfolglosem Einspruch minderte das Finanzgericht (FG) die Einkommensteuer mit Einverständnis des FA dadurch, dass es das SL-Konto dem Kläger nur zu 5 v.H. zurechnete. Bezüglich der Schuldverschreibungen wies es die Klage dagegen ab. Die Zurechnung der Schuldverschreibungen auf den Kläger begründete es mit dem wechselnden Sachvortrag über den angeblichen Treugeber --zunächst sollte(n) es ein Dr. Z sein, dann mehrere Personen unterschiedlicher Zusammensetzung und zuletzt die von der Großmutter gegründete Stiftung-- sowie mit dem Fehlen "objektiver Nachweise" trotz der nach § 159 der Abgabenordnung ( AO ) dem Kläger obliegenden Beweislast. Von der Möglichkeit, den oder die Treugeber als Zeugen zu gestellen, sei kein Gebrauch gemacht worden. Die Zurechnung des SL-Kontos zu 5 v.H. begründete das FG damit, dass der Kläger für eigene Zwecke habe Gelder von diesem Konto abziehen können, dass dies aber bei vorsichtiger Schätzung nur eine Zurechnung in Höhe von 5 v.H. rechtfertige.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, die Entscheidung sei für das Streitjahr 1989 insofern ohne Gründe ergangen, als sie keine Ausführungen zur Festsetzungsverjährung und der Frage der Steuerhinterziehung enthalte, obwohl der erstmalige Bescheid auf den 1. Januar 1985 erst 1997 ergangen sei und die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung ( StPO ) eingestellt habe. Dies stelle einen Verfahrensfehler dar (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 , § 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Der Sache komme darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung wegen der Rechtsfrage zu, ob der Steuerpflichtige auch dann den erhöhten Mitwirkungs- und Nachweispflichten gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 AO unterliege, wenn es um eine Steuerhinterziehung gehe, oder ob dies mit dem Grundsatz "in dubio pro reo" unvereinbar sei. Insoweit sei eine Revisionsentscheidung auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erforderlich. Hinsichtlich des § 90 Abs. 2 AO werde die Frage von den FG unterschiedlich beurteilt. Während das FG Münster im Urteil vom 15. März 2005 12 K 3958/03 E (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 1327 ) die Auffassung vertrete, der Grundsatz "in dubio pro reo" beeinflusse das Maß der Mitwirkungspflichten nicht, sei das FG Düsseldorf der Ansicht, der Grundsatz sei auch im Steuerfestsetzungsverfahren zu beachten, wenn es auf eine Steuerhinterziehung ankomme (Urteil vom 4. November 2004 11 K 2702/02 E, EFG 2005, 246 ). Gegen beide Urteile sei Revision eingelegt.

Im Übrigen weiche die Vorentscheidung hinsichtlich der Anwendung des § 159 AO von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 4. Dezember 1996 I R 99/94 (BFHE 182, 131 , BStBl II 1997, 404 ) ab. Dort habe der BFH den Rechtssatz aufgestellt, komme der Steuerpflichtige einem Verlangen des FA gemäß § 159 AO nicht nach, so könne nur das FA, nicht aber das FG nach pflichtgemäßem Ermessen von der in § 159 AO vorgesehenen Rechtsfolge Gebrauch machen. Demgegenüber habe das FG den Rechtssatz aufgestellt, § 159 AO stelle eine spezialgesetzliche Beweisregel auf, welche die freie Beweiswürdigung einschränke. Von dieser Divergenz abgesehen herrsche Unsicherheit, ob in § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO die Vorschrift des § 159 AO versehentlich oder aber absichtlich nicht genannt werde. Dabei handele es sich um eine weitere im Streitfall klärungsfähige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

Dem FG seien auch eine Reihe gravierender Rechtsanwendungsfehler unterlaufen. Die Höhe des besteuerten Kapitalvermögens beruhe auf einer willkürlichen Schätzung. Es seien keinerlei Erwägungen angestellt worden, ob der Kläger ein derartiges Vermögen überhaupt habe erarbeiten können. Ein weiterer schwerer Fehler sei, dass das FG nicht geprüft habe, ob das FA den Kläger überhaupt aufgefordert habe, die Treugeber zu benennen. Außerdem habe es sich nicht auf die Prüfung beschränkt, ob das FA das ihm in § 159 AO eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt habe. Einen weiteren schweren Rechtsanwendungsfehler stelle es dar, dass das FG einerseits feststelle, dass es sich bei dem SL-Konto um ein fremdes Konto handele, aber ihm, dem Kläger, das Konto gleichwohl zu 5 v.H. zurechne.

Schließlich rügt der Kläger eine Reihe von Verfahrensmängeln. So habe das FG die Gesamtumstände und Hintergründe des Streitfalls sowie die vorgelegten Dokumente nicht ausreichend gewürdigt (§ 96 Abs. 1 FGO ). Er, der Kläger, habe nicht damit zu rechnen brauchen, dass die vorgelegten Dokumente nicht ausreichen würden zu belegen, dass ihm die Schuldverschreibungen sowie das SL-Konto nicht zuzurechnen seien.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Der gerügte Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 6 FGO , das FG sei für das Streitjahr 1989 nicht auf die Frage der Festsetzungsverjährung und insbesondere nicht auf die Berechnung der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AO sowie deren Beginn gemäß § 170 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO und damit zusammenhängend nicht auf die Frage einer Steuerhinterziehung eingegangen, ist nicht ausreichend dargelegt. Darin könnte nur dann ein teilweises Fehlen von Entscheidungsgründen und nicht lediglich eine lückenhafte Begründung (vgl. dazu BFH-Urteil vom 20. Mai 1994 VI R 10/94, BFHE 174, 391, BStBl II 1994, 707 ) zu sehen sein, wenn die Frage der Festsetzungsverjährung einen wesentlichen Streitpunkt vor dem FG gebildet hätte (BFH-Beschluss vom 17. September 1991 X R 19/91, BFH/NV 1992, 750 a.E.). Nur unter der Voraussetzung, dass der Kläger sich auf Festsetzungsverjährung berufen hätte, hätte das FG ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel übergangen. Dazu ist der Beschwerdebegründung jedoch nichts zu entnehmen.

2. Die aufgeworfenen Rechtsfragen hinsichtlich der Bedeutung, die § 90 Abs. 2 und § 159 Abs. 1 AO für eine Steuerfestsetzung innerhalb der durch Steuerhinterziehung verlängerten Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zukommt, sowie hinsichtlich der Anwendung des § 159 AO 1977 im finanzgerichtlichen Verfahren sind im Streitfall nicht klärungsfähig.

a) Soweit es um die Anwendbarkeit der §§ 90 und 159 AO bei der Feststellung des objektiven Tatbestandes einer Steuerhinterziehung geht, ist dem Kläger zwar einzuräumen, dass das FG wiederholt diese Vorschriften bemüht hat; tragend für die Entscheidung des FG war dies aber nicht.

aa) Was die Frage der Zurechenbarkeit der Schuldverschreibungen auf den Kläger betrifft, ist das FG vielmehr aufgrund einer Gesamtwürdigung des Verfahrens gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO zu dem Ergebnis gelangt, dass das behauptete Treuhandverhältnis nicht bestanden hat. Diese Gesamtwürdigung gemäß § 96 FGO , die dem FG ungeachtet des § 159 AO möglich ist, hat auch ohne Rückgriff auf § 90 Abs. 2 und § 159 Abs. 1 AO Bestand. Der (mehrfachen) Bezugnahme auf diese Vorschriften hätte es für die vorliegende Überzeugungsbildung des FG nicht bedurft. Das FG hat darauf abgestellt, dass das Depot auf den Namen des Klägers und die Papiere selbst auf seinen Namen und den seiner Ehefrau lauteten. Es hat ferner betont, dass es keinerlei Unterlagen über die Vereinbarung eines Treuhandverhältnisses gibt und dass die Angaben über den behaupteten Treugeber wiederholt gewechselt haben. Diese Umstände tragen die Annahme des FG, das behauptete Treuhandverhältnis habe nicht bestanden. Ein Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze liegt insoweit nicht vor (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 2005 II R 63/04, BFH/NV 2006, 1061 , 1064).

bb) Was das SL-Konto anbelangt, geht es nicht um die Anerkennung eines Treuhandverhältnisses, sondern um die teilweise Zurechnung auf den Kläger, obwohl dieses Konto nicht in seinem Namen geführt wurde. Bezüglich dieser teilweisen Zurechnung des SL-Kontos gilt, dass sich das FG seine Überzeugung von der teilweisen Zurechenbarkeit auf den Kläger gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO aufgrund der Zugriffsmöglichkeit des Klägers gebildet hat und auch bilden konnte.

b) Damit ist auch die Frage nach der Anwendbarkeit des § 159 Abs. 1 AO im finanzgerichtlichen Verfahren nicht klärungsfähig.

3. Weiter folgt daraus, dass die aufgezeigte Divergenz der o.a. Urteile der FG Münster und Düsseldorf für den Streitfall nicht rechtserheblich ist, sowie dass die Abweichung der Vorentscheidung von dem BFH-Urteil in BFHE 182, 131 , BStBl II 1997, 404 einen für die Vorentscheidung nicht tragenden Rechtssatz betrifft.

4. Die gerügten "gravierenden Rechtsanwendungsfehler" sind entweder nicht schlüssig dargelegt oder aber erfüllen nicht die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO . Besonders schwerwiegende Fehler, die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Revisionsentscheidung erfordern, liegen dann vor, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint, weil sie auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404 , BStBl II 2004, 25).

a) Von willkürlichen Schätzungen kann nicht gesprochen werden. Bereits die Zurechnung des SL-Kontos in Höhe von zunächst 20 v.H. und später 5 v.H. ist Ausdruck dessen, dass zunächst das FA und sodann das FG Erwägungen darüber angestellt haben, inwieweit diese Vermögenszurechnungen realitätsgerecht sind. Die Zurechnung der Schuldverschreibungen zu lediglich 70 v.H. statt --wie möglich-- vollen Umfangs, ist zugunsten des Klägers erfolgt.

b) Eine Verletzung der richterlichen Prüfungskompetenz gemäß § 102 FGO im Zusammenhang mit § 159 AO scheidet aus, da § 159 AO die FG nicht von der Pflicht befreit, gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu entscheiden.

c) Soweit geltend gemacht wird, es stelle einen schweren Rechtsanwendungsfehler dar, das SL-Konto einerseits als Fremdkonto anzusehen und es andererseits zu 5 v.H. dem Kläger zuzurechnen, fehlt es angesichts der eingeräumten Zugriffsmöglichkeit auf dieses Konto an der schlüssigen Darlegung eines solchen Rechtsfehlers.

5. Auch die Verfahrensfehler sind nicht ausreichend gerügt. Die zum SL-Konto vorgelegten Dokumente änderten auch dann nichts an der Tatsache der Zugriffsmöglichkeit des Klägers, wenn sie tatsächlich Erklärungen der Bank selbst enthielten. Was die Annahme des Klägers anbelangt, die zum Depot vorgelegten Dokumente würden zum Nachweis des behaupteten Treuhandverhältnisses ausreichen, hätten die Umstände dargelegt werden müssen, die es als möglich erscheinen ließen, die Annahme sei nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung gerechtfertigt gewesen. Die Ausführungen unter IV. 4. und 5. der Beschwerdebegründung ergeben keine Verfahrensfehler, es sei denn, der Kläger wolle damit geltend machen, es fehle insoweit an Entscheidungsgründen. Ein derartiger Mangel wäre aber nicht ausreichend dargelegt.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg, vom 13.09.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 11 K 70/04
Fundstellen
BFH/NV 2007, 1086