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BVerwG - Entscheidung vom 28.11.2006

8 B 26.06

BVerwG, Beschluss vom 28.11.2006 - Aktenzeichen 8 B 26.06

DRsp Nr. 2007/479

Gründe:

Die Beschwerde hat Erfolg. Zwar weist die Sache weder die ihr beigegebene grundsätzliche Bedeutung auf (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) noch liegt die gerügte Divergenz im Sinne vom § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vor. Aber bezogen auf die geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) greift die Aufklärungsrüge durch.

1. a) Die Grundsatzrüge ist unbegründet. Nach Auffassung der Klägerin soll in einem Revisionsverfahren grundsätzlich geklärt werden, ob unlautere Machenschaften im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG schon dann gegeben sind bzw. sein können, wenn Grundstücksenteignungen nach dem Aufbaugesetz zur Betriebserweiterung erfolgten, obwohl der volkseigene Betrieb bereits über umfangreiches vorhandenes Gelände und über ausreichende und brachliegende Erweiterungsgrundstücke selbst verfügte, die zur Verwirklichung etwaiger Erweiterungs- und Aufbaupläne vollumfänglich ausgereicht hätten.

Für eine Antwort auf diese Frage bedarf es keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, da die Rechtslage insofern offen zu Tage liegt. Eine unlautere Machenschaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG kann u.a. dann angenommen werden, wenn der wahrheitsgemäß angegebene Zweck der Enteignung offenkundig von keiner Rechtsgrundlage gedeckt war. Bei einer Sachlage, wie sie vorliegend die Frage zum Gegenstand hat, liegt es nahe, von einem groben und offenkundigen Rechtsverstoß auszugehen. Über diese Erkenntnis hinaus wäre in einem Revisionsverfahren kein weiterer Ertrag an Rechtsklarheit zu erwarten. Allerdings hat das Verwaltungsgericht eine solche Sachlage nicht festgestellt, sondern gemeint, dass sowohl der Bebauungsplan aus April 1965 als auch die Anordnung der betrieblichen Abläufe eine Inanspruchnahme weiterer Flächen gerechtfertigt hätten. Das in einer Grundsatzrüge eingekleidete Vorbringen der Klägerin richtet sich im Kern gegen diese Sachverhaltswürdigung und nicht gegen den rechtlichen Ansatz, von dem das Verwaltungsgericht bei seiner Subsumtion ausgegangen ist.

b) Des Weiteren hält die Klägerin für klärungsbedürftig,

ob unlautere Machenschaften im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG bei Enteignungen nach dem Aufbaugesetz in der Regel vorliegen, wenn - auch ohne Berücksichtigung bereits vorhandener eigener Erweiterungs- und Reserveflächen - die Enteignung von Grundstücken im wesentlichen Umfang über den Umfang von Grundstücken hinausgehe, für die bei Enteignungen bauliche Erweiterungsmaßnahmen geplant (und dann schließlich gegebenenfalls durchgeführt) worden seien.

Auch diese in eine Grundsatzrüge gekleideten Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, die zwar zur Zulassung einer Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ), nicht aber einer Revision führen können, sind ungeeignet, einen vom konkreten Sachverhalt losgelösten Rechtssatz zu bilden, der über das hinausginge, was die Rechtsprechung bereits als Inhalt von § 1 Abs. 3 VermG entnommen hat. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 1999 - BVerwG 7 C 38.98 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 6) ist vor dem Hintergrund der in § 4 Abs. 4 der Zweiten Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz getroffenen Regelungen maßgebend, ob die für die Aufbaumaßnahme nicht benötigten Teilflächen noch in sinnvoller Weise eigenständig hätte genutzt werden können. In solchen Fällen spreche alles dafür, dass dem erkennbar durch keine rechtliche Vorschrift gedeckten Zugriff sachfremde Motive zugrunde gelegen hätten. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist nicht Gegenstand einer rechtsgrundsätzlichen Klärung, sondern der Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles.

2. Die Divergenzrüge ist unbegründet. Eine beachtliche Abweichung besteht nur, wenn ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender Rechtssatz benannt ist und vorliegt, mit dem die Vorinstanz einen in der bezeichneten Divergenzentscheidung aufgestellten Rechtssatz widersprochen hat. Daran fehlt es vorliegend. Die Klägerin hält dem Verwaltungsgericht vor, dass es den rechtlichen Schlussfolgerungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht gefolgt ist. Ein Rechtssatzwiderspruch wird damit nicht dargelegt.

3. Die Verfahrensrügen haben zum Teil Erfolg.

a) Zwar beruht das angefochtene Urteil nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf der unterlassenen Mitteilung der Klägerin vom Eingang der Flurkarten und Bestandsverzeichnisse (BA XIV). Die Gerichts- und Verwaltungsakten enthalten eine Vielzahl von Karten und Ablichtungen der Örtlichkeit, und in der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2005 wurden weitere Karten vorgelegt. Es hat eine Ortsbesichtigung stattgefunden. Es ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht vorgebracht, dass sie aufgrund der fraglichen Unterlagen ihre Klagebegründung anders abgefasst hätte.

b) Aber der Aufklärungsmangel, den die Klägerin sieht, besteht. Einen nach § 86 Abs. 2 VwGO beachtlichen Beweisantrag hat sie zwar nicht gestellt. Eine weitere Beweisaufnahme von Amts wegen musste sich aber dem Verwaltungsgericht aufdrängen. Die Klägerin hatte noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die Vernehmung von Frau R. und Herrn K. angeregt, die zu fehlenden Planungen und Nutzungsabsichten gehört werden sollten. Der Umfang der Beweisaufnahme bemisst sich zwar nach der materiell-rechtlichen Sicht, die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegt. Danach bestand nicht nur eine ausreichende Planung, sondern es genügte auch eine funktionale und räumliche Einbindung in konkrete Betriebsabläufe (UA S. 12). Die Klägerin hatte jedoch in das Wissen der benannten Zeugen gestellt, dass weder eine Planung vorhanden gewesen noch eine Parkplatznutzung erfolgt sei. Dieses Beweisangebot war nicht unbeachtlich. Frau R. war seit 1968 im fraglichen Unternehmen beschäftigt, Herr K. soll zum Planungszeitpunkt Werksdirektor gewesen sein. Wenn das Verwaltungsgericht dem entgegen hält, es sei nicht erkennbar, dass weitere Zeugen wesentliche zusätzliche Erkenntnisse vermitteln könnten, nimmt es eine Würdigung der Beweisaufnahme vor, die § 86 Abs. 1 VwGO widerspricht. Eine unzulässige Vorwegnahme der Würdigung des Beweisergebnisses ist anzunehmen, wenn das Verwaltungsgericht damit der behaupteten Wahrnehmung der Zeugen von vornherein jeden Beweiswert abspricht (vgl. BGH NJW 1986, 1541 f.) oder das Gegenteil der behaupteten (Indiz-)Tatsachen bereits für erwiesen hält (vgl. BVerfG NJW 1993, 254 f.; Beschluss vom 22. September 1992 - BVerwG 7 B 40.92 -, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 71 m.w.N.). Beides ist der eigentliche Grund für das Absehen von weiterer gerichtlicher Aufklärung gewesen.

4. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit der Aufhebung der Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO ) Gebrauch.

5. Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47 , 52 GKG .

Vorinstanz: VG Potsdam, vom 21.11.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 9 K 462/99