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BVerwG - Entscheidung vom 02.03.2006

4 BN 6.06

Fundstellen:
ZfBR 2006, 482

BVerwG, Beschluss vom 02.03.2006 - Aktenzeichen 4 BN 6.06

DRsp Nr. 2006/7703

Gründe:

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

a) Die Beschwerde möchte in dem Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,

ob es mit Bundesverfassungsrecht, insbesondere mit der durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten kommunalen Planungshoheit und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist, wenn eine Regionalversammlung ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung in einem Regionalplan einen Siedlungsbeschränkungsbereich innerhalb einer 60 dB(A)-Isophone festsetzt, um hierdurch in diesem Bereich die Ausweisung von Wohngebieten in kommunalen Bauleitplänen zu verhindern.

Diese Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass das Hessische Landesplanungsgesetz (HLPG) die Regionalversammlung ermächtigt, in einem Regionalplan Siedlungsbeschränkungen zur Vermeidung nicht nur von Gesundheitsbeeinträchtigungen, sondern - in den Grenzen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Gebotes gerechter Abwägung (vgl. UA S. 15 f.) - auch von Beeinträchtigungen unterhalb dieser Schwelle festzulegen (vgl. UA S. 17). An diese Auslegung des Landesrechts wäre der Senat gemäß § 560 ZPO i.V.m. § 173 VwGO gebunden. Inwiefern sie mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar sein sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie legt auch nicht dar, dass ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs die Festlegung von Siedlungsbeschränkungen innerhalb einer 60 dB(A)-Isophone die kommunale Planungshoheit in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen könnte.

Das angefochtene Urteil weicht auch nicht von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 1987 - 2 BvR 826/83 (BVerfGE 76, 107 ) - ab. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht in Widerspruch zu diesem Beschluss davon ausgegangen, dass der Staat die Selbstverwaltung der Gemeinden auch durch untergesetzliche Rechtsnormen ausgestalten und einschränken dürfe, die nicht auf einer hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung beruhen. Der Verwaltungsgerichtshof war der Auffassung, dass der Regionalplan Südhessen 2000 im Hessischen Landesplanungsgesetz eine hinreichende gesetzliche Ermächtigung findet.

b) Die Beschwerde möchte in dem Revisionsverfahren weiter geklärt wissen,

ob ein in die kommunale Planungshoheit eingreifender Regionalplan, der fehlerhaft genehmigt wurde, ohne vorherige Klärung der Frage durch die Regionalversammlung, ob der Plan wegen inzwischen geänderter tatsächlicher Verhältnisse noch geeignet ist, seine ordnende und zielbestimmende Funktion zu erfüllen, und ohne nochmaligen förmlichen Beschluss der Regionalversammlung (Bestätigungsbeschluss) erneut genehmigt und bekannt gemacht werden kann, wenn zwischen dem Planbeschluss und seiner Bekanntmachung mehr als 4 Jahre und 11 Monate und zwischen der ersten und zweiten Genehmigung nahezu 4 Jahre liegen und zwischenzeitlich Abweichungszulassungen der Regionalversammlung ergangen sind.

Soweit die Beantwortung dieser Frage von der Auslegung revisiblen Rechts abhängt, zeigt die Beschwerde einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf nicht auf. In welchem Verfahren ein Regionalplan aufzustellen ist, bestimmt grundsätzlich das gemäß § 137 Abs. 1 , § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO irrevisible Landesrecht. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht ausgeschlossen, dass durch die späte Genehmigung und Bekanntgabe des Regionalplans Südhessen 2000 gegen einen aus dem Landesplanungsrecht herzuleitenden Beschleunigungsgrundsatz verstoßen worden sei; die hieran geknüpfte Schlussfolgerung einer Nichtigkeit oder Unwirksamkeit des Plans sei jedoch unzutreffend, denn das Hessische Landesplanungsgesetz sehe eine derartige Sanktion nicht vor (vgl. UA S. 19). Inwiefern diese Auslegung des Hessischen Landesrechts mit der bundesverfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ) unvereinbar sein sollte, wenn - wie hier vom Verwaltungsgerichtshof festgestellt - die Regionalversammlung auch im Zeitpunkt der Genehmigung an dem Plan festhalten wollte und der Plan zwischenzeitlich nicht wegen geänderter tatsächlicher Verhältnisse funktionslos geworden ist (vgl. UA S. 20 f.), zeigt die Beschwerde nicht auf.

c) Die Frage,

ob die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte kommunale Planungshoheit verletzt wird, wenn die Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen - AzB - in ihrer Fassung von 1984 und deren Rechenregeln als Maßstab zur planerischen Beurteilung von Fluglärmbelastungen und hierauf basierenden Siedlungsbeschränkungsbereichen in Regionalplänen herangezogen werden können, mit denen die Ausweisung von Wohngebieten in kommunalen Bauleitplänen untersagt wird,

könnte in dem Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Ob die Berechnung von Dauerschallpegeln auf der Grundlage der AzB 1984 zu einem bestimmten Zeitpunkt geeignet ist, die tatsächliche Immissionsbelastung in einer zur planerischen Beurteilung von Fluglärmbelastungen geeigneten Weise abzubilden oder ob sich die Flugzeugtechnik und der "Flottenmix", von denen die AzB 1984 ausgeht, in einem Ausmaß verändert haben, dem durch aktuellere Regeln Rechnung getragen werden muss, ist eine außerrechtliche Fachfrage, die in der Tatsacheninstanz im Wege der Ermittlung des Sachverhalts und dessen tatsächlicher Würdigung, nicht aber in der Revisionsinstanz zu klären ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18. August 2005 - BVerwG 4 B 19.05 - juris Rn. 14, vom 29. Juli 2004 - BVerwG 4 BN 26.04 - BauR 2005, 830 und vom 1. September 1999 - BVerwG 4 BN 25.99 - BRS 62 Nr. 3).

2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

a) Die Beschwerde meint, der Verwaltungsgerichtshof habe den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör verletzt. Er sei davon ausgegangen, dass die Regionalversammlung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Normenkontrollantrag im Verfahren 4 N 406/04 am 26. Juli 2004 an dem von ihr aufgestellten Plan festgehalten und eine nebenbestimmungsfreie Genehmigung dieses Plans durch die Landesregierung gewünscht habe (vgl. UA S. 20). Zu dieser dem Gericht aus dem Verfahren 4 N 406/04 bekannten Tatsache habe der Verwaltungsgerichtshof die Antragstellerin, die an diesem Verfahren nicht beteiligt gewesen sei, nicht gehört. Bei ausreichender Gehörsgewährung hätte sie vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die Regionalversammlung zum Zeitpunkt der Genehmigung des Regionalplans am 23. August 2004 nicht mehr an dem am 10. Dezember 1999 beschlossenen Regionalplan habe festhalten wollen und keine Genehmigung des Regionalplans in der 1999 beschlossenen Fassung mehr gewünscht habe sowie dass sich die Regionalversammlung nach ihrem Beschluss vom 10. Dezember 1999 nicht mehr mit der Frage befasst habe, ob sie diesen Beschluss aufrechterhalten wolle. Mit diesem Vortrag ist eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht schlüssig dargelegt. Die Beschwerde bestreitet nicht, dass der Antragsgegner im Verfahren 4 N 406/04, auch soweit er durch die Regionalversammlung Südhessen vertreten wurde, die Zurückweisung des gegen den Regionalplan Südhessen 2000 gerichteten Normenkontrollantrags beantragt und sich gegen die der Genehmigung des Regionalplans beigefügten Nebenbestimmung gewandt hatte (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. Juli 2004 - 4 N 406/04 - juris Rn. 26, 35 ff.). Der Verwaltungsgerichtshof hat diese unstreitige Tatsache dahingehend gewürdigt, dass es ungeachtet der Frage, ob die Regionalversammlung mit der Aufrechterhaltung ihres Beschlusses vom 10. Dezember 1999 förmlich befasst wurde, ihrem Willen entsprach, an dem von ihr aufgestellten Plan festzuhalten. Anhaltspunkte dafür, dass die Regionalversammlung ihren Willen zwischen der gerichtlichen Entscheidung vom 26. Juli 2004 und der Erteilung der Genehmigung am 23. August 2004 geändert haben könnte, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht gesehen. Mit ihrem ergänzenden Vorbringen versucht die Beschwerde, diese Beweiswürdigung zu erschüttern. Kritik an der Beweiswürdigung kann jedoch grundsätzlich - und so auch hier - einen Verfahrensmangel i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründen; die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzurechnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4).

b) Das angefochtene Urteil stellt auch nicht - wie die Beschwerde meint - eine Überraschungsentscheidung dar. Die Antragstellerin musste mit der vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommenen Beweiswürdigung auch ohne vorherigen gerichtlichen Hinweis rechnen.

c) Der Verwaltungsgerichtshof hat schließlich nicht gegen die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO ) verstoßen, weil er den Antrag der Antragstellerin, die Verfahrensakten des Antragsgegners zu den nach dem 10. Dezember 1999 gemäß § 12 HLPG durchgeführten Abweichungsverfahren beizuziehen, abgelehnt hat. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, den Darlegungen der Antragstellerin lasse sich nicht entnehmen, dass den Abweichungszulassungen auch in ihrer Summe eine Bedeutung beigemessen werden könnte, dass der Plan im Übrigen funktionslos wäre; die Antragstellerin habe auch nicht dargelegt, dass eine der inzwischen erfolgten Abweichungsentscheidungen überhaupt die hier streitige Festlegung eines Siedlungsbeschränkungsbereichs im Bereich des Flughafens Frankfurt/Main betreffe (vgl. UA S. 21). Diese Begründung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Beschwerde legt nicht dar, warum die Antragstellerin zwar vortragen konnte, dass es seit dem Beschluss der Regionalversammlung vom 10. Dezember 1999 zahlreiche Abweichungsverfahren gegeben habe und dass diese bestandskräftig abgeschlossen worden seien (vgl. UA S. 5), sie aber nicht jedenfalls in groben Umrissen darlegen konnte, von welchen Zielen Abweichungen zugelassen wurden.

d) Der vom Verwaltungsgerichtshof gezogene Schluss, die Zulassung einer Abweichung von Zielen des Regionalplans spreche schon deshalb nicht für dessen Funktionslosigkeit, weil die Abweichung nur zugelassen werden dürfe, wenn die Grundzüge der Planung nicht tangiert seien (vgl. UA S. 21), verstößt auch nicht - wie die Beschwerde meint - gegen Denkgesetze. Anhaltspunkte dafür, dass Ausnahmen zugelassen worden sein könnten, obwohl die Grundzüge der Planung berührt wurden, hatte die Antragstellerin nicht aufgezeigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 03.11.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 4 N 177/05
Fundstellen
ZfBR 2006, 482