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BVerwG - Entscheidung vom 20.12.2006

3 B 17.06

Normen:
AMG § 28 Abs. 2 § 44 § 109 Abs. 3 § 109a Abs. 3

Fundstellen:
DVBl 2007, 578
DÖV 2007, 710
GewArch 2007, 261
NJW 2007, 859
NVwZ 2007, 596
PharmR 2007, 110
PharmR 2007, 303

BVerwG, Beschluss vom 20.12.2006 - Aktenzeichen 3 B 17.06

DRsp Nr. 2007/2573

Nachzulassung eines traditionell angewendeten frei verkäuflichen Arzneimittels ohne Warnhinweis

»Bei der Nachzulassung eines traditionell angewendeten frei verkäuflichen Arzneimittels gemäß § 109a Abs. 3 AMG ist kein Raum für die Anordnung eines Warnhinweises, dass beim Auftreten anhaltender oder wiederholter Beschwerden ein Arzt aufgesucht werden solle.«

Normenkette:

AMG § 28 Abs. 2 § 44 § 109 Abs. 3 § 109a Abs. 3 ;

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

Die Klägerin erhielt durch Bescheid vom 28. März 2000 gemäß § 109a Abs. 3 AMG die Verlängerung der Zulassung (sog. Nachzulassung) für das Arzneimittel "Schoenenberger naturreiner Heilpflanzensaft Schwarzrettich". Das Anwendungsgebiet war dabei entsprechend der Eintragung in der sog. Traditionsliste angegeben mit "Traditionell angewendet zur Unterstützung der Verdauungsfunktion. Diese Angaben beruhen ausschließlich auf Überlieferung und langjähriger Erfahrung". Der Bescheid enthielt die Auflage, unter der Überschrift "Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung und Warnhinweise" folgenden Hinweis aufzunehmen: "Bei anhaltenden und wiederholten Verdauungsbeschwerden wie Völlegefühl, Übelkeit oder Blähungen sollte ein Arzt aufgesucht werden". Durch weitere Auflagen wurde der Klägerin aufgegeben, den entsprechenden Hinweis auf dem Behältnis, der äußeren Umhüllung und - durch Verweisung - in die Dosierungsempfehlung aufzunehmen. Auf die Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht diese Auflagen aufgehoben. Die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen.

Die Beklagte hält die Sache für grundsätzlich bedeutsam, weil zwei Fragen der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürften. Zum einen gehe es um die Frage, "ob bei einem traditionellen Vorbeugungs- und Nichtheilmittel nach § 109a AMG ein Warnhinweis nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, Nr. 2 lit. a AMG angeordnet werden darf, der dem Anwender eine Handlungsanweisung im Falle von Beschwerden gibt". Zum anderen sei die Frage klärungsbedürftig, "ob ein Warnhinweis mit der Formulierung ,bei anhaltenden und wiederholten Verdauungsbeschwerden wie Völlegefühl, Übelkeit oder Blähungen sollte ein Arzt aufgesucht werden' im Hinblick auf den Grundsatz der Arzneimittelsicherheit und des vorbeugenden Gesundheitsschutzes dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" genüge. In der Sache verfolgen beide Fragestellungen allerdings dasselbe Ziel. Die Erforderlichkeit des Warnhinweises, die die Beklagte in der zweiten Frage dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuordnet, ist bereits ausdrücklich im Tatbestand des § 28 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AMG enthalten und wird daher schon von der ersten Frage umfasst. Zum anderen kann bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der konkrete Inhalt des der Klägerin aufgegebenen Warnhinweises nicht außer Acht bleiben. Zusammenfassend möchte die Beklagte also geklärt wissen, ob ein Warnhinweis wie der hier streitige bei einem nach § 109a Abs. 3 AMG zugelassenen Arzneimittel aufgrund des § 28 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AMG verlangt werden kann. Diese Frage ist zu verneinen, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Die Auffassung der Beklagten trägt den offenkundigen Besonderheiten der hier in Rede stehenden Arzneimittel nicht Rechnung.

§ 28 Abs. 2 AMG gestattet die Anordnung von Hinweisen oder Warnhinweisen auf Behältnissen, äußeren Umhüllungen und Packungsbeilagen, soweit sie erforderlich sind, um bei der Anwendung des Arzneimittels eine unmittelbare oder mittelbare Gefährdung der Gesundheit von Mensch oder Tier zu verhüten. Unabhängig davon, ob hiernach Warnhinweise nur zur Abwehr von Gefahren verlangt werden dürfen, die - wie das Berufungsgericht angenommen hat - bei bestimmungsgemäßem Gebrauch entstehen können, ist jedenfalls unzweifelhaft, dass die Gefahren durch die Anwendung des Arzneimittels hervorgerufen werden müssen. Eine solche Gefahr sieht die Beklagte vorliegend in der Möglichkeit, dass Patienten mit einer ernsthaften Erkrankung im Vertrauen auf die Wirksamkeit des streitigen Produkts auf eine angemessene Therapie verzichten. Diese Befürchtung entspricht weder der Wertung des Gesetzgebers noch hält sie einer die gesamten Umstände berücksichtigenden realitätsnahen Betrachtung stand.

Der Gesetzgeber hat in § 109a Abs. 3 AMG bei den sog. traditionellen Arzneimitteln bewusst auf einen Wirksamkeitsnachweis verzichtet. Er hat dies getan, weil es sich um Arzneimittel handelt, die seit langem im Verkehr sind und deren Anwendung kaum Risiken birgt. Nach § 109a Abs. 3 müssen sie auf Behältnis, Umhüllung und Packungsbeilage einen oder mehrere der folgenden Hinweise tragen: "Traditionell angewendet: a) zur Stärkung oder Kräftigung, b) zur Besserung des Befindens, c) zur Unterstützung der Organfunktion, d) zur Vorbeugung, e) als mild wirkendes Arzneimittel." Durch diese den jeweiligen Anwendungsgebieten des § 109a Abs. 3 AMG entsprechenden Hinweise sieht der Gesetzgeber eine ausreichende Aufklärung über Charakter und Funktion dieser Arzneimittel als gegeben an. Das schließt es, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, aus, wegen des fehlenden Wirksamkeitsnachweises unter Berufung auf § 28 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AMG generell einen Warnhinweis anzuordnen, dass bei gravierenden Beschwerden ein Arzt zu Rate gezogen werden solle. Es kommt hinzu, dass es sich nach § 109 Abs. 3 AMG um freiverkäufliche Arzneimittel handelt. So vertreibt etwa die Klägerin den hier streitigen Pflanzensaft über Reformhäuser. Sie könnte sie aber auch in Lebensmittelläden oder Drogeriemärkten anbieten. Berücksichtigt man diese Vertriebswege neben der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Deklarierung, so ist die Annahme fernliegend, ein Patient werde durch das Vertrauen auf die Heilkraft dieses Mittels von einer wirksamen Behandlung seiner Erkrankung abgehalten. Verzichtet er trotz erheblicher Beschwerden auf eine angemessene und erfolgversprechende Behandlung, kann dies vielfache Gründe haben. In Betracht kommt vor allem eine Fehleinschätzung seines Gesundheitszustandes. Es können aber auch finanzielle oder psychologische Gründe für sein Verhalten ursächlich sein.

Der von der Beklagten angeordnete Warnhinweis verlässt auch insofern das System des Arzneimittelgesetzes, als er mit dem dafür genannten Grund des fehlenden Wirksamkeitsnachweises nicht korreliert. Das Arzneimittelgesetz verlangt in § 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG im Allgemeinen den Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit von Arzneimitteln, um zu verhindern, dass der Patient durch die Einnahme eines unwirksamen Präparats von der Verwendung eines wirksamen Arzneimittels abgehalten wird. Darauf zielt die angefochtene Auflage aber nicht. Sie beinhaltet vielmehr die Aufforderung an den Patienten, bei - recht diffus umschriebenen - gesundheitlichen Beeinträchtigungen sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, um festzustellen, ob den Beschwerden eine ernsthafte Erkrankung zugrunde liegt. Der angefochtene Warnhinweis soll also nicht den Einsatz eines wirksamen anstelle eines unwirksamen Arzneimittels gewährleisten. Mit der Begründung, dass traditionelle Arnzeimittel ja nicht ohne Grund eingenommen würden und dieser Grund möglicherweise eine ernste Erkrankung sei, soll der Patient vielmehr zu einer ärztlichen Abklärung seines Gesundheitszustandes veranlasst werden. Dafür ist im Rahmen der Zulassung nach § 109a Abs. 3 AMG kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 10.11.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 13 A 4246/03
Vorinstanz: VG Köln, vom 06.08.2003 - Vorinstanzaktenzeichen 24 K 3620/00
Fundstellen
DVBl 2007, 578
DÖV 2007, 710
GewArch 2007, 261
NJW 2007, 859
NVwZ 2007, 596
PharmR 2007, 110
PharmR 2007, 303