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BVerwG - Entscheidung vom 04.05.2006

2 WD 9.05

Normen:
GG Art. 1 Abs. 1 Art. 2 Abs. 1
StGB § 185
SG § 10 Abs. 3 § 12 S. 1, 2 § 13 § 17 Abs. 2 S. 1
VorgV § 1 Abs. 1
WDO § 59 § 60 Abs. 2

Fundstellen:
DÖV 2006, 1005

BVerwG, Urteil vom 04.05.2006 - Aktenzeichen 2 WD 9.05

DRsp Nr. 2007/11949

Soldatendisziplinarrecht - Ehrverletzende, entwürdigende Äußerung eines Vorgesetzten; Beeinflussung Untergebener zur Falschaussage

»1. Die ehrverletzende und entwürdigende Äußerung eines Soldaten ist disziplinarrechtlich einer entsprechenden Behandlung gleichzusetzen. 2. Zur Maßnahmebemessung bei ehrverletzender und entwürdigender Behandlung sowie Beeinflussung Untergebener zur Falschaussage.«

Normenkette:

GG Art. 1 Abs. 1 Art. 2 Abs. 1 ; StGB § 185 ; SG § 10 Abs. 3 § 12 S. 1, 2 § 13 § 17 Abs. 2 S. 1 ; VorgV § 1 Abs. 1 ; WDO § 59 § 60 Abs. 2 ;

Tatbestand:

Der Soldat, ein Hauptfeldwebel in der Funktion eines Zugführers, äußerte sich in Bezug auf einen Untergebenen vor der Truppe ehrverletzend und entwürdigend ("Der F. geht rauf und wenn er fünfmal verreckt, auch wenn es Nacht wird oder wir umkehren! Der hat in seiner Wehrdienstzeit sowieso noch nichts geleistet"). Darüber hinaus versuchte er, die Äußerungen zu vertuschen und untergebene Zeugen zur Falschaussage zu beeinflussen. Das Truppendienstgericht erkannte gegen ihn wegen eines Dienstvergehens auf ein Beförderungsverbot für die Dauer von zwölf Monaten. Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft verurteilte der Senat den Soldaten zu einem Beförderungsverbot von zwei Jahren in Verbindung mit einer Kürzung der Dienstbezüge um ein Zehntel für die Dauer von 30 Monaten.

Entscheidungsgründe:

...

Bereits die durch eine ehrverletzende Äußerung begangene Verletzung der Fürsorge- und der Kameradschaftspflicht hat erhebliches Gewicht. Zu den Rechten, deren Schutz ein Soldat gemäß § 6 Satz 1 SG in Anspruch nehmen kann, gehört der Schutz seiner persönlichen Ehre. Der Soldat kann danach verlangen, dass seine persönliche Ehre, sein Ansehen und sein Ruf als Bürger und Soldat geachtet und nicht geschädigt werden. Dieser Ehrenschutz, der dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuzuordnen ist und seine Grundlage in der verfassungsrechtlich verbürgten Achtung der Menschenwürde und der freien Persönlichkeitsentfaltung findet (Art. 1 Abs. 1 , Art. 2 Abs. 1 GG ), ist notwendig auch auf die Wahrung des Ansehens in der Öffentlichkeit gerichtet sowie darauf, nicht einer ehrverletzenden Kritik oder Äußerung ohne rechtfertigenden Grund ausgesetzt zu werden (vgl. Beschlüsse vom 23. April 1980 - BVerwG 1 WB 265.77 - BVerwGE 73, 4 [6] m.w.N. und vom 22. Dezember 2004 - BVerwG 1 WB 30.04 -). Namentlich dürfen Äußerungen nicht die Grenzen überschreiten, die das Strafrecht zum Schutz der persönlichen Ehre festlegt. Danach liegt ein Angriff auf die persönliche Ehre im Sinne einer Beleidigung, vor der § 185 StGB schützen soll, vor, wenn dem Betroffenen oder gegenüber Dritten in Bezug auf ihn die eigene Missachtung oder Nichtachtung zum Ausdruck gebracht wird. Dies ist vorliegend der Fall. Denn die Äußerung des Soldaten wies einen ehrverletzenden Inhalt auf, indem sie den personalen Geltungswert des Obergefreiten F. negierte.

Darüber hinaus lag in dem Ausspruch "... und wenn er fünfmal verreckt ..." zugleich auch ein Angriff auf die Menschenwürde des Obergefreiten F. Dies wiegt besonders schwer. Die Menschenwürde, die nach Art. 1 Abs. 1 GG "unantastbar" (Satz 1) und von "aller staatlicher Gewalt" zu achten und zu schützen ist (Satz 2), wird verletzt, wenn der von der in Rede stehenden Äußerung oder Handlung Betroffene einer Behandlung ausgesetzt wird, die eine Verachtung oder Geringschätzung des dem Menschen kraft seines Person-Seins zukommenden Wertes zum Ausdruck bringt (vgl. dazu u.a. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1970 - 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 308/69 - BVerfGE 30, 1 [25 f.]). Dem liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu entfalten. Diese Freiheit versteht das Grundgesetz allerdings nicht als diejenige eines isolierten und selbstherrlichen, sondern als die eines gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums. Dies bedeutet, dass auch in der Gemeinschaft grundsätzlich jeder Einzelne als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt werden muss. Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen. Die Maxime "der Mensch muss immer Zweck an sich selbst bleiben" gilt uneingeschränkt für alle Rechtsgebiete, auch für den Bereich der Streitkräfte (vgl. zuletzt Urteil vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - NJW 2006, 77 = EuGRZ 2005, 636 [646]).

Nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung ist bei Äußerungsdelikten ein Angriff auf die Menschenwürde verwirklicht, wenn der angegriffenen Person "ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft" bestritten wird und sie als "unterwertiges Wesen" behandelt wird (vgl. dazu allgemein BGH, Urteil vom 19. Januar 1989 - 1 StR 641/88 - BGHSt 36, 83 ff.). Das "Menschentum" des Angegriffenen muss zur Tatbestandsverwirklichung bestritten oder relativiert, der Betroffene im Kernbereich seiner Persönlichkeit getroffen werden. Dies war hier der Fall. Der Ausspruch charakterisierte nach seinem objektiven Bedeutungsgehalt den Obergefreiten F. als "unterwertiges Wesen". Es wurde zum Ausdruck gebracht, dass es dem Soldaten gleichgültig war, ob der Obergefreite F. bei dem geplanten Marsch zu Tode kam oder nicht. Zugleich wurde insinuiert, sein - verbal - in Kauf genommener Tod sei mit demjenigen eines Tieres zu vergleichen. Denn aus dem verobjektivierten Empfängerhorizont heraus und unter Beachtung des sachlichen Kontextes wurde mit der Verwendung des Begriffs "Verrecken" der Betroffene auf eine Stufe mit einem Tier gestellt. Damit wurde sein Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in Frage gestellt und mithin missachtet.

Die ehrverletzende und entwürdigende Äußerung des Soldaten ist disziplinarrechtlich einer ehrverletzenden und entwürdigenden Behandlung gleichzusetzen.

Die ehrverletzende und entwürdigende Behandlung eines Untergebenen (Anschuldigungspunkt 1) ist für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung stets ein sehr ernst zu nehmendes Fehlverhalten. Die - wie oben schon ausgeführt - nach Art. 1 GG zu achtende und zu schützende Würde des Menschen ist unantastbar und bedarf im militärischen Bereich mit seiner streng hierarchischen Gliederung besonderer Beachtung. Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Schutz Untergebener beimisst, ergibt sich gerade auch aus der Tatsache, dass die entwürdigende Behandlung Untergebener mit Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 31 Abs. 1 WStG ). Ein Vorgesetzter, der Untergebene entwürdigend behandelt, begeht nicht nur eine Wehrstraftat, sondern auch eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung (vgl. Urteile vom 28. Januar 1999 - BVerwG 2 WD 17.98 - Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 8, vom 19. Juli 2000 - BVerwG 2 WD 6.00 -, vom 17. Oktober 2000 - BVerwG 2 WD 12.00, 13.00 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 44 [insoweit nicht veröffentlicht] = NJW 2001, 2343 und vom 17. März 2004 - BVerwG 2 WD 17.03 - NZWehrr 2005, 38 = ZBR 2005, 133). Der Senat ordnet die vorliegende ehrverletzende und entwürdigende Behandlung durch den Soldaten - gemessen an seiner bisherigen Rechtsprechung - dem mittelschweren Bereich zu. ...

Bei der Bewertung der Schwere des Dienstvergehens ist ferner zu berücksichtigen, dass der Soldat zum Zeitpunkt der Dienstpflichtverletzungen einen Dienstgrad trug, der ihm kraft Gesetzes (§ 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 1 Abs. 1 VorgV) Vorgesetzteneigenschaft gegenüber dem Obergefreiten F. verlieh. Mit seinem Fehlverhalten gab er nicht das von einem Vorgesetzten gemäß § 10 Abs. 1 SG verlangte Beispiel in Haltung und Pflichterfüllung, sondern im Gegenteil ein außerordentlich schlechtes Beispiel und disqualifizierte sich damit in seinem herausgehobenen Portepeeunteroffizierdienstgrad sowie in seiner Funktion als Zugführer und Ausbilder.

"Eigenart und Schwere" des vorliegenden Dienstvergehens des Soldaten werden weiterhin durch die erfolgte versuchte Beeinflussung der drei Zeugen zur Falschaussage gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten geprägt (Anschuldigungspunkt 2). Dies stellt ein erhebliches Versagen dar, weil der Soldat auch insoweit durch den von der Truppendienstkammer festgestellten Verstoß gegen seine Fürsorge- und Kameradschaftspflicht in gesteigertem Maße an Achtung und Vertrauen eingebüßt hat. Die Kameradschaftspflicht ist hier in der Form der Achtung der "Rechte" der Kameraden (§ 12 Satz 2 SG ) verletzt. Der Soldat hat durch sein Fehlverhalten die drei Kameraden Ka., Ke. und Kl. der Gefahr disziplinarer und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. Eine solche Handlungsweise lässt auf eine ausgeprägte Neigung des Soldaten schließen, zur Verwirklichung seiner persönlichen Interessen die Grenzen des dienstlich zulässigen Verhaltens rücksichtslos zu Lasten Dritter, hier dreier Untergebener, zu überschreiten. Es handelt sich bei dem von Anschuldigungspunkt 2 erfassten Fehlverhalten um ein schweres Dienstvergehen. Der Soldat wollte seine Pflichtverletzungen vertuschen. Dies versuchte er dadurch zu erreichen, dass er drei Untergebene zu Dienstpflichtverletzungen, nämlich zur Verletzung der Wahrheitspflicht anzustiften versuchte. Der Wahrheitspflicht kommt gerade für das Soldatenverhältnis besondere Bedeutung zu, was ihre ausdrückliche Normierung in § 13 SG demonstriert. Erschwerend wirkt, dass der Soldat zudem auch keine Hemmungen hatte, den drei Untergebenen für den Fall, dass sie sich dem von ihm Gewollten widersetzten, unangenehme Konsequenzen in Aussicht zu stellen, nämlich erst später nach Hause fahren zu können. Ferner versuchte er, sie sich dadurch gefügig zu machen, dass er ihnen erklärte, es sei sinnlos, wenn sie die Meldung des Obergefreiten F. bestätigten, weil seine sämtlichen (Unteroffiziers-)Dienstgrade sowieso seine Version bestätigen würden. Die drei Untergebenen im Mannschaftsdienstgrad mussten dies als "Erpressung" verstehen und sich unter Druck gesetzt fühlen.

Insgesamt handelt es sich somit bei dem Dienstvergehen des Soldaten - ausgehend von einem mittelschweren Dienstvergehen in Anschuldigungspunkt 1 und einem schweren Dienstvergehen in Anschuldigungspunkt 2 - nach "Eigenart und Schwere" um ein ganz erhebliches Fehlverhalten, ... (wird ausgeführt)

Bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Fehlverhaltens des Soldaten war vor allem die Schwere des Dienstvergehens zu gewichten.

Im Hinblick auf das Fehlverhalten zu Anschuldigungspunkt 1 ist mit der ständigen Rechtsprechung des Senats davon auszugehen, dass bei einer durch einen Vorgesetzten begangenen ehrverletzenden oder/und entwürdigenden Behandlung Untergebener eine "reinigende Maßnahme", also im Regelfall die Dienstgradherabsetzung, in schweren Fällen sogar die Höchstmaßnahme verwirkt ist (vgl. Urteile vom 29. April 1981 - BVerwG 2 WD 17.81 -, vom 9. April 1986 - BVerwG 2 WD 52.85 - BVerwGE 83, 183 f., vom 12. Juli 1990 - BVerwG 2 WD 4.90 - BVerwGE 86, 305 [306 f.], vom 18. März 1997 - BVerwG 2 WD 29.95 - BVerwGE 113, 70 f. = NZWehrr 1997, 212 , vom 17. März 1999 - BVerwG 2 WD 28.98 - BVerwGE 113, 311 [312] = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 27 = NZWehrr 1999, 169, vom 19. Juli 2000 - BVerwG 2 WD 6.00 - und vom 17. März 2004 - BVerwG 2 WD 17.03 - aaO. m.w.N.). Wie ausgeführt, hat das Dienstvergehen schon nach seinem spezifischen Unrechtsgehalt und damit nach seiner "Eigenart und Schwere" gemäß dem auch im Disziplinarrecht geltenden verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ("Differenzierung nach unten und nach oben") mittleres Gewicht, was sich auf den Ausgangspunkt ("Einstufung") der Zumessungserwägungen in entsprechender Weise auszuwirken hat.

Hinzu kommt, dass das Vertuschen der Tat und die Beeinflussung der drei Untergebenen zur Falschaussage für einen Vorgesetzten ein schweres Dienstvergehen darstellt. ... (wird ausgeführt)

Unter Abwägung aller be- und entlastenden Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der geringeren Schuld bei dem Fehlverhalten des Soldaten zu Anschuldigungspunkt 1 und der Milderungsgründe in der Person erschien es dem Senat noch vertretbar, insgesamt von einer Dienstgradherabsetzung abzusehen. Unter Beachtung der spezifischen Aufgaben des Wehrdisziplinarrechts - Wiederherstellung und Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebes - sowie unter Berücksichtigung generalpräventiver Zwecke hielt der Senat jedoch neben der Verhängung eines Beförderungsverbots im mittleren Bereich (§ 60 Abs. 2 WDO) eine zusätzliche Pflichtenmahnung in Form einer Kürzung der Dienstbezüge (§ 59 WDO) für geboten. ...

Vorinstanz: TDG Süd - TDG S 10 VL 53/04 - 12.04.2005,
Fundstellen
DÖV 2006, 1005