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BVerwG - Entscheidung vom 21.06.2006

8 C 19.05

Normen:
VermG § 1 Abs. 1 lit. a

BVerwG, Urteil vom 21.06.2006 - Aktenzeichen 8 C 19.05

DRsp Nr. 2006/20382

Mittelbare Schädigung bei Untergang des Anwartschaftsrecht auf Übertragung des Grundeigentums während der Enteignung des republikflüchtigen Grundstückseigentümers

»Ist ein Anwartschaftsrecht auf Übertragung des Grundeigentums im Zuge einer gegen einen republikflüchtigen Grundstückseigentümer gerichteten Enteignungsmaßnahme untergegangen, so ist der Anwartschaftsberechtigte nur mittelbar geschädigt.«

Normenkette:

VermG § 1 Abs. 1 lit. a ;

Gründe:

I. Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der Berechtigung des Rechtsvorgängers der Beigeladenen hinsichtlich eines Anwartschaftsrechts.

Der Rechtsvorgänger der Beigeladenen war Landwirt in Ha. Mit notariellem Vertrag vom 1. Dezember 1950 kaufte er von Friedrich K., vertreten durch seine Ehefrau Alma K., im Grundbuch von Ha. Band V Blatt 106 eingetragene Grundstücksparzellen von insgesamt 3,88 ha zu einem Kaufpreis von 4 500 DM. Der Verkäufer verpflichtete sich, die Lastenfreistellung auf seine Kosten durchzuführen. Im notariellen Vertrag wurde die sofortige Übernahme und die Auflassung erklärt und die Erschienenen bewilligten und beantragten die Eintragung des Käufers im Grundbuch. Am 13. Mai 1952 wurde im Grundbuch eine Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Eigentumsübertragung eingetragen.

Mit Schreiben vom 22. März 1955 teilte der Notar dem Rat des Kreises H. mit, dass der Vertrag am 12. November 1951 vom Rat des Kreises H. nach Kontrollratsgesetz Nr. 45 genehmigt und auch alle sonstigen Erfordernisse erfüllt seien. Zur "grundbücherlichen Umschreibung" fehle lediglich die Pfandentlassung der Hypothekengläubiger. Die Pfandfreigaben hätten bisher nicht erreicht werden können, da sowohl der Grundstückseigentümer als auch seine Bevollmächtigte und Hypothekargläubigerin illegal nach dem Westen verzogen seien und auf verschiedene Schreiben nicht geantwortet hätten. Der Rat des Kreises H. erteilte daraufhin am 13. April 1955 gegenüber dem Notar und dem Referat Kataster - Grundbuch - die "grundbücherliche Umschreibung".

Am 19. März 1956 beantragte der Rat der Gemeinde, die Grundstücke in seine Rechtsträgerschaft zu übertragen, weil der Eigentümer in den Westen verzogen sei. Das Grundstück sei gemäß § 1 der Verordnung vom 17. Juli 1952 in Volkseigentum zu überführen. Am 6. Juli 1956 erstellte der Rat des Kreises H., Abteilung Finanzen - Sachgebiet Verwaltung des staatlichen Eigentums -, einen Rechtsträgernachweis, demzufolge der Rat der Gemeinde Ha. mit Wirkung vom 1. Januar 1954 Rechtsträger der Grundstücke des Friedrich K. sei. Als Rechtsgrundlage wurde § 1 der Verordnung vom 17. Juli 1952 angegeben. Unter dem 30. Juli 1956 bestätigte der Rat des Kreises H. - Abteilung Kataster - die Umschreibung des Grundbesitzes. Dabei ist vermerkt, dass die in Abteilung 2 des Grundbuches eingetragene Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Eigentumsübertragung einer Fläche von 3,88 ha für den Landwirt Robert M. am 30. Juli 1956 gelöscht worden sei.

Mit Schreiben vom 13. Dezember 1992 beantragte der im Januar 2005 verstorbene Ehemann und Rechtsvorgänger der Beigeladenen die Übertragung der Parzellen mit der Größe von 3,88 ha, für die jetzt die Klägerin im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen ist, an sich.

Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen L. lehnte mit Bescheid vom 22. September 1998 die Übertragung der Grundstücke ab. Auf den Widerspruch des Ehemanns der Beigeladenen hob das beklagte Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Mecklenburg-Vorpommern mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2003 den ablehnenden Bescheid auf und stellte fest, dass der Ehemann der Beigeladenen als Rechtsnachfolger nach seinem Vater Berechtigter im Sinne des Vermögensgesetzes sei. Die Löschung des Anwartschaftsrechtes auf die Grundstücksübertragung sei machtmissbräuchlich gewesen.

Die gegen den Widerspruchsbescheid gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 16. März 2005 abgewiesen. Der Rechtsvorgänger der Beigeladenen habe ein Anwartschaftsrecht an den Grundstücken erworben. Dabei handele es sich um einen restitutionsfähigen Vermögenswert. Das Anwartschaftsrecht sei im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG unmittelbar geschädigt worden. Werde das Grundstück als Vermögenswert in Volkseigentum überführt, gehe auch das gleichsam dingliche Recht der Anwartschaft unmittelbar mit der Enteignung des Grundstücks unter. Die durch den Widerspruchsbescheid festgestellte Berechtigung sei auch nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Durch den angefochtenen Bescheid werde nicht das Eigentum übertragen, sondern nur festgestellt, dass der Ehemann der Beigeladenen Berechtigter sei. Wie der Verlust des Anwartschaftsrechtes rückabgewickelt werde, insbesondere ob die Beigeladene einen unmittelbaren Eigentumsverschaffungsanspruch habe, müsse einer gesonderten Entscheidung des Beklagten überlassen bleiben.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 16. März 2005 und den Widerspruchsbescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 5. September 2003 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hat unter Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG angenommen, dass das von dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen erworbene Anwartschaftsrecht einer zielgerichteten entschädigungslosen Enteignung unterlegen habe. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig. Weitere tatsächliche Feststellungen sind hierzu nicht erforderlich. Der Senat kann deshalb in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO ) und den Ausgangsbescheid wiederherstellen.

1. Ein Anwartschaftsrecht liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen hat (vgl. Urteil vom 11. Januar 2001 - BVerwG 7 C 10.00 - BVerwGE 112, 335 [339] = Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 53), vor, wenn von dem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechts schon so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass von einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers gesprochen werden kann, die der andere an der Entstehung des Rechts Beteiligte nicht mehr durch eine einseitige Erklärung zu zerstören vermag (BGHZ 49, 197 [201] m.w.N.). Das ist beim Eigentumserwerb an einem Grundstück der Fall, wenn der Empfänger einer Auflassung im Sinne des § 925 Abs. 1 Satz 1 BGB den Umschreibungsantrag beim Grundbuchamt gestellt hat; denn der an die Einigung gebundene Veräußerer kann danach die Rechtsposition des Auflassungsempfängers grundsätzlich nicht mehr einseitig zerstören, weil dessen Eintragungsantrag gemäß § 17 GBO vor späteren Anträgen erledigt werden muss. Eine einseitige Zerstörung der Rechtsposition des Auflassungsempfängers durch den Veräußerer ist auch dann nicht mehr möglich, wenn zugunsten des Auflassungsempfängers eine Vormerkung im Grundbuch eingetragen ist (BGHZ 83, 395 [399] m.w.N.).

Diese Voraussetzungen waren hier gegeben. Der Rechtsvorgänger der Beigeladenen und der eingetragene Grundstückseigentümer, vertreten durch seine Ehefrau (die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass Verkäufer die Ehefrau Alma K. sei, sind ausweislich des in Ablichtung vorliegenden Kaufvertrages aktenwidrig), hatten im notariellen Kaufvertrag vom 1. Dezember 1950 die Auflassung erklärt und die Eintragung bewilligt und beantragt. Mit der Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Eigentumsübertragung am 13. Mai 1952 konnte die Eigentumsumschreibung durch den Verkäufer nicht mehr einseitig verhindert werden. Denn gemäß § 883 Abs. 2 BGB , der zu diesem Zeitpunkt auch im Gebiet der ehemaligen DDR galt, ist eine Verfügung, die nach der Eintragung der Vormerkung über das Grundstück oder das Recht getroffen wird, insoweit unwirksam, als sie den Anspruch vereiteln oder beeinträchtigen würde.

2. Ein Anwartschaftsrecht an einem Grundstück ist ein dem Volleigentum wesensähnliches, als Vorstufe des Grundeigentums selbständig verkehrsfähiges Recht (vgl. BGHZ 114, 161 [164]). Als solches ist es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein restitutionsfähiger Vermögenswert im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG, wenn nicht nur der Veräußerer den Rechtserwerb nicht mehr vereiteln konnte, sondern darüber hinaus auch eine Beeinträchtigung oder Vernichtung des Rechts nach dem normalen Verlauf der Dinge ausgeschlossen war (Urteile vom 20. März 1997 - BVerwG 7 C 62.96 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 30, vom 15. November 2000 - BVerwG 8 C 26.99 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 51 und vom 11. Januar 2001 - BVerwG 7 C 10.00 - aaO. S. 340). Das war in der Rechtswirklichkeit der DDR der Fall, wenn alle Eintragungsvoraussetzungen vorlagen, insbesondere die zur Eigentumsübertragung erforderlichen Genehmigungen. Unter diesen Umständen war eine individuell zugeordnete und im Regelfall gesicherte Rechtsposition gegeben, deren Schädigung nach dem Gesetzeszweck wiedergutmachungsbedürftig ist (Urteil vom 11. Januar 2001 - BVerwG 7 C 10.00 - aaO. m.w.N.).

Hier war ausweislich des Schreibens des Notars vom 22. März 1955 an den Rat des Kreises der Kaufvertrag am 12. November 1951 vom Rat des Kreises H. nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 45 genehmigt worden. Ob und gegebenenfalls seit wann auch alle sonstigen Eintragungsvoraussetzungen vorlagen, so dass das zivilrechtlich entstandene Anwartschaftsrecht des Rechtsvorgängers der Beigeladenen als restitutionsfähiger Vermögenswert angesehen werden kann, kann hier dahinstehen. Denn es hat jedenfalls keiner zielgerichteten Schädigung im Sinne des § 1 VermG unterlegen.

3. Das Grundeigentum des Verkäufers Friedrich K., der Ende 1951 die DDR ohne Einhaltung der polizeilichen Meldebestimmungen verlassen hatte, wurde gemäß § 1 der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 in Volkseigentum überführt. Derartige Enteignungen erfüllen typischerweise den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG, da sie in der Rechtspraxis der DDR als entschädigungslose Eigentumsentziehungen zugunsten des Volkseigentums verstanden wurden (Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 16.93 - BVerwGE 95, 284 [287] = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 19). Mit der Überführung in Volkseigentum ging gleichzeitig das Anwartschaftsrecht des Rechtsvorgängers der Beigeladenen unter: Nach § 6 Abs. 1 der Dritten Anweisung vom 28. Oktober 1952 zur Durchführung der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 erloschen mit dem Übergang der in § 1 der Verordnung bezeichneten Vermögenswerte in das Eigentum des Volkes oder in den Bodenfonds Rechte Dritter an diesen Vermögenswerten, soweit nicht hier nicht einschlägige Ausnahmen vorlagen. Da volkseigener Grund und Boden nach dem Recht der DDR nicht verkehrsfähig war, war der Erfüllungsanspruch des Vormerkungsberechtigten auch faktisch endgültig entzogen.

Voraussetzung des Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG ist aber, dass der Vermögenswert einer zielgerichteten entschädigungslosen Enteignung unterlag. Daran fehlt es hier. Anders als in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Januar 2001 - BVerwG 7 C 10.00 - (aaO.) zugrunde liegenden Sachverhalt beruhte hier der Verlust des Anwartschaftsrechts nicht auf einer gegen den Anwartschaftsberechtigten gerichteten Maßnahme, sondern ging im Zuge einer Enteignung des eingetragenen Grundstückseigentümers unter. Im Zuge einer Maßnahme gegen Grundstückseigentümer untergegangene Anwartschaftsrechte sind aber nur mittelbar geschädigt und nicht Gegenstand zielgerichteter Enteignungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG.

Zielrichtung der Enteignungsmaßnahme war nur das Eigentum des republikflüchtigen Friedrich K., nicht aber das Anwartschaftsrecht des Rechtsvorgängers der Beigeladenen. Zwar wusste der Rat des Kreises H. aufgrund der im Grundbuch eingetragenen Vormerkung und der von ihm selbst erst kurz vorher erteilten "grundbücherlichen Umschreibung" von dem Anwartschaftsrecht. Allein diese Kenntnis ist aber nicht ausreichend für die Annahme, dass bewusst auf das Anwartschaftsrecht zugegriffen werden sollte. Dies wäre Voraussetzung dafür, einen zielgerichteten Eingriff in das Recht anzunehmen. Aus den Akten ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass mit der Maßnahme gerade der Anwartschaftsberechtigte betroffen sein sollte. Der Untergang des Anwartschaftsrechtes war vielmehr eine Nebenfolge der gegen den Republikflüchtigen gezielten Maßnahme, die als mittelbare Konsequenz hingenommen wurde.

4. Der Untergang des Anwartschaftsrechtes beruhte auch nicht auf unlauteren Machenschaften, was zur Annahme einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG führen könnte. Für ein machtmissbräuchliches Handeln der zuständigen Behörden ergeben sich aus den Akten keine Anhaltspunkte. Allein die Tatsache, dass der Eigentümerwechsel ca. ein Jahr nach Erteilung der "grundbücherlichen Umschreibung" durch den Rat des Kreises H. noch nicht im Grundbuch eingetragen war, reicht für die Annahme unlauterer Machenschaften nicht aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 , § 162 Abs. 3 VwGO .

B e s c h l u s s:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt.

Vorinstanz: VG Lüneburg, vom 16.03.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 3 A 194/03