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BVerwG - Entscheidung vom 06.02.2006

4 BN 3.06

Fundstellen:
BauR 2006, 965
ZfBR 2006, 357

BVerwG, Beschluss vom 06.02.2006 - Aktenzeichen 4 BN 3.06

DRsp Nr. 2006/7948

Gründe:

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragstellerinnen beimessen. Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage,

ob bei einer transitorischen Enteignung, auf die eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme angelegt ist, die dauerhafte Sicherung des Enteignungszwecks bereits in der Entwicklungssatzung selbst vorgenommen werden muss,

bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie lässt sich, soweit sie in dem Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre, auf der Grundlage des Gesetzes und der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten, ohne dass es hierzu eines Revisionsverfahrens bedürfte.

Die gesetzliche Regelung über die Zulässigkeit der Enteignung in einem durch Satzung förmlich festgelegten Entwicklungsbereich (§ 165 Abs. 6 BauGB ) ist als so genannte transitorische oder Durchgangsenteignung darauf gerichtet, privaten Dritten das Eigentum zu verschaffen. Der Durchgangserwerb der Gemeinde ist ein notwendiger Zwischenschritt, um den eigentlichen Enteignungszweck, die Entwicklung eines Teils des Gemeindegebiets und dabei die Errichtung z.B. von Wohnstätten, zu erreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1998 - BVerwG 4 CN 5.97 - Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 4 >S. 18<). Die Grundstücke sind nach ihrer Neuordnung und Erschließung unter Berücksichtigung weiter Kreise der Bevölkerung und unter Beachtung der Ziele und Zwecke der Entwicklungsmaßnahme an Bauwillige zu veräußern, die sich verpflichten, dass sie die Grundstücke innerhalb angemessener Frist entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans und den Erfordernissen der Entwicklungsmaßnahme bebauen werden (§ 169 Abs. 6 Satz 1 BauGB ). Die Gemeinde hat bei der Veräußerung dafür zu sorgen, dass die Bauwilligen die Bebauung in wirtschaftlich sinnvoller Aufeinanderfolge derart durchführen, dass die Ziele und Zwecke der städtebaulichen Entwicklung erreicht werden und die Vorhaben sich in den Rahmen der Gesamtmaßnahme einordnen (§ 169 Abs. 7 Satz 1 BauGB ). Sie hat weiter sicherzustellen, dass die neu geschaffenen baulichen Anlagen entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme dauerhaft genutzt werden (§ 169 Abs. 7 Satz 2 BauGB ). Diese Pflichten obliegen der Gemeinde bei der Veräußerung der Grundstücke durch entsprechende Vertragsgestaltung (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1998 a.a.O. >S. 19<). Die Entwicklungssatzung wäre schon deshalb nicht geeignet, die Erwerber der Grundstücke rechtlich an das Gemeinwohlziel zu binden, weil bei Erlass der Entwicklungssatzung noch nicht feststeht, an wen die Gemeinde die von ihr zu erwerbenden oder zu enteignenden Grundstücke veräußern wird. Auch ein parzellenscharfes Konzept für die Nutzung der Grundstücke im Entwicklungsbereich muss im Zeitpunkt des Erlasses der Entwicklungssatzung noch nicht vorliegen; die Bebauungspläne, die die Vorstellungen über die bauliche oder sonstige Nutzung im Einzelnen festsetzen, sind erst nach Erlass der Entwicklungssatzung zu beschließen (§ 166 Abs. 1 Satz 2 BauGB ; vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2002 - BVerwG 4 CN 7.01 - Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 12 >S. 35<). Der Gesetzgeber hat, indem er der Gemeinde aufgegeben hat, bei der Veräußerung der Grundstücke die Erreichung der Ziele und Zwecke der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme dauerhaft zu sichern, hinreichende Vorkehrungen getroffen, um zu verhindern, dass sich die Entwicklungsmaßnahme für Ziele missbrauchen lässt, die vom Gemeinwohlerfordernis des § 165 BauGB nicht gedeckt sind; die gesetzliche Regelung genügt damit den sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. März 1987 - 1 BvR 1046/85 - BVerfGE 74, 264 >286, 296<) aus Art. 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG ergebenden Anforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 1998 - BVerwG 4 BN 4.98 - Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 1; Urteil vom 3. Juli 1998 a.a.O.; Beschluss vom 16. Februar 2001 - BVerwG 4 BN 55.00 - Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 9; Beschluss vom 5. August 2002 - BVerwG 4 BN 32.02 - Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 11; Urteil vom 12. Dezember 2002 - BVerwG 4 CN 7.01 - Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 12; Beschluss vom 27. Mai 2004 - BVerwG 4 BN 7.04 - Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 14).

Die sinngemäß gestellte Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die gemäß § 165 Abs. 3 Satz 2 BauGB erforderliche Abwägung fehlerhaft ist, wenn eine Gemeinde eine Entwicklungssatzung beschließt, obwohl konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein öffentliches Interesse an der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung nur vorgeschoben wird, um tatsächlich private Nutzungsinteressen zu Lasten der bisherigen Eigentümer zu begünstigen (zu einem solchen Fall vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2002 - 1 BvR 390/01 - NVwZ 2003, 71), und es deshalb fraglich erscheint, ob die Gemeinde Maßnahmen ergreifen wird, die geeignet sind, die Erreichung des Enteignungszwecks dauerhaft zu sichern, würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin in Wahrheit nicht einen erhöhten Bedarf an Wohnstätten decken, sondern eine vom Baugesetzbuch nicht zugelassene soziale Umverteilung von Grund und Boden vornehmen will, nicht festgestellt (vgl. UA S. 33).

2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

2.1 Die Beschwerde rügt unter verschiedenen Gesichtspunkten eine Verletzung des Anspruchs der Antragstellerinnen auf rechtliches Gehör. Nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO hat das Gericht die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, es sei denn, dass es den Vortrag aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise außer Betracht lassen darf. Das Gericht ist indes nicht verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen mit jedem Parteivorbringen ausdrücklich auseinander zu setzen. Es darf sich darauf beschränken, auf die wichtigsten, für die Entscheidung unmittelbar und primär relevanten Ausführungen einzugehen. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht insbesondere nicht dazu, der Rechtsansicht oder der Tatsachenwürdigung eines der Beteiligten zu folgen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2001 - BVerwG 4 BN 56.00 - juris Rn. 22 m.w.N.).

Gemessen hieran liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragstellerinnen nicht vor. Die Beschwerde meint, der Verwaltungsgerichtshof habe den Vortrag der Antragstellerinnen übergangen, dass sich von den 87 Eigentümern 59 vor Erlass der Satzung mit der Antragsgegnerin über die Abgabe ihrer Gründstücke geeinigt hätten und dass die restlichen - sämtlich vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen vertretenen - Eigentümer zum Abschluss eines städtebaulichen Vertrages bzw. einer freiwilligen Umlegungsvereinbarung bereit gewesen seien. Dieser Vortrag war nach der - für die Prüfung eines Verfahrensfehlers maßgeblichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183, stRspr) - materiellrechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht erheblich. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat die Alternative, städtebauliche Verträge zu schließen, unabhängig von der Einigungsbereitschaft der betroffenen Eigentümer schon im Hinblick auf deren große Zahl - und die mit der Anzahl der Betroffenen wachsende Gefahr des Scheiterns der Maßnahme an der fehlenden Zustimmung eines einzelnen Eigentümers - als nicht tauglich beurteilt (vgl. UA S. 28). Da diese Begründung die Entscheidung selbständig trägt, kann dahinstehen, ob Revisionszulassungsgründe im Hinblick auf die zusätzliche Begründung, dass sich die realistische Perspektive einer Einigung mit den Antragstellerinnen nicht abzeichnete (UA S. 28 ff.), gegeben wären (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. Juli 1973 - BVerwG 4 B 92.73 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 109 und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 >n.F.< VwGO Nr. 26; stRspr). Im Übrigen hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit dem Vortrag der Antragstellerinnen zu ihrer Bereitschaft, einen städtebaulichen Vertrag zu schließen, detailliert auseinander gesetzt (vgl. UA S. 28 ff.). Dass er die Tatsachen nicht in der von ihnen gewünschten Weise gewürdigt hat, begründet keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das gilt auch, soweit der Verwaltungsgerichtshof entgegen dem Vortrag der Antragstellerinnen Anhaltspunkte dafür, dass die Gegenseite nicht ernsthaft verhandlungsbereit gewesen sei, verneint (UA S. 29) und ihnen vorgehalten hat, sie hätten eine eventuelle Kompromissbereitschaft hinsichtlich des Preises nicht deutlich gemacht (UA S. 29), und nach eingehender Auseinandersetzung mit dem Gutachten der Wertermittlung des von ihnen beauftragten Sachverständigen R. nicht gefolgt ist (UA S. 30 - 32).

2.2 Soweit die Beschwerde geltend macht, das Gericht habe einen weiteren Grundstückssachverständigen hinzuziehen müssen, ist ein Aufklärungsmangel nicht hinreichend bezeichnet. Es fehlt bereits die Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände weiterer Aufklärungsbedarf bestanden hätte und aufgrund welcher Umstände sich dem Gericht die Erforderlichkeit der von den Antragstellerinnen nicht beantragten Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 , 2 ZPO , die Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 1 , § 72 Nr. 1 GKG .

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 13.09.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 4 N 3126/01
Fundstellen
BauR 2006, 965
ZfBR 2006, 357