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BVerwG - Entscheidung vom 21.11.2006

1 C 20.06

BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - Aktenzeichen 1 C 20.06

DRsp Nr. 2007/6533

Gründe:

I

Der Kläger, ein in Deutschland geborenes Kind abgelehnter Asylbewerber, wendet sich gegen die behördliche Einleitung eines Asylverfahrens nach § 14a Abs. 2 AsylVfG und begehrt die Aufhebung des in diesem Verfahren ergangenen negativen Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).

Die Mutter des 2002 geborenen Klägers ist Staatsangehörige der Ukraine, der Vater serbischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit. Der Asylantrag der Mutter ist seit Januar 2003, der Asylantrag des Vaters seit Mitte 1994 bestandskräftig abgelehnt. Die Eltern erhielten nach Abschluss ihrer Asylverfahren jeweils Duldungen, die fortlaufend verlängert wurden. Im Juli 2005 zeigte die Ausländerbehörde gemäß § 14a Abs. 2 AsylVfG dem Bundesamt die Geburt des Klägers an. Das Bundesamt leitete daraufhin ein Asylverfahren ein. Mit dem angegriffenen Bescheid vom 9. August 2005 lehnte es den nach § 14a Abs. 2 AsylVfG als gestellt geltenden Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab (Nr. 1). Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht (Nr. 2 ) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Außerdem drohte das Bundesamt dem Kläger die Abschiebung in die Ukraine oder nach Serbien-Montenegro an (Nr. 4).

Mit seiner hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, den Bescheid des Bundesamts aufzuheben. Mit einem Eilantrag hat er ferner beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen. Er hat hierzu geltend gemacht, dass die seit Januar 2005 geltende Regelung des § 14a Abs. 2 AufenthG auf ihn nicht anwendbar sei. Das Verwaltungsgericht hat dem Eilantrag und der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass für den Kläger weder ein Asylantrag gestellt worden sei noch ein derartiger Antrag durch die Anzeige der Ausländerbehörde als gestellt gelten könne; § 14a Abs. 2 AsylVfG beziehe sich nur auf Kinder, die nach dem 1. Januar 2005 in Deutschland geboren worden oder nach Deutschland eingereist seien. Im Berufungsverfahren hat der Kläger wiederum lediglich geltend gemacht, § 14a Abs. 2 AsylVfG gelte für ihn nicht. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof die Klage abgewiesen. Nach seiner Auffassung findet § 14a Abs. 2 AsylVfG auf den Kläger Anwendung.

Im Revisionsverfahren hat der Kläger seine Einwände gegen die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG wiederholt. In der Revisionsverhandlung hat er klargestellt, dass er sich mit seinem Anfechtungsbegehren auch dagegen wende, dass das Bundesamt seinen als gestellt geltenden Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, was ihm im Hinblick auf § 10 Abs. 3 AufenthG Nachteile bei der zu erwartenden Altfallregelung bringen könne.

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil. Sie hält auch daran fest, dass § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG in Fällen wie dem vorliegenden einschlägig sei.

Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, dass inzwischen beabsichtigt sei, in das derzeit geplante aufenthaltsrechtliche Änderungsgesetz eine Regelung aufzunehmen, die klarstelle, dass § 14a Abs. 2 AsylVfG auch für Altfälle gilt.

II

Die Revision des Klägers hat nur Erfolg, soweit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter sowie als Flüchtling als offensichtlich unbegründet und nicht nur als unbegründet abgelehnt hat. Das Berufungsurteil beruht insoweit auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO ). Im Übrigen hat die Revision keinen Erfolg. Soweit das Bundesamt auf die Anzeige der Geburt des Klägers gemäß § 14a Abs. 2 AsylVfG ein Asylverfahren eingeleitet und durchgeführt hat, ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ). Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof das Rechtsschutzbegehren des Klägers zu Recht als inhaltlich beschränkte isolierte Anfechtungsklage ausgelegt und beschieden.

1. Wie in der Revisionsverhandlung erörtert, begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheids des Bundesamts ausschließlich unter zwei rechtlichen Gesichtspunkten, nämlich zum einen wegen der Unanwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG in seinem Falle und zum anderen wegen der Ablehnung von Asyl- und Flüchtlingsschutz als "offensichtlich" unbegründet. Beide Rechtsschutzbegehren werden - unter bewusstem Verzicht auf eine weitergehende gerichtliche Sachprüfung - mit dem isolierten Anfechtungsantrag geltend gemacht. (Hilfs-)Anträge auf Verpflichtung (zur Anerkennung als Asylberechtigter und als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 AufenthG sowie auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 , 3 , 5 und 7 AufenthG ) werden nicht gestellt. Dabei sind die Beteiligten sich darüber im Klaren, dass der angefochtene Bescheid bei Abweisung der isolierten Anfechtungsklage ohne materielle Prüfung der Asyl- und Abschiebungsschutzanträge - mit Ausnahme des Offensichtlichkeitsurteils in Nr. 1 und 2 des Bescheids - unanfechtbar und bestandskräftig wird (zur Auslegung von Klageanträgen in derartigen Fällen vgl. auch Urteil vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 1 C 10.06 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts vorgesehen).

Die isolierte Anfechtung des Bundesamtsbescheids ist statthaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - insbesondere auch zu Asylverfahren - ist zwar grundsätzlich von einem Vorrang der Verpflichtungsklage auszugehen mit der Folge, dass Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes grundsätzlich (nur) durch eine Verpflichtungsklage ("Versagungsgegenklage") zu erstreiten ist, die die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entgegensteht. Die Rechtsprechung erkennt aber an, dass allein die Aufhebung des Versagungsbescheids ausnahmsweise ein zulässiges - gegenüber der Verpflichtungsklage für den Kläger vorteilhafteres - Rechtsschutzziel sein kann, wenn eine mit diesem Bescheid verbundene Beschwer nur so oder besser abgewendet werden kann.

Die isolierte Anfechtung - wie sie der Kläger hier betreibt - bietet gegenüber einem Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylVfG den Vorteil, dass dessen nachteilige Folgen, die denjenigen einer bestandskräftigen Ablehnung entsprechen (§ 71 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG ), bei einem Erfolg der Klage nicht eintreten, weil der negative Bescheid des Bundesamts ersatzlos aufgehoben wird. Dies legitimiert auch die Zulassung der isolierten Anfechtung als alleiniges Ziel einer Klage wie hier, die sich nur dagegen wendet, dass der angefochtene Bescheid des Bundesamts wegen Verstoßes gegen § 14a Abs. 2 AsylVfG rechtswidrig ist. Dies gilt auch, soweit sich der Anfechtungsantrag, wie der Kläger nunmehr klargestellt hat, hilfsweise darauf beziehen soll, dass das Bundesamt den nach § 14a Abs. 2 AsylVfG fingierten Antrag auf Asyl und Flüchtlingsschutz in Nr. 1 und 2 des angefochtenen Bescheids als "offensichtlich" und nicht nur als (einfach) unbegründet abgelehnt hat. Würde der Bescheid nämlich mit diesem Inhalt bestätigt, so hätte dies eigenständige nachteilige Rechtsfolgen, die hier nur noch mit der isolierten Anfechtung abgewendet werden können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren BVerwG 1 C 10.06 Bezug genommen.

2. Das Berufungsgericht hat die danach statthafte und auch sonst zulässige Klage zu Recht als unbegründet angesehen, soweit es um den Hauptantrag geht. Der angefochtene Bescheid ist nicht mangels eines beachtlichen Asylantrags der Kläger rechtswidrig.

§ 14a Abs. 2 AsylVfG gilt auch für vor dem 1. Januar 2005 in Deutschland geborene Kinder (vgl. im Einzelnen das erwähnte Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren BVerwG 1 C 10.06). Die Vorschrift enthält zwar keine ausdrückliche Regelung ihres zeitlichen Anwendungsbereichs; auch fehlt eine Übergangsvorschrift im Zuwanderungsgesetz. Für eine Anwendbarkeit auf "Altfälle" sprechen aber die Entstehungsgeschichte sowie vor allem Sinn und Zweck der Vorschrift. Sie soll vermeiden, dass durch sukzessive Antragstellung überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen entstehen (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs in BTDrucks 15/420 S. 108). Dem Willen des Gesetzgebers entspricht es, die von ihm als Missbrauch und Umgehung angesehene Vorgehensweise, bei drohender Abschiebung sukzessiv Asylanträge für minderjährige Kinder zu stellen, möglichst rasch, umfassend und effektiv zu unterbinden. Das ist nur zu erreichen, wenn § 14a Abs. 2 AsylVfG auch auf "Altfälle" angewendet wird.

Soweit das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter und als Flüchtling in Anwendung des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG als offensichtlich unbegründet und nicht nur als unbegründet abgelehnt und der Verwaltungsgerichtshof mit der Abweisung der Klage den Bescheid auch insoweit als rechtmäßig bestätigt hat, verletzt das Berufungsurteil Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO ).

Nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG ist ein unbegründeter Asylantrag als "offensichtlich" unbegründet abzulehnen, "wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind". Diese Bestimmung ist durch das Zuwanderungsgesetz zusammen mit § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingefügt worden, der vorsieht, dass vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf, sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG findet Satz 2 im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keine Anwendung. Diese Regelung soll - ebenso wie die weiteren Qualifikationsfälle des § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylVfG , auf die sich § 10 Abs. 3 AufenthG gleichfalls bezieht - einen Missbrauchstatbestand erfassen und sanktionieren. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann jedoch ein nach § 14a Abs. 2 AsylVfG als gestellt geltender Asylantrag nicht nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden (vgl. auch insoweit die Begründung im Einzelnen im Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren BVerwG 1 C 10.06).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO . Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG .

Vorinstanz: VGH Baden-Württemberg, vom 01.08.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 3 S 730/03