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BVerwG - Entscheidung vom 24.01.2006

1 WB 9.05

Normen:
SLV § 40 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 24.01.2006 - Aktenzeichen 1 WB 9.05

DRsp Nr. 2007/11964

Wehrbeschwerderecht - Zulassung; Laufbahnzulassung; charakterliche Eignung; Eignung; Prognose; Eignungsbeurteilung; Prognoseentscheidung; Beurteilungsspielraum

»1. Bei der Beurteilung der charakterlichen Eignung eines Bewerbers ist namentlich zu prüfen, ob Umstände, die im Beurteilungszeitpunkt aktuell für eine Nichteignung sprechen, diesen Schluss auch prognostisch für den zu beurteilenden künftigen Zeitraum tragen. 2. Werden vom Bewerber für den maßgeblichen Prognosezeitraum für eine atypische Entwicklung sprechende Gesichtspunkte oder für die Eignungsbeurteilung relevante veränderte Umstände substantiiert vorgetragen, muss sich die zuständige Stelle damit, gegebenenfalls unter Hinzuziehung anderweitigen Sachverstandes, hinreichend auseinander setzen sowie ihre Prognoseentscheidung in nachvollziehbarer und nachprüfbarer Weise gegenüber dem Betroffenen begründen.«

Normenkette:

SLV § 40 Abs. 1 ;

Tatbestand:

Ein Berufssoldat mit dem Dienstgrad eines Oberfeldwebels beantragte seine Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes (OffzMilFD). Nachdem er in einem Strafverfahren wegen alkoholbedingter vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Gesamtgeldstrafe vom 60 Tagessätzen sowie im sachgleichen gerichtlichen Disziplinarverfahren zu einem Beförderungsverbot für die Dauer von 18 Monaten verurteilt worden war, wurde sein Antrag wegen fehlender charakterlicher Eignung abgelehnt. Die dagegen eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg. Zur Begründung seines Antrages auf gerichtliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Antragsteller vorgetragen, er habe sich bereits vor Ergehen des Ablehnungsbescheides einer mehrmonatigen verkehrspsychologischen Therapie unterzogen; aufgrund der vorliegenden Fachstellungnahme des Therapeuten und eines Fahreignungsgutachtens des TÜV sei nicht zu erwarten, dass er künftig ein Kraftfahrzeug erneut unter Alkoholeinfluss führen werde. Der Senat hat die ergangenen Bescheide aufgehoben und den BMVg zur Neubescheidung verpflichtet.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung über die beantragte Zulassung des Antragstellers weist zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Rechtsfehler auf, die einen Anspruch auf Neubescheidung begründen. In die Prüfung des geltend gemachten Anspruchs müssen entscheidungserhebliche Umstände einbezogen werden, die bei der Ablehnungsentscheidung vom PersABw und vom BMVg nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Ob alle weiteren für eine positive Zulassungsentscheidung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, bedarf näherer Prüfung und Entscheidung des BMVg, dem dafür hinsichtlich einzelner Voraussetzungen ein Beurteilungsspielraum und im Übrigen bei Vorliegen aller Voraussetzungen ein Ermessensspielraum zusteht. ...

Für die Beurteilung der (prognostischen) Frage, ob und inwieweit ein Soldat die für eine Laufbahn zu stellenden Anforderungen erfüllt/erfüllen wird, sind neben der fachlichen Qualifikation des Soldaten auch seine persönlichen, d.h. charakterlichen, geistigen und körperlichen Eigenschaften maßgebend (stRspr.: vgl. u.a. Beschlüsse vom 12. November 1985 - BVerwG 1 WB 173.84 -, vom 7. Juni 1988 - BVerwG 1 WB 101.87 - und vom 6. April 2005 - BVerwG 1 WB 53.04 - Buchholz 236.110 § 6 SLV 2002 Nr. 3 = ZBR 2006, 53).

Die ablehnende Bewertung im Bescheid des PersABw und im Beschwerdebescheid des BMVg sowie auch im Vorlageschreiben des BMVg wurde ausschließlich auf eine fehlende charakterliche Eignung des Antragstellers wegen dessen strafgerichtlicher Verurteilung gestützt. Dies begegnet zwar grundsätzlich keinen Bedenken, da es keinen allgemeinen Bewertungsmaßstab des Inhalts gibt, dass die charakterliche Eignung eines Soldaten für die Laufbahn der OffzMilFD nicht aufgrund eines einmaligen Verstoßes gegen ein Strafgesetz verneint werden darf (vgl. Beschluss vom 24. August 2005 - BVerwG 1 WDS-VR 3.05 - hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ). Jedenfalls seit dem am 8. November 2004 beim BMVg eingegangenen Schreiben des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 6. November 2004, mit dem er den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hat, liegen aber Umstände vor, die von rechtlicher Relevanz für eine anderweitige (prognostische) Beurteilung der Eignung des Antragstellers für die von ihm angestrebte Laufbahn sein können. Eine nicht hinreichende Berücksichtigung dieser Umstände würde den Bedeutungsgehalt des Begriffs der Eignung verkennen.

Der Begriff der Eignung, der sich auf die für die angestrebte dienstliche Verwendung erforderlichen Verhaltens- und Leistungsvoraussetzungen einer Person bezieht, stellt nicht nur auf einen Ist-Zustand zum Zeitpunkt der getroffenen Bewertung ab, sondern erfordert auch eine Prognoseentscheidung (vgl. Beschluss vom 6. April 2005 - BVerwG 1 WB 53.04 - aaO.). So ist bei der Beurteilung der - hier maßgeblichen - charakterlichen Eignung namentlich zu prüfen, ob diejenigen Umstände, die im Beurteilungszeitpunkt aktuell für eine Nichteignung sprechen, diesen Schluss auch prognostisch für den zu beurteilenden künftigen Zeitraum tragen. Dazu besteht vor allem dann Anlass, wenn eine atypische Entwicklung oder geänderte, für die Eignungsbeurteilung relevante Umstände substantiiert vorgetragen werden. Eine fehlerfreie (Eignungs-)Prognoseentscheidung liegt nur dann vor, wenn sich die zuständige Stelle erkennbar mit diesen Gesichtspunkten hinreichend auseinandersetzt sowie ihr gefundenes Ergebnis in nachvollziehbarer und nachprüfbarer Weise dem Betroffenen mitteilt. Sofern für diese Prüfung und Entscheidung besondere medizinische, psychologische oder andere Fachkenntnisse erforderlich sind, müssen diese herangezogen und verwertet werden. Fehlen der zuständigen Stelle insoweit die erforderlichen Fachkenntnisse, ist sie gehalten, diese bei fachkundigen Stellen zu ermitteln und sie bei ihrer dann zu treffenden Entscheidung zugrunde zu legen. Verzichtet die zuständige Stelle auf die Einholung anderweitigen Sachverstandes und stützt sie sich allein auf ihre eigene Sachkunde, muss sie diese in nachvollziehbarer Weise durch eine überzeugende Darlegung nachweisen (so die stRspr. zu den Verpflichtungen von - ebenso wie die vollziehende Gewalt nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebundenen und dem Amtsermittlungsgrundsatz unterworfenen - Gerichten hinsichtlich des Vorliegens und Nachweises eigener besonderer Sachkunde, u.a. Urteil vom 10. November 1983 - BVerwG 3 C 56.82 - BVerwGE 68, 177 [181 f.] m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO , 14. Aufl. 2005, § 98 RNr. 14 m.w.N.).

Eine solche rechtsfehlerfreie Eignungsbeurteilung ist im vorliegenden Falle bislang von der zuständigen Stelle nicht vorgenommen worden, so dass die auf dieser Grundlage getroffene Ermessensentscheidung über die (Nicht-)Zulassung des Antragstellers für die Laufbahn der OffzMilFD rechtswidrig und mit der im Tenor ausgesprochenen Verpflichtung des BMVg zur Neubescheidung aufzuheben ist.

... (wird ausgeführt)

Zwar trifft es zu, dass - wie der BMVg in seinem Vorlageschreiben ausgeführt hat - die Feststellung der Eignung des Antragstellers zum Offizier "nicht eine des Beweises zugängliche Tatsache" ist. Die - der ergangenen und im Beschwerdeverfahren aufrecht erhaltenen Ablehnungsentscheidung ersichtlich zugrunde liegende - Auffassung des BMVg, dass die vom Antragsteller vorgelegten Gutachten für die Begutachtung der charakterlichen Eignung "nicht in der von ihm gewünschten Weise geeignet" seien, verkennt jedoch den rechtlichen Begriff der Eignung und überschreitet damit den der zuständigen Stelle zustehenden Beurteilungsspielraum. Zweifellos vermögen die vom Antragsteller vorgelegten fachpsychologischen und medizinischen Begutachtungen die Frage der Eignung des Antragstellers für die Laufbahn der OffzMilFD nicht zu beantworten. Sie behandeln jedoch mit der - ausdrücklich prognostischen - Einschätzung und Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Begehung erneuter Verkehrsstraftaten unter Alkoholeinfluss einen Fragenkreis, der wegen des alleinigen Abstellens des PersABw und des BMVg auf die erfolgte strafrechtliche Verurteilung als Grund für die Annahme einer charakterlichen Nichteignung von wesentlicher Bedeutung ist. Wenn einem Bewerber für eine militärische Laufbahn prognostisch die charakterliche Eignung allein wegen einer erfolgten Straftat abgesprochen wird, dann darf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit vom Betroffenen vorgelegten Fachbegutachtungen, die zum Ergebnis einer hinreichend wahrscheinlichen ernsthaften Verhaltensänderung des Antragstellers in dieser Beziehung mit - prognostisch - positiven Auswirkungen für sein zukünftiges Verhalten kommen, nicht unterbleiben.

Soweit die erfolgte(n) Begründung(en) der Ablehnungsentscheidung dahin zu verstehen sein sollte(n), dass selbst im Falle einer - prognostisch - festzustellenden Verhaltensänderung des Antragstellers aufgrund der erfolgten (einmaligen) strafrechtlichen Verurteilung wegen einer Alkoholtat im Straßenverkehr eine Eignung für die Laufbahn der OffzMilFD zu verneinen ist, bedürfte es dafür einer nachvollziehbaren Begründung. Die Berufung lediglich darauf, dass es allein Sache der personalbearbeitenden Stelle sei, "sich darüber klar zu werden, ob der Eignungsmangel so schwer wiegt", reicht nicht aus. Denn sie lässt jedenfalls den für eine solche Schlussfolgerung maßgeblichen Beurteilungsmaßstab nicht in nachvollziehbarer Weise erkennen.