Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 21.11.2006

1 C 8.06

BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 - Aktenzeichen 1 C 8.06

DRsp Nr. 2007/5462

Gründe:

I

Die Kläger, in Deutschland geborene Kinder abgelehnter Asylbewerber aus dem Libanon, wenden sich gegen die behördliche Einleitung eines Asylverfahrens nach § 14a Abs. 2 AsylVfG und begehren die Aufhebung des danach ergangenen negativen Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).

Die im Juni 1993 und im August 1997 in Deutschland geborenen Kläger sind wie ihre Eltern libanesische Staatsangehörige. Die Eltern sind zusammen mit einem weiteren Kind bereits 1992 in die Bundesrepublik eingereist; ihre Asylanträge wurden 1993 (bestandskräftig seit der Zurückweisung eines Antrags auf Zulassung der Berufung im November 1995) abgelehnt. Seither wird die Familie geduldet; nur von Februar bis Juli 2005 hatte sie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG . Im Juni 2005 zeigte die Ausländerbehörde dem Bundesamt die Geburten der Kläger gemäß § 14a Abs. 2 AsylVfG an. Daraufhin führte das Bundesamt für die Kläger ein Asylverfahren durch, das es jedoch zunächst durch Bescheid vom 28. Juli 2005 (mit negativer Entscheidung zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG und einer Abschiebungsandrohung in den Libanon) einstellte. Im Klageverfahren hat das Bundesamt mit dem angegriffenen Bescheid vom 25. Oktober 2005 seinen Einstellungsbescheid vom 28. Juli 2005 aufgehoben (Nr. 1), die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte abgelehnt (Nr. 2) und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Nr. 3 ) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Nr. 4) nicht vorliegen. Gleichzeitig hat es den Klägern die Abschiebung in den Libanon angedroht (Nr. 5).

Die Kläger haben daraufhin beantragt, nunmehr den Bescheid vom 25. Oktober 2005 aufzuheben. Dabei haben sie auf die bisherige Begründung ihrer Klage verwiesen, dass § 14a Abs. 2 AsylVfG auf sie nicht anwendbar sei. Das Verwaltungsgericht Hannover hat der geänderten Klage stattgegeben und den Bescheid vom 25. Oktober 2005 aufgehoben, weil für die Kläger weder Asylanträge gestellt worden seien noch solche durch die Anzeige der Ausländerbehörde als gestellt gelten könnten. § 14a Abs. 2 AsylVfG beziehe sich nur auf solche Fälle, die an Ereignisse nach dem 1. Januar 2005 anknüpften.

Auf Antrag der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Berufung zugelassen. Im Berufungsverfahren haben sich die Kläger nicht mehr schriftlich zur Sache geäußert. Nach einem Vermerk des Berichterstatters (GA Bl. 88 Rückseite) hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger auf eine telefonische Befragung wegen des Rechtsschutzziels der Klage erklärt, dass er bewusst und allein einen kassatorischen Antrag gestellt habe, da die Argumentation der Kläger auf die (Un-)Anwendbarkeit der Vorschrift abziele und Asylgründe auch der Sache nach nicht geltend gemacht würden; einen hilfsweisen Verpflichtungsantrag wolle er nicht stellen. Durch Urteil vom 15. März 2006 hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. § 14a Abs. 2 AsylVfG sei auf die Kläger anwendbar. Dagegen bestünden weder verfassungsrechtliche noch gemeinschaftsrechtliche Bedenken.

Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision wiederholen die Kläger ihre Einwände gegen die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG .

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.

Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, dass inzwischen beabsichtigt sei, in das derzeit geplante Änderungsgesetz eine Regelung einzufügen, die klarstelle, dass § 14a Abs. 2 AsylVfG auch für Altfälle gilt.

II

Die Revision der Kläger ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht in Einklang (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ).

Wie in der Revisionsverhandlung erörtert, begehren die Kläger die Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Unanwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG in ihrem Falle. Das Rechtsschutzbegehren wird - unter bewusstem Verzicht auf eine weitergehende gerichtliche Sachprüfung der Ablehnung von Asyl und Abschiebungsschutz sowie einer Abschiebungsandrohung und der damit verbundenen nachteiligen Folgen - mit dem isolierten Anfechtungsantrag geltend gemacht. (Hilfs-)Anträge auf Verpflichtung (zur Anerkennung als Asylberechtigte und als Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG sowie auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 , 3 , 5 und 7 AufenthG ) werden nicht gestellt. Dabei geht auch der Prozessbevollmächtigte der Kläger davon aus, dass der angefochtene Bescheid bei Abweisung der isolierten Anfechtungsklage ohne materielle Prüfung der Asyl- und Abschiebungsschutzanträge unanfechtbar und bestandskräftig wird.

Die danach ausschließlich begehrte isolierte Anfechtung des Bundesamtsbescheids ist statthaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - insbesondere auch zu Asylverfahren - ist zwar grundsätzlich von einem Vorrang der Verpflichtungsklage auszugehen mit der Folge, dass Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes in der Regel (nur) durch eine Verpflichtungsklage ("Versagungsgegenklage") zu erstreiten ist, welche die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entgegensteht. Die Rechtsprechung erkennt aber an, dass allein die Aufhebung des Versagungsbescheids ausnahmsweise ein zulässiges - gegenüber der Verpflichtungsklage für den Kläger vorteilhafteres - Rechtsschutzziel sein kann, wenn eine mit diesem Bescheid verbundene Beschwer nur so oder besser abgewendet werden kann.

Die isolierte Anfechtung - wie sie die Kläger hier betreiben - bietet gegenüber einem Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylVfG den Vorteil, dass dessen nachteilige Folgen, die denjenigen einer bestandskräftigen Ablehnung entsprechen (§ 71 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG ), bei einem Erfolg der Klage nicht eintreten, weil der negative Bescheid des Bundesamts ersatzlos aufgehoben wird. Dies legitimiert auch die Zulassung der isolierten Anfechtung als alleiniges Ziel einer Klage wie hier, die sich nur dagegen wendet, dass der angefochtene Bescheid des Bundesamts wegen Verstoßes gegen § 14a Abs. 2 AsylVfG rechtswidrig ist. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Urteil des Senats vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 1 C 10.06 (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts vorgesehen) Bezug genommen.

Das Berufungsgericht hat die danach statthafte und auch sonst zulässige Klage zu Recht als unbegründet angesehen. Der angefochtene Bescheid ist nicht mangels eines beachtlichen Asylantrags der Kläger rechtswidrig.

§ 14a Abs. 2 AsylVfG gilt auch für vor dem 1. Januar 2005 in Deutschland geborene Kinder (vgl. im Einzelnen das erwähnte Urteil des Senats vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 1 C 10.06). Die Vorschrift enthält zwar keine ausdrückliche Regelung ihres zeitlichen Anwendungsbereichs, auch fehlt eine Übergangsvorschrift im Zuwanderungsgesetz. Für eine Anwendbarkeit auf "Altfälle" sprechen aber die Entstehungsgeschichte sowie vor allem Sinn und Zweck der Vorschrift. Sie soll vermeiden, dass durch sukzessive Antragstellung überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen entstehen (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs BTDrucks 15/420 S. 108). Dem Willen des Gesetzgebers entspricht es, die von ihm als Missbrauch und Umgehung angesehene Vorgehensweise, bei drohender Abschiebung sukzessiv Asylanträge für minderjährige Kinder zu stellen, möglichst rasch, umfassend und effektiv zu unterbinden. Das ist nur zu erreichen, wenn § 14a Abs. 2 AsylVfG auch auf "Altfälle" angewendet wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG .

Vorinstanz: OVG Niedersachsen, vom 15.03.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 10 LB 7/06