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BVerwG - Entscheidung vom 02.02.2006

10 B 84.05

BVerwG, Beschluss vom 02.02.2006 - Aktenzeichen 10 B 84.05

DRsp Nr. 2006/3089

Gründe:

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 , 3 VwGO ) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Die Beschwerde begehrt die Zulassung der Revision, weil das angefochtene Urteil die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe, ob das Berufungsgericht von der in seinem Beschluss vom 7. August 2002 geäußerten Auffassung zu Rechtsfragen der Zweitwohnungssteuer abweichen durfte, obwohl jener Beschluss zumindest in formelle Rechtskraft erwachsen sei und denselben Streitgegenstand betreffe. Das Berufungsgericht habe in diesem Beschluss dem Antrag der Kläger auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO teilweise stattgegeben, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zweitwohnungssteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 1999 bestünden. Denn die für diesen Zeitraum maßgebliche Zweitwohnungssteuersatzung habe die Zweitwohnungsinhaber jeweils zur vollen Jahressteuer herangezogen unabhängig von der Dauer der Fremdvermietung der Zweitwohnung. Für die Steuerjahre 2000 und 2001 habe das Berufungsgericht Zweifel an der festgesetzten Steuerhöhe im Hinblick darauf geäußert, dass auf Grund einer neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 6. November 2001 - IX R 97/00) bei so genannten gemischt genutzten Wohnungen womöglich der für die Bestimmung des Verfügbarkeitsgrads maßgebliche Fremdnutzungsanteil in größerem Umfang als bisher in Ansatz gebracht werden müsste. Von dieser Rechtsauffassung habe das Berufungsgericht in dem angefochtenen Hauptsacheurteil nicht ohne weiteres abweichen dürfen. Jedenfalls habe die Frage, ob dies zulässig sei, grundsätzliche Bedeutung.

Die Zulassung der Revision kann die Beschwerde mit diesem Vorbringen nicht erreichen. Die aufgeworfene Frage lässt sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte. Dabei brauchen aus Anlass des vorliegenden Falles Umfang und Grenzen der Bindungswirkung von Beschlüssen nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht im Einzelnen geklärt zu werden (vgl. hierzu lediglich Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO , § 80 Rn. 358 ff.; Clausing, a.a.O., § 121 Rn. 16 sowie J. Schmidt, in: Eyermann, VwGO , 11. Auflage 2000, § 80 Rn. 98 f.). Jedenfalls - und nur darauf kommt es hier an - besteht keine förmliche Bindung des Gerichts bei der Entscheidung im Hauptsacheverfahren an von ihm im Beschluss über das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geäußerte Rechtsauffassungen. Dies folgt bereits unmittelbar aus dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens und seinem Verhältnis zur Entscheidung in der Hauptsache (vgl. dazu Schoch, a.a.O., Vorb. § 80 Rn. 52 ff.). Die Entscheidung des Gerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO kann nach ihrer Stellung im verwaltungsprozessualen Rechtsschutzsystem und ihrer sich daraus ergebenden gesetzlichen Zweckbindung immer nur eine vorläufige Regelung bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache treffen. Demzufolge stehen der Beschluss des Gerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO und seine ihm zugrunde liegenden Erwägungen grundsätzlich immer - zumeist ausdrücklich, sonst jedenfalls unausgesprochen - unter dem Vorbehalt der abschließenden Entscheidung in der Hauptsache.

Gerade in Bezug auf die von der Beschwerde beanstandeten "Meinungsänderungen" des Berufungsgerichts im angefochtenen Urteil finden sich entsprechende ausdrückliche Vorbehalte in dem vorangegangenen Eilbeschluss vom 7. August 2002. Das Berufungsgericht hat in diesem Beschluss "ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26.09. und 15.10.2001 (9 C 1/ und 2/01 die genannten Entscheidungen des Senats aufgehoben hat" (BA S. 3), auf die es seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zweitwohnungssteuersatzung der Beklagten für die Jahre 1997 bis 1999 gestützt hatte. Es hat dann weiter ausgeführt: "ob der Senat deshalb seine Rechtsprechung aufgeben und sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anschließen wird, bedarf einer dieses Verfahren sprengenden Auseinandersetzung mit den Gründen der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und bleibt deshalb dem Hauptsacheverfahren vorbehalten." (BA S. 3). Auch soweit das Berufungsgericht in jenem Beschluss seine Entscheidung auf die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Mischnutzung von Zweitwohnungen gestützt hatte, hat es ausdrücklich einen entsprechenden Vorbehalt formuliert: "Da die Zweitwohnungssteuer allein an den Aufwand anknüpfen kann, der der Einkommensverwendung dient, erscheint es fraglich, ob der Senat seine bisherige Auffassung zur Zuordnung der Leerstandszeiten aufrechterhalten kann. Auch die Beantwortung dieser Frage ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten." (BA S. 4).

Vor diesem Hintergrund steht es außer Frage, dass das Berufungsgericht nicht da-

ran gehindert war, in dem angefochtenen Urteil die von ihm im Eilbeschluss geäußerten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zweitwohnungssteuerbescheide aufzugeben.

Dass das Gericht im Hauptsacheverfahren ganz allgemein nicht durch von ihm geäußerte Rechtsauffassungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebunden ist, ergibt sich im Übrigen auch aus § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO . Nach dieser Vorschrift ist das Gericht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes selbst befugt, Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO "jederzeit" zu ändern oder aufzuheben. Veränderter oder zuvor ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände bedarf es hierfür nicht, wie der Gegenschluss zu § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO belegt.

Angesichts dieser Rechtslage kann sich die Beschwerde - unabhängig davon, dass sie damit ohnehin keinen Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO bezeichnet - auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Kläger nur im Vertrauen auf die im Beschluss des Berufungsgerichts vom 7. August 2002 geäußerte Rechtsauffassung Berufung eingelegt hätten und so ein entsprechendes Kostenrisiko eingegangen wären. Wenn sie ein solches Vertrauen gehabt haben sollten, war es jedenfalls nicht schutzwürdig. Denn das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist vom Gesetzgeber nicht zu dem Zweck geschaffen, das Prozessrisiko der Beteiligten im Hauptsacheverfahren zu minimieren.

2. Die Beschwerde hat auch keinen Erfolg, soweit sie als Verfahrensmangel geltend macht, das angefochtene Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO ).

Im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung nur, wenn sie so mangelhaft begründet ist, dass die Entscheidungsgründe ihre doppelte Funktion - die Beteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten und dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu ermöglichen - nicht mehr erfüllen können. Das wiederum ist nur dann der Fall, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. Hingegen liegt ein Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (stRspr; BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 1999 - BVerwG 9 B 419.99 - Buchholz 310 § 138 Ziffer 6 VwGO Nr. 35; Beschluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 9 B 412.98 - Buchholz 310 § 138 Ziffer 6 VwGO Nr. 32).

Gemessen hieran kann von einem Fehlen der Urteilsgründe in dem angefochtenen Urteil keine Rede sein. Die von der Beschwerde als unzureichend beantwortet kritisierten Streitfragen sind in dem Urteil unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausreichend behandelt. Soweit das Berufungsgericht in seinem Eilbeschluss vom 7. August 2002 in der bis 1999 geltenden Zweitwohnungssteuersatzung der Beklagten eine Maßstabsdifferenzierung im Hinblick auf erhebliche Zeiträume der Fremdvermietung der Zweitwohnung vermisst hatte, hat es sich in dem angefochtenen Urteil nunmehr der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus dessen Urteil vom 26. September 2001 (BVerwG 9 C 1.01 - BVerwGE 115, 165 ) ausdrücklich angeschlossen, wonach die Erhebung des vollen Jahresbetrags der Zweitwohnungssteuer nicht unverhältnismäßig ist, wenn der Inhaber über eine rechtlich gesicherte Eigennutzungsmöglichkeit der Zweitwohnung von mindestens zwei Monaten im Jahr verfügt (UA S. 6). Dass das Berufungsgericht hierbei die für den Standpunkt des Bundesverwaltungsgerichts maßgeblichen Gründe in seinem Urteil nicht nochmals ausdrücklich wiederholt hat, führt zu keinem Begründungsmangel, da es sich mit seinem Verweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erkennbar auch seiner Begründung angeschlossen hat. Auf die im Eilbeschluss noch vermisste Maßstabsdifferenzierung in der Zweitwohnungssteuersatzung der Beklagten kam es nach dem nunmehr maßgeblichen Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts nicht mehr an. Denn die Kläger hatten offenbar unter Einbeziehung der Leerstandszeiten zusammen mit den von ihnen angegebenen tatsächlichen Eigennutzungszeiten über eine rechtlich gesicherte Eigennutzungsmöglichkeit der Zweitwohnung von jeweils mindestens zwei Monaten im Jahr verfügt.

Dass auch diese Leerstandszeiten bei nicht ausdrücklich ausgeschlossener Eigennutzung zu den Zeiten möglicher Eigennutzung der Zweitwohnung zählen, hat das Berufungsgericht wiederum unter ausdrücklichem Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27. Oktober 2004 - BVerwG 10 C 2.04 - NVwZ 2005, 828 = Buchholz 401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 21) entschieden (UA S. 8). Auch insoweit bedurfte es unter dem Gesichtspunkt der Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO (vgl. auch § 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ) nicht der Wiederholung der für das Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen Erwägungen im Urteil des Berufungsgerichts, nachdem es sich dem Standpunkt des Bundesverwaltungsgerichts, wie aus seinen weiteren Begründungserwägungen hinreichend deutlich wird ("davon ausgehend stellt sich die Frage nach der anteilsmäßigen Zuordnung der Leerstandszeiten zu den Vermietungstagen nicht mehr" - UA S. 8), angeschlossen hatte.

Einen Begründungsmangel vermag die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch nicht mit dem Hinweis darauf aufzuzeigen, dass sich die maßgeblichen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts in den genannten Entscheidungen durchweg auf Bundesrecht bezogen hätten. Denn die vom bundesrechtlichen Aufwandsbegriff geprägten Aussagen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Mindestzeiten einer Eigennutzung für die Erhebung der vollen Jahressteuer sowie zur Zuordnung der Leerstandszeiten sind in dem vom Berufungsgericht entschiedenen Fall ebenso wie in den in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Verfahren auch für das Landesrecht maßgeblich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG .

Vorinstanz: OVG Schleswig-Holstein, vom 21.09.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 2 LB 31/04