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BFH - Entscheidung vom 27.03.2007

VIII R 27/05

Normen:
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 6 § 10 Abs. 2 S. 2

Fundstellen:
BB 2007, 1210
BB 2007, 2722
BFH/NV 2007, 1404
BFHE 217, 479
BKR 2007, 409
BStBl II 2010, 21
DB 2007, 1224
DStR 2007, 940
NJW 2007, 2207
ZIP 2007, 1300

BFH, Urteil vom 27.03.2007 - Aktenzeichen VIII R 27/05

DRsp Nr. 2007/9245

Steuerpflicht von Zinsen aus Lebensversicherungen: steuerunschädliche Besicherung eins Avalkredits, gesonderte Feststellung der Steuerpflicht der Zinsen

»1. Ein Avalkredit ist kein Darlehen i.S. des § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG . 2. Wird ein Avalkredit durch Ansprüche aus einer Kapitallebensversicherung besichert, so führt das nicht zur Steuerpflicht der Zinsen aus der Lebensversicherung nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG

Normenkette:

EStG § 20 Abs. 1 Nr. 6 § 10 Abs. 2 S. 2 ;

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Sicherung eines Avalkredits durch eine Lebensversicherung zur Steuerpflicht der Zinsen aus den Sparanteilen der Lebensversicherung führt.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist selbständiger Malermeister und erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erhielt im September 1995 eine Anzeige nach § 29 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung ( EStDV ) der Bank X vom 5. September 1995, aus der sich ergibt, dass der Kläger mit der Bank am 1. September 1995 einen Avalkreditvertrag über 70 000 DM abgeschlossen hat. Als Sicherheit für den Avalkredit hat der Kläger die Ansprüche aus seiner Lebensversicherung bei der Y-Versicherung in Höhe von 100 000 DM an die Bank abgetreten bzw. beliehen. In der Rubrik "Verwendungszweck des Darlehens (in Kurzform)" lautet die Anzeige: "Mängelgewährleistung bzw. Sicherheitseinbehalte".

Da der Kläger auf Anfragen des FA zu der Anzeige nach § 29 Abs. 1 EStDV nicht reagierte, erließ dieses am 18. Juni 1998 einen Bescheid über die gesonderte Feststellung der Steuerpflicht von Zinsen aus Kapitallebensversicherungen, wonach die Zinsen aus der Lebensversicherung des Klägers bei der Y-Versicherung als insgesamt einkommensteuerpflichtig festgestellt wurden. Die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1345 veröffentlichten Urteil vom 22. März 2005 13 K 1565/03 ab.

Mit der Revision rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung des § 10 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes ( EStG ). Die Ansprüche aus seiner Kapitallebensversicherung bei der Y-Versicherung dienten nicht zur Tilgung oder Sicherung eines Darlehens i.S. des § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG . Ein Avalkredit sei kein Darlehen im Sinne dieser Vorschrift, denn er bestehe nicht in der Hingabe von Geld, sondern in der Übernahme einer Garantie. Dem Avalkredit fehlten damit die wesensimmanenten Merkmale eines Darlehens. Demgemäß sei der Einsatz von Lebensversicherungsansprüchen zur Sicherung eines Avalkredits steuerunschädlich.

Im Übrigen lasse sich aus den Gesetzesmaterialien ersehen, dass der Gesetzgeber die ursprünglich vorgesehene Formulierung "Kredit" bewusst durch den Begriff "Darlehen" ersetzt habe. Damit habe er das Gesetzesziel realisieren wollen, unliebsame Steuergestaltungen in Form sog. Finanzierungsmodelle einzudämmen. Da mit Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1992 vom 25. Februar 1992 (BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146) zudem Ausnahmetatbestände geschaffen worden seien, die unter engen Voraussetzungen eine steuerunschädliche Verwendung von Lebensversicherungsansprüchen für wirtschaftliche Zwecke zuließen (§ 10 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a bis c EStG ), habe der Gesetzgeber selbst die Zielsetzung einer uneingeschränkten und ausschließlichen Verwendung von Lebensversicherungen für Vorsorgezwecke aufgegeben. Vor diesem Hintergrund müsse man den zivilrechtlichen Darlehensbegriff für die Auslegung des § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG zugrunde legen. Das zeige auch die Systematik des § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG . Der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a EStG verlange, dass das Darlehen unmittelbar und ausschließlich der Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes diene, d.h., mit dem besicherten Darlehen müssten Anschaffungs- oder Herstellungskosten bestimmter Wirtschaftsgüter finanziert worden sein. Das sei nur mit einem Darlehen gemäß § 607 des Bürgerlichen Gesetzbuches ( BGB ) möglich, nicht aber mit einem Avalkredit.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des FG München vom 22. März 2005 und den Bescheid des FA vom 18. Juni 1998 über die gesonderte Feststellung der Steuerpflicht von Zinsen aus Kapitallebensversicherungen i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 4. August 2000 aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA bezieht sich im Wesentlichen auf die vom FG vertretene Rechtsauffassung, wonach die Abtretung der Ansprüche aus der Lebensversicherung des Klägers zur Sicherung eines Avalkredits steuerschädlich sei.

II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Der angefochtene Bescheid über die gesonderte Feststellung der Steuerpflicht der außerrechnungsmäßigen und rechnungsmäßigen Zinsen aus den in den Beiträgen zur Lebensversicherung des Klägers enthaltenen Sparanteilen (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG ) ist entgegen der Auffassung des FG rechtswidrig.

1. Nach §§ 179 Abs. 1 und 180 Abs. 2 der Abgabenordnung ( AO ) i.V.m. § 9 der Verordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 2 der Abgabenordnung i.d.F. der Zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 2 der Abgabenordnung vom 16. Dezember 1994 (BGBl I 1994, 3834, BStBl I 1995, 3) stellt das für die Einkommensbesteuerung des Versicherungsnehmers zuständige Finanzamt die Steuerpflicht der außerrechnungsmäßigen und rechnungsmäßigen Zinsen aus den in den Beiträgen enthaltenen Sparanteilen (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG ) gesondert fest, wenn für die Beiträge zu Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht erfüllt sind. Verfassungsmäßige Bedenken dagegen bestehen nicht (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 180 AO Rz 497 f., m.w.N.).

2. Zinsen aus den Sparanteilen, die in den Beiträgen zu Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall enthalten sind, sind nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG steuerpflichtig. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt dies nicht für Zinsen aus Versicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG , die mit Beiträgen verrechnet oder im Versicherungsfall oder im Fall des Rückkaufs des Vertrags nach Ablauf von zwölf Jahren seit dem Vertragsabschluss ausgezahlt werden. Die Beiträge zu den Versicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG können mit den in Abs. 2 derselben Vorschrift aufgeführten Einschränkungen als Sonderausgaben abgezogen werden.

Nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 3 EStG i.d.F. des StÄndG 1992 --nachfolgend bis Veranlagungszeitraum 31. Dezember 2004: § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 4 EStG -- gilt die Steuerbefreiung nach Satz 2 in den Fällen des § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG nur, wenn die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a oder b EStG erfüllt sind oder soweit bei Versicherungsverträgen Zinsen in Veranlagungszeiträumen gutgeschrieben werden, in denen Beiträge nach § 10 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c EStG abgezogen werden können. Diese Regelung ist darauf zurückzuführen, dass die Bundesregierung bestimmten steuersparenden Finanzierungsmodellen den Boden entziehen wollte (vgl. dazu im Einzelnen BTDrucks 12/1108, S. 55 ff.). Der ursprüngliche Gesetzentwurf des StÄndG 1992 sah deshalb vor, den Sonderausgabenabzug für die Beiträge zu Versicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG entfallen zu lassen, bei denen der Anspruch auf die Versicherungssumme der Tilgung oder der Sicherung eines Kredits dient, dessen Finanzierungskosten Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind (vgl. BTDrucks 12/1108, S. 6). Da der Finanzausschuss eine solche Regelung aus "wirtschaftspolitischen, wohnungsbaupolitischen und mittelstandspolitischen Gründen" für zu restriktiv und nicht vertretbar hielt, schlug er eine Lösung vor, bei der neben der bisher schon möglichen steuerunschädlichen Verwendung von Lebensversicherungen bei der Finanzierung selbst genutzten Wohneigentums drei weitere Fälle des steuerunschädlichen Einsatzes von Lebensversicherungen zu Finanzierungszwecken zugelassen wurden (BTDrucks 12/1506, S. 156). Dieser Vorschlag ist durch das StÄndG 1992 in das EStG übernommen worden (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a bis c EStG ). Die Neufassung ist anwendbar, wenn die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag nach dem 13. Februar 1992 zur Sicherung eines Darlehens dienen (vgl. § 52 Abs. 13a Satz 4 und Abs. 20 Satz 2 EStG i.d.F. des StÄndG 1992).

Entgegen der Auffassung des FG sind die Voraussetzungen des Sonderausgabenabzugs danach erfüllt:

a) Die im Streitfall abgeschlossene Lebensversicherung des Klägers ist unstreitig eine Versicherung i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG .

b) Die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag haben nach dem 13. Februar 1992 indes nicht zur Sicherung eines Darlehens gedient, dessen Finanzierungskosten Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind. Die vom Kläger für den Avalkredit an die Bank X zu entrichtende Avalprovision in Höhe von 2,5 % p.a. vom jeweiligen Bürgschafts-/Garantiebetrag ist zwar als Betriebsausgabe (§ 4 Abs. 4 EStG ) bei den Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb abzugsfähig. Ein Avalkredit ist jedoch kein Darlehen i.S. des § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG . Vielmehr knüpft der Gesetzeswortlaut mit der Formulierung "Darlehen" an den in § 607 BGB geregelten Vertragstypus an, d.h. an einen schuldrechtlichen Vertrag, der den Darlehensgeber dazu verpflichtet, dem Darlehensnehmer Geld oder andere vertretbare Sachen i.S. des § 91 BGB zu verschaffen und für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit zu belassen. Der Darlehensnehmer seinerseits hat die Verpflichtung, das empfangene Kapital zurückzuerstatten und ggf. vereinbarte Darlehenszinsen zu entrichten (Frotscher/Lindberg, EStG , § 10 Rz 188; Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 10 EStG --Lfg. Februar 1995-- Rz 378; Dahm, Änderung der Besteuerung von Lebensversicherungsverträgen durch das Steueränderungsgesetz 1992 - endlich Klarheit?, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1993, 385; Wacker, Zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung der für Finanzierungszwecke eingesetzten Lebensversicherungen nach dem Steueränderungsgesetz 1992, Der Betrieb --DB-- 1993, Beilage 4/93, S. 4 f. mit der Einschränkung, dass der Grundsatz der Maßgeblichkeit des bürgerlich-rechtlichen Darlehensbegriffs nicht ohne Ausnahme befürwortet werden kann; Tischbein, Kreditsicherung durch Lebensversicherungsansprüche, Ein steuerrechtlicher Leitfaden, Rz 22; derselbe, Absicherung eines Avalkredits durch Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2007, 143 ; ähnlich Broudré, Die Sicherung von Steuervergünstigungen für Policendarlehen, 2. Aufl., S. 15). Ein Avalkreditvertrag, bei dem sich --wie im Streitfall-- eine Bank für die Verbindlichkeit eines Kunden (hier: des Klägers) gegenüber Dritten verbürgt, ist jedoch kein Darlehen i.S. des § 607 BGB , sondern ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen der Bank und ihrem Kunden, durch den die Bank es gegen Zahlung einer Avalprovision übernimmt, sich zugunsten ihres Kunden gegenüber dessen Gläubiger zu verbürgen (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 3. Mai 1984 IX ZR 37/83, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1984, 2088; Oberlandesgericht --OLG-- München, Urteil vom 6. Mai 1987 7 U 1661/87, Wertpapier-Mitteilungen --WM-- 1988, 1554; BGH-Urteil vom 6. Juli 2000 IX ZR 206/99, DB 2000, 2060 ; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Mai 2004 VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363 ). Denn ein Avalkredit besteht nicht in der Hingabe von Geld, sondern darin, dass das Kreditinstitut mit seinem Namen und seinem Kredit für die Verbindlichkeiten des Kunden einzustehen bereit ist und eine Haftungszusage erteilt (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 1991 IV R 28/91, BFHE 167, 334 , BStBl II 1992, 600 , m.w.N.; Canaris in Großkomm. HGB , Bankvertragsrecht, 4. Aufl., 9. Abschn. Die Bankgarantie, Rz 1106; Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch , 60. Aufl., § 675 Rz 10). Daher wird die Absicherung eines Avalkredits durch Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag allgemein als steuerunschädlich erachtet (vgl. Tischbein, Absicherung eines Avalkredits durch Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag, DStR 2007, 143 ; derselbe, Kreditsicherung durch Lebensversicherungsansprüche, Ein steuerrechtlicher Leitfaden, Rz 22; Broudré, aaO., S. 16; Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG , § 10 Rz P 42; Dahm, Änderung der Besteuerung von Lebensversicherungsverträgen durch das Steueränderungsgesetz 1992 - endlich Klarheit?, DStZ 1993, 385; kritisch zum Urteil der Vorinstanz auch Zimmermann, Anmerkung zum Urteil des FG München in EFG 2005, 1345 ). Die Finanzverwaltung hat sich mit dieser Frage --soweit ersichtlich-- noch nicht befasst.

c) Der Senat schließt sich der allgemeinen Ansicht im Schrifttum an und erachtet die Besicherung des dem Kläger gegebenen Avalkredits durch die Ansprüche aus dessen Lebensversicherung als steuerunschädlich. Zum einen hat ein Avalkredit --wie auch vom FG zutreffend erkannt-- nicht die Hingabe von Geld zum Gegenstand. Vielmehr besteht sein Wesen darin, dass ein Kreditinstitut --wie vorstehend dargelegt-- in seinem Namen für die Verbindlichkeiten ihres Kunden gegenüber einem Dritten einsteht und die Haftung gegenüber dem Gläubiger des Kunden übernimmt. Das zeigt sich insbesondere an dem vom FG im Streitfall festgestellten Verwendungszweck des Avalkredits "Mängelgewährleistung bzw. Sicherungseinbehalte". Diese Feststellungen, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, machen deutlich, dass die Bank dem Kläger kein Geld zur Verfügung gestellt hat, sondern dass der Kläger den Avalkredit, d.h. die in diesem Rahmen seitens der Bank gestellte Gewährleistungsbürgschaft lediglich dazu genutzt hat, die auf dem Bausektor ansonsten üblichen Sicherungseinbehalte des Auftraggebers und damit für ihn --den Kläger-- verbundene Liquiditätseinbußen zu vermeiden. Während bei üblichen (verzinslichen) Bankdarlehen die Bank den Kunden zu verzinsendes Kapital zur Verfügung stellt, übernimmt sie bei einem Avalkredit lediglich die Bürgschaft bzw. Garantie gegenüber ihren Kunden, für deren Verbindlichkeit gegenüber Dritten einzustehen. Ein Anspruch auf Überlassung von Geld folgt daraus nicht. Das zeigt sich auch darin, dass bei einem Avalkredit keine Zinsen zu entrichten sind, sondern lediglich eine Avalprovision (hier: 2,5 % Provision p.a.), die üblicherweise deutlich niedriger ausfällt als der Zins bei einem Darlehen i.S. des § 607 BGB . Im Schrifttum wird zwar teilweise eine steuerschädliche Besicherung angenommen, wenn die Bank aus ihrer Bürgschaft/Garantie in Anspruch genommen wird, d.h. wenn infolge der Inanspruchnahme der Bank aus dem Avalkredit während der Laufzeit der Besicherung ein Anspruch der Bank auf Aufwendungsersatz aus ihrer Inanspruchnahme entsteht (vgl. Tischbein, Absicherung eines Avalkredits durch Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag, DStR 2007, 143 ; derselbe, Kreditsicherung durch Lebensversicherungsansprüche, Ein steuerlicher Leitfaden, Rz 22; Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, aaO., § 10 Rz P 42; ähnlich Dahm, Änderung der Besteuerung von Lebensversicherungsverträgen durch das Steueränderungsgesetz 1992 - endlich Klarheit?, DStZ 1993, 385, 388). Der Senat kann indes offenlassen, ob er dem folgen könnte, denn im Streitfall ist diese Konstellation nicht gegeben, da eine Inanspruchnahme der Bank nicht erfolgt ist und demgemäß ein Aufwendungsersatzanspruch der Bank aufgrund ihrer Inanspruchnahme weder entstanden noch kreditiert worden ist. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist der Sonderausgabenabzug für die Lebensversicherungsbeiträge des Klägers daher nicht ausgeschlossen.

3. Dieses Ergebnis entspricht auch Sinn und Zweck des § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG . Zwar wollte der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 3 EStG i.d.F. des StÄndG 1992 --nachfolgend bis Veranlagungszeitraum 31. Dezember 2004: § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 4 EStG -- dem Gedanken der privaten Vorsorge wieder mehr Gewicht verleihen. Mit der gleichzeitig erfolgten Änderung des § 10 Abs. 2 EStG durch das StÄndG 1992 sollte aber kein generelles Abzugsverbot für Beiträge zu Kapitallebensversicherungen, die anderen als Vorsorgezwecken dienen, ausgesprochen werden (vgl. Zimmermann, Anmerkung zum Urteil des FG München in EFG 2005, 1346, m.w.N.; Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, aaO., § 10 Rz P 7 ff.; HHR/Nolde, § 10 EStG --Lfg. Februar 1995-- Rz 374). Der Gesetzgeber hat mit dem Ausnahmekatalog in § 10 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a bis c EStG nicht nur den reinen Vorsorgegedanken eingeschränkt, sondern zugleich die Förderung wirtschafts-, wohnungsbau- und mittelstandspolitischer Ziele verfolgt und deshalb die ursprünglich vorgesehene deutlich restriktivere Regelung (vgl. BTDrucks 12/1108, S. 6), nach der jegliche Sicherung oder Tilgung von Krediten durch Lebensversicherungen steuerschädlich sein sollte, sofern die Finanzierungskosten bei der Erzielung steuerpflichtiger Einkünfte abzugsfähig waren, nicht realisiert. Im Ergebnis zielte die Neufassung des Gesetzes deshalb vornehmlich darauf, bestimmten steuersparenden Finanzierungsmodellen, insbesondere sog. Zinsaufblähungsmodellen, bei denen Darlehenszinsen durch Aufnahme neuer Darlehen finanziert werden, den Boden zu entziehen (vgl. BFH-Urteile vom 13. Juli 2004 VIII R 48/02, BFHE 207, 136, BStBl II 2004, 1060; VIII R 52/03, BFH/NV 2005, 181 , und VIII R 61/03, BFH/NV 2005, 184 , m.w.N.; ebenso HHR/Nolde, § 10 EStG --Lfg. Februar 1995-- Rz 374). Im Zusammenhang mit Avalkrediten kommen derartige "Steuersparmodelle" indes nicht vor. Das liegt sowohl daran, dass die Avalprovision, d.h. das Entgelt, das der Kunde für den Avalkredit zu entrichten hat, in der Regel deutlich niedriger ist als der bei üblichen Darlehensfinanzierungen zu entrichtende Darlehenszins, als auch daran, dass Avalkredite --vor allem bei den in der Praxis häufig vorkommenden Avalen für Gewährleistung, Sicherungseinbehalt oder Vertragserfüllung-- deutlich kürzere Laufzeiten haben als Investitionsfinanzierungen. Hinzu kommt, dass der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG u.a. voraussetzt, dass ein Darlehen unmittelbar und ausschließlich der Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts dient, mit dem besicherten Darlehen also Anschaffungs-/Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts finanziert werden. Das ist indes nur mit einem Darlehen i.S. des § 607 BGB möglich, nicht aber mit einem Avalkredit. Auch wenn die Finanzierungskosten des Avalkredits für den Kläger Betriebsausgaben sind, wäre es mit Sinn und Zweck der Neufassung der §§ 20 Abs. 1 Nr. 6 und 10 Abs. 2 Satz 2 EStG durch das StÄndG 1992 deshalb nicht vereinbar, den Sonderausgabenabzug für die Lebensversicherungsbeiträge zu versagen und damit die Steuerpflicht der Zinsen aus den Sparanteilen, die in den Lebensversicherungsbeiträgen enthalten sind, zu bejahen.

4. Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen, sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist stattzugeben.

Vorinstanz: FG München, vom 22.03.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 13 K 1565/03
Fundstellen
BB 2007, 1210
BB 2007, 2722
BFH/NV 2007, 1404
BFHE 217, 479
BKR 2007, 409
BStBl II 2010, 21
DB 2007, 1224
DStR 2007, 940
NJW 2007, 2207
ZIP 2007, 1300