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BAG - Entscheidung vom 15.02.2007

8 AZR 310/06

Normen:
BGB § 613a § 626 § 242
KSchG § 1 § 15 Abs. 4, 5
BetrVG § 103 Abs. 1

Fundstellen:
AP Nr. 2 zu § 613a BGB Widerspruch
ArbRB 2007, 267
AuR 2007, 324
DB 2007, 1759
ZIP 2007, 1618

BAG, Urteil vom 15.02.2007 - Aktenzeichen 8 AZR 310/06

DRsp Nr. 2007/11982

Betriebsübergang; Betriebsverfassungsrecht; Kündigung; Tarifrecht - Gemeinschaftsbetrieb: Teilbetriebsübergang zwischen mehreren am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen; Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf ein anderes am Gemeinschaftsbetrieb beteiligtes Unternehmen; Wegfall des Beschäftigungsbedarfs beim bisherigen, am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen; Stilllegung einer Betriebsabteilung beim bisherigen Inhaber und Aufrechterhaltung der Betriebsabteilung im Rahmen des Gemeinschaftsbetriebs

Orientierungssätze: 1. Unterhalten mehrere rechtlich selbständige Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb, weil sie einen einheitlichen Leitungsapparat zur Erfüllung der in der organisatorischen Einheit zu verfolgenden arbeitstechnischen Zwecke geschaffen haben, so ist grundsätzlich auch in diesem gemeinsamen Betrieb ein Betriebsübergang iSd. § 613a BGB möglich, wenn die Inhaberschaft an einem Betriebsteil oder einer Betriebsabteilung auf ein anderes am gemeinschaftlichen Betrieb beteiligtes Unternehmen wechselt. 2. Auch bei einem solchen Betriebsinhaberwechsel im Rahmen eines Gemeinschaftsbetriebs kann der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf ein anderes Unternehmen nach § 613a Abs. 5 und 6 BGB widersprechen. 3. Verbleibt infolge eines solchen Widerspruchs das Arbeitsverhältnis beim bisherigen Inhaber des Teilbetriebs oder der Betriebsabteilung, so kommt es für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung (Wegfall des Beschäftigungsbedarfs, anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit und soziale Auswahl, § 1 KSchG ) auf die Verhältnisse im Gemeinschaftsbetrieb an. 4. Wird die Betriebsabteilung innerhalb des einheitlichen Betriebs unverändert, nur mit neuem Inhaber fortgeführt, so entfällt beim früheren Inhaber der Beschäftigungsbedarf für den Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen hat, nicht. Der bisherige, ebenfalls weiterhin am Gemeinschaftsbetrieb beteiligte Betriebsinhaber kann regelmäßig durch seine Beteiligung an der Leitungsmacht des gemeinsamen Betriebs die Weiterbeschäftigung dieses Arbeitnehmers durchsetzen. 5. Bei einer solchen Sachlage ist auch beim bisherigen Betriebsinhaber nicht von der Stilllegung eines Betriebsteils oder einer Betriebsabteilung iSd. § 15 Abs. 4 oder Abs. 5 KSchG auszugehen. Daher entfällt auch nicht die Pflicht, die ggf. erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung nach § 103 BetrVG einzuholen.

Normenkette:

BGB § 613a § 626 § 242 ; KSchG § 1 § 15 Abs. 4 , 5 ; BetrVG § 103 Abs. 1 ;

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher, betriebsbedingter Kündigungen aus Dezember 2002 mit Auslauffrist jeweils zum 30. Juni 2003.

Die am 2. Juli 1942 geborene Klägerin war seit 1982 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen als Betriebsärztin beschäftigt. Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden betrug ihr monatliches Bruttoentgelt zuletzt 3.700,00 Euro. Im Kündigungszeitpunkt war die Klägerin Mitglied des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrats. Nach § 4.4 des kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findenden Manteltarifvertrages für Beschäftigte in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden ( MTV ) kann einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehört, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Nach § 4 .5.2 MTV beträgt die Kündigungsfrist für eine ordentliche Kündigung bei einer Betriebszugehörigkeit von 12 Jahren mindestens sechs Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres.

Zum Kündigungszeitpunkt hatte die Beklagte etwa 330 Beschäftigte. Zusammen mit der V AG als Konzernobergesellschaft und drei weiteren konzernangehörigen Gesellschaften bildete sie am Standort H einen gemeinsamen Betrieb mit insgesamt 450 Arbeitnehmern. Unternehmenszweck der Beklagten ist es, verschiedene zentrale Dienstleistungen für die Konzernunternehmen, aber auch für externe Unternehmen und Verwaltungen zu erbringen. Dazu gehörte auch ein betriebsärztlicher Dienst mit etwa 15 Mitarbeitern, bei dem die Klägerin tätig war. 2002 beschlossen die am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen, unternehmens- und standortübergreifende zentrale Funktionen bei der V AG zu konzentrieren. Auf der Grundlage eines Kauf- und Übertragungsvertrages vom 1. Oktober 2002 wurden daher zu diesem Stichtag Geschäftsbereiche der Beklagten mit insgesamt etwa 130 Arbeitnehmern auf die V AG übertragen, darunter auch der betriebsärztliche Dienst. Der Gemeinschaftsbetrieb als solcher blieb jedoch bestehen. Davon unterrichtete die Beklagte mit Schreiben vom 30. September 2002 die betroffenen Mitarbeiter, darunter auch die Klägerin unter Hinweis auf deren Widerspruchsrecht und die damit verbundene Gefahr einer betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin widersprach am 7. November 2002 dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die V AG mit der Begründung, dass es sich bei V H um einen einheitlichen Betrieb handele.

Mit Schreiben vom 25. November 2002 lehnte der Betriebsrat der Beklagten die Zustimmung zur Kündigung gem. § 103 BetrVG ab und erhob gleichzeitig Bedenken nach § 102 BetrVG . Mit Schreiben vom 6. Dezember 2002 und vom 10. Dezember 2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich mit Auslauffrist zum 30. Juni 2003, nachdem das Integrationsamt zugestimmt hatte. Sowohl ein Widerspruchsverfahren als auch eine verwaltungsgerichtliche Klage dagegen blieben ohne Erfolg. Die ebenfalls mit Schreiben vom 10. Dezember 2002 vorsorglich beantragte Zustimmung zu der mit der Kündigung der Klägerin verbundenen Abberufung als Betriebsärztin verweigerte der Betriebsrat mit Schreiben vom 16. Januar 2003. Das anschließend eingeleitete Einigungsstellenverfahren wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsschutzprozesses ausgesetzt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, beide Kündigungen seien mangels eines dringenden betrieblichen Erfordernisses unwirksam. In einem gemeinsamen Betrieb führe die Verlagerung von Geschäftsbereichen auf ein anderes an diesem Betrieb beteiligtes Unternehmen nicht zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den bisherigen Betriebsinhaber. Daher falle bei diesem der Arbeitsplatz des dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechenden Arbeitnehmers nicht weg. Zudem hätte sie auf im Kündigungszeitpunkt freien Arbeitsplätzen bei der Beklagten, zB als Bildungsreferentin, weiterbeschäftigt werden können. Außerdem hätten die Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 BetrVG bedurft.

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 6. Dezember 2002 noch durch diejenige vom 10. Dezember 2002 zum 30. Juni 2003 beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ihrer Auffassung nach beruhten die Kündigungen auf einem wichtigen Grund, da der Arbeitsplatz der Klägerin bei der Beklagten durch die Übertragung des betriebsärztlichen Dienstes auf die V AG weggefallen sei. Nachdem die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Konzernobergesellschaft widersprochen habe, könne sie sich nicht mehr auf den jetzt dieser zugeordneten Arbeitsplatz im betriebsärztlichen Dienst berufen. Dagegen bestünden keine geeigneten anderen Beschäftigungsmöglichkeiten in den bei der Beklagten verbleibenden Betriebsteilen. § 103 BetrVG sei nicht anzuwenden, da ein von § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG erfasster Sachverhalt vorliege.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin war vor dem Landesarbeitsgericht erfolgreich. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet. Die mit Wirkung zum 30. Juni 2003 ausgesprochenen Kündigungen vom 6. und 10. Dezember 2002 sind unwirksam und haben das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte könne sich zur Begründung ihrer Kündigungen schon deswegen nicht auf ein dringendes betriebliches Erfordernis berufen, weil die Beschäftigungsmöglichkeit der Klägerin im Gemeinschaftsbetrieb nicht entfallen sei. Zwar sei am 1. Oktober 2002 mit dem Bereich "Arbeitsmedizinische Dienstleistungen" auch der Arbeitsplatz der Klägerin von der Beklagten auf die V AG übergegangen. Infolge des wirksamen Widerspruchs der Klägerin gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses habe dieses aber mit der Beklagten fortbestanden. Die Beklagte könne die Klägerin auch weiterhin beschäftigen, da deren Arbeitsplatz unverändert im Gemeinschaftsbetrieb bestehe, an dem die Beklagte beteiligt sei. Welchem Unternehmen ein solcher Arbeitsplatz in einem Gemeinschaftsbetrieb zugeordnet werde, sei rechtlich unerheblich. Solange sich die Beklagte nicht aus dem Gemeinschaftsbetrieb zurückziehe, komme eine betriebsbedingte Kündigung nicht in Betracht.

B. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

Die beiden außerordentlichen Kündigungen des auf Grund des Widerspruchs der Klägerin fortbestehenden Arbeitsverhältnisses vom 6. und 10. Dezember 2002 sind schon wegen Fehlens eines wichtigen Grundes, § 626 Abs. 1 BGB , unwirksam. Darüber hinaus hätten sie der Zustimmung des Betriebsrats bedurft, § 103 BetrVG .

I. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin bestand weiterhin zur Beklagten, da sie dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses wirksam widersprochen hat, § 613a Abs. 6 BGB .

1. Das Arbeitsverhältnis ist nicht infolge eines Betriebsübergangs auf die V AG übergegangen, sondern bestand im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs zwischen den Parteien fort (BAG 30. September 2004 - 8 AZR 462/03 - BAGE 112, 124 = AP BGB § 613a Nr. 275 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 28; 18. April 2002 - 8 AZR 346/01 - AP BGB § 613a Nr. 232 = EzA BGB § 613a Nr. 207). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der zunächst von der Beklagten unterhaltene Geschäftsbereich "Betriebsärztlicher Dienst" zum 1. Oktober 2002 im Wege eines Betriebsteilübergangs auf die V AG übergegangen ist. Denn jedenfalls hätte ein solcher Betriebsübergang infolge des Widerspruchs der Klägerin nicht den Übergang des Arbeitsverhältnisses der Klägerin auf die Betriebsunternehmerin V AG nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zur Folge gehabt.

2. Nach § 613a Abs. 6 BGB konnte die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung gem. § 613a Abs. 5 BGB schriftlich gegenüber dem bisherigen oder dem neuen Inhaber widersprechen. Der Klägerin war am 8. Oktober 2002 das Unterrichtungsschreiben der Beklagten vom 30. September 2002 zugegangen.

Mit ihrem sowohl an die Beklagte als auch an die V AG gerichteten Schreiben vom 7. November 2002 hat die Klägerin einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die V AG fristgerecht widersprochen. Daher kann dahinstehen, ob das Unterrichtungsschreiben seinerseits den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB genügte.

Der Widerspruch der Klägerin bedurfte zu seiner Wirksamkeit keines sachlichen Grundes, denn auch nach der am 1. April 2002 in Kraft getretenen gesetzlichen Regelung des Widerspruchsrechts in § 613a Abs. 6 BGB ist es grundsätzlich unerheblich, aus welchen Gründen der Arbeitnehmer sich weigert, das Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber fortzusetzen. Zwar hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 7. November 2002 als einen der Gründe ihres Widerspruchs angegeben, "dass es sich beim V H um einen einheitlichen Betrieb handelt". Dies ist jedoch für die Ausübung des Widerspruchsrechts ebenso wenig von Belang wie das zugrunde liegende Motiv (Senat 30. September 2004 - 8 AZR 462/03 - BAGE 112, 124 = AP BGB § 613a Nr. 275 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 28).

Der wirksam erklärte Widerspruch führt dazu, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien ununterbrochen über den 1. Oktober 2002 hinaus fortbestanden hat, denn er wirkt auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurück. Dass der Widerspruch vorliegend erst nach dem Zeitpunkt eines anzunehmenden Betriebsübergangs erklärt wurde, ist unschädlich (BAG 13. Juli 2006 - 8 AZR 382/05 - AP BGB § 613a Widerspruch Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 57; 13. Juli 2006 - 8 AZR 305/05 - AP BGB § 613a Nr. 312 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 56).

3. Die Klägerin hat ihre Widerspruchserklärung nicht wirksam nach §§ 142 , 119 ff. BGB angefochten.

Dies ist zwar grundsätzlich möglich, da mit dem Widerspruch ein Gestaltungsrecht durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt wird, die anfechtbar ist (BAG 13. Juli 2006 - 8 AZR 382/05 - AP BGB § 613a Widerspruch Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 57; 30. September 2004 - 8 AZR 462/03 - BAGE 112, 124 = AP BGB § 613a Nr. 275 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 28). Eine Anfechtungserklärung iSv. § 143 Abs. 1 BGB hat die Klägerin jedoch nicht abgegeben. Ihre Erklärung, sie habe rechtsirrtümlich angenommen, ihr Widerspruch bringe wegen des einheitlichen Betriebs keine Nachteile mit sich, stellt keine Anfechtungserklärung dar. Diese Äußerung lässt nicht erkennen, dass sie an der Widerspruchserklärung nicht festhalten wollte.

Im Übrigen hat die Klägerin, entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht, mit dem Widerspruch rechtlich nicht zum Ausdruck gebracht, auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr weiterbeschäftigt werden zu wollen. Der Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB richtet sich allein gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses und die damit verbundene Auswechselung des Arbeitgebers. Beruft sich die Klägerin im Weiteren auf die im Gemeinschaftsbetrieb fortbestehende Beschäftigungsmöglichkeit als Betriebsärztin, so setzt sie sich insoweit nicht zu ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch und handelt nicht rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB ). Sie macht lediglich geltend, trotz der Zuordnung des Betriebärztlichen Dienstes zur V AG könne die Beklagte als Teilhaberin am Gemeinschaftsbetrieb sie weiter als Betriebsärztin beschäftigen.

II. Mangels eines wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB konnten die außerordentlichen, betriebsbedingten Kündigungen vom 6. und 10. Dezember 2002 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht mit Wirkung zum 30. Juni 2003 auflösen.

1. Nach § 4 .4 MTV war das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien von der Beklagten nicht mehr ordentlich kündbar. Im Zeitpunkt der Kündigung war die Klägerin 60 Jahre alt, hatte also das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet. Das Arbeitsverhältnis bestand auch bereits seit 1982, also länger als drei Jahre.

2. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben.

Die Prüfung, ob ein bestimmter Sachverhalt die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB erfüllt, ist vorrangig Sache der Tatsachengerichte, da es sich um die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe handelt. Diese kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 626 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, beachtet hat (BAG 30. September 2004 - 8 AZR 462/03 - BAGE 112, 124 = AP BGB § 613a Nr. 275 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 28; 8. April 2003 - 2 AZR 355/02 - AP BGB § 626 Nr. 181 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 2).

3. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass vorliegend die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben sind.

a) Grundsätzlich ist eine außerordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer nicht nach § 626 Abs. 1 BGB zulässig, da dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren ordentlich kündbaren Arbeitnehmer dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar wäre (BAG 6. Oktober 2005 - 2 AZR 362/04 - AP BAT § 53 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 14; 30. September 2004 - 8 AZR 462/03 - BAGE 112, 124 = AP BGB § 613a Nr. 275 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 28; 8. April 2003 - 2 AZR 355/02 - AP BGB § 626 Nr. 181 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 2).

Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kommt aber ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar ist, weil der tarifliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung dem Arbeitgeber Unmögliches oder evident Unzumutbares aufbürdet. Dies kann vor allem dann der Fall sein, wenn der Arbeitgeber ohne außerordentliche Kündigungsmöglichkeit gezwungen wäre, ein Arbeitsverhältnis über viele Jahre hinweg allein durch Gehaltszahlungen, denen keine entsprechende Arbeitsleistung gegenüber steht, aufrechtzuerhalten. Dabei ist ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen (BAG 30. September 2004 - 8 AZR 462/03 - BAGE 112, 124 = AP BGB § 613a Nr. 275 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 28).

Zu beachten ist, dass schon die ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG nur aus dringenden betrieblichen Erfordernissen und nur dann möglich ist, wenn eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers, ggf. nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen, auf einem anderen freien Arbeitsplatz nicht erfolgen kann. Die an eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist zu stellenden Anforderungen müssen deutlich darüber hinausgehen (BAG 6. Oktober 2005 - 2 AZR 362/04 - AP BAT § 53 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 14; 24. Juni 2004 - 2 AZR 215/03 - AP BGB § 613a Nr. 278 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 5).

b) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass die Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin in dem von der Beklagten, der V AG und weiteren Unternehmen gebildeten Gemeinschaftsbetrieb nicht weggefallen ist.

aa) Der von mehreren Unternehmen gebildete einheitliche Betrieb oder Gemeinschaftsbetrieb ist Bezugspunkt für den Umfang des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 1 KSchG bei der betriebsbedingten Kündigung einschließlich der sozialen Auswahl (BAG 13. Juni 1985 - 2 AZR 452/84 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 10 = EzA KSchG § 1 Nr. 41). Ausnahmsweise kommt daher bei einem Gemeinschaftsbetrieb ein arbeitgeberübergreifender Kündigungsschutz in Betracht (BAG 22. März 2001 - 8 AZR 565/00 - AP GG Art. 101 Nr. 59 = EzA GG Art. 101 Nr. 5).

Ein einheitlicher Betrieb mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen liegt vor, wenn diese einen einheitlichen Leitungsapparat zur Erfüllung der in der organisatorischen Einheit zu verfolgenden arbeitstechnischen Zwecke geschaffen haben. Insbesondere müssen die Arbeitgeberfunktionen in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen sein (BAG 22. März 2001 - 8 AZR 565/00 - AP GG Art. 101 Nr. 59 = EzA GG Art. 101 Nr. 5). Das Landesarbeitsgericht hat, ohne dass dies von der Revision angegriffen worden wäre, einen solchen, von der V AG und der Beklagten unterhaltenen gemeinsamen Betrieb festgestellt. An diese Feststellung ist das Revisionsgericht gebunden.

Damit kommt es für den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ), für die anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten (§ 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG ) und für die soziale Auswahl auf die Verhältnisse im Gemeinschaftsbetrieb an (BAG 13. Juni 1985 - 2 AZR 452/84 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 10 = EzA KSchG § 1 Nr. 41).

bb) Durch die veränderte interne rechtliche Zuordnung des Geschäftsbereichs "Betriebsärztlicher Dienst" von der Beklagten zur V AG ist der Beschäftigungsbedarf für die Klägerin als Betriebsärztin nicht in Wegfall geraten.

Unverändert ist dieser Geschäftsbereich nach wie vor Teil des von der Beklagten und der V AG unterhaltenen Gemeinschaftsbetriebs. Innerhalb des Gemeinschaftsbetriebs sind lediglich bisher von der Beklagten durchgeführte Arbeiten auf die bislang ebenfalls am Gemeinschaftsbetrieb beteiligte Konzernobergesellschaft, die V AG, übertragen worden. Allein dadurch ist jedoch das Beschäftigungsbedürfnis für die Klägerin nicht entfallen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ).

Es entspricht gerade dem Wesen des Gemeinschaftsbetriebs, dass kündigungsschutzrechtlich eine auf den einheitlichen Betrieb bezogene und damit arbeitgeberübergreifende Betrachtung vorgenommen wird. Die von dem am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen getroffene Führungsvereinbarung in personellen und sozialen Angelegenheiten ist auf die gemeinsame Führung des Betriebs gerichtet. Inhalt der rechtlichen Vereinbarungen zum Gemeinschaftsbetrieb ist regelmäßig eine Absprache zu den Einflussnahme- und Durchsetzungsmöglichkeiten der beteiligten Arbeitgeber untereinander, um den Betrieb gemeinsam zu führen. Daraus ergeben sich etwaige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten. Weder hat die Beklagte vorgetragen, der Geschäftsbereich "Betriebsärztlicher Dienst" stehe nunmehr in der alleinigen Leitungsmacht der V AG und sei dergestalt aus dem gemeinschaftlichen Betrieb ausgegliedert, noch hat sie behauptet, im Zuge der Übertragung und einer damit verbundenen Umorganisation sei es zu einem Arbeitskräfteüberhang im Bereich der Betriebsärzte gekommen.

Da einer Weiterbeschäftigung der Klägerin im Gemeinschaftsbetrieb keine dringenden betrieblichen Erfordernisse entgegenstehen, ist weder ein Wegfall des Beschäftigungsbedarfs iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG noch ein die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 6. und 10. Dezember 2002 rechtfertigender wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB zu bejahen.

III. Die Kündigungen sind auch deswegen unwirksam, weil sie der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedurft hätten.

1. Der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung eines seiner Mitglieder als Wirksamkeitsvoraussetzung nach § 103 Abs. 1 BetrVG (BAG 22. August 1974 - 2 ABR 17/74 - BAGE 26, 219 = AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 6) bedarf es dann nicht, wenn der Kündigung ein von § 15 Abs. 4 oder Abs. 5 KSchG umfasster Sachverhalt zugrunde liegt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die nach § 15 geschützten Personen bei einer Betriebsstilllegung oder Stilllegung einer Betriebsabteilung in gleicher Weise gekündigt werden können wie andere von der unternehmerischen Entscheidung betroffene Arbeitnehmer. Dies gilt auch, wenn der Mandatsträger auf Grund einer tarifvertraglichen Bestimmung ordentlich unkündbar ist. In diesen Fällen tritt lediglich an die Stelle der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit nach § 15 Abs. 4 oder Abs. 5 KSchG die grundsätzlich mögliche außerordentliche Kündigung (BAG 18. September 1997 - 2 ABR 15/97 - BAGE 86, 298 = AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 35 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 46).

2. Im Streitfall finden diese Grundsätze entgegen der Auffassung der Revision aber keine Anwendung, da den Kündigungen kein von § 15 Abs. 4 oder Abs. 5 KSchG umfasster Sachverhalt zugrunde liegt.

Auch als Betriebsabteilung iSd. § 15 Abs. 5 KSchG ist der Geschäftsbereich "Betriebsärztlicher Dienst" im Gemeinschaftsbetrieb durch die Übertragung auf die V AG nicht stillgelegt worden. Eine Betriebsabteilung iSv. § 15 Abs. 5 KSchG wird im Rahmen eines Gemeinschaftsbetriebs nur dann stillgelegt, wenn bezogen auf den gesamten gemeinsamen Betrieb die Arbeits- und Produktionsgemeinschaft zwischen Unternehmer und Belegschaft der Betriebsabteilung aufgelöst wird und dies auf einem ernstlichen Willen des Arbeitgebers beruht. Das ist nicht geschehen. Der arbeitsmedizinische Dienst ist nach wie vor Teil des nicht nur von der V AG, sondern auch von der Beklagten unterhaltenen gemeinsamen Betriebs. Wäre somit eine ordentliche Kündigung nach § 15 Abs. 5 KSchG mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht zulässig, entfällt auch das Zustimmungserfordernis nach § 103 BetrVG nicht.

IV. Die Beklagte hat gem. § 97 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Hinweise:

Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:

Bestätigung und Fortführung der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsbetrieb; vgl. für die kündigungsrechtlichen Gesichtspunkte schon BAG 13. Juni 1985 - 2 AZR 452/84 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 10 = EzA KSchG § 1 Nr. 41

Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, vom 08.03.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 2 Sa 90/04
Vorinstanz: ArbG Stuttgart, vom 02.07.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 13 Ca 738/02
Fundstellen
AP Nr. 2 zu § 613a BGB Widerspruch
ArbRB 2007, 267
AuR 2007, 324
DB 2007, 1759
ZIP 2007, 1618